Die geräumige Produktionshalle eines ehemaligen Aluminium-Werkes in Hannover-Linden. Metall wird hier schon lange nicht mehr verarbeitet, dafür aber Milch. Denn die Halle ist der Stammsitz der Firma QMilk. Das Herzstück des Unternehmens ist eine gut zwölf Meter hohe Maschine. Darin entstehen aus dem in Milch enthaltenen Casein einerseits Textilfasern. Andererseits produziert das Unternehmen seit 2014, als einziger Anbieter in Deutschland, Kunststoffgranulat aus Casein. Das Granulat ähnelt von Form und Farbe her grob gehackten Mandeln.
"Wir hatten uns ja 2011 gegründet, mit dem Gedanken, eine Textilfaser aus Milch zu entwickeln. Und dann gab es mehrere Anfragen aus der Industrie: Ja, kann man denn euren Werkstoff nicht auch in der Kunststoffindustrie einsetzen?"
Erklärt Anke Domaske, Geschäftsführerin von QMilk. Die studierte Mikrobiologin und ihre Mitarbeiter entwickelten im Laufe der Zeit mehrere tausend Rezepturen.
Textilfaser aus Milch
Vorbild war dabei Galalith, der erste Kunststoff der Geschichte, erfunden 1897 von Adolf Spitteler. Hier diente auch schon Milch als Grundlage.
"Wir sind aber die zweite Generation, weil wir uns ja zum Ziel gesetzt haben, einen Werkstoff zu entwickeln, der nur aus natürlichen Rohstoffen besteht und auch noch nachhaltig produziert ist. Wir verzichten komplett auf Formaldehyd oder andere Chemikalien."
Trotzdem darf die Verwendung natürlicher Rohstoffe bei der Kunststoffproduktion nicht in Konkurrenz mit der Nahrungsmittelindustrie treten, warnt Rolf Buschmann vom Naturschutzbund BUND:
"Wir hatten diese Diskussion bei Biosprit. Sehr viele Flächen wurden halt genutzt, um eben Pflanzen anzubauen, die dann nachher in Biokraftstoff umgewandelt wurden. Das ist kein ökologischer Vorteil, das hat man auf europäischer Ebene schon erkannt. Das heißt, wir müssen Produkte von vornherein dafür konzipieren, dass sie langlebig sind."
Verzicht auf Chemikalien
QMilk produziert keine fertigen Kunststoff-Formen. Deshalb hat das Unternehmen nur zum Teil Einfluss darauf, ob aus seinem Granulat letztendlich langlebige Produkte entstehen. Wohl aber achten Anke Domaske und ihre Mitarbeiter streng darauf, dass sie für ihren Werkstoff nur Milch verwenden, die nicht zum Verzehr geeignet ist:
"Wenn die Kuh gerade gekalbt hat, die nennt man Cholestralmilch. Schon diese Milch darf nicht in den Handel. Dann können die Keimzahlen zu hoch sein, die Milch kann sauer geworden sein. Und deshalb fallen jedes Jahr zwei Millionen Tonnen Milch allein in Deutschland an, die nicht verwertet werden kann. Und diese Milch können wir dann für unseren Kunststoff nutzen."
Bio-Kunststoffe, darunter auch caseinbasierte Kunststoffe, haben bisher einen verschwindend geringen Marktanteil von einem Prozent. Auch Anke Domaske ist durchaus bewusst, dass ihr Unternehmen noch nicht mit der Massenproduktion mithalten kann. Dennoch blickt die Geschäftsführerin optimistisch in die Zukunft:
"Die kleine Maschine schafft so 30 Kilogramm die Stunde und die große 100 Kilogramm. Also wir reden noch nicht von Tonnen in einer Stunde. Aber man muss ja irgendwo anfangen.
Laut Anke Domaske gibt es verschiedene Anwendungsbereiche für ihren Kunststoff:
"Also ganz stark sind der Folienbereich und Verpackungen. Das ist ja aktuell auch ein großes Thema, dass man kompostierbare Verpackungen haben möchte. Bis hin zu nachhaltigen Bauteilen über Stifte und Werkzeuggriffe."
Verschiedene Anwendungsbereiche möglich
Die Etablierung von Bio-Kunststoffen bedeutet aber noch lange nicht, dass damit alle Abfallprobleme gelöst sind, erläutert Rolf Buschmann:
O-Ton Rolf Buschmann: Wir müssen den Spargedanken, den Vermeidungsgedanken eigentlich immer noch nach vorne setzen. Und gegebenenfalls für Abbaubarkeit auch entsprechende Sammelstrukturen haben, die dann sicherstellen, dass kompostierbare Kunststoffe auch wirklich kompostiert würden.
Dass ihr Kunststoffgranulat auf jeden Fall biologisch abbaubar ist, demonstriert Anke Domaske stets auf besondere Art und Weise: Sie isst es gerne vor den Augen ihrer Kunden auf.
"Also wir könnten jetzt rein theoretisch auch noch Geschmacks- und Aromastoffe hinzufügen, wie z. B. Schokolade. Und weil ich das ja andauernd essen muss, um zu demonstrieren, wie natürlich das Material ist, wäre es doch schön, wenn es nach Schokolade schmecken würde!"