"Ich selbst gehöre der reformierten Kirche in Hamburg an, das ist eine normale Gliedkirche der EKD über die reformierte Kirche in Leer. Die Kirche ist nicht im Mindesten fundamentalistisch oder evangelikal, sondern eher liberal. Und für die AfD insgesamt gilt, dass Christen aus ganz unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen heraus bei uns tätig sind."
AfD-Parteivorsitzender Bernd Lucke wehrt sich gegen Behauptungen wie etwa zuletzt in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", dass nun gerade seine Partei ein Sammelbecken für Evangelikale sein soll. Lucke selbst sieht sich als liberalen Christen. Auch sei die AfD die Partei der Vernunft und des gesunden Menschenverstandes in der Mitte der Gesellschaft. Seine neue Partei gleichzeitig an den rechten Rand stellen zu wollen, sei eine bösartige Unterstellung der Medien.
"Ich kann sooft ich will darauf verweisen, dass wir Grundsatzbeschlüsse der Partei haben, die eindeutig sagen, dass wir uns von jeder Form von Ausländerfeindlichkeit oder Islamfeindlichkeit oder Antisemitismus oder Rechtsextremismus oder Linksextremismus abgrenzen. Das wird einfach nicht zur Kenntnis genommen."
Ist die AfD zunächst nur zur Rettung des Euro gegründet worden, so ringt sie nun um ein alle gesellschaftlich-politischen Themen umfassendes Parteiprogramm. Die AfD in ihren vielfältigen zum Teil widersprüchlichen Äußerungen politisch einordnen zu wollen, fällt von außen immer noch schwer. Für Parteienforscher Carsten Kochschmieder von der Berliner FU ist die AfD alles andere als rechtsextrem, aber es fänden sich doch rechtspopulistische Stereotype.
"Das Klassische ist der Widerspruch zu dem Volk, was homogen gedacht wird, und den Politikern, den Eliten. Das Volk wird bedroht von oben, die Politiker vertreten nicht mehr unsere Interessen. Die Faulen, die Ausländer, Muslime bedrohen uns. Und all das findet man in der AfD. Die AfD sieht sich nicht als Partei, sie heißt Alternative für Deutschland. Bernd Lucke ist ganz offensichtlich Politiker, dennoch weist er das von sich und sagt, ich bin kein Politiker. Politiker, das sind die bösen anderen. Ich bin ein besorgter Bürger, der sich für die Interessen anderer Bürger einsetzt. Das ist ein ganz klassisches rechtspopulistisches Motiv."
"Genau so, wenn er über Ausländer als Bodensatz redet: Ja, ich meinte das doch nicht so. Aber natürlich bleibt die Botschaft da. Und dann kommt Olaf Henkel und sagt: Ich kenne in der AfD keinen rechtsextremen Menschen und Bernd Lucke ist nett. Dann hat das nichts damit zu tun, dass Bernd Lucke manchmal in Interviews Wörter benutzt, wo rechtsextreme Menschen merken, ah – das ist mein Stichwort. Er redet über entartete Demokratie."
Solche Töne irritieren. In ihrer Präambel zum Europaprogramm bekennt sich die AfD zu den "Wertegrundlagen des christlich abendländischen Kulturkreises". Und das bedeutet vor allem die starke Betonung der traditionellen Familie. Beatrix von Storch, nach eigener Aussage Mitglied der nordelbischen Kirche, ist AfD-Spitzenkandidatin.
"Ich habe ein klares Bekenntnis zur Familie. Es ist wichtig für die Gesellschaft, dass wir gute funktionierende und harmonische Familien haben, und die Familien fördern, dass die Belastungen unserer Familien gegen die Verfassung verstoßen. Die sind strukturell benachteiligt, die sind nicht mehr in der Lage, die Leistung zu erbringen. Das hat das Bundesverfassungsgericht vor über 20 Jahren schon festgestellt. Die Familien brauchen in unserer Gesellschaft einen starken Anwalt, denn die Leistung, die die Familien für die Gesellschaft erbringen, die sind ja mit Geld gar nicht zu bezahlen. Der stärkste Motor, das ist Liebe! Und das ist nun mal die Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Das ist einfach unschlagbar."
Auch wenn AfD-Führungspersonen wie Bernd Lucke und Beatrix von Storch Mitglieder ihrer jeweiligen Landeskirchen sind, so glaubt Parteienforscher Kochschmieder schon, dass sich in der AfD gerade auch Evangelikale und erzkonservative Katholiken wohlfühlen werden. Die übergroße Betonung der Familie ziehe sie geradezu an.
"Gerade in neue Parteien, die noch kein fertiges Programm haben, treten sehr viele Menschen mit sehr vielen unterschiedlichen Zielsetzungen ein. Das kann durchaus sein, dass Menschen, die überlegt haben, in die Partei bibeltreuer Christen einzutreten, jetzt denken, na ja, ist doch besser wir gehen jetzt in die AfD, da können wir unsere Position vielleicht eher durchbringen. Dass Konservative aktuell sich in der CDU nicht mehr zu Hause fühlen. Dass es beispielsweise diese Vätermonate gibt. Das ist ja nun eigentlich keine revolutionäre Veränderung, aber die Rolle der Frau als Mutter wird infrage gestellt."
