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Alternative Rock-Band Murder by Death
Americana apokalyptisch

Es begann vor 20 Jahren mit einer Agatha Christie-Parodie im Studentenwohnheim, der Sound hat sich seitdem zu eigensinnigem Psychedelic-Alt-Country-Post-Rock entwickelt: Die theatralischen Songs handeln von Science Fiction und Folk-Legenden, vom Teufel, dem Wilden Westen und vor allem dem Kino: Murder by Death.

Von Kai Löffler |
    Vier Männer und eine blonde Frau stehen in einem dunklen Raum. Ihre Gesichter sind bunt angeleuchtet.
    Die Setlisten der Band variieren von Show zu Show: Murder by Death (Mara Battiste)
    Musik: "Finch's Theme"
    Musik: "True Dark"
    Seit zwanzig Jahren spielt Murder by Death zusammen. Die Band ist nach der gleichnamigen Krimikomödie von Robert Moore mit dem deutschen Titel "Eine Leiche zum Dessert" benannt. Filme waren von Anfang an eine große Inspiration für die Band; die ersten zwei Alben heißen "Like the Exorcist, but more Breakdancing" und "Who will survive, and what will be left of them", eine Anspielung auf das "Texas Sachalin Massacre". Seit zwanzig Jahren also erzählt die Band mit ihrer Musik Geschichten, und für Gitarrist und Sänger Adam Turla sind Songs dafür das perfekte Medium.
    Adam Turla: "Man hat so viele Möglichkeiten, die Geschichte zu erzählen. Man kann durch den Text kommunizieren - das ist am direktesten. Aber in Ländern, in denen einige der Fans vielleicht kein so perfektes Englisch sprechen, kann man so nicht die ganze Geschichte erzählen. Man muss also die Instrumente nutzen, man muss Stimmung erzeugen, man braucht Dynamik, und mit all dem zusammen sagt man das, was man sagen will. Und das liebe ich an Musik. Selbst wenn ein Zuhörer kein Wort versteht, nimmt er doch von der Musik etwas mit. Kommunikation ist ja manchmal selbst dann schwer, wenn man aus der selben Stadt kommt. Und es gibt natürlich auch Leute, die unsere Musik einfach nicht anspricht. Aber mir gefällt, dass man mit diesem Format auf so viele verschiedene Arten kommunizieren kann."
    Musik: "The Big Sleep"
    Murder by Death ist inzwischen kein Geheimtipp mehr, aber der ganz große Durchbruch ist bisher wiederum auch ausgeblieben. Im Jahr 2000 hat sich die Band zusammengetan und von Anfang an eine Mischung aus Indie-Rock, Folk und Country gespielt. Die ersten Gigs fanden im Studentenwohnheim statt, dann in Wohnzimmern und in Buchhandlungen. In den nächsten Jahren folgten dann Konzerte im Keller einer Kirche, in einer Pizzeria und einem Tattoo-Studio. Eher kleinere Auftritte, dafür aber rund 150 Stück im Jahr.
    Turla: "Ich habe mich damals um das Buchen der Gigs gekümmert, und ich hab Hauskonzerte organisiert. Es haben auch ein paar Bands bei uns im Keller gespielt, die später groß geworden sind, zum Beispiel My Morning Jacket und Coheed & Cambria. Wir waren einfach Teil dieser kleinen Haus-Szene. Und dann sind wir irgendwann gefragt worden, ob wir nicht ein paar Clubkonzerte spielen wollen und mit größeren Bands auf Tour gehen. Ab da wurde es dann einfach größer. Als wir angefangen haben, hätte ich niemals gedacht, dass das mal unser Job sein wird oder dass es uns in zwanzig Jahren noch gibt. Die Bands, die wir damals verehrt haben, waren sehr kleine Bands, und ich erinnere mich noch an den Moment, als uns klar wurde, dass wir viel größer geworden waren als unsere Vorbilder. Das war ein total verrückter Moment, denn im Prinzip gab es zu der Zeit für unsere Art von Musik kein Publikum, es gab also eigentlich gar kein Potenzial."
    Musik: "Go to the Light"
    Ohne "Brother" randaliert das Publikum
    Das neue Album von Murder by Death handelt von einer Erde, die unbewohnbar geworden ist. Die Menschheit ist in großen Teilen ausgestorben, und einige der letzten lebenden Menschen machen sich auf eine lange Reise zu einem fernen Planeten. Die Science Fiction-Geschichte reibt sich auf interessante Art mit dem spröden Americana-Sound, der unter anderem in der Tradition von Johnny Cash steht. Und auch wenn die Geschichte über das Ende der Welt in erster Linie finster und traurig ist, hat Turla in der Musik erstaunlich positive Zwischentöne untergebracht.
