Peter Kapern: Noch mal zur Erinnerung: Es ist ja erst ein paar Wochen her, da spaltete sich die AfD. Bernd Lucke, selbst rechtspopulistischen Parolen nicht so ganz abgeneigt, wurde sein eigener Laden zu rechts. Er ging und gründete "Alfa".
Jetzt läuft in der Rumpf-AfD möglicherweise noch einmal derselbe Prozess ab. Frauke Petry, die Parteichefin, hat den Mitgliedern eine E-Mail geschickt, in der sie hart mit Björn Höcke ins Gericht geht. Höcke, der Thüringer Landeschef der AfD, war mit seinen ausländerfeindlichen und islamophoben Parolen in den letzten Wochen zum Gesicht der AfD geworden, manche sagen: zum wahren Gesicht der AfD. Jetzt geht Frauke Petry auf Distanz zu Höcke.
Mitgehört hat Karl-Rudolf Korte, Parteienforscher an der Universität Duisburg-Essen. Guten Tag, Herr Korte.
Karl-Rudolf Korte: Guten Tag, Herr Kapern.
Kapern: Nach der Spaltung ist vor der Spaltung, oder was läuft da gerade bei der AfD ab?
Korte: Ja. Das ist aber nicht untypisch für so eine Sammlungspartei, die noch im Werden sich befindet und die mit dem Charme durchaus immer wirbt, auch vieles insgesamt transportieren zu können, aber unklar zu bleiben.
Kapern: Der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Volkhard Knigge, der hat Björn Höcke gestern vorgeworfen, er verbreite völkisches Gedankengut, wie es das in Deutschland schon mal in den 1920er- und 1930er-Jahren gegeben habe. Würden Sie Björn Höcke auch so verorten?
Korte: Ja, das würde ich so, und da sieht eben die Spitze im Moment auch das Problem, denn dieser dumpfe, auch rechtsextreme völkische Duktus, der dort durchkommt bei den Reden, bei den Bildern, die er bemüht, bei den Beispielen, die er bringt, ist etwas, was bürgerliche Wähler absolut abschreckt, und da fürchtet sich die AfD-Spitze vor.
"Die AfD ist eine typische Sammlungsbewegung"
Kapern: Und der von Frauke Petry geführte Flügel der AfD, der ja jetzt - das ist vielleicht so was wie eine Ironie der Geschichte - zum linken Flügel der Partei geworden ist, wie rechtsnational und völkisch ist der denn eigentlich?
Korte: Diese Partei hat nach wie vor auch liberale, national-konservative, rechtspopulistische Strömungen, eben als typische Sammlungsbewegung, die sich programmatisch schwer einordnen lassen. Und dies ist ja nicht nur ein Versuch, inhaltlich sich vielleicht abzugrenzen, sondern es ist auch einfach eine Machtfrage, die eine Rolle spielt, ob ein Parteivorstand noch etwas zu sagen hat, oder die Landesmitglieder und damit auch der Landesvorstand wichtiger wird auch für die zukünftige Parteikonstellation. Das steht dahinter. Es ist also ein inhaltlicher Konflikt, aber vor allen Dingen auch eine Machtfrage um die Parteiführung.
"Verfassungsschutz würde sofort fündig"
Kapern: Nun wird ja diskutiert, Herr Korte, ob die AfD möglicherweise ein Fall für den Verfassungsschutz sei und für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz sei. Wie sehen Sie das? Ist die Höcke-AfD solch ein Fall, oder möglicherweise gar die Petry-AfD?
Korte: Ich hatte auf dem Parteitag, auf dem letzten Parteitag in Essen, durchaus den Eindruck, dass in vielen Gesprächen, in vielen Reihen, die dort saßen, der Verfassungsschutz sofort fündig geworden wäre, um Anklagen letztlich vorzubereiten.
Das ist in so einer Ressentiment-Partei immer vorhanden. Es ist die Frage, inwieweit die Parteiführung öffentlich damit hausiert, und da hält sie sich zurück. Aber dass es in den Reihen diese Stimmen gibt, für die es sich auch mit Sicherheit für den Verfassungsschutz lohnt, dort etwas zu untersuchen, da kann man von ausgehen.
