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"Altersvorsorge nicht zur Abzocke freigeben"

Die Liberalen stellen zahlreiche Bedingungen für eine Finanztransaktionssteuer, wollen sich aber nicht mehr grundsätzlich verweigern. Ihr Abgeordneter Volker Wissing will unter anderem Kleinsparer, Rentner und die Realwirtschaft schützen.

Volker Wissing im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: In großen Schritten geht es auf die parlamentarische Sommerpause zu und wenn tatsächlich noch davor der Fiskalpakt und der dauerhafte Europäische Rettungsschirm ESM beschlossen werden sollen, müssen Regierung und Opposition jetzt ganz schön aufs Tempo drücken. Union und FDP brauchen die Stimmen von SPD und Grünen bei der Verabschiedung, diese aber stellen Bedingungen, allen voran die Finanzmarktsteuer.

    Nach dem Streit, der letzte Woche beendet schien, brach er Anfang der Woche erneut auf. SPD und Grüne fühlten sich verunsichert durch Äußerungen aus der Union, die sinngemäß lauteten, der Steuer könne man ruhig zustimmen, denn sie sei in absehbarer Zeit ohnehin nicht umzusetzen. Gestern wurde weiterverhandelt, eine konkrete Einigung gibt es noch nicht, aber man will sich bei einem Ja zur Finanzmarktsteuer weiter angenähert haben.

    Am Telefon ist Volker Wissing, stellvertretender Vorsitzender und finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, und er hat das Eckpunktepapier mit entworfen, das der bisherigen Einigung von Regierung und Opposition zugrunde liegt. Guten Morgen, Herr Wissing.

    Volker Wissing: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Kaess: Herr Wissing, auch Ihre Sicht ist das auf die Dinge, man liegt bei der Finanzmarktsteuer auf einer Linie?

    Wissing: Wir haben die Beweislast umgedreht. Die ganze Zeit wurde behauptet, man könne diese Steuer problemlos einführen, ohne dass es zu einer Belastung von Kleinsparern, von Altersvorsorge und auch von der Realwirtschaft kommt, und wir haben jetzt genau diese Zusage zur Bedingung gemacht. Wir haben klar gesagt, eine solche Steuer darf es nur geben, wenn Kleinsparer ausgenommen sind und die Realwirtschaft, wenn die Altersvorsorge ausgenommen ist und wenn auch sichergestellt ist, dass die Finanzgeschäfte nicht von Deutschland in weniger regulierte Märkte verlagert werden, und im Grunde genommen haben wir unsere Position nicht geändert, sondern wir haben die Kernforderung, die wir immer erhoben haben, spitz gestellt und sie zur harten Bedingung gemacht. Das wurde akzeptiert.

    Kaess: Aber was Sie jetzt gerade genannt haben, die Freistellung der Kleinanleger, Freistellung der Altersvorsorge, Freistellung der Realwirtschaft und so weiter, wer zahlt denn dann überhaupt noch was, wenn die Steuer wirklich kommt?

    Wissing: Diese Frage hat die FDP von Anfang an gestellt und war deswegen skeptisch bezüglich dieser Steuer, und unsere Skepsis wurde trotz dieser Argumente immer abgetan als Verweigerungshaltung. Und in dieser Verweigerungsecke wollte die FDP sich nicht länger befinden. Wir haben gesagt, wenn alle der Meinung sind, dass diese Forderungen so leicht zu erfüllen sind, dann sind diejenigen, die das der Öffentlichkeit versprechen, in einer Bringschuld. Und jetzt haben wir sie gestellt und zwingen jetzt auch die Opposition, aber auch die Befürworter in der EU-Kommission und in der Bundesregierung zur Stunde der Wahrheit.

    Kaess: Aber grundsätzlich heißt das, Ihre Haltung ist, eine Steuer mit all diesen Ausnahmen kann gar nicht funktionieren?

    Wissing: Das weiß ich nicht. Ich bin auch nicht derjenige, der das beweisen muss, weil ich es nicht versprochen habe. Schauen Sie, SPD und Grüne haben versprochen, dass die Verursacher der Finanzkrise zur Kasse gebeten werden und die kleinen Leute ausgenommen bleiben. Die Fachleute sagen immer, das ist die Quadratur des Kreises. Die Sozialdemokraten behaupten, das seien reine Vorwände der Fachleute. Die EU-Kommission sagt auch, dass man das mit einer Leichtigkeit umsetzen kann, und jetzt sind all diejenigen in der Bringschuld, die es versprochen haben.

