Alt wie ein Baum möchte ich werden, genau wie der Dichter es beschreibt. Alt wie ein Baum mit einer Krone, die weit über Felder zeigt.
Niemand will alt sein, aber jeder alt werden. Oder anders ausgedrückt: Es geht darum, jung zu sterben, aber so spät wie möglich. Wissenschaftler wollen diesen Wunsch vieler Menschen nun endlich wahr werden lassen. Über die Hälfte der Deutschen erreicht heute bereits das achtzigste Lebensjahr. Ein Lebensalter über 90 ist nichts Besonderes mehr, und auch die Zahl der über Hundertjährigen war noch nie so hoch wie heute.
"Ich glaube diese Zähigkeit, die man da im Krieg gelernt hat. Viele von denen haben ja noch den ersten Weltkrieg als Kind erlebt, und dieses genügsame Leben zu haben, vielleicht ist das ein Rezept zum Altwerden."
Die Fremdenführerin Hedwig Abraham. Auf dem Wiener Zentralfriedhof lässt sich beim Blick auf die Grabsteine errechnen, dass ein dreistelliges Lebensalter keine Seltenheit mehr ist. Mehr als drei Millionen Menschen liegen hier begraben. Die meisten starben im Alter zwischen 60 und 90 Jahren.
"Vor 150 Jahren ist dieser Friedhof eröffnet worden. Damals war es der größte Friedhof Europas …."
Hedwig Abraham führt eine kleine Touristengruppe zu den Gräbern der großen Komponisten.
"Als Beethoven gestorben ist, waren 20.000 Menschen bei seinem Begräbnis. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl von heute wären das Hunderttausende. Hat er Geburtstag, bekommt die Friedhofsverwaltung nach wie vor Glückwunschkarten."
Ludwig van Beethoven starb 1827 in Wien. Er war 56 Jahre alt. Ein alter Mann, damals, der viel erlebt und erreicht hatte. Heute würde man sagen: Er ist jung gestorben. Denn seit dem 19. Jahrhundert ist die Lebenserwartung erheblich gestiegen. Die Demographen haben errechnet: Alle zehn Jahre gewinnen die Bewohner der reichen Länder durchschnittlich zwei weitere Lebensjahre. Seit Jahrzehnten steigt die statistische Alterskurve nahezu linear, wie eine Gerade - immer weiter.
Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt, sagt die Welt, dass er zu früh geht. Wenn ein Mensch lange Zeit lebt, sagt die Welt: Es ist Zeit, dass er geht.
Irgendwann ist Schluss. Für mehr als 120 Jahre ist der menschliche Körper offenbar nicht ausgelegt, heißt es. Und so warten die Experten seit Jahren darauf, dass die Alterskurve ihren Gipfel erreicht oder wenigstens abflacht, aber zum Schrecken der Renten- und Krankenversicherungen tut sie es nicht. Was auch den Humangenetiker Markus Hengstschläger von der Medizinischen Universität Wien ins Grübeln bringt.
"Gibt es einen endlichen Rahmen für das Leben des Menschen oder für die Lebensdauer der Menschen?"
Markus Hengstschläger, ein sportlicher Mann, Mitte vierzig, schlank, mit Brille. Mit dem Altern kennt er sich aus, denn er hat darüber ein Buch geschrieben. Der Titel: "Endlich unendlich".
"Wenn wir heute Leben betrachten, dann ist es so, dass wir uns eigentlich bei jeder Spezies eine Art Frist oder einen Rahmen vorstellen. Wir wissen: Eine Schildkröte kann bis zu 300 Jahre alt werden, und eine Eintagsfliege wird nur zwei Tage alt. Wir sagen zwar: Natürlich spielt der Lebensstil für das Alter eine Rolle. Aber was macht eine Eintagsfliege? Sie kann Joghurt essen oder joggen so viel sie will, sie wird nicht älter. Das Programm läuft ab und endet irgendwann, und das ist halt bei jeder Art früher oder später."
Diese Theorie war die gängige Lehrmeinung der Biologie, aber sie wackelt. Dabei hat sich in der Tierwelt wenig geändert, wohl aber beim Menschen. Hengstschläger:
"Man muss heute einen Menschen anschauen, der sechzig Jahre auf diesem Planeten gelebt hat, und ihn vergleichen mit einem Menschen, der vor fünfhundert Jahren sechzig Jahre auf diesem Planeten gelebt hat. Es ist unumstritten, dass beide in Jahren gleich alt waren, aber wenn man die beiden miteinander vergleicht, sind sie biologisch niemals gleich alt. Der heute Sechzigjährige ist viel jünger als der Sechzigjährige vor fünfhundert Jahren. Er ist gesünder, fitter, seine Organe sind in besserem Zustand, seine Zähne, seine Haut, alles. Er ist biologisch vielleicht so alt wie ein Vierzigjähriger vor fünfhundert Jahren."
Jahrhunderte muss man gar nicht zurückblicken. Es reichen wenige Jahrzehnte. Wissenschaftler vom Wiener Institut für Demographie haben die Gesundheitsdaten verschiedener Generationen über Jahrzehnte verglichen und nachgewiesen: Der reife Mann von 2010 ist gesünder und fitter als der gleichaltrige Mann 1990. Biologisch gesehen ist er jünger. Durch bessere Medizin, gesündere Ernährung und veränderten Lebensstil ist es uns anscheinend bereits gelungen, das Altern hinauszuzögern. Aber vielen reicht das nicht.
Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an. Mit 66 Jahren, da hat man Spaß daran. Mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss. Mit 66 Jahren ist lange noch nicht Schluss.
Die Vorstellung, dass eine Art "Lebensuhr" vorgibt, wann die persönliche Lebenszeit abgelaufen ist, dominierte lange Zeit das Denken der Menschen. Und tatsächlich fanden Wissenschaftler vor etwa 70 Jahren im Erbgut aller Zellen eine Struktur, die das Lebensalter biologischer Zellen kontrolliert: Die Telomere. Telomere sind Kappen an den Enden der Chromosomen. Alle 46 Erbgutträger im Menschen besitzen an ihren Rändern solche Telomere. Man kann sie vergleichen mit den kleinen Plastikringen an den Enden der Schnürsenkel. Sie halten die Enden der Chromosomen zusammen. Bei jeder Zellteilung werden sie ein wenig kürzer - bis sie irgendwann vollkommen verschwunden sind. Dann können sich die Zellen nicht mehr teilen und gehen zu Grunde. Elizabeth Blackburn, eine Australierin, die jetzt in San Francisco forscht, ist 62 Jahre alt und hat ihr ganzes Forscherleben den Telomeren gewidmet.
