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Alternative zu Tod oder Sieg

Holger Afflerbach skizziert in seinem Buch die Entwicklung der Kapitulation zu einem alternativen Kriegsende neben Sieg oder Tod. Er kommt dabei weitgehend ohne kriegerisches Vokabular aus und argumentiert politisch eher zurückhaltend. Jedoch beschönigt er die Atombombenabwürfe auf Japan.

Von Andrea Gnam | 01.07.2013
    Wie enden Kriege seit der Antike? Welche historisch veränderlichen Alternativen gibt es und was hat das mit Ausrüstung und sozialem Stand der Kämpfenden zu tun? Die Ge-schichtsschreibung einmal nicht aus der Perspektive der gewonnenen Schlachten oder der verpassten Möglichkeiten zu betrachten, sondern sich aus der Sicht des Historikers damit zu beschäftigen, wie verlorene Kriege beendet wurden und was nach Ende der Kampfhandlungen mit den Unterlegenen geschah, ist Anliegen von Holger Afflerbachs bemerkenswerter Schrift "Die Kunst der Niederlage".

    Afflerbach geht von zwei klassischen Prämissen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert aus: Die eine ist Adam Smith' Diktum zur freien Marktwirtschaft, in der eine "unsichtbare Hand" so agieren soll, dass, obwohl alle nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, das System nicht zum Kollabieren kommt. Das heißt auf die Dynamik des Krieges bezogen, dass sich Exzesse auf lange Sicht als unvorteilhaft für beide Seiten erweisen. Der Begriff der Vernichtung, wie ihn Carl von Clausewitz in seiner Schrift "Vom Kriege" ausführt, bildet die zweite Annahme: Vernichtung im Krieg bedeutet nicht die physische Auslöschung des Gegners, sondern dessen Kampfeswillen zu brechen und seine Kampfkraft zu neutralisieren. Beide Positionen lassen neben der Alternative Tod oder Sieg, einen dritten Weg offen, die Kapitulation:

    "Kapitulieren ist ein hoch komplizierter und gefährlicher Akt; der vernichtete Gegner legt die Waffen nieder, mit denen er Momente zuvor noch auf den Sieger geschossen hat. Weder emotional noch rein physisch, vor allem bei einer größeren Menge kapitulierender Soldaten, ist dies ein einfacher Vorgang."

    Kapitulationen können bedingungslos sein, wie es der "bellum romanum" vorsah und die Besiegten vollständig der Willkür der Sieger ausliefern, was Verstümmelung, Tod oder Sklaverei bedeuten kann - erst im 12. Jahrhundert verbot, ein Laterankonzil Christen zu versklaven. Oder es ist möglich, Bedingungen für Leib und Leben auszuhandeln. Je kürzer ein Kampf währt, je geringer die eigenen Verluste ausgefallen sind und als je gleichberechtigter der Gegner eingeschätzt wird, desto größer sind die Chancen auf Gnade. Aber auch, ob eine Gesellschaft sich einen Nutzen von Gefangenen verspricht oder sie eher als eine finanzielle Belastung ansieht, spielt eine Rolle. Bei Belagerungen von Städten oder Festungen war die Dauer ausschlaggebend: Je länger die Belagerten ausharrten, desto grausamer wurden sie nach der Erstürmung behandelt. Massenvergewaltigungen gehörten indes in fast jedem Fall zum festen Kriegsrepertoire der eingedrungenen Eroberer.

    Die größten Massaker begingen, und Afflerbach zitiert hier Eric Christiansen, "Kämpfer für Zivilisation und Christentum", die über eine leistungsfähige Administration und Militärstruktur verfügten. Abhängig von der Entwicklung von Waffen und Kampftechniken finden sich in Antike, Mittelalter und Neuzeit unterschiedliche Praktiken und Ideale. Sieg oder Tod lautete die antike Parole: Die Kämpfer sollten auf dem Schild, unter dem Schild, aber niemals ohne Schild nach Hause kommen. Möglichkeiten zur Kapitulation ergaben sich für den Einzelnen, eingebunden in seine Phalanx, sowieso kaum, wohl aber mitunter zur Flucht. Afflerbach weist auf den Unterschied zwischen Ideal und Praxis der antiken Kombattanten hin:

    "Sie waren mehrheitlich weder Helden noch Märtyrer, sondern normale Männer, die unter bestimmten Bedingungen bereit gewesen waren, in der Schlacht ihr Leben einzusetzen und um den Sieg zu kämpfen - eine Bereitschaft, die an sich schon erstaunlich genug ist und nur durch eine entsprechende Kultur und Tradition, Gewinnstreben, Ehrgeiz, sowie sozialen Druck erklärt werden kann."

    Sozialer Druck ist dann auch das, was Militärstrategen mit der These der "good-boy orientation" für den Durchhaltewillen in aussichtsloser Lage als Grund angeben. Kaum jemand ist in einer solchen Situation fähig, sich außerhalb des Wertesystems seiner Gemeinschaft zu stellen. Im Mittelalter hat man, was die ritterliche Kapitulation unter Gleichrangigen angeht, kurzfristig eine lukrative Möglichkeit gefunden, mit gegenseitiger Gefangennahme statt Tötung Geld zu verdienen, indem man wechselseitig hohe Lösegeldsummen erpresste. Das Erstarken der Infanterie mit neuen Feuer- und Distanzwaffen und große, von Offizieren befehligte Berufsarmeen im 17. Jahrhundert setzten solch individuellen Vereinbarungen ein Ende. Selten bezahlt, schlecht bis gar nicht ernährt, zählten diese Heere zu den besonders grausamen, die sich an der Land-bevölkerung schadlos hielten.

    Seit jeher ein Sonderfall bildet die Marine: Mit wehender Flagge unterzugehen, gehört zum selten durchbrochenen Kapitänsmythos, der wenig bis nichts auf Leben und Sicherheit der anvertrauten Mannschaft gab. Bis heute ungeregelt sind die Möglichkeiten, sich bei einem Flugzeugangriff auf See zu ergeben. Das gibt Afflerbach zu bedenken, um dann, in diesem ansonsten ohne kriegerisches Vokabular auskommenden, politisch eher zurückhaltend argumentierenden Buch doch den Abwurf der Atombombe auf Japan erstaunlicherweise damit zu beschönigen, dass so die Kapitulation herbeigezwungen werden konnte mit letztlich weniger Verlusten als in Deutschland. Die Möglichkeit der Kapitulation hatten die Opfer von Hiroshima und Nagasaki indes nicht.

    Holger Afflerbach: Die Kunst der Niederlage. Eine Geschichte der Kapitulation. Becksche Reihe, 320 S., 14,95 Euro, eBook 11,99 Euro