    Wir sagen nicht mehr und nicht weniger, als dass wir nicht verweigern wollen, diese Steuer einzuführen, aber wir wollen auch den Schutz für die Kleinsparer, die Altersvorsorge und die Realwirtschaft schaffen, denn in Deutschland hat ja nicht die Realwirtschaft die Krise verursacht und auch nicht die Kleinsparer.

    Kaess: Aber, Herr Wissing, Sie sind ja Finanzexperte. Dann sagen Sie doch mal: Ist es realistisch, dass eine Steuer so umgesetzt werden kann oder nicht?

    Wissing: Die gesamte EU-Kommission, das Bundesfinanzministerium, die gesamte Sozialdemokratie und die Grünen halten das für möglich.

    Kaess: Nein, Ihre Haltung, Herr Wissing, aber Ihre Position!

    Wissing: Ich bin sehr skeptisch. Mir fällt spontan nicht ein, wie das geht. Aber ich, verstehen Sie, bin nicht in der Bringschuld, ich habe den Beweis nicht zu erbringen für die Versprechen anderer Fraktionen.

    Kaess: Das hört sich ein bisschen so an, als ob dahinter doch der geheime Wunsch steckt, dass die Steuer doch noch verhindert werden könnte.

    Wissing: Ich habe keine Hintergedanken. Ich verfolge nur die Absicht, Kleinsparer zu schützen und die deutsche Altersvorsorge nicht zur Abzocke freizugeben, weil die Menschen, die für ihr Alter vorsorgen, nicht noch mal für diese Finanzkrise bezahlen sollen.

    Kaess: Aber weit weg von den Äußerungen von Kanzleramtsminister Pofalla, der sinngemäß gesagt haben soll, das Zugeständnis an die Opposition kann man ruhig machen, denn die Steuer kann sowieso nicht in absehbarer Zeit umgesetzt werden, weit weg von diesen Äußerungen sind Sie nicht mit Ihrer Haltung?

    Wissing: Ich weiß nicht, ob Herr Pofalla das wirklich gesagt hat. Mich haben diese Äußerungen jedenfalls irritiert, denn meine Forderungen zielten nicht darauf ab, diese Steuer zu verweigern, sondern ausschließlich darauf ab, die Betroffenen, diejenigen, die die Krise nicht verursacht haben, zu schützen. Wissen Sie, allzu oft wird in der Öffentlichkeit behauptet, man will irgendwelche Verursacher von Krisen zur Kasse bitten. Und dann schauen die Leute auf ihren Steuerbescheid und merken, dass der Staat ihnen in die Tasche gegriffen hat, und das wird die FDP nicht zulassen.

    Kaess: Schauen wir mal genauer auf Ihre Bedenken, dass die Steuer die falschen treffen könnte, und hören wir mal, was dazu der Ökonom Max Otte sagt.

    "Ich halte das Argument, dass der Kleinanleger von der Finanztransaktionssteuer hart betroffen ist, für Panikmache, für Propaganda der Finanzlobby. Ich habe das für den Finanzausschuss des Bundestages ausgerechnet. Über 20 Jahre würde der durchschnittliche Kleinanleger zirka 60 Euro bezahlen, während er in derselben Zeit zirka 3000 bis 4000 Euro an Bankgebühren für das Produkt bezahlt. Es ist also lächerlich, dieses Argument."

    Kaess: …sagt der Ökonom Max Otte. Könnte man also, Herr Wissing, doch auf die Freistellungen verzichten?

    Wissing: Nein, denn Herr Otte ist ja wiederum einer derjenigen, die sagen, man kann die Steuer einführen und gleichzeitig die Kleinsparer, die Altersvorsorge ausnehmen. Sehen Sie, Herr Otte führt hier als Wissenschaftler ein Argument dafür an, dass meine Bedingungen erfüllbar sind, und ich finde es bemerkenswert, dass Wissenschaftler, die gesamte Opposition, die EU-Kommission immer behaupten, die Bedingungen, die die FDP gestellt habe, sind erfüllbar, man aber die FDP fragt, ob sie denn mit diesen harten Bedingungen diese Steuer verhindern will, weil man könne das doch gar nicht umsetzen. Also hier läuft einiges durcheinander.

    Wir haben die Beweislast jetzt umgekehrt, die FDP ist nicht bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die Versprechen anderer nicht eingehalten werden können. Deswegen muss derjenige, der sagt, die Steuer kann man gezielt auf diejenigen ausrichten, die die Krise verursacht haben, diejenigen – das sind die SPD, die Grünen und die EU-Kommission -, die müssen jetzt liefern, und sobald ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch liegt, haben wir die Stunde der Wahrheit.

