Christoph Heinemann: Am Telefon ist Hans-Olaf Henkel, der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Mitglied der Alternative für Deutschland, einer der Spitzenkandidaten der AfD-Liste bei der Wahl zum Europäischen Parlament. Guten Morgen!
Hans-Olaf Henkel: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Henkel, schauen wir auf die Krimkrise. Gäbe es die EU nicht, müsste man sie dann jetzt erfinden?
Henkel: Ich bin sicher, dass ein Nebeneffekt dieser Krimkrise ist, dass die Aufmerksamkeit der deutschen Bevölkerung sich von der Eurokrise weglöst und darauf konzentriert. Das hilft sicherlich denjenigen, die an dem derzeitigen Eurokurs festhalten wollen.
Heinemann: Ist ein Krisenmanagement zu 28 besser als 28 einzelne Krisenmanagements?
Henkel: Nein, überhaupt nicht. Aber man sieht doch, dass Europa bei dieser Geschichte überhaupt gar keine Rolle gespielt hat. Eine Rolle spielt natürlich die NATO, und wir in der Alternative für Deutschland werden in diesem Europaprogramm auch ganz klar machen: Wir halten von der Idee von der Frau von der Leyen, hier eine europäische Armee aufzustellen, überhaupt nichts, sondern wir stellen uns voll hinter die NATO. Ich glaube, gerade diese Krise hat gezeigt, dass die Vereinigten Staaten, Kanada und die anderen NATO-Mitglieder enger wieder mit Europa zusammenrücken müssen und mit einer Stimme sprechen müssen. Hier hat Europa wenig Einfluss.
Heinemann: Sie würden sagen, wenn Belgien Moskau den Bizeps zeigt, dann reicht das aus?
Henkel: Nein! Die NATO vielleicht. Es ist sicherlich ein wichtigerer und stärkerer Bizeps als irgendeine europäische Armee. Man muss sich das vorstellen: Wir haben in der EU zwei Länder mit Atomwaffen. Wie soll das funktionieren? Nein: Eine gemeinsame Linie gegenüber Russland kann nur auf der Grundlage der Verbindung mit den Vereinigten Staaten Erfolg haben, und deshalb sind wir für eine Stärkung der NATO und nicht etwa für eine Aufteilung dieser Kräfte in eine, sagen wir mal, nordamerikanische Verteidigungsstärke und dann in eine europäische. Wir halten das für Unsinn.
"Wir sind für die Europäische Union"
Heinemann: Bei Ihnen fährt schon hinten der Polizeiwagen vorbei, gerade zu hören. - Ist es der Europäischen Union nicht auch zu verdanken, dass anders als vor 100 Jahren solche Krisen nicht mehr dazu führen, dass Schlafwandler in einen Krieg stolpern?
Henkel: Absolut! Deshalb sind wir ja in der AfD auch pro-europäisch. Wir sind für die Europäische Union.
Heinemann: Das war jetzt eine kleine Liebeserklärung für die EU. Das halten wir mal fest um 8:15 Uhr.
Henkel: Ja, das können Sie auch. Selbstverständlich! Wenn Sie das Europaprogramm - und das wurde sehr objektiv und, ich finde, auch richtig angekündigt - lesen, dann finden Sie selbstverständlich ein Bekenntnis zu Europa und zur Europäischen Union. Aber wir stellen auch fest, dass wir den Frieden in Europa - und darauf haben Sie ja eben abgezielt mit Ihrer Frage - nicht dem Einheitseuro zu verdanken haben, sondern den Demokratien in Europa. Es hat noch nie eine Demokratie in Europa gegeben, die eine andere angegriffen hat, und deshalb ist es wichtig, dass wir die Demokratien in Europa erhalten, dass wir sie fördern und dass wir möglichst alle Länder in Europa davon überzeugen, diese einzuführen.
Heinemann: ... und dem parlamentarischen Funktionieren. - In Ihrem Europaprogramm steht unter anderem drin die Forderung nach einem Vetorecht aller 28 nationaler Parlamente für einzelne Richtlinien aus Brüssel. Das hieße eine EU der 28 Geschwindigkeiten. Können wir uns darauf einigen, dass dies das Ende der EU wäre?