    Turla: "Als ich anfing, das neue Album zu schreiben, sollte der erste Song "I have arrived" sein, der so mit zu den leichtesten und unbeschwertesten Tracks gehört, die die Band je gespielt hat. Ich wollte einen fast schon manischen Song schreiben, über jemanden der sich zu früh freut, der sozusagen "den Tag vor dem Abend lobt". Im Song heißt es "ich hab es geschafft, ich hab es geschafft!", und es geht um eine Reise durchs Weltall. Aber dann wollte ich etwas weiter ausholen und hab erst mal überlegt, wie ist dieser Mensch überhaupt dorthin gekommen und wie hat sich die Geschichte entwickelt? Bei dem langen Konzeptalbum - von denen haben wir ja schon ein paar aufgenommen - geht es uns nicht so sehr um jedes kleine Detail. Mir geht es vor allem darum, dass es ein gutes Album ist, dass es stimmig ist und man auch in die Tiefe gehen kann, wenn man es mehrmals hört. Das hab ich eigentlich immer so gemacht, für die Leute die sich damit wirklich beschäftigen wollen, gibt es ein paar Easter Eggs; sowohl in den Texten als auch in der Musik gibt es Sachen zu entdecken, wenn man das Album öfter hört oder uns öfter live sieht."
    Musik: "Foxglove"
    Auch live will Murder by Death Geschichten erzählen, den Konzerten eine Dramaturgie geben und das Publikum jeden Abend überraschen. Die Setlisten der Band variieren von Nacht zu Nacht; trotzdem muss ein Song seit 15 Jahren bei jedem Gig dabei sein. Wenn "Brother" mal nicht gespielt wird, dann randaliert das Publikum, sagt Adam Turla.
    Turla: "Ich weiß noch, als Teenager hat mal ein Freund zu mir gesagt, oh Mann, die Rolling Stones müssen es so satt sein, immer wieder Songs wie "Start me up" zu spielen, also die Sachen die sie jeden Abend spielen. Aber nach dem fünfzigsten oder hundertsten Konzert mit "Brother" ist mir klar geworden, quatsch, die sind es nicht leid. Natürlich sind sie es nicht leid, einen Song zu spielen, bei dem die Leute vor Freude anfangen zu schreien. Menschen wollen gefeiert werden und andere Menschen glücklich machen. Und wenn man einen Song hat, der alle glücklich macht - für mich ist das ein gutes Gefühl. Ich glaube allerdings, Musiker macht es unglücklich, wenn die Leute wirklich immer nur einen einzigen Song hören wollen. Aber wenn man ein One Hit-Wonder ist, dann hat man vielleicht noch ganz andere Probleme. Wir sind jedenfalls kein One Hit-Wonder. Wir haben viele Songs, die die Leute mögen, und kein einziger davon ist ein Hit. Und das ist gut so."
    Musik: "Brother"
    Ego-Management im Proberaum
    Adam Turla ist nicht nur die Stimme von Murder by Death, er ist hat auch so gut wie alle Songs selbst geschrieben. Früher war es so, dass er fertige Musik inklusive Texten und Ideen fürs Arrangement, manchmal sogar fertige Demos, mit in den Proberaum gebracht hat. Heute ist seine Band aber deutlich früher und aktiver am kreativen Prozess beteiligt. Die meisten Songs stammen zwar noch immer aus Turlas Feder, insgesamt geht es aber demokratischer zu.
    Turla: "In letzter Zeit haben wir ein wirklich gutes System. Ich schreibe so viele Songs oder Teile von Songs wie ich kann und dann spiele ich meine Ideen der Band vor, auf der akustischen Gitarre. Und dann will ich Feedback dazu, also ja oder nein. Wenn sie "vielleicht" sagen, mach ich mich nochmal an die Arbeit und versuche den Song zu verbessern. Bei "ja" machen wir uns alle zusammen an die Arbeit. Und bei "nein" muss ich da einfach durch. Anstatt zu versuchen, es noch in die "Vielleicht"-Kategorie durchzuschleusen, weil meine Gefühle verletzt sind, muss ich zu mir selbst ehrlich sein: Es war einfach nicht gut genug."
    Adam Turla sagt, er hat viel vom neuen Workflow profitiert, obwohl - oder vielleicht gerade weil - er, wie er selbst sagt, viel "Ego Management" erfordert.
