Altersarmut
Wenn die Rente nicht zum Leben reicht

Immer mehr deutsche Seniorinnen und Senioren sind von Altersarmut betroffen. Besonders Frauen sind gefährdet. Was sind die Gründe für das Problem und welche Lösungsansätze gibt es?

30.05.2024
    Hände einer alten Frau, darunter ein paar Geldscheine und Münzen.
    Bei immer mehr Menschen reicht im Alter das Geld nicht zum Leben. (IMAGO / Sven Simon)
    Altersarmut ist kein neues Phänomen in Deutschland. Doch Betroffene sprechen nicht gerne darüber, Altersarmut ist schambesetzt.
    Bald wird das Problem voraussichtlich noch drängender werden: Wenn in wenigen Jahren die geburtenstarken Jahrgänge der sogenannten Babyboomer in Rente gehen, müssen vergleichsweise wenige Beitragszahlende viele Rentnerinnen und Rentner finanzieren. Expertinnen und Experten aus den Bereichen Arbeit und Finanzen fordern schon lange Maßnahmen, um der zunehmenden Altersarmut entgegenzuwirken.

    Inhalt

    Was ist Altersarmut?

    Bei Armut in Deutschland handelt es sich in der Regel nicht um sogenannte existenzielle Armut wie in Entwicklungsländern, sondern um relative Armut, die sich im Verhältnis zum mittleren Einkommen der Gesamtbevölkerung ausdrückt.
    Laut EU-Definition gilt eine Person als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt.
    Nach Erstergebnissen einer Erhebung aus dem Jahr 2022 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 15.000 Euro netto im Jahr (1.250 Euro im Monat).
    Während knapp 15 Prozent der Gesamtbevölkerung von Armut bedroht sind, liegt die Armutsgefährdungsquote bei Personen ab 65 Jahren laut Statistischem Bundesamt um einiges höher, aktuell bei knapp 20 Prozent.

    Was sind die Ursachen für Altersarmut?

    Altersvorsorge beruht in Deutschland auf drei Säulen. Die erste Säule ist die gesetzliche Rente. Die zweite Säule ist die staatlich geförderte Altersvorsorge, zu der unter anderem die betriebliche Altersvorsorge von Angestellten und die Riester-Rente gehören. Die dritte Säule der Altersvorsorge ist nicht weiter definiert, sie enthält sämtliche Arten der rein privaten Vorsorge, wie Aktien, ETFs oder Lebensversicherungen.

    Jahrelange Arbeit im Niedriglohnsektor

    Die Rente reicht dann nicht aus, wenn eine oder mehrere dieser Säulen ganz fehlen oder während der Erwerbszeit nicht lang genug aufgebaut wurden. Die Gründe dafür sind zahlreich: Jahrelange Arbeit im Niedriglohnsektor oder Teilzeitarbeit gehören zu den häufigsten Faktoren. Auch ein fehlender oder in Deutschland nicht anerkannter Bildungsabschluss oder eine unterbrochene Erwerbsbiografie – zum Beispiel wegen Krankheit oder der Pflege von Angehörigen – kann zu Altersarmut führen.
    Oft ist auch mangelnde finanzielle Vorsorge der Grund dafür, dass das Geld im Ruhestand nicht ausreicht. Doch 40 Prozent der Menschen in Deutschland haben gar nicht die Möglichkeit, während ihres Erwerbslebens die entsprechenden Ersparnisse beiseitezulegen. Sie verdienen nicht genug.

    Wer ist besonders von Altersarmut bedroht?

    Laut einer Umfrage des NDR befürchten zwei Drittel der Deutschen, im Alter arm zu sein. Bei Frauen ist diese Angst verbreiteter als bei Männern. Tatsächlich sind sie auch stärker von Altersarmut bedroht als Männer, sie erhalten hierzulande durchschnittlich 46 Prozent weniger Rente. In keinem anderen europäischen Industrieland ist die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen so groß.
    Ein Grund dafür ist der Gender-Pay-Gap, der mit 18 Prozent in Deutschland einer der höchsten in den Industrieländern ist. Ein weiterer ist die Care-Arbeit, wegen der Frauen oft unterbrochene Erwerbsbiografien haben oder jahrelang in Teilzeit tätig sind. Viele würden gerne mehr arbeiten, doch die Betreuungsangebote sind oft unzureichend, und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Unternehmen ist häufig mehr auf Männer ausgerichtet.