Henkel: Nein, das ist wirklich übertrieben und falsch. Wir wenden uns dagegen, insbesondere als Nebenprodukt von Eurorettungsaktionen, ein zentralistisches Europa akzeptieren zu müssen. Ich darf daran erinnern, dass der Lissabonvertrag das Prinzip der Subsidiarität nach vorne stellt, und dieses Prinzip heißt ja, dass die Lösung von Problemen möglichst nahe am Bürger geschehen soll, das heißt in den Kommunen und erst, wenn es da nicht funktioniert, in den Bundesländern und dann erst in Berlin, und erst wenn kein Land es alleine machen kann, in der Europäischen Union. Wir haben auch Vorschläge für die Erweiterung von Befugnissen in der Europäischen Union, aber die auf völlig anderen Gebieten sich befinden: zum Beispiel bei grenzüberschreitenden Infrastrukturprogrammen und Ähnlichem. Nein, wir sind der Meinung, dass wir ein Europa der souveränen unabhängigen Staaten brauchen. Das ist das Europa des Friedens.
"Der Euro sät Zwietracht"
Wir erleben doch heute, welchen Zwist und welche Zwietracht durch den Euro gerade in der Eurozone gesät werden. Früher, vor der Eurokrise, war Deutschland das beliebteste Land in Griechenland, und als Frau Merkel das letzte Mal da war, da musste sie von 7000 Polizisten beschützt werden. Nein, der Euro sät Zwietracht, auch politisch, und ökonomisch ist er nach unserer festen Überzeugung auch dazu angelegt, zu einer gewissen Harmonisierung in Europa beizutragen. Ja, das Prinzip des Wettbewerbs wird so ausgeschaltet. Und gerade wir Deutschen sollten kein Interesse daran haben, dass wir unsere Produktivitätsvorsprünge, unsere Exportüberschüsse jetzt abbauen müssen, nur um den Euro zu retten.
Heinemann: Schauen wir auf die Partei. Sie haben gerade gesagt, wider die Zentralisierung der EU. Genau das passiert aber jetzt mit der neuen Satzung. Wird in Erfurt eine auf Parteichef Lucke zugeschnittene Satzung verabschiedet werden?
Henkel: Das ist lächerlich.
Heinemann: Sie haben gerade Ihren Parteifreund gehört in dem Bericht.
Henkel: Ja gut. Erst mal: Diese Partei hat inzwischen 18.000 Mitglieder, und ich kann nicht für jedes Parteimitglied hier sprechen. Ich kann nur meine persönliche Wahrnehmung äußern. Erst mal wurde da behauptet, wir seien undemokratisch. Dieses Europaprogramm ist das Resultat einer Abstimmung im Internet.
Heinemann: Entschuldigung! Wir reden jetzt über die Satzung.
Henkel: Ja, das ist völlig richtig. Das ist Teil der Satzung, die uns ermöglicht hat, dieses Europaprogramm durch 5000 Mitglieder, die sich an dieser Abstimmung beteiligt haben, auch verifizieren zu lassen. So was hat es noch in keiner einzigen Partei in Deutschland gegeben. Herr Gabriel ist stolz darauf, dass er das Ergebnis der großen Koalitionsverhandlungen seinen Mitgliedern nach dem Motto "Friss oder stirb" zur Abstimmung vorgelegt hat. Wir haben es in 120 Fragen aufgeteilt und unsere basisdemokratischen Mitglieder darüber abstimmen klassen, was sie gut finden und was nicht. Das gibt es woanders nicht.
Heinemann: Kann man natürlich machen, wenn man "nur" 18.000 Mitglieder hat. - Gibt es denn in der Alternative für Deutschland eine Alternative zu Lucke?
Henkel: Nein, im Augenblick sehe ich die nicht. Übrigens stimmt Ihre Aussage nicht. Man kann das über Internet mit jeder Anzahl von Parteimitgliedern machen.