"Wenn Zellen keine Telomere hätten, die die Enden der Chromosomen schützen, dann könnten sich die Zellen nicht mehr erneuern. Sie würden starke Schäden erleiden oder zu Krebszellen entarten. Viele typische Alterserscheinungen treten auf, sobald diese kleinen Kappen auf den Chromosomen nicht mehr funktionieren."
Was Elizabeth Blackburn auszeichnet, ist ihre Gelassenheit. Sie wirkt stets so, als ob sie jede Menge Zeit hätte. 2009 erhielt sie den Medizin-Nobelpreis. Gemeinsam mit ihrer Doktorandin Carol Greider hatte sie den Gegenspieler der Zellalterung entdeckt: Das Verjüngungs-Enzym Telomerase. Blackburn:
"Die Telomere werden immer kürzer im Laufe des Lebens. Und gäbe es da nicht den Gegenspieler, den wir in den 80er-Jahren entdeckt haben, die Telomerase, dann würden die Menschen viel früher an typischen Alterskrankheiten leiden."
Das Enzym Telomerase verlängert die Telomere. Es hält die Zellen jung, so dass sie sich weiter teilen können. Besonders aktiv ist die Telomerase in den so genannten adulten Stammzellen, wie sie jeder Organismus besitzt. Diese Zellen sorgen dafür, dass alte Zellen immer wieder durch neue, junge Zellen ersetzt werden. Menschen erhalten so jede Woche neue Haut und jeden Monat neue Muskeln. Erst wenn diese ständige Zellerneuerung nachlässt, altern auch diese Körpergewebe. Wie stark die Erneuerungskraft der Telomerase ist, zeigten zuletzt Forschungsergebnisse der Harvard Medical School. Den Wissenschaftlern dort war es tatsächlich gelungen, alte Mäuse zu verjüngen. Sie hatten die Telomerase aktiviert, und innerhalb weniger Wochen wurde die Haut der Tiere glatter und die Muskeln stärker. Der Jungbrunnen für Mäuse hat aber einen Haken. Zuvor hatten die Forscher ihre Mäuse künstlich altern lassen, in dem sie die Telomerase ausschalteten. Durch die anschließende Reaktivierung der Telomerase machten sie die zuvor ausgelöste künstliche Alterung wieder rückgängig. Die Lebensdauer der Mäuse wurde nicht wirklich erhöht. Außerdem beschleunigt jede Aktivierung der Telomerase die Zellteilung und erhöht so das Krebsrisiko. Als nie versiegender Jungbrunnen aus dem Labor kommt die Telomerase vorerst nicht in Frage.
Ich kümmere mich um den Garten und jäte das Unkraut. Was will man denn noch mehr? Wirst du mich brauchen, wirst du mich füttern, wenn ich 64 bin?
Die Ehrengräber sind ein besonderer Höhepunkt, wenn Hedwig Abraham durch den Wiener Zentralfriedhof führt. Die verstorbenen Prominenten sind fast alle Männer, gestorben um die 70. Aber es gibt Ausnahmen.
"Da haben wir mal eine Frau. Die findet man hier ja relativ selten. Margarete Schütte-Lihotzky war Architektin. Sie ist 103 Jahre alt geworden und hat in den 1920er-Jahren in Frankfurt eine Einbauküche erfunden."
Die Bekämpfung des Alterns erscheint bislang müßig. Die üblichen Anti-Aging-Produkte wirken nur an der Oberfläche. Sie lassen zum Beispiel die Haut vorübergehend jünger erscheinen oder erhöhen kurzfristig die Vitalität. Am Altern selbst ändern sie nichts. Aber es gibt erste Möglichkeiten, um gezielt in die biologischen Alterungsprozesse unserer Zellen einzugreifen. Und einige Wissenschaftler glauben: Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um dem Altern den Kampf anzusagen.
"My name is Doctor Aubrey de Grey. And I am the chief science officer of a nonprofit charity based in California – called SENS-foundation."
Groß, hager und ein langer Bart. Aubrey de Grey, der Apostel der Jugendlichkeit ist 47 Jahre alt und arbeitet als Chef-Wissenschaftler für eine in Kalifornien beheimatete Organisation, die das Altern abschaffen möchte.
"Über das Altern habe ich eigentlich niemals ernsthaft nachgedacht, weil ich überzeugt bin, dass es da nichts nachzudenken gibt."
In seinem Buch "Niemals alt" zählt Aubrey de Grey sorgfältig die heute bekannten biochemischen Vorgänge auf, die uns altern lassen. Dazu gehören die Mutationen im Erbmolekül DNA, die Oxidation vieler wichtiger Zellstrukturen durch Atmung und die Ablagerung funktionsunfähiger Biomoleküle zwischen und in den Nervenzellen. Diese und weitere Prozesse führen zu einer schleichenden Zerstörung des Körpers, so Aubrey de Grey. Wenn es irgend geht, sollte jeder versuchen, diese Altersschäden zu verhindern.
"Es ist sehr gut, nicht zu rauchen und Übergewicht zu vermeiden. So verhindern wir, dass wir besonders schnell altern. Aber egal wie wir es anstellen, wir können im Alltag wenig dagegen tun, dass wir schließlich doch alt werden. Denn dem Hauptfaktor, der unserem Körper Schäden zufügt, können wir nicht aus dem Wege gehen. Heute wissen wir: Der größte biochemische Schaden entsteht durch die Atmung. Und atmen muss jeder Mensch, egal wie gesund oder ungesund er sich ernährt."
Deshalb, so das Credo von Aubrey de Grey, muss die Forschung ihre Zurückhaltung aufgeben. Sie muss endlich gezielt gegen das Altern angehen. Aubrey de Grey stellt sich das vor, wie bei einem alten Auto. Wer einen Oldtimer fahren will, muss sein Auto pflegen und jeden kleinsten Schaden sofort reparieren. Die Wissenschaft sei bald so weit, dass sie alle Folgen des Alters verhindern oder rückgängig machen könne, so Aubrey de Grey. Mit dieser Botschaft sorgt der Paradiesvogel auf wissenschaftlichen Kongressen immer wieder für angeregte Diskussionen. Aus Angst vor dem Alter akzeptierten wir den eigenen Verfall als unvermeidlich, statt ihm den Kampf anzusagen, sagt de Grey eindringlich.
"Einige der Verfahren, die meiner Meinung nach entwickelt werden müssen, stehen schon vor der Einführung in die klinische Praxis. So gibt es eine Impfung, die die molekularen Ablagerungen zwischen alternden Nervenzellen beseitigt, wie sie bei der Alzheimer-Erkrankung entstehen. Dieser Impfstoff befindet sich bereits in der letzten klinischen Erprobungsphase. Außerdem gibt es viele Stammzellentherapien, die derzeit entwickelt werden. Stammzellen ersetzen dabei alternde Gewebe durch junge Gewebe. Andere Verfahren, die Alterungsprozesse rückgängig machen, sind leider noch nicht so weit, und so wird es noch 25 Jahre oder mehr dauern, bis sie zur Verfügung stehen."