    Kaess: Dann gehen wir mal auf die europäische Ebene. Warum ist denn die FDP von ihrer ursprünglichen Position abgerückt, dass die Steuer nur sinnvoll ist, wenn sie EU-weit eingeführt wird?

    Wissing: Das sind wir im Kern nicht. Wir haben immer gesagt, es darf nicht passieren, dass eine solche Steuer eingeführt wird und dann die Geschäfte von regulierten Märkten wie Deutschland in weniger regulierte Märkte wie beispielsweise London verlagert werden. Und deswegen haben wir gesagt, man sollte sie in allen EU-27-Staaten einführen, dann gibt es diese Ausweichmöglichkeiten nicht. Dann hat die EU-Kommission gesagt, man kann die Steuer auch in wenigen Staaten einführen, ohne dass es zur Verlagerung kommt. Bitte, haben wir gesagt, wenn ihr das Kriterium erfüllen könnt, dann braucht man es nicht in allen EU-27-Staaten zu machen. Im Kern ist das keine Änderung der Position.

    Kaess: Also im Grunde glauben Sie an eine schnelle Umsetzung auf EU-Ebene, so wie die EU-Kommission das nahelegt?

    Wissing: Ich habe auch in dieser Hinsicht Zweifel, weil ich weiß, dass die Gespräche auf europäischer Ebene darin endeten, dass außer Frankreich und Deutschland niemand seine Bereitschaft signalisiert hat, diese Steuer einzuführen, und habe mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass die EU-Kommission, obwohl sie das weiß, der Öffentlichkeit glauben macht, man könne noch in diesem Jahr europaweit diese Steuer einführen. Ich rate allen, der EU-Kommission, aber auch allen in Deutschland, mit der Wahrheit sorgsam umzugehen.

    Kaess: Herr Wissing, die Bundesregierung kommt in der EU mit ihrem Nein zu einer Vergemeinschaftung der Staatsschulden in der Euro-Zone immer stärker unter Druck. Die EU-Kommission will die Einführung von Eurobonds, und das Europäische Parlament hat gestern einen Schuldentilgungsfonds für die Euro-Länder gefordert, so wie das auch die Grünen tun. Wie lange kann denn die deutsche Haltung überhaupt noch aufrecht erhalten werden bei diesem Druck?

    Wissing: Deutschland hat eine Verfassung und die ist sehr klar. Das deutsche Grundgesetz erlaubt nicht, dass die Haftung für ausländische Schulden auf den deutschen Steuerzahler abgewälzt wird, ohne dass das deutsche Parlament individuell darüber entscheidet. Und solange wir eine Verfassung haben und solange die Mehrheit in Deutschland diese Verfassung auch beachten möchte und solange wir ein Bundesverfassungsgericht haben, sind diese Eurobonds kein Thema. Deswegen ist die Forderung der Grünen, dass wir Eurobonds einführen, um anderen Ländern die Schulden, die Zinsen niedrig zu halten, mit uns auch nicht zu diskutieren. Wir sind nicht bereit, die Verfassung zu brechen. Und ich habe sehr, sehr …

    Kaess: Aber die Verfassung kann ja geändert werden.

    Wissing: Genau. Und ich habe mit großer Sorge zur Kenntnis genommen, dass Sozialdemokraten und Grüne auch bei den Verhandlungen gefordert haben, das Grundgesetz zu ändern, damit eine europäische Schuldenunion gegründet werden kann, und ich habe ganz klar gesagt, darüber wird es mit der FDP keine Gespräche geben.

    Kaess: Aber Deutschland profitiert doch von der Krise im Moment, insofern, weil es kaum Zinsen für seine Anleihen zahlt. Ist es dann nicht fair, sich auch an den Schulden anderer zu beteiligen?

    Wissing: Deutschland profitiert von seiner eigenen Wettbewerbsfähigkeit und man kann diese Situation nicht verbessern, indem man unsere Wettbewerbsfähigkeit schwächt. Das Ziel muss sein, die Wettbewerbsfähigkeit anderer Staaten zu stärken, und deswegen brauchen wir Fiskalpakt und ESM, brauchen einen Ausstieg aus dem Schuldenstaat, bessere öffentliche Haushalte, solide Haushalte. So wie wir in Deutschland daran arbeiten, muss in ganz Europa daran gearbeitet werden. Also nicht die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist das Problem, sondern die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit südeuropäischer Staaten.

    Kaess: Volker Wissing, stellvertretender Vorsitzender und finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wissing.

    Wissing: Ich danke Ihnen, vielen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.