Heinemann: Man muss es dann nur auswerten.
Henkel: Na ja, selbstverständlich. Das haben wir gemacht. Übrigens hat auch die FDP damals eine Umfrage bei ihren 46.000 Mitgliedern gemacht, ...
Heinemann: Auch keine riesengroße Volkspartei.
Henkel: Ja. Das kann auch eine große Volkspartei, mit Internet geht das. Wir gehen ja auch zur Wahl mit über 50 Millionen Wahlberechtigten. Das ist ja noch größer. Nein, nein, man kann basisdemokratisch heute über Internet alles Mögliche organisieren.
"Mir sind solche Dinge nicht zu Gesicht gekommen"
Heinemann: Herr Henkel, die "FAZ" berichtete, die AfD positioniere sich als christliches Sammelbecken. Wie beantwortet die AfD die Gretchenfrage?
Henkel: Wissen Sie, ich bin nicht der Meinung, dass wir jede Fehlleistung eines Journalisten beantworten müssen. Ich wusste bis zu diesem Bericht überhaupt nicht, in welcher Religionszugehörigkeit sich Herr Lucke befand, und das interessiert mich auch nicht und das interessiert auch niemanden. Das sind gewisse Geschichten, die immer wieder gestreut werden, ich vermute mal von der politischen Konkurrenz, ...
Heinemann: Kann sein.
Henkel: ..., um uns in diese Richtung zu drängen.
Heinemann: "Die Zeit" zitiert aus einem Strategiepapier der AfD, worin steht, man wolle wirklich vor allem Christen ansprechen.
Henkel: Es ist mir unbekannt, habe ich nie gelesen, kenne ich nicht. Ich kann Ihnen nur sagen, was ich kenne, und ich habe mir die Partei ja nun monatelang intensiv angesehen. Ich bin noch nie in einer Partei gewesen. Bevor ich in so eine Partei eintrete, möchte ich wissen, mit wem ich es zu tun habe. Mir sind solche Dinge nicht zu Gesicht gekommen.
Heinemann: Sind Sie auf dem Weg zu so einer Art Tea Party?
Henkel: Das ist lächerlich. Wissen Sie, was hier wirklich passiert - und ich finde, das würde eine Diskussion wirklich mal lohnen: Als diese Partei gegründet wurde von diesen berühmten Ökonomieprofessoren, gab es nicht ein einziges Mitglied, das man auch nur im entferntesten in die Richtung rechts, rechtspopulistisch oder so hätte stellen können. Dann hat die politische Konkurrenz dafür gesorgt, automatisch zu behaupten, das sei eine rechtspopulistische Partei. Das hat zugegebenermaßen dazu geführt, dass tatsächlich Leute, die der Meinung seien oder waren, es handele sich um eine rechtspopulistische Partei, dort eintreten. Und Herr Lucke hat alle Hände voll zu tun, diese Leute wieder loszuwerden. Einer der Gründe für die Revision dieser Parteisatzung ist, in solchen Fällen durchgreifen zu können, denn wir haben immer wieder erlebt, dass es in irgendwelchen Kreis- oder Landesverbänden tatsächlich irgendwelche U-Boote geschafft haben, uns in eine sehr schwierige Lage zu bringen, und wir wollen dafür sorgen, dass diese Personen in dieser Partei nichts zu suchen haben.
Heinemann: Herr Henkel, in der AfD wird darüber gesprochen, hinter vorgehaltenen Händen, Sie, Hans-Olaf Henkel, wollten nicht die ganze Legislaturperiode lang im Europäischen Parlament bleiben. Können Sie das bestätigen?
Henkel: Nein, das kann ich nicht bestätigen. Ich bin 74 Jahre alt und so Gott will, werde ich da so lange bleiben, wie ich es gesundheitlich kann.
Heinemann: Die ganze Legislaturperiode?
Henkel: Aber selbstverständlich.
Heinemann: Hans-Olaf Henkel von der Alternative für Deutschland - danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Henkel: Auf Wiederhören.
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