Noch sind die Behörden zurückhaltend. Medikamente gegen das Altern dürfen bisher nicht in klinischen Studien erprobt werden. Denn Altern ist offiziell keine Krankheit, die Verhinderung des Alterns keine Aufgabe der Medizin. Im Labor jedoch werden viele Methoden bereits ausprobiert. So haben Forscher längst das Leben von Fadenwürmern, Fliegen und Mäusen eindrucksvoll verlängert.
Früher oder später werden wir alle nicht mehr da sein. Warum bleiben wir nicht einfach ewig jung? Warum werden wir alt ohne Grund? Ich will nicht dahin dämmern und verwelken. Ich will ewig jung sein. Ewig jung.
Für Cynthia Kenyon ist Altern der "deprimierendste Prozess überhaupt". Die Molekularbiologin von der Universität von Kalifornien in San Francisco ist etwa 55 Jahre alt, wirkt aber deutlich jünger, als sie mit der blonden Mädchenfrisur dynamisch auf die Bühne des Kongresszentrums stürmt und erzählt:
"Es ist noch gar nicht so lange her, da glaubte alle Welt: Man altert einfach so von selbst, wie ein Auto, das verschleißt. Aber wir haben zeigen können, dass das nicht stimmt."
Sie scheint selbst überrascht - so, als ob sie eben erst von ihren bahnbrechenden Forschungsergebnissen erfahren hätte. In Wirklichkeit ist es mehr als 15 Jahre her, dass Cynthia Kenyon in ihrem Labor das Altern erstmals besiegte.
"In unserm Labor arbeiten wir mit einem winzig kleinen Fadenwurm, genannt C. elegans. Nicht größer als ein Komma im Satz. Seine Lebensspanne beträgt nur wenige Wochen. Nur eines seiner 20.000 Gene haben wir verändert und so auf einen Schlag seine Lebenszeit verdoppelt. Das Tier blieb länger jung. Das schien wie ein Wunder. Als ob ein Mensch 90 Jahre alt wäre und immer noch so aussähe wie mit 45. Als ob es kein Altern gäbe. Aber das war kein Wunder. Es war Wissenschaft."
Das "Wundergen", das dies möglich machte, heißt DAF 16 und kommt auch bei Mäusen und Menschen vor. Immer wieder wird es als "Jungbrunnen-Gen" bezeichnet. Wenn die Umweltbedingungen für ein Tier nicht gut aussehen, dann sorgt es dafür, dass die Biochemie sich umorientiert. Statt auf schnelle Fortpflanzung setzt das Lebewesen auf "Langes Leben auf Sparflamme" - in der Hoffnung, dass irgendwann bessere Zeiten kommen, die eher geeignet sind sich fortzupflanzen. Kenyon:
"Tiere haben Wege gefunden, um sich vor Umweltstress zu schützen. Nahrungsmangel oder Sonnenstrahlung sind solche Stressfaktoren. Und ebenso schützen sie sich vor innerem Stress. Und Altern ist innerer Stress. Wenn wir diese Schutzmechanismen gegen inneren Stress bei einem Versuchstier aktivieren, bleibt das Tier länger jung."
Später mussten einige Ergebnisse aus den 90er-Jahren relativiert werden. In der freien Natur ist die Wirkung der "Jungbrunnen-Gene" auf Fadenwürmer nicht so groß wie bei Labortieren. Und bei Mäusen und Menschen ist sie bei weitem nicht so ausgeprägt wie beim Fadenwurm. Aber die Entdeckungen waren das Startsignal für die molekulargenetische Altersbiologie. In den folgenden Jahren wurden weitere Gene entdeckt, die den Alterungsprozess auch beim Menschen beeinflussen: TERC, PHA-4, FOXO 3A und so weiter. Gene, die in bestimmten Varianten jung halten. Menschen, die diese Gene von Natur aus besitzen, altern langsamer, auch dann, wenn sie die Ratschläge der Ärzte in den Wind schlagen.
Hedwig Abraham:
"Und dann haben wir da vorne gleich die Großmutter der Romy Schneider. Sie war die letzte Hofschauspielerin und ist 106 Jahre alt geworden. Mit 103 hat sie zu rauchen begonnen. Mit 100 hat man ihr einen Ehrenauftritt im Burgtheater gewährt und zum 105. noch einmal. Und da hat man sie gefragt: 'Wie geht es Ihnen, gnädige Frau?' Da hat sie gesagt: 'Naja, man ist halt keine hundert mehr.'"
Manche Menschen leben ungesund und werden dennoch uralt, dank ihres Erbguts. Forscher der Universität Boston haben das Genom von 800 Amerikanern im Alter zwischen 95 und 119 Jahren mit dem jüngerer Vergleichspersonen verglichen, um so die genetischen Besonderheiten der Uralten aufzuspüren. Dabei fanden sie mehr Gene als erhofft. Insgesamt 150 genetische Varianten kommen bei sehr alten Menschen gehäuft vor. Sie alle scheinen geeignet, das Altern hinauszuzögern. Das Altern beim Menschen ist also ein hoch komplizierter Prozess, bei dem viele Faktoren eine Rolle spielen. Eine einfache Strategie gegen das Altern scheint nach diesen Erkenntnissen nahezu ausgeschlossen. Andere Forscher setzen auf weitere Tierversuche. Sie sind dabei, den Nacktmull, der bis zu 28 Jahre alt wird, mit Mäusen zu vergleichen, die gerade einmal zwei Jahre alt werden. Tausende genetische Unterschiede haben sie bereits entdeckt. Das Geheimnis des Nacktmulls liegt irgendwo darin verborgen. Wahrscheinlich im Zusammenspiel vieler Gene.
Du willst alt werden wie jeder Mensch auf Erden, willst 100 Jahre werden oder noch ein bisschen mehr. Du willst alt werden, mag dies der Himmel geben, an diesem schönen Leben hängt man so sehr.
