Archiv

Alternative Geschichte
Leben mit dem Feind

Was wäre wenn Hitler den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte? In Großbritannien eine sehr beliebte Frage. Aktuell befasst sich dort eine Fernsehserie mit der Frage. Wer es aber weniger fiktiv möchte, fährt auf die Kanalinseln und nimmt dort an einer Führung teil.

Von Veronika Bock | 10.03.2017
    Die Besetzung von Jersey durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg
    Die Besetzung von Jersey durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg (imago/United Archives )
    "I go to ask you a question: How many people booked their holydays more than six weeks ago?"
    Wie lange man seinen Urlaub im Voraus gebucht hat? Eigentlich keine sonderlich dramatische Frage.
    "In May 1940, we were advertising, come to sunny Jersey and escape the war. 6 Weeks later the Nazis were here", sagt Tom Bunting, der einen Rundgang über die Kanalinseln anbietet.
    "Mit der Besetzung der Kanalinseln Guernsey und Jersey haben deutsche Truppen zum ersten Mal englischen Boden betreten. Die britische Besatzung ist geflohen oder gefangen genommen worden", hieß es in einer Wochenschau aus dem Jahr 1940.
    "Die Briten sind fasziniert von dieser Idee"
    Und damit beginnt das, was diese britischen Touristen jetzt einmal nachfühlen wollen: Wie lebte es sich unter dem Feind.
    Die Briten sind fasziniert von dieser Idee, sagt Tom Bunting. Er bietet diesen Rundgang bereits seit einigen Jahren an, und gut besucht ist er immer, denn gerne gruseln sich die Engländer, auch mehr als 70 Jahre nach Kriegsende, noch vor den "Krauts". Fragen sich, was wohl passiert wäre, wenn Hitler tatsächlich England besetzt hätte? Was wäre mit ihnen geschehen? Wie hätten sie reagiert oder reagieren können? Und wären auch sie vom Mutterland so schändlich im Stich gelassen worden?
    "What was the deal about the demilitarisation?", fragt ein Tourist.
    Churchill hatte die Kanalinseln entmilitarisiert, sie waren faktisch nicht zu verteidigen und was noch schwerer wog, sie wären es militärisch gesehen, auch gar nicht wert gewesen. So nah am besetzen Frankreich und so fern von den britischen Inseln gelegen. Als die Deutschen kommen, sind die britischen Truppen längst fort. Und die Bewohner?
    26.000 Menschen schreiben sich in die Evakuierungslisten ein, warten in Jerseys Hauptstadt auf die Boote - doch am Ende gibt es nicht genügend und viele wollen schließlich auch lieber auf ihrer Insel bleiben, in ihrer Heimat.
    Hunger, Deportationen, Zwangsarbeiter
    "Während das Leben der Bevölkerung unter dem Schutz der deutschen Waffen geordnet weitergeht, stehen unsere Posten auch hier auf der Wacht gegen England."
    Was in der deutschen Wochenschau 1940 bejubelt wird, ist der Anfang eines fünf lange Jahre dauernden Schreckens für die Einheimischen. Flucht ist nicht möglich, fischen verboten, man ist angewiesen auf die Besatzer, um nicht zu verhungern.
    Nesselsuppe, Muscheln, Zahnpasta aus Efeu. Ein karges Leben, doch weit mehr als das interessiert die Gruppe, wie es um die Menschlichkeit bestellt war. 16.000 Zwangsarbeiter wurden auf die Inseln gebracht, um hier den Atlantischen Schutzwall zu bauen. Polen, Russen, Spanier.
    Wie Tiere behandelten die Deutschen die Zwangsarbeiter, besonders die Russen, schildert Tom. Mehr als die Hälfte starben an Hunger, Erschöpfung, durch Unfälle oder weil sie fliehen wollten. Doch wohin?
    Tom erzählt die Geschichte von Louisa, die einen geflohenen Russen versteckt und dann selber verraten, verhaftet und nach Deutschland deportiert wird. Sie stirbt in Ravensbrück.
    War sie die einzige, will die Gruppe wissen - und ist erleichtert zu hören, dass auch andere Rückgrat bewiesen, was man lange in Großbritannien nicht glaubte. Misstrauisch blickte das Mutterland auf die besetzen Inseln, die man 1944 am D-Day einfach samt der Besatzung links liegen ließ. Abgeschnitten von jeglicher Versorgung. Erst einen Tag nach Kriegsende ergaben sich hier die Deutschen Truppen.
    BBC-Serie "SS-GB"
    "Dad, do you work for the Gestapo?"
    Was wäre wenn, was hätten sie getan? Alternativweltgeschichten wie die britische Serie "SS-GB" spielen mit einer Antwort, die man guten Gewissens kaum geben kann. Auch nicht hier auf Jersey, auch nicht nach solch einem Rundgang. Schnell verzieht sich die Gruppe, froh, damals nicht unter den Feinden gelebt zu haben.