    Westdeutsche Frauen als Risikogruppe

    Laut der Altersforscherin Ulrike Klammer, Direktorin des Deutschen Instituts für interdisziplinäre Sozialpolitikforschung, sind westdeutschen Frauen eine besondere Risikogruppe, weil diese wegen geringerer Erwerbsbeteiligung als im Osten unter Umständen auch weniger Rente erhalten.
    In Ostdeutschland dagegen sei die politische Wende ein Grund für Altersarmut, besonders häufig bei Männern. "Da es in der DDR quasi keine Betriebsrentensysteme gab, fehlt ihnen oft die zweite Säule der Betriebsrenten, die zumindest ein Teil der älteren Bevölkerung in Westdeutschland hat und sie hatten oft durch die Wende auch nicht die Möglichkeit, private Vorsorge aufzubauen, sprich, die dritte Säule aufzubauen", sagt Klammer.

    Soloselbstständige sind schlecht abgesichert

    Auch die wachsende Zahl der Soloselbstständigen ist meist schlecht abgesichert, weil sie nicht obligatorisch rentenversichert sind. Dazu kommt: „Diese Menschen haben oft ihr letztes Vermögen aufgebraucht, um ihre Selbständigkeit über eine gewisse Zeit zu retten, bis sie einsehen mussten, dass es dann vielleicht doch nicht mehr funktioniert oder sie insolvent waren“, so die Altersforscherin.
    Im Falle von Migrantinnen und Migranten ist entscheidend, aus welchem Land sie nach Deutschland kamen und welche Rentenansprüche sie in ihrer Heimat erworben haben. Innerhalb der EU ist dies relativ unproblematisch. Es gibt auch weitere Länder, mit denen Deutschland ein Sozialversicherungsabkommen hat. Viele Menschen kommen jedoch aus Ländern, in denen sie keine Rentenansprüche hatten.
    Geflüchtete, die in der Mitte ihres Lebens nach Deutschland kommen, haben nicht mehr die Chance, hier angemessene Rentenansprüche aufzubauen. Oft führen sie auch gering bezahlte Tätigkeiten oder nicht sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten aus.

    Was sind die Folgen von Altersarmut?

    Wenn das Geld nicht zum Leben ausreicht, arbeiten viele Menschen im Rentenalter weiter. Ihre Zahl hat sich laut dem Statistischen Bundesamt innerhalb von zehn Jahren auf rund 20 Prozent verdoppelt.
    Von Armut betroffene Rentnerinnen und Rentner, die zur Lohnarbeit nicht mehr in der Lage sind, drohen schneller zu vereinsamen: Sie können es sich nicht leisten, zum Fitnesskurs, ins Café oder ins Theater zu gehen. Durch Einsamkeit und Isolation können wiederum Erkrankungsgrade und Depressionen zunehmen.

    Was kann gegen Altersarmut getan werden?

    Für Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, gehören bessere Arbeitseinkommen, mehr Flexibilität beim Renteneinstiegsalter und Zuwanderung zu den wirksamsten Mitteln gegen Altersarmut.
    Mehr Flexibilität im Renteneintrittsalter würde das Rentensystem entlasten und dem Fachkräftemangel zumindest etwas entgegenwirken. Für Menschen, die noch arbeiten möchten, sollte dies auch unproblematisch möglich sein.
    Der wichtigste Punkt ist für Marcel Fratzscher aber der Verdienst: „Der Schlüssel für eine gute Rente liegt letztlich darin, einen guten Job zu haben, möglichst Vollzeit arbeiten zu können und ein gutes Arbeitseinkommen“, so Fratzscher.

    Kinderbetreuung und Zuwanderung würden helfen

    In Deutschland arbeite aber jeder fünfte Beschäftigte im Niedriglohnbereich und könne nichts für den Ruhestand ansparen. Über die Hälfte der Frauen arbeiten in Teilzeit. Viele würden gerne mehr arbeiten, wenn sie könnten. Voraussetzung dafür seien gute Möglichkeiten der Kinderbetreuung.
    Auch Zuwanderung sei angesichts der demografischen Entwicklung und Überalterung in Deutschland wichtiger denn je, „nicht nur, um Fachkräfte-Probleme zu lösen, sondern eben auch, um Menschen zu haben, die in die Sozialkassen einzahlen“, so Fratzscher.

    Die betriebliche Vorsorge stärken

    Altersforscherin Ulrike Klammer empfiehlt, zusätzlich betriebliche Vorsorgen zu stärken. Auch sollen junge Menschen deutlich besser darauf vorbereitet werden, privat fürs Alter vorzusorgen.
    Insgesamt sollte man als Angestellte oder Angestellter 10 bis 15 Prozent des Nettogehalts zusätzlich zur gesetzlichen Rente fürs Alter ansparen, sagt Klammer. Eine Versicherungspflicht für Selbstständige sieht sie ebenfalls als wichtiges Werkzeug gegen Altersarmut.