Immer wieder gelingt es Forschern mit unterschiedlichsten Methoden, die Lebenszeit ihrer Versuchstiere zu verlängern. Die einfachste Methode ist dabei auch die preiswerteste - und sie funktioniert bei fast allen Tierarten. Die Tiere bekommen einfach weniger zu fressen. Am besten gerade so viel, dass es zum Überleben reicht und kein Mangel an Spurenelementen entsteht. Der Stoffwechsel stellt sich innerhalb weniger Wochen um: Von Fortpflanzung auf Langzeitüberleben. Mäuse werden so 20 bis 30 Prozent älter: Statt auf zwei Jahre bringen sie es durch Hungern auf zweieinhalb Jahre. Ob diese Hungermethode auch bei Menschen wirkt, ist umstritten. Statistische Daten weisen zum Teil in eine andere Richtung. Geringes Übergewicht hilft alten Menschen, schwere Krankheiten besser zu überstehen und erhöht so die Lebenserwartung. Hungern hat also positive und negative Auswirkungen auf die Gesundheit und die Lebensspanne. Amerikanische Forscher untersuchen deshalb die Hungerstrategie biochemisch. Sie wollen die Vorteile des Hungerns nutzen, ohne die Nachteile in Kauf zu nehmen. Der Biologe Leonard Guarente aus Boston fand dabei den entscheidenden Schlüssel bei hungernden Hefezellen und Fadenwürmern. Er entdeckte ein Gen, wie gemacht für das Vorhaben.
"Die genetische Forschung der letzten acht Jahre kommt zum Schluss: Sir 2 ist ein Anti-Aging-Gen."
Leonard Guarente blickt aus seinem Büro auf den Campus der Elite-Universität MIT. Er gilt als Großvater der ersten seriösen Anti-Aging-Pille, was der schlanke, agile Sechzigjährige wahrscheinlich nicht so gerne hört. Ende der 1990er Jahre entdeckten er und sein Team eine Gruppe von Proteinen: die Sirtuine, zu denen Sir 2 gehört. Diese Eiweiße steuern die Nahrungsversorgung im Körper und beeinflussen so das Altern. Sirtuine sind der Schlüssel zur Lebensverlängerung, davon ist Leonard Guarente überzeugt.
"Das Leben wird um 30 bis 40 Prozent verlängert, sowohl bei Hefen als auch bei Würmern. Wir haben das geschafft, indem wir einfach die Zahl der Anti-Aging Gene im Erbgut erhöht haben."
Schnell entstand die Idee, die Sirtuine im menschlichen Körper irgendwie von außen zu beeinflussen – natürlich ohne genetische Manipulation. Und tatsächlich fand Guarentes Mitarbeiter David Sinclair einen Naturstoff, der auf die Sirtuine wirkt. Es handelt sich um die Substanz Resveratrol, die in roten Weintrauben vorkommt. Möglicherweise ist Resveratrol verantwortlich für die vielfach beschriebene gesundheitsfördernde Wirkung von Rotwein. In ausreichender Konzentration verlängert Resveratrol das Mäuseleben um 30 Prozent. Wollte ein Mensch allerdings eine vergleichbare Menge zu sich nehmen, müsste er täglich mehrere Flaschen Rotwein trinken. Der positive Effekt auf die Alterung würde durch Schäden der Leber und des Gehirns mehr als ausgeglichen. In den USA wird Resveratrol deshalb bereits als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Auch viele Wissenschaftler warten nicht auf die Ergebnisse aus Studien am Menschen, sondern schlucken bereits den Stoff aus dem Rotwein. Leonard Guarente bleibt aber vorsichtig. Zunächst einmal.
"Ich nehme noch kein Resveratrol, aber ich trinke Rotwein. Sobald es eine verlässliche, gut untersuchte, abgesicherte Methode gibt, Resveratrol einzunehmen, dann werde ich es tun. Aber das ist erst der Anfang. Es wird immer mehr Medikamente geben, die auf dieser Forschung aufbauen. Sie kommen auf den Markt als Mittel gegen eine bestimmte Krankheit, wie Diabetes. Aber sie wirken indirekt gegen viele altersbedingte Krankheiten. So wird das in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren laufen. Und ich werde diese Möglichkeiten sicher nutzen, sobald sie bereit stehen."
In den vergangenen Jahren stießen die Forscher auf weitere Substanzen, die noch gezielter als Resveratrol die Wirkung der Sirtuine beeinflussen. Die Firma Sirtris Pharmaceuticals in Boston erprobt bereits mehrere Wirkstoffe dieser Klasse in klinischen Studien. Die Pharmaindustrie scheint von der Idee des kleinen Unternehmens überzeugt. 2008 wurde die Biotechnologiefirma Sirtris Pharmaceuticals vom Pharmariesen GlaxoSmithkline aufgekauft – für 720 Millionen Dollar. Erste Ergebnisse existieren bislang für den Wirkstoff SRT 21 04. Der Wirkstoff wird derzeit in einer klinischen Studie Phase II an 225 Diabetes-II-Patienten getestet. 28 Tage lang nehmen sie die Substanz ein. Dabei wird die Wirkung auf den Blutzuckerspiegel gemessen und mit einer Placebo-Gruppe verglichen. Offiziell geht es um die Wirkung gegen Diabetes-II, dennoch erhoffen viele heimlich den Durchbruch gegen das Altern. 2011 könnte das Ergebnis vorliegen, Phase III danach folgen. Erst dann – in frühestens zwei bis drei Jahren – ist eine Zulassung als Medikament möglich: ein neues verschreibungspflichtiges Medikament gegen Diabetes-II. Nicht unbedingt ein Wundermittel gegen das Altern. Auch wenn dann sicher mancher Nicht-Diabetiker das Medikament einnehmen würde, in der Hoffnung, dem Altern ein Schnippchen zu schlagen.
Die Friedhofsbesucher in Wien – die meisten um die 60 - erreichen das Grab des Schauspielers Curd Jürgens. Mit einem kleinen Gerät spielt Hedwig Abraham sein bekanntestes Lied vor, und einige Besucher singen leise mit.
Sechzig Jahre und kein bisschen weise, aus gehabtem Schaden nichts gelernt. Sechzig Jahre auf dem Weg zum Greise, und noch 60 Jahr’ davon entfernt.
Das Altern wird immer seltener als unabwendbares Schicksal begriffen. Die Hoffnung steigt, dass der Alterungsprozess sich irgendwann umdrehen lässt. Und dann könnten auch bereits gealterte Erdenbewohner vom Fortschritt der Altersforschung profitieren. Aubrey de Grey jedenfalls ist davon überzeugt, dass die Zeit des Alterns zu Ende geht. Er kann warten – auf die späte Jugend.
"Auch wenn Sie jetzt schon 40 sind – dann wären sie an die 70, wenn diese Medikamente auf den Markt kommen. Das könnte früh genug sein, denn die Wirkstoffe könnten bereits entstandene Schäden reparieren. Das bedeutet: Sie müssen nicht siebzig Jahre alt bleiben, sondern werden verjüngt bis zu einem Alter von 40 oder noch jünger."
Die Führung durch den Wiener Zentralfriedhof geht zu Ende – mit einem Blick auf die Inschrift eines Grabsteins.
"Hier finden wir uns wieder, erlöst von einer verlogenen Menschheit. Gustl."
