Schäuble: "Die Lebensversicherung ist eine der wichtigsten Spar- und Altersvorsorgeformen in Deutschland."
Michelbach: "Wenn wir nicht handeln, fahren wir einen wesentlichen Teil der Altersvorsorge an die Wand."
Sommer 2014 im Deutschen Bundestag. Die Politik möchte den Lebensversicherern helfen. Die niedrigen Zinsen machten es den Konzernen schwer, das Geld ihrer Kunden Gewinn bringend anzulegen. Die Politik hält ihre schützende Hand über die Branche – so sehen es die Autoren Holger Balodis und Dagmar Hühne. Sie haben Zahlen zusammengetragen, die zeigen: Trotz Niedrigzinsphase stehen die Versicherer gut da.
"Den Versicherungen geht es blendend. Doch immer weniger der üppigen Gewinne landen bei den Versicherten, immer mehr behalten die Unternehmen für sich oder schütten sie an die Eigentümer und Aktionäre aus. Damit das auch ohne öffentlichen Protest glatt über die Bühne gehen kann, rechnen sie ihre Gewinne klein und präsentieren sich als arme Opfer einer ruinösen Niedrigzinspolitik."
Autorenthese: Der Verbraucher geht leer aus
Der Verbraucher geht also leer aus: Aktuelle Verträge sind niedrig verzinst oder haben gar keinen garantierten Zins mehr. Und wer bereits eine Lebensversicherung hat, der zahlt Unsummen für den Abschluss. Oder, wer einen guten Vertrag hat, wird zur Kündigung gedrängt, schreiben die Autoren.
"Die Qualität der Lebens- und Rentenversicherungen ist ein Desaster, heute noch mehr als früher. Über 80 Prozent der Kunden werden damit effektiv Geld verlieren. Die versprochene Altersvorsorge entpuppt sich als Geldvernichtungsmaschine. Gäbe es einen Finanz-TÜV, fielen die meisten Produkte glatt durch."
Jetzt ließe sich einwenden: Die Kapitallebensversicherung ist ohnehin längst nicht mehr sonderlich attraktiv für Kunden, viele Versicherer satteln um auf neue Produkte. Das Buch "Garantiert beschissen" also - eine Abrechnung mit einem Produkt, das längst tot ist?
"Es ist ja nicht nur Lebensversicherung, es ist der gesamte Bereich von privaten Rentenversicherungen, von Riester über Rürup bis zu Privatrenten. All das wird von Lebensversicherungen organisiert. Und man muss sagen, obwohl es nicht mehr ganz so den tollen Ruf hat, werden Jahr für Jahr ungefähr sechs Millionen Verträge davon abgeschlossen. Das ist also immer noch ein gewaltiges Geschäft. Und da gilt es doch noch, aufzuklären."
Hühne und Balodis, die viele Jahre lang vor allem für Fernsehmagazine rentenpolitische Beiträge verfasst haben, kritisieren: Die Branche könne machen, was sie wolle. Und die Politik unterstütze sie dabei, indem sie etwa Rürup- und Riester-Verträge fördere. Auch an der Betriebsrente lassen die Autoren kein gutes Haar. Denn dahinter stünden nicht mehr Herr Thyssen und Herr Krupp, die für ihre Mitarbeiter vorsorgten, sondern die großen Versicherungsunternehmen.
Schilderung von krassen Einzelfällen
Sind also alle Vorsorgeprodukte nichts wert? Die Autoren schildern krasse Einzelfälle – den Nachweis, wie oft sich diese tatsächlich wiederholen, können sie nicht erbringen. Und sie räumen etwa ein:
"Bei aller Kritik gilt natürlich: In Zeiten einer Börsen-Hausse können sich fondsgebundene Versicherungen durchaus für den Kunden lohnen. Vor allem, wenn er darauf achtet, dass er kostenfrei in risikoarme Fonds wechseln kann. Fondspolicen können sich also lohnen. Sie müssen es aber auch in guten Börsenzeiten beileibe nicht."
Balodis und Hühne nennen weitere Vorsorgeprodukte, die sich lohnen können: Berufsunfähigkeitsversicherung, Riesterbanksparplan, Risikolebensversicherung.
