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Alternative Schulform
"Montessori-Pädagogik ist kein Bauchwarenladen"

Die Montessori-Pädagogik sei ein ganzes Paket, so der Vorsitzende des Montessori-Dachverbandes, Jörg Boysen, im Dlf. Daraus könne man sich nicht einfach einzelne Ideen herauspicken - wie es einige Schulen machen würden. Nun solle für mehr Transparenz gesorgt werden.

Jörg Boysen im Gespräch mit Stephanie Gebert |
    Jürgen Boysen, Vorsitzender der Montessori-Gesellschaft
    Die Montessori-Pädagogik müsse in puncto Digitalisierung noch überarbeitet werden, so Jörg Boysen im Dlf (Deutschlandradio/Bernd Sobolla)
    Stephanie Gebert: Das Prinzip Montessori, die Lust am Selberlernen – der Film läuft ab heute in den deutschen Kinos. Und wir haben gehört, dass wenig Kritisches zu hören ist in dem Film. Es herrscht offenbar weitgehend Konsens über die Vorteile der Montessori-Pädagogik, sie hat sich bei uns längst einen festen Platz in Kindergärten und Klassenzimmern erobert. Aber wie passt der Verzicht auf Schulnoten zum Beispiel zusammen mit unserer Leistungsgesellschaft? Und wie umgehen mit der Digitalisierung? Muss die Reformpädagogik selbst reformiert werden?
    Jörg Boysen ist Vorsitzender des Montessori-Dachverbandes. Ich grüße Sie. Schauen wir erst mal auf den Kritikpunkt, den unser Autor gerade dort angeschnitten hat, die Heterogenität. Eigentlich ist das ein Grundprinzip in der Montessori-Pädagogik. Aber in den mehr als 200 privaten Montessori-Schulen in Deutschland findet eine soziale Durchmischung selten statt – so lautet der Vorwurf.
    Jörg Boysen: Ich weiß nicht, von wem der Vorwurf stammt, aber es ist so, dass die Einrichtung, die Schulen sicherlich ausgehen von dem Umfeld, in dem die sind. Sofern es sich um Schulen in freier Trägerschaft handelt, siedeln sie sich da an, wo es Interesse gibt an der Pädagogik einer solchen Schule. Ich muss allerdings dazusagen, dass es ja sowohl Montessori-Schulen in freier Trägerschaft gibt, als auch in einigen Bundesländern in staatlicher Trägerschaft ist, also keine Privatschulpädagogik.
    Aber um noch mal auf Ihre Frage zurückzukommen: Es sind sicher Eltern, die ein bewusstes Interesse an einer bestimmten Pädagogik, die sich damit beschäftigt haben. Das führt dazu, dass bestimmte Eltern ihre Kinder anmelden. Man ist gezwungen, Schulgeld zu erheben, und das ist natürlich – das will eigentlich keiner, aber es ist Fakt, dass man das in den meisten Bundesländer machen muss, weil es sonst nicht geht.
    "Das soziale Umfeld hat sich stark geändert"
    Gebert: Die Schriften der Maria Montessori sind einhundert Jahre alt. In dieser Zeit hat sich ja viel verändert in unserer Welt. Wo sehen Sie denn den größten Reformbedarf in der Pädagogik?
    Boysen: Es ist so: Wie Kinder sich entwickeln, also dass sie bestimmte Phasen haben, wo sie empfänglich sind für bestimmte Themen, das hat sich nicht geändert. Allerdings hat sich das soziale Umfeld stark geändert. Eine Pädagogik, die eben auf die Unterschiedlichkeit der Kinder eingeht, ist genauso aktuell, wenn nicht noch aktueller heute als früher. Ich würde sagen, dass die Digitalisierung, die Auswirkung auf Kinder und Jugendliche sicher ein Feld ist, wo man einfach die Grundlagen der Pädagogik noch mal anschauen muss – das tun wir gerade –, um zu sehen, was leitet sich daraus ab.
    Gebert: Der Umgang mit den digitalen Medien ist ja Realität im Leben der Schülerinnen und Schüler, von uns allen. Hätte den Maria Montessori das als Teufelszeug abgetan?
    Boysen: Nein, sicherlich nicht. Sie war ja Wissenschaftlerin. Sie würde ganz nüchtern rangehen und sagen, okay, was bringt mir das, wofür kann ich das einsetzen. Also nicht, so wie es manchmal ist, Hardware anschaffen und dann überlegen, was mach ich damit, sondern umgekehrt: Ich hab einen bestimmten Bildungszweck, ein bestimmtes Thema, das ich den Kindern vermitteln will – wie kann ich digitale Medien dafür verwenden. Und so wird jede Schule, jeder Lehre in seiner Klasse sich überlegen, wie kann er digitale Mittel einsetzen.
    "Qualitätsrahmen verabschiedet"
    Gebert: Ich habe schon gesagt, vielfach werden die Ideen der Montessori-Pädagogik ja auch anderswo angewandt und Schulen mit diesem Etikett gibt es reihenweise. Ob alle Lehrenden die entsprechenden Fortbildungen haben, ist allerdings fraglich. Wie stellen Sie denn sicher, dass da, wo Montessori draufsteht, auch Montessori drin ist?
    Boysen: Es ist ja so, Montessori-Pädagogik ist ja kein Bauchwarenladen, wo man sich ein bisschen rauspickt. Man kann zwar davon lernen, aber wir sagen, dass es ein Paket ist, erstens aus einer speziellen Zusatzausbildung für Erzieher und Lehrer, zweitens aus einer vorbereiteten Umgebung, die altersspezifisch ist für die Kinder, damit sie selbstständig und in Gruppen lernen können, und drittens, dass die ganze Schulorganisation ist – jahrgangsgemischte Klassen, möglichst lange Ziffernnotenfreiheit et cetera, damit die da selbstständig lernen können.
    Seit 15 Jahren gibt es Qualitätsinstrumente, die wir in Deutschland einsetzen. Wir haben jetzt gerade letztes Jahr einen Qualitätsrahmen verabschiedet für Bildungseinrichtungen, wo Schulen dann Selbstverpflichtungen eingehen können, die dann auch veröffentlicht werden. Und dadurch hoffen wir, dass wir eine gewisse Transparenz reinbringen, weil die Schulen dann eben auch das, was sie tun, wie sie die Montessori-Pädagogik umsetzen, dann auch veröffentlichen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.