Auf einem anderen Grabstein steht geschrieben
"Das Leben endet nicht. Es endet nur die Sendung."
Niemand will alt sein, aber jeder alt werden. Oder anders ausgedrückt: Es geht darum, jung zu sterben, aber so spät wie möglich. Wissenschaftler wollen diesen Wunsch vieler Menschen nun endlich wahr werden lassen. Über die Hälfte der Deutschen erreicht heute bereits das achtzigste Lebensjahr. Ein Lebensalter über 90 ist nichts Besonderes mehr, und auch die Zahl der über Hundertjährigen war noch nie so hoch wie heute.
"Ich glaube diese Zähigkeit, die man da im Krieg gelernt hat. Viele von denen haben ja noch den ersten Weltkrieg als Kind erlebt, und dieses genügsame Leben zu haben, vielleicht ist das ein Rezept zum Altwerden."
Die Fremdenführerin Hedwig Abraham. Auf dem Wiener Zentralfriedhof lässt sich beim Blick auf die Grabsteine errechnen, dass ein dreistelliges Lebensalter keine Seltenheit mehr ist. Mehr als drei Millionen Menschen liegen hier begraben. Die meisten starben im Alter zwischen 60 und 90 Jahren.
"Vor 150 Jahren ist dieser Friedhof eröffnet worden. Damals war es der größte Friedhof Europas …."
Hedwig Abraham führt eine kleine Touristengruppe zu den Gräbern der großen Komponisten.
"Als Beethoven gestorben ist, waren 20.000 Menschen bei seinem Begräbnis. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl von heute wären das Hunderttausende. Hat er Geburtstag, bekommt die Friedhofsverwaltung nach wie vor Glückwunschkarten."
Ludwig van Beethoven starb 1827 in Wien. Er war 56 Jahre alt. Ein alter Mann, damals, der viel erlebt und erreicht hatte. Heute würde man sagen: Er ist jung gestorben. Denn seit dem 19. Jahrhundert ist die Lebenserwartung erheblich gestiegen. Die Demographen haben errechnet: Alle zehn Jahre gewinnen die Bewohner der reichen Länder durchschnittlich zwei weitere Lebensjahre. Seit Jahrzehnten steigt die statistische Alterskurve nahezu linear, wie eine Gerade - immer weiter.
Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt, sagt die Welt, dass er zu früh geht. Wenn ein Mensch lange Zeit lebt, sagt die Welt: Es ist Zeit, dass er geht.
Irgendwann ist Schluss. Für mehr als 120 Jahre ist der menschliche Körper offenbar nicht ausgelegt, heißt es. Und so warten die Experten seit Jahren darauf, dass die Alterskurve ihren Gipfel erreicht oder wenigstens abflacht, aber zum Schrecken der Renten- und Krankenversicherungen tut sie es nicht. Was auch den Humangenetiker Markus Hengstschläger von der Medizinischen Universität Wien ins Grübeln bringt.
"Gibt es einen endlichen Rahmen für das Leben des Menschen oder für die Lebensdauer der Menschen?"
Markus Hengstschläger, ein sportlicher Mann, Mitte vierzig, schlank, mit Brille. Mit dem Altern kennt er sich aus, denn er hat darüber ein Buch geschrieben. Der Titel: "Endlich unendlich".
"Wenn wir heute Leben betrachten, dann ist es so, dass wir uns eigentlich bei jeder Spezies eine Art Frist oder einen Rahmen vorstellen. Wir wissen: Eine Schildkröte kann bis zu 300 Jahre alt werden, und eine Eintagsfliege wird nur zwei Tage alt. Wir sagen zwar: Natürlich spielt der Lebensstil für das Alter eine Rolle. Aber was macht eine Eintagsfliege? Sie kann Joghurt essen oder joggen so viel sie will, sie wird nicht älter. Das Programm läuft ab und endet irgendwann, und das ist halt bei jeder Art früher oder später."
Diese Theorie war die gängige Lehrmeinung der Biologie, aber sie wackelt. Dabei hat sich in der Tierwelt wenig geändert, wohl aber beim Menschen. Hengstschläger:
"Man muss heute einen Menschen anschauen, der sechzig Jahre auf diesem Planeten gelebt hat, und ihn vergleichen mit einem Menschen, der vor fünfhundert Jahren sechzig Jahre auf diesem Planeten gelebt hat. Es ist unumstritten, dass beide in Jahren gleich alt waren, aber wenn man die beiden miteinander vergleicht, sind sie biologisch niemals gleich alt. Der heute Sechzigjährige ist viel jünger als der Sechzigjährige vor fünfhundert Jahren. Er ist gesünder, fitter, seine Organe sind in besserem Zustand, seine Zähne, seine Haut, alles. Er ist biologisch vielleicht so alt wie ein Vierzigjähriger vor fünfhundert Jahren."
Jahrhunderte muss man gar nicht zurückblicken. Es reichen wenige Jahrzehnte. Wissenschaftler vom Wiener Institut für Demographie haben die Gesundheitsdaten verschiedener Generationen über Jahrzehnte verglichen und nachgewiesen: Der reife Mann von 2010 ist gesünder und fitter als der gleichaltrige Mann 1990. Biologisch gesehen ist er jünger. Durch bessere Medizin, gesündere Ernährung und veränderten Lebensstil ist es uns anscheinend bereits gelungen, das Altern hinauszuzögern. Aber vielen reicht das nicht.
Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an. Mit 66 Jahren, da hat man Spaß daran. Mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss. Mit 66 Jahren ist lange noch nicht Schluss.
Die Vorstellung, dass eine Art "Lebensuhr" vorgibt, wann die persönliche Lebenszeit abgelaufen ist, dominierte lange Zeit das Denken der Menschen. Und tatsächlich fanden Wissenschaftler vor etwa 70 Jahren im Erbgut aller Zellen eine Struktur, die das Lebensalter biologischer Zellen kontrolliert: Die Telomere. Telomere sind Kappen an den Enden der Chromosomen. Alle 46 Erbgutträger im Menschen besitzen an ihren Rändern solche Telomere. Man kann sie vergleichen mit den kleinen Plastikringen an den Enden der Schnürsenkel. Sie halten die Enden der Chromosomen zusammen. Bei jeder Zellteilung werden sie ein wenig kürzer - bis sie irgendwann vollkommen verschwunden sind. Dann können sich die Zellen nicht mehr teilen und gehen zu Grunde. Elizabeth Blackburn, eine Australierin, die jetzt in San Francisco forscht, ist 62 Jahre alt und hat ihr ganzes Forscherleben den Telomeren gewidmet.
"Wenn Zellen keine Telomere hätten, die die Enden der Chromosomen schützen, dann könnten sich die Zellen nicht mehr erneuern. Sie würden starke Schäden erleiden oder zu Krebszellen entarten. Viele typische Alterserscheinungen treten auf, sobald diese kleinen Kappen auf den Chromosomen nicht mehr funktionieren."
