Es ist ein medialer Doppelschlag, mit dem Sozialminister Hubertus Heil für die Reform der Grundrente in die Offensive geht. Mit einem langen Interview in der "Bild am Sonntag" und klaren Aussagen im ARD-Fernsehen wirbt Heil für ein Modell, das langjährig Rentenversicherte vor dem Gang zum Sozialamt verschonen und ihnen ein Rente gewähren soll, die über der sozialen Grundsicherung liegt, auf die alle Menschen in Deutschland Anspruch haben, auch wenn sie nicht dauerhaft beschäftigt waren.
"Von der Grundsicherung werden alle profitieren, die mehr als 35 Jahre gearbeitet haben die aber aufgrund von niedrigen Löhnen sehr niedrige Renten Haben heutzutage. Meine Vorstellung ist, das wir da nicht zehn oder 20 Euro drauf machen. Das hilft ja niemandem. Sondern es geht tatsächlich um einen ordentlichen Sprung. Im Moment ist es so, dass wenn man den Mindestlohn einen Lebtag nur verdient hat, nur ungefähr 517 Euro und ich will, dass die deutlich über der Grundsicherung sind. Und das heißt, dass jemand der eine Lebtag nur den Mindestlohn verdient hat, dann eher so um die 900 Euro bekommt. Das ist die Vorstellung, die ich habe."
Mindestens zehn Prozent über der Grundsicherung
Ausgangspunkt für die Reform ist die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, wonach langjährige Arbeitnehmer, die mindestens 35 beitragspflichtige Versicherungsjahre in der Rentenversicherung vorweisen können, wobei Erziehungs- und Pflegezeiten mitgerechnet werden, eine Rente erhalten sollen, die mindestens zehn Prozent über der Grundsicherung liegen soll.
Der Aufschlag von über 400 Euro pro Monat wäre sicherlich ein Extrembeispiel, weil er voraussetzen würde, dass jemand sein ganzes Arbeitsleben lang nur den Mindestlohn erhalten hätte. Aber tatsächlich sind derzeit schon gut drei Prozent der Rentner in Deutschland auf die Grundsicherung und damit den Gang zum Sozialamt angewiesen.
Viele scheuen den Weg zum Sozialamt
Die Zahl der Bedürftigen liegt aber deutlich darüber. Meistens Frauen, die schlecht bezahlt und oft in Teilzeit gearbeitet haben. Aber viele scheuen den Gang zum Sozialamt und verzichten deshalb auf die staatliche Unterstützung.
Diese Form Bedürftigkeitsprüfung durch die Grundsicherungsämter soll künftig entfallen. In diesem Punkt weicht Heil vom Koalitionsvertrag ab, wohl auch, weil die Rentenversicherung bereits frühzeitig erklärt hatte, die vorgesehene Bedürftigkeitsprüfung im Zusammenspiel mit den Grundsicherungsämtern der Kommunen nicht durchführen zu können.
Etwas gegen die Altersarmut tun
Stattdessen soll es jetzt eine automatische Höherstufung der in 35 Jahren erworbenen Rentenansprüche auf die Höhe der Grundrente geben. In dieser Frage wird Hubertus Heil in der "Bild am Sonntag" deutlich: Er fände es respektlos, wenn man diese Menschen nach einem Arbeitsleben zwingen würden, beim Amt ihre Vermögensverhältnisse darzulegen.
Heil fordert in dem Interview auch Veränderungen beim Wohngeld, höhere Freibeträge und regelmäßige Anpassungen an die Preisentwicklung, um wirksam etwas gegen die Altersarmut tun zu können.
Die Grundrente soll im Jahr 2021 in Kraft treten und bis zu vier Millionen Menschen erreichen und aus Steuermitteln finanziert werden. Finanzminister Olaf Scholz habe seine Unterstützung bereits zugesagt, betont Heil.
"Das wird ein richtiger finanzieller Kraftakt. das ist gar keine Frage. Ich rechne mit einem mittleren einstelligen Milliardenbetrag des Bundeshaushalts dafür. Aber das sollte es unserer Gesellschaft wert sein. Es geht schließlich um Respekt vor Lebensleistung, auch darum Altersarmut zu vermeiden. Und ich will eine Grundrente, die den Namen dann auch verdient."
Zustimmung kam prompt vom den Gewerkschaften. Mit diesem Vorstoß werde dem gesellschaftlichen Skandal entgegengetreten, dass jahrzehntelange Leistung nicht zu Renten über der Grundsicherung führen, sagte IG Metall Chef Jörg Hofmann und DGB Vize Annelie Buntenbach erklärte, das sei ein notwendiger Beitrag, um Altersarmut zu vermeiden.
Doch der sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Weiß wies direkt darauf hin, dass Heils Vorstoß nicht dem Koalitionsvertrag entspreche. Notwendig sei ein differenziertes System das am tatsächlichen Bedarf ansetzt und dann die Rente aufstockt. Anders gesagt: Die Union will an einer Bedürftigkeitsprüfung im Hintergrund festhalten. "Wir verteilen nicht das Geld mit der Gießkanne", betont der CDU Politiker.