Die Autoren sind übrigens selbst betroffen. Ein Versicherungsmathematiker habe sich einen Vertrag angesehen und errechnet: Nach wenigen Jahren Laufzeit fehlten einige hundert Euro. Auch die Autoren wurden beschissen.
In Bezug auf die private Altersvorsorge bleibt für sie deswegen nur ein Weg: Die gesetzliche Rente müsse wieder zum Leben im Alter reichen.
"Nur eine deutliche Aufstockung der gesetzlichen Rente kann Altersarmut verhindern."
Die Autoren schlagen eine Mindestrente vor von mindestens 1000 Euro. Eine Absicherung, wie sie etwa in den Niederlanden oder Österreich üblich ist. Sie sprechen sich klar für das lohnbasierte Umlageverfahren aus. Denn:
"Während beispielsweise 2008, im Jahr der Finanzkrise, die kapitalgedeckten Systeme gewaltige Einbrüche erlitten, stiegen die Einnahmen der deutschen Rentenkasse sogar."
Der Beitrag für die Rentenversicherung solle sukzessive auf 24 Prozent steigen. Die Bundesregierung plane ohnehin, den Beitragssatz bis 2030 auf 22 Prozent zu erhöhen. Balodis und Hühne fordern außerdem: Die Zahl der Beitragszahler soll erweitert werden – auf Freiberufler, Selbstständige, Beamte und Politiker. Diese sollen dann die Rente der Babyboomer finanzieren. Und danach?
"Ab 2050 sind dann die wesentlichen demografischen Herausforderungen für die Rentenkasse überstanden. Dann werden sich die Babyboomer nach und nach aus dem Rentenbezug verabschiedet haben. Und das Rentensystem funktioniert auch bei niedrigen Geburtenraten relativ stabil."
Warum die staatliche Rente ins Hintertreffen gerät
Wie konnte die staatliche Rente derart ins Hintertreffen geraten? Holger Balodis versucht, zu erklären:
"Die Politik hat ein geniales Versorgungssystem für sich. Die haben mit der gesetzlichen Rente überhaupt nichts zu tun. Die Journalistenkollegen, die am Sonntag im Presseklub sitzen, sind als leitende oder Chefredakteure in solchen Position, dass sie sich keine Sorgen um die Altersvorsorge machen müssen. Also: Wohin man auch blickt, blickt man auf Menschen, die Entscheidungen treffen oder die öffentliche Meinung beeinflussen, die mit dem System, das Millionen Menschen in die Armut stürzen wird, nichts zu tun haben."
Und wer doch vorsorgen möchte, dem empfehlen die Autoren: Festgeld, Banksparpläne, Immobilien und wer es sich traut auch Aktien oder Aktienfonds.
Holger Balodis und Dagmar Hühne beziehen klar Stellung in der Debatte, wie die Rente finanziert werden soll. Sie stehen auf der Seite von Linken und Gewerkschaften, die immer wieder fordern, die gesetzlichen Rentenansprüche zu stabilisieren und zu erhöhen – und damit in allerjüngster Zeit auch wieder Zuspruch im anderen politischen Lager finden.
Mithilfe vieler Expertenstimmen wie etwa Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten und Verbraucherschützern werden die Versicherer auf die Anklagebank gesetzt. Immer wieder ist von "Beschiss" die Rede – auf mehr als 30 von gut 200 Seiten. Etwas zu viel: Das Buch hätte auch ohne das krasse Vokabular funktioniert. Die Tricks der Branche werden detailliert, gut recherchiert und anschaulich beschrieben. Harte Kost für jemanden, der gleich mehrere Altersvorsorgeprodukte abgeschlossen hat.
Neue Kunden bekommen die Versicherer mit diesem Buch keinesfalls, dafür dürften sich die Verbraucherzentralen über verstärkten Andrang freuen.
Buchinfos:
Holger Balodis, Dagmar Hühne: "Garantiert beschissen! Der ganz legale Betrug mit den Lebensversicherungen", Westend Verlag, 256 Seiten, Preis: 17,99 Euro, ISBN: 978-3-86489-094-9
Holger Balodis, Dagmar Hühne: "Garantiert beschissen! Der ganz legale Betrug mit den Lebensversicherungen", Westend Verlag, 256 Seiten, Preis: 17,99 Euro, ISBN: 978-3-86489-094-9