Was Elizabeth Blackburn auszeichnet, ist ihre Gelassenheit. Sie wirkt stets so, als ob sie jede Menge Zeit hätte. 2009 erhielt sie den Medizin-Nobelpreis. Gemeinsam mit ihrer Doktorandin Carol Greider hatte sie den Gegenspieler der Zellalterung entdeckt: Das Verjüngungs-Enzym Telomerase. Blackburn:
"Die Telomere werden immer kürzer im Laufe des Lebens. Und gäbe es da nicht den Gegenspieler, den wir in den 80er-Jahren entdeckt haben, die Telomerase, dann würden die Menschen viel früher an typischen Alterskrankheiten leiden."
Das Enzym Telomerase verlängert die Telomere. Es hält die Zellen jung, so dass sie sich weiter teilen können. Besonders aktiv ist die Telomerase in den so genannten adulten Stammzellen, wie sie jeder Organismus besitzt. Diese Zellen sorgen dafür, dass alte Zellen immer wieder durch neue, junge Zellen ersetzt werden. Menschen erhalten so jede Woche neue Haut und jeden Monat neue Muskeln. Erst wenn diese ständige Zellerneuerung nachlässt, altern auch diese Körpergewebe. Wie stark die Erneuerungskraft der Telomerase ist, zeigten zuletzt Forschungsergebnisse der Harvard Medical School. Den Wissenschaftlern dort war es tatsächlich gelungen, alte Mäuse zu verjüngen. Sie hatten die Telomerase aktiviert, und innerhalb weniger Wochen wurde die Haut der Tiere glatter und die Muskeln stärker. Der Jungbrunnen für Mäuse hat aber einen Haken. Zuvor hatten die Forscher ihre Mäuse künstlich altern lassen, in dem sie die Telomerase ausschalteten. Durch die anschließende Reaktivierung der Telomerase machten sie die zuvor ausgelöste künstliche Alterung wieder rückgängig. Die Lebensdauer der Mäuse wurde nicht wirklich erhöht. Außerdem beschleunigt jede Aktivierung der Telomerase die Zellteilung und erhöht so das Krebsrisiko. Als nie versiegender Jungbrunnen aus dem Labor kommt die Telomerase vorerst nicht in Frage.
Ich kümmere mich um den Garten und jäte das Unkraut. Was will man denn noch mehr? Wirst du mich brauchen, wirst du mich füttern, wenn ich 64 bin?
Die Ehrengräber sind ein besonderer Höhepunkt, wenn Hedwig Abraham durch den Wiener Zentralfriedhof führt. Die verstorbenen Prominenten sind fast alle Männer, gestorben um die 70. Aber es gibt Ausnahmen.
"Da haben wir mal eine Frau. Die findet man hier ja relativ selten. Margarete Schütte-Lihotzky war Architektin. Sie ist 103 Jahre alt geworden und hat in den 1920er-Jahren in Frankfurt eine Einbauküche erfunden."
Die Bekämpfung des Alterns erscheint bislang müßig. Die üblichen Anti-Aging-Produkte wirken nur an der Oberfläche. Sie lassen zum Beispiel die Haut vorübergehend jünger erscheinen oder erhöhen kurzfristig die Vitalität. Am Altern selbst ändern sie nichts. Aber es gibt erste Möglichkeiten, um gezielt in die biologischen Alterungsprozesse unserer Zellen einzugreifen. Und einige Wissenschaftler glauben: Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um dem Altern den Kampf anzusagen.
"My name is Doctor Aubrey de Grey. And I am the chief science officer of a nonprofit charity based in California – called SENS-foundation."
Groß, hager und ein langer Bart. Aubrey de Grey, der Apostel der Jugendlichkeit ist 47 Jahre alt und arbeitet als Chef-Wissenschaftler für eine in Kalifornien beheimatete Organisation, die das Altern abschaffen möchte.
"Über das Altern habe ich eigentlich niemals ernsthaft nachgedacht, weil ich überzeugt bin, dass es da nichts nachzudenken gibt."
In seinem Buch "Niemals alt" zählt Aubrey de Grey sorgfältig die heute bekannten biochemischen Vorgänge auf, die uns altern lassen. Dazu gehören die Mutationen im Erbmolekül DNA, die Oxidation vieler wichtiger Zellstrukturen durch Atmung und die Ablagerung funktionsunfähiger Biomoleküle zwischen und in den Nervenzellen. Diese und weitere Prozesse führen zu einer schleichenden Zerstörung des Körpers, so Aubrey de Grey. Wenn es irgend geht, sollte jeder versuchen, diese Altersschäden zu verhindern.
"Es ist sehr gut, nicht zu rauchen und Übergewicht zu vermeiden. So verhindern wir, dass wir besonders schnell altern. Aber egal wie wir es anstellen, wir können im Alltag wenig dagegen tun, dass wir schließlich doch alt werden. Denn dem Hauptfaktor, der unserem Körper Schäden zufügt, können wir nicht aus dem Wege gehen. Heute wissen wir: Der größte biochemische Schaden entsteht durch die Atmung. Und atmen muss jeder Mensch, egal wie gesund oder ungesund er sich ernährt."
Deshalb, so das Credo von Aubrey de Grey, muss die Forschung ihre Zurückhaltung aufgeben. Sie muss endlich gezielt gegen das Altern angehen. Aubrey de Grey stellt sich das vor, wie bei einem alten Auto. Wer einen Oldtimer fahren will, muss sein Auto pflegen und jeden kleinsten Schaden sofort reparieren. Die Wissenschaft sei bald so weit, dass sie alle Folgen des Alters verhindern oder rückgängig machen könne, so Aubrey de Grey. Mit dieser Botschaft sorgt der Paradiesvogel auf wissenschaftlichen Kongressen immer wieder für angeregte Diskussionen. Aus Angst vor dem Alter akzeptierten wir den eigenen Verfall als unvermeidlich, statt ihm den Kampf anzusagen, sagt de Grey eindringlich.
"Einige der Verfahren, die meiner Meinung nach entwickelt werden müssen, stehen schon vor der Einführung in die klinische Praxis. So gibt es eine Impfung, die die molekularen Ablagerungen zwischen alternden Nervenzellen beseitigt, wie sie bei der Alzheimer-Erkrankung entstehen. Dieser Impfstoff befindet sich bereits in der letzten klinischen Erprobungsphase. Außerdem gibt es viele Stammzellentherapien, die derzeit entwickelt werden. Stammzellen ersetzen dabei alternde Gewebe durch junge Gewebe. Andere Verfahren, die Alterungsprozesse rückgängig machen, sind leider noch nicht so weit, und so wird es noch 25 Jahre oder mehr dauern, bis sie zur Verfügung stehen."