    Turla: "Es geht darum zu sagen, es gefällt ihnen einfach nicht und das war's. Beim letzten Album haben wir das gemacht und ein paar Songs sind in der Tonne gelandet, bei denen ich eigentlich sicher war, dass sie es auf die Platte schaffen. Bei einem hab ich mich am Ende selbst dagegen entschieden, und bei einem haben die anderen gesagt, dass er einfach nicht so gut wie der Rest ist. Ich hab noch versucht, daran zu arbeiten, aber sie meinten irgendwann, lass es einfach sein, Adam. Und so hab dann ich der letzten Sekunde noch ein paar neue Songs geschrieben, die es aufs Album geschafft haben, und da waren wirklich gute dabei. Dieses Gefühl der Panik, oh Gott, ich dachte es wäre schon alles fertig und jetzt muss ich doch noch etwas wirklich tolles schreiben - daraus sind einige der besten Songs auf dem Album entstanden."
    Musik: "Big Dark Love"
    Die Musik von Murder by Death ist schwer einzuordnen, auch wenn Elemente mit Nick Cave, The Cure und Johnny Cash vergleichbar sind. Die Band hat sich in den zwei Jahrzehnten ihres Bestehens ständig weiterentwickelt; ist dabei den Wurzeln von Indie Rock, Americana, Folk und Alt-Country treu geblieben. Von der Urbesetzung sind nur Adam Turla und Cellistin Sarah Balliet übrig. Die sind inzwischen nicht mehr nur Bandkollegen, sondern besitzen gemeinsam mit Balliets Bruder eine Pizzeria in Kentucky - und sind miteinander verheiratet. In der Band war das Cello von Anfang an ein wichtiger Teil des Sounds und ist gerade nach den letzten paar Alben nicht mehr wegzudenken.
    Zwei Männer mit Gitarre und ein Mann am Schlagzeug stehen auf einer bunt ausgeleuchteten Bühne.
    Dagan Thogerson, Adam Turla, Tyler Morse (v.l.n.r.) (Lex Voight)
    Turla: "Ich bin so sehr gewohnt, für das Cello zu schreiben und Sarah ist einfach ein großer Teil dessen was die Band ausmacht. Am Anfang ist es ihr nicht leicht gefallen, ihre eigenen Parts zu schreiben - sie war es gewohnt, im Orchester zu spielen - aber mit der Zeit ist sie immer besser geworden. Auf dem neuen Album sind mehr Cello-Parts denn je, und das Cello ist echt laut. In die Richtung haben wir uns schon lange bewegt. Am Anfang ist es manchmal ein bisschen untergegangen, aber jetzt ist es ganz vorne im Mix. Bei ein paar Songs haben wir live jetzt auch noch eine Geigerin dabei, Emma Tiemann. Sie verkauft für uns Merch und kommt dann für ein oder zwei Songs auf die Bühne. Für uns gehört sie zur Band, und auf dem nächsten Album - wann auch immer das kommt - wird sie dann auch spielen. Es ist immer super, beim Konzert Geige und Cello zusammen zu hören. Aber wenn ich in einem Wort beschreiben soll, was das Cello für uns ist, ist das einfach: Leadgitarre. Sie füllt die Löcher zwischen den Texten, lässt den Chorus besser klingen. Wenn einer in der Band shreddet, komplizierte Sachen spielt, dann ist das Sarah. Deshalb haben wir uns einfach gesagt, wir haben jetzt eine zweite Gitarre - nämlich sie."
    Musik: "I Have Arrived"
    Science Fiction-Western
    Eigentlich wäre Murder by Death den größten Teil des Frühjahres und des Sommers auf Tour gewesen, unter anderem in Deutschland. Die Tour ist jetzt auf nächstes Jahr verschoben, aber das Warten lohnt sich - die Band gilt als erstklassiger Live-Act und hat sich diesen Ruf mühsam erarbeitet. Für Adam Turla sind die Abende auf der Bühne der mit Abstand beste Teil seines Jobs; er und die Band versuchen, die intime Club-Atmosphäre aus den frühen Tagen von Murder by Death in größere Hallen mitzunehmen und immer die Verbindung zum Publikum zu halten.
    Turla: "Touren kann anstrengend sein, aber ich mag es sehr. Ich liebe es, eine gute Show zu spielen, wenn die Leute mitgehen und Spaß haben. So kann ich direkt sehen, wie unsere Musik bei den Leuten ankommt und wie sie darauf reagieren."
    Aber natürlich die Musik will erst mal geschrieben und aufgenommen sein...