"Es ist eine Gratwanderung, ob die AfD es schafft"
Kapern: Nun haben wir ja gerade von unserem Korrespondenten gehört, dass die AfD - und so wird das begründet - wegen des Auftritts von Björn Höcke am vergangenen Sonntag bei Günther Jauch, der ja auch etwas Klamaukhaftes hatte mit dem Deutschland-Fähnchen, das er da rausholte, dass die AfD wegen dieses Fernsehauftritts von Björn Höcke täglich 20 Parteimitglieder verliert. Andererseits muss man sagen, in Umfragen liegt die Partei sehr stabil bei sieben Prozent. Das heißt, je rechter desto attraktiver für Wähler, oder wie ist das im Moment bei der AfD?
Korte: Ja, das ist so eine Mischung. Das sind Abstiegsängste, die viel wichtiger sind als jetzt Rassismusfragen, die angesprochen werden. Es ist immer Sehnsucht nach Identität, die eine Rolle spielt, vor allen Dingen auch Anti-Establishment, Protestpartei gegen die da oben. Diese Mischung macht diese Partei für rechte Wähler interessant, auch für die Angstmitte der bürgerlichen Wähler. Und wenn sie dieses Changieren verlässt und rein rechtsextrem argumentiert und auch so auffällt, wird sie diese Angstmitte verschrecken.
Insofern ist es eine Gratwanderung, ob die AfD das schafft. Aber diese Angebotslücke im Parteienwettbewerb nimmt die AfD nach wie vor wahr und da wird sie auch mit punkten, auch so punkten, dass sie sich weiter parlamentarisiert, vor allen Dingen, wenn der Druck, die Flüchtlingsproblematik gestalten zu lösen oder zu kontrollieren, nicht abnimmt, sondern zunimmt.
Kapern: Das heißt, die AfD braucht Frauke Petry und Björn Höcke, um ausreichend ambivalent zu bleiben und damit auf der Erfolgsspur?
Korte: Ja, genau. Sie ist ein Frustventil und ein Unmutsaufsauger, und die müssen immer unklar bleiben, verschiedene Richtungen haben. Insofern schadet es nicht, in Landesverbänden auch stärkere Rechtsausleger zu haben, zumal die AfD als regionale Ostpartei ohnehin daherkommt.
Kapern: Welches Potenzial schreiben Sie denn dieser Partei überhaupt zu, wenn sie es tatsächlich schafft, diesen Konflikt, sagen wir mal, so einzuhegen, dass die Kombination von Petry und Höcke weiter möglich ist?
Korte: Das hängt immer von den anderen ab. Das ist ja die Wettbewerbssituation der Parteien. Wenn die globalisierungsverängstigten, die Angstmitte keine Ansprechpartner hat in den etablierten Parteien der Mitte, dort Ängste nicht wirklich ernst genommen werden und auch aus Ängsten versucht wird, etwas zu machen, sie produktiv zu nutzen im Streit und auch gestalterisch und nicht nur in Ressentiments umzumünzen, dann hat die AfD weiter Zulauf und wird Resonanzraum dafür auch bekommen, um weiter sich zu stärken. Insofern ist es auch von den anderen Parteien abhängig, nicht nur von der AfD selbst.
"Aus Angst kann man nichts machen, aber man muss auf sie eingehen"
Kapern: Wie macht man das, Ängste ernst nehmen, ohne Ressentiments zu akzeptieren und hinzunehmen?
Korte: Zuversicht, Pläne, Gestaltung, Streitkultur zulassen, vor allen Dingen in den Plänen, die man jetzt entwickelt, keine Neiddebatte aufkommen zu lassen dadurch, dass man jetzt beispielsweise im Wohnungsbau nur sozialen Wohnungsbau für Flüchtlinge macht, also die Gesellschaft versuchen, zusammenzuhalten mit dem, was auf sie zukommt.
Das ist offensiv-gestalterisch auch sicherlich besser, als aus diesen Ängsten nur Ressentiments zu machen. Aus Angst kann man nichts machen, aber man muss auf sie eingehen.
Kapern: Wer in den Regierungsparteien schafft das, was Sie da gerade skizziert haben, am ehesten?
Korte: Das ist geradezu täglich unterschiedlich zu beobachten, weil das war ja der Satz des Bundespräsidenten, unser Herz ist offen, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt, und darum geht es: Wer definiert diese Begrenzung im Moment am glaubwürdigsten? Wer ist Orientierungsautorität und Krisenlotse zugleich, diese Begrenzung, dieses Aber in der Eingrenzung deutlich zu machen? Da ringen die zentralen Parteien der Mitte im Moment täglich.
Kapern: ... sagt Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler und Parteienforscher an der Universität Duisburg-Essen. Herr Korte, danke, dass Sie heute Mittag Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Korte: Ja danke!
Kapern: Tschüss!
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