Noch sind die Behörden zurückhaltend. Medikamente gegen das Altern dürfen bisher nicht in klinischen Studien erprobt werden. Denn Altern ist offiziell keine Krankheit, die Verhinderung des Alterns keine Aufgabe der Medizin. Im Labor jedoch werden viele Methoden bereits ausprobiert. So haben Forscher längst das Leben von Fadenwürmern, Fliegen und Mäusen eindrucksvoll verlängert.
Früher oder später werden wir alle nicht mehr da sein. Warum bleiben wir nicht einfach ewig jung? Warum werden wir alt ohne Grund? Ich will nicht dahin dämmern und verwelken. Ich will ewig jung sein. Ewig jung.
Für Cynthia Kenyon ist Altern der "deprimierendste Prozess überhaupt". Die Molekularbiologin von der Universität von Kalifornien in San Francisco ist etwa 55 Jahre alt, wirkt aber deutlich jünger, als sie mit der blonden Mädchenfrisur dynamisch auf die Bühne des Kongresszentrums stürmt und erzählt:
"Es ist noch gar nicht so lange her, da glaubte alle Welt: Man altert einfach so von selbst, wie ein Auto, das verschleißt. Aber wir haben zeigen können, dass das nicht stimmt."
Sie scheint selbst überrascht - so, als ob sie eben erst von ihren bahnbrechenden Forschungsergebnissen erfahren hätte. In Wirklichkeit ist es mehr als 15 Jahre her, dass Cynthia Kenyon in ihrem Labor das Altern erstmals besiegte.
"In unserm Labor arbeiten wir mit einem winzig kleinen Fadenwurm, genannt C. elegans. Nicht größer als ein Komma im Satz. Seine Lebensspanne beträgt nur wenige Wochen. Nur eines seiner 20.000 Gene haben wir verändert und so auf einen Schlag seine Lebenszeit verdoppelt. Das Tier blieb länger jung. Das schien wie ein Wunder. Als ob ein Mensch 90 Jahre alt wäre und immer noch so aussähe wie mit 45. Als ob es kein Altern gäbe. Aber das war kein Wunder. Es war Wissenschaft."
Das "Wundergen", das dies möglich machte, heißt DAF 16 und kommt auch bei Mäusen und Menschen vor. Immer wieder wird es als "Jungbrunnen-Gen" bezeichnet. Wenn die Umweltbedingungen für ein Tier nicht gut aussehen, dann sorgt es dafür, dass die Biochemie sich umorientiert. Statt auf schnelle Fortpflanzung setzt das Lebewesen auf "Langes Leben auf Sparflamme" - in der Hoffnung, dass irgendwann bessere Zeiten kommen, die eher geeignet sind sich fortzupflanzen. Kenyon:
"Tiere haben Wege gefunden, um sich vor Umweltstress zu schützen. Nahrungsmangel oder Sonnenstrahlung sind solche Stressfaktoren. Und ebenso schützen sie sich vor innerem Stress. Und Altern ist innerer Stress. Wenn wir diese Schutzmechanismen gegen inneren Stress bei einem Versuchstier aktivieren, bleibt das Tier länger jung."
Später mussten einige Ergebnisse aus den 90er-Jahren relativiert werden. In der freien Natur ist die Wirkung der "Jungbrunnen-Gene" auf Fadenwürmer nicht so groß wie bei Labortieren. Und bei Mäusen und Menschen ist sie bei weitem nicht so ausgeprägt wie beim Fadenwurm. Aber die Entdeckungen waren das Startsignal für die molekulargenetische Altersbiologie. In den folgenden Jahren wurden weitere Gene entdeckt, die den Alterungsprozess auch beim Menschen beeinflussen: TERC, PHA-4, FOXO 3A und so weiter. Gene, die in bestimmten Varianten jung halten. Menschen, die diese Gene von Natur aus besitzen, altern langsamer, auch dann, wenn sie die Ratschläge der Ärzte in den Wind schlagen.
Hedwig Abraham:
"Und dann haben wir da vorne gleich die Großmutter der Romy Schneider. Sie war die letzte Hofschauspielerin und ist 106 Jahre alt geworden. Mit 103 hat sie zu rauchen begonnen. Mit 100 hat man ihr einen Ehrenauftritt im Burgtheater gewährt und zum 105. noch einmal. Und da hat man sie gefragt: 'Wie geht es Ihnen, gnädige Frau?' Da hat sie gesagt: 'Naja, man ist halt keine hundert mehr.'"
Manche Menschen leben ungesund und werden dennoch uralt, dank ihres Erbguts. Forscher der Universität Boston haben das Genom von 800 Amerikanern im Alter zwischen 95 und 119 Jahren mit dem jüngerer Vergleichspersonen verglichen, um so die genetischen Besonderheiten der Uralten aufzuspüren. Dabei fanden sie mehr Gene als erhofft. Insgesamt 150 genetische Varianten kommen bei sehr alten Menschen gehäuft vor. Sie alle scheinen geeignet, das Altern hinauszuzögern. Das Altern beim Menschen ist also ein hoch komplizierter Prozess, bei dem viele Faktoren eine Rolle spielen. Eine einfache Strategie gegen das Altern scheint nach diesen Erkenntnissen nahezu ausgeschlossen. Andere Forscher setzen auf weitere Tierversuche. Sie sind dabei, den Nacktmull, der bis zu 28 Jahre alt wird, mit Mäusen zu vergleichen, die gerade einmal zwei Jahre alt werden. Tausende genetische Unterschiede haben sie bereits entdeckt. Das Geheimnis des Nacktmulls liegt irgendwo darin verborgen. Wahrscheinlich im Zusammenspiel vieler Gene.
Du willst alt werden wie jeder Mensch auf Erden, willst 100 Jahre werden oder noch ein bisschen mehr. Du willst alt werden, mag dies der Himmel geben, an diesem schönen Leben hängt man so sehr.