"Die CDU ist unter Angela Merkel in die Mitte gerückt, sie ist moderner geworden, sie ist jetzt für Vätermonate und hat die Wehrpflicht abgeschafft und die Atomkraft. Also sie hat sehr viel konservatives Tafelsilber verschleudert."
Ist die AfD also nun doch die christliche Alternative für Deutschland? Annette Schulder aus dem Landesvorstand Niedersachsen ist Beauftragte zur Gründung der bundesweiten Arbeitsgruppe Christen in der AfD, die in einigen Landesverbänden bereits besteht.
"Die AfD ist keine explizit christliche Partei, sondern eine Partei neuen Typs. Allerdings sind sehr viele Christen an uns interessiert, weil wir sehr wertebezogen arbeiten. Ich denke, man kann sagen, dass wir die christlichste Partei sind derer, die in ein Parlament kommen."
"Es gibt sehr viele Christen, die ganz offensichtlich politisch heimatlos sind. Die CDU rückt immer weiter nach links, trennt sich immer mehr von ihren traditionellen Werten. Viele Christen finden in der Union keine Heimat mehr. Gleichzeitig sind die christlichen Kleinparteien oft zerstritten, dass sie faktisch wenig verändern können."
Annette Schuldner ist Baptistin. Sie unterstützt etwa auch den sogenannten Marsch des Lebens, der regelmäßig vor die Parlamente zieht, um für den Schutz des ungeborenen Lebens zu demonstrieren.
"Der Schutz des Lebens, das ist etwas, was normalerweise Christen verbindet. Insofern wollen wir unbedingt mit evangelischen und katholischen Christen. Mit Landeskirchlern, mit Freikirchlern zusammenarbeiten. Dass das werdende Leben das Leben eines kleinen Menschen ist. Dass es eben um diesen besonderen Wert geht... Ich halte Marsch des Lebens für eine gute Sache, ja."
Zu der starken Betonung eines christlich-bürgerlichen Familienbildes kommt die Ablehnung alternativer Lebensformen. Das passt für Parteienforscher Carsten Kochschmieder zu den rechtspopulistischen Stereotypen, in die AfD-Vertreter immer wieder verfallen.
"Selbst im NPD-Parteiprogramm stehen viele Dinge nicht drin, weil man es in Deutschland nicht sagt oder reinschreibt. Aber wenn man sich anguckt, was beispielsweise auch Bernd Lucke manchmal in Interviews sagt, dann kann er zwar schreiben ins Parteiprogramm: Wir finden, dass auch Schwule nette Menschen sind – aber dann später sagt: Ich finde die doch nicht so nett – und dann, das wurde missinterpretiert und die Medien haben das verzerrt. Aber die Botschaft wird verstanden. Selbst die CDU setzt sich heute für Schwule ein. Aber wer was gegen Schwule hat, der kann doch die AfD wählen."
Botschaften, die offensichtlich ankommen. Tilman Matheja ist katholischer Religionslehrer und arbeitet für den bayrischen Landesverband in der AfD-Programmkommission mit.
"Als Christ muss ich den Begriff Ehe für Homosexuelle ablehnen. Also sie können gerne Lebensgemeinschaften haben, sie können auch heiraten, aber der Begriff Ehe ist für mich was christlich Geprägtes und somit einfach nicht anwendbar. Die Frage hier ist ja Adoption und Steuervorteile. Es gibt viele Meinungen in der AfD, die sagen, Steuervorteile sollten an Kinder gebunden sein. Auch Verheiratete ohne Kinder sind für die Gesellschaft ähnlich unproduktiv in Anführungszeichen wie homosexuelle Paare ohne Kinder."
Michael Göschel, Mitglied des bayrischen Landesvorstandes der AfD pflichtet bei. Auch Adoptionen für Homosexuelle seien abzulehnen.
"Weil die Keimzelle, die Grundlage der Gesellschaft einfach die Familie ist. Dass ich auch in der Entwicklung eines Menschen ein klares Rollenverständnis brauch. Es gibt selbstverständlich ein Unterschied zwischen Männern und Frauen. Diese gesellschaftliche Gleichmachung, Mann und Frau und vielleicht fühle ich mich morgen als etwas irgendwo dazwischen, damit wird eine Gesellschaft auch haltlos und orientierungslos. Die Idealkonstruktion ist die intakte Familie."
Die AfD sei eine junge Partei, die sich noch finden und in vielen Punkten erst definieren muss, meint Parteienforscher Carsten Kochschmieder. So gebe es in ihr sowohl konservative als auch von der FDP enttäuschte liberale Kräfte, wobei Letztere sich allmählich zurückzuziehen scheinen. Ein Lackmustest der künftigen Ausrichtung sei eben auch, wie sich die Alternative in Deutschland als christlich-konservativ durchdrungene Partei künftig zum Islam in Deutschland positionieren wird.
"Wenn man sich anguckt, dass Bernd Lucke vor einiger Zeit ein Papier an die Parteimitglieder verschickt hat, in dem im Prinzip stand, wir müssen den Islam tolerieren, aber andererseits das Programm für die Landtagswahl in Sachsen sagt, wenn eine Moschee mit Minarett gebaut werden soll, muss es eine Volksabstimmung darüber geben, dann gibt es eben beides in der Partei und die spannende Frage wird sein: Wer setzt sich am Ende durch, wo geht die Reise hin?"