    Turla: "Schreiben ist für mich stressig, ich will es natürlich gut machen und das hängt sehr davon ab wie inspiriert ich bin. Und manchmal bin ich monatelang nicht inspiriert. Aber es gibt auch Tage an denen ich schreibe wie eine Maschine; dieses Hoch und Runter kann zwar aufregend sein, aber eben auch stressig. Schreiben und Aufnehmen macht schon Spaß, aber wenn wir dann ins Studio kommen, hab ich das Gefühl, es ist zu 99 Prozent fertig. Es ist geschrieben, geschliffen, geprobt... vielleicht passiert auch noch etwas cooles; ein Produzent legt irgendwo einen Filter drauf oder sowas. Aber auch dass man die geschriebene Musik im Studio auf einmal einfangen muss, ist stressig. Die Kunst die man im Kopf hatte hat plötzlich in etwas Greifbares umzuwandeln ist immer auch ein Glücksspiel. Ich hoffe dann einfach, dass es funktioniert."
    Musik: "Flamenco's Fuckin' Easy"
    Das aktuelle Album "The Other Shore" hat viele der typischen Merkmale eines Murder by Death Albums. Etwas Country, etwas Folk, dazu etwas Rock und New Wave und eine epische Geschichte, die die Songs miteinander verbindet. Die Kombination - ein Spate-Western - ist ebenso neu wie konsequent.
    Turla: "Wir haben alle viel Science Fiction gelesen und uns sehr für die geplanten Mars-Missionen interessiert. Gleichzeitig haben alle acht unserer Studioalben einen Western-Einfluss im Sound. Mit dem Album wollten wir diese beiden Teile unserer Geschichte nehmen und sie zusammenführen. Wir haben immer mal wieder spacige Songs gehabt, aber so richtig haben wir Sci-Fi und Westerrn nie kombiniert. Und wir hatten einfach die Idee, dass bei der Mischung für uns etwas ganz Frisches herauskommt. Weil alle in der Band sich schon viel mit bemannter Raumfahrt beschäftigt haben und sich gefragt habendieses Gefühl wollten wir auch in unserer Kunst verarbeiten."
    Musik: "Last Night on Earth"
    Turla: "Ich möchte keine Musik machen, die vor mir schon jemand gemacht hat. Deshalb möchte ich mich auch kein Genre festlegen, also sagen, wir sind eine traditionelle Country oder Western Band oder irgendwas was es schon gibt. Das kommt von Menschen, die es voll und ganz erlebt haben. Und ich glaube das moderne Leben ist einfach nicht mehr so, man hat nicht mehr einfach nur ein Interesse. Unser Stil ist also, alle Arten von Musik zu absorbieren und dann eine Kombination daraus zu schaffen. Anstatt zu sagen: 'Hey, lasst uns eine Country-Band sein.'"
    Murder by Death versucht seit 20 Jahren konsequent - und erfolgreich - sich von ausgetretenen Pfaden fernzuhalten. Es ist nicht immer leicht, sagt Sänger Adam Turla, sich auf jedem Album neu zu erfinden, den Sound weiterzuentwickeln und dabei nicht auf Bewährtes zurückzufallen. Möglich macht das die treue Fangemeinde der Band. Die macht die Evolution begeistert mit und freut sich, wenn jedes Album wieder anders klingt. Im Moment sitzt die Band zuhause; Adam Turla und Sarah Balliet warten darauf, dass "Pizza Lupo" nach Abklingen der Pandemie wieder die Türen öffnet. Vor allem aber kann es die Band nicht erwarten, wieder auf Tour zu gehen. Murder by Death hatte noch nie einen großen Radio-Hit - und das ist prima so, sagt Adam Turla.
    Adam Turla: Wir sind einfach keine Mainstream-Band und ich schreibe auch extra keine Radio-Single. Das ist einfach nicht mein Ding. Wir haben schon immer versucht, so etwas wie Außenseiter-Kunst zu machen, also etwas dass gleichzeitig authentisch und anders ist. Und mit "Tooth & Claw" ist mir 2008 aufgegangen, dass uns das Publikum nicht wegläuft, wenn wir unseren Stil ändern. Das war ein riesiger Moment, als ich gemerkt habe: "Oh wo, sie glauben an uns." Sie wissen, dass wir die Musik nur für uns und für sie schreiben, und sonst für niemanden. Wir versuchen nicht, Hits zu schreiben oder angesagt zu sein. Wir wollen einfach Musik machen, die uns gefällt, das ist alles. Das war der Moment, in dem ich zum ersten Mal gemerkt habe, dass unser Publikum uns vertraut. Und das war ein unglaubliches Gefühl.
    Musik: "Comin' Home"