Immer wieder gelingt es Forschern mit unterschiedlichsten Methoden, die Lebenszeit ihrer Versuchstiere zu verlängern. Die einfachste Methode ist dabei auch die preiswerteste - und sie funktioniert bei fast allen Tierarten. Die Tiere bekommen einfach weniger zu fressen. Am besten gerade so viel, dass es zum Überleben reicht und kein Mangel an Spurenelementen entsteht. Der Stoffwechsel stellt sich innerhalb weniger Wochen um: Von Fortpflanzung auf Langzeitüberleben. Mäuse werden so 20 bis 30 Prozent älter: Statt auf zwei Jahre bringen sie es durch Hungern auf zweieinhalb Jahre. Ob diese Hungermethode auch bei Menschen wirkt, ist umstritten. Statistische Daten weisen zum Teil in eine andere Richtung. Geringes Übergewicht hilft alten Menschen, schwere Krankheiten besser zu überstehen und erhöht so die Lebenserwartung. Hungern hat also positive und negative Auswirkungen auf die Gesundheit und die Lebensspanne. Amerikanische Forscher untersuchen deshalb die Hungerstrategie biochemisch. Sie wollen die Vorteile des Hungerns nutzen, ohne die Nachteile in Kauf zu nehmen. Der Biologe Leonard Guarente aus Boston fand dabei den entscheidenden Schlüssel bei hungernden Hefezellen und Fadenwürmern. Er entdeckte ein Gen, wie gemacht für das Vorhaben.
"Die genetische Forschung der letzten acht Jahre kommt zum Schluss: Sir 2 ist ein Anti-Aging-Gen."
Leonard Guarente blickt aus seinem Büro auf den Campus der Elite-Universität MIT. Er gilt als Großvater der ersten seriösen Anti-Aging-Pille, was der schlanke, agile Sechzigjährige wahrscheinlich nicht so gerne hört. Ende der 1990er Jahre entdeckten er und sein Team eine Gruppe von Proteinen: die Sirtuine, zu denen Sir 2 gehört. Diese Eiweiße steuern die Nahrungsversorgung im Körper und beeinflussen so das Altern. Sirtuine sind der Schlüssel zur Lebensverlängerung, davon ist Leonard Guarente überzeugt.
"Das Leben wird um 30 bis 40 Prozent verlängert, sowohl bei Hefen als auch bei Würmern. Wir haben das geschafft, indem wir einfach die Zahl der Anti-Aging Gene im Erbgut erhöht haben."
Schnell entstand die Idee, die Sirtuine im menschlichen Körper irgendwie von außen zu beeinflussen – natürlich ohne genetische Manipulation. Und tatsächlich fand Guarentes Mitarbeiter David Sinclair einen Naturstoff, der auf die Sirtuine wirkt. Es handelt sich um die Substanz Resveratrol, die in roten Weintrauben vorkommt. Möglicherweise ist Resveratrol verantwortlich für die vielfach beschriebene gesundheitsfördernde Wirkung von Rotwein. In ausreichender Konzentration verlängert Resveratrol das Mäuseleben um 30 Prozent. Wollte ein Mensch allerdings eine vergleichbare Menge zu sich nehmen, müsste er täglich mehrere Flaschen Rotwein trinken. Der positive Effekt auf die Alterung würde durch Schäden der Leber und des Gehirns mehr als ausgeglichen. In den USA wird Resveratrol deshalb bereits als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Auch viele Wissenschaftler warten nicht auf die Ergebnisse aus Studien am Menschen, sondern schlucken bereits den Stoff aus dem Rotwein. Leonard Guarente bleibt aber vorsichtig. Zunächst einmal.
"Ich nehme noch kein Resveratrol, aber ich trinke Rotwein. Sobald es eine verlässliche, gut untersuchte, abgesicherte Methode gibt, Resveratrol einzunehmen, dann werde ich es tun. Aber das ist erst der Anfang. Es wird immer mehr Medikamente geben, die auf dieser Forschung aufbauen. Sie kommen auf den Markt als Mittel gegen eine bestimmte Krankheit, wie Diabetes. Aber sie wirken indirekt gegen viele altersbedingte Krankheiten. So wird das in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren laufen. Und ich werde diese Möglichkeiten sicher nutzen, sobald sie bereit stehen."
In den vergangenen Jahren stießen die Forscher auf weitere Substanzen, die noch gezielter als Resveratrol die Wirkung der Sirtuine beeinflussen. Die Firma Sirtris Pharmaceuticals in Boston erprobt bereits mehrere Wirkstoffe dieser Klasse in klinischen Studien. Die Pharmaindustrie scheint von der Idee des kleinen Unternehmens überzeugt. 2008 wurde die Biotechnologiefirma Sirtris Pharmaceuticals vom Pharmariesen GlaxoSmithkline aufgekauft – für 720 Millionen Dollar. Erste Ergebnisse existieren bislang für den Wirkstoff SRT 21 04. Der Wirkstoff wird derzeit in einer klinischen Studie Phase II an 225 Diabetes-II-Patienten getestet. 28 Tage lang nehmen sie die Substanz ein. Dabei wird die Wirkung auf den Blutzuckerspiegel gemessen und mit einer Placebo-Gruppe verglichen. Offiziell geht es um die Wirkung gegen Diabetes-II, dennoch erhoffen viele heimlich den Durchbruch gegen das Altern. 2011 könnte das Ergebnis vorliegen, Phase III danach folgen. Erst dann – in frühestens zwei bis drei Jahren – ist eine Zulassung als Medikament möglich: ein neues verschreibungspflichtiges Medikament gegen Diabetes-II. Nicht unbedingt ein Wundermittel gegen das Altern. Auch wenn dann sicher mancher Nicht-Diabetiker das Medikament einnehmen würde, in der Hoffnung, dem Altern ein Schnippchen zu schlagen.
Die Friedhofsbesucher in Wien – die meisten um die 60 - erreichen das Grab des Schauspielers Curd Jürgens. Mit einem kleinen Gerät spielt Hedwig Abraham sein bekanntestes Lied vor, und einige Besucher singen leise mit.
Sechzig Jahre und kein bisschen weise, aus gehabtem Schaden nichts gelernt. Sechzig Jahre auf dem Weg zum Greise, und noch 60 Jahr’ davon entfernt.
Das Altern wird immer seltener als unabwendbares Schicksal begriffen. Die Hoffnung steigt, dass der Alterungsprozess sich irgendwann umdrehen lässt. Und dann könnten auch bereits gealterte Erdenbewohner vom Fortschritt der Altersforschung profitieren. Aubrey de Grey jedenfalls ist davon überzeugt, dass die Zeit des Alterns zu Ende geht. Er kann warten – auf die späte Jugend.
"Auch wenn Sie jetzt schon 40 sind – dann wären sie an die 70, wenn diese Medikamente auf den Markt kommen. Das könnte früh genug sein, denn die Wirkstoffe könnten bereits entstandene Schäden reparieren. Das bedeutet: Sie müssen nicht siebzig Jahre alt bleiben, sondern werden verjüngt bis zu einem Alter von 40 oder noch jünger."
Die Führung durch den Wiener Zentralfriedhof geht zu Ende – mit einem Blick auf die Inschrift eines Grabsteins.
"Hier finden wir uns wieder, erlöst von einer verlogenen Menschheit. Gustl."
Auf einem anderen Grabstein steht geschrieben
"Das Leben endet nicht. Es endet nur die Sendung."