Christiane Kaess: Viele Zahlen sind das, wenn es um die Rente geht. Die prägnantesten, die das Bundesarbeitsministerium vorgelegt hat, belegen, dass das Rentenniveau von derzeit gut 47 Prozent bis zum Jahr 2045 auf etwa 41 Prozent sinken wird, wenn der Gesetzgeber nicht gegensteuert. Arbeitsministerin Andrea Nahles von der SPD will deshalb eine sogenannte Haltelinie zur Absenkung des Rentenniveaus einbauen. Die würde nach Auffassung von Unions-Fraktionschef Volker Kauder von der CDU allerdings eine Menge Geld kosten und auch er nennt eine Zahl zur Orientierung. Kauder schätzt: Wenn man das Rentenniveau ab dem Jahr 2030 statt auf rund 44 Prozent auf 46 Prozent heben wolle, müssten etwa zehn Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr in die Rentenkasse fließen. Das Thema eignet sich offenbar für den Wahlkampf. Darüber sprechen möchte ich mit Reinhold Schnabel. Er ist Professor für öffentliche Finanzen an der Uni Duisburg-Essen. Guten Morgen, Herr Schnabel!
Reinhold Schnabel: Guten Morgen!
"Ich halte die Prognose für sehr realistisch"
Kaess: Nun ist 2045 weit weg und viel kann bis dahin passieren. Wie realistisch, glauben Sie, ist diese Prognose des Bundesarbeitsministeriums?
Schnabel: Ich halte die Prognose für sehr realistisch. Da ist nichts dran auszusetzen. Das habe ich auch leicht zu sagen, weil ich im Grunde die gleiche Prognose schon vor drei Jahren abgegeben habe, und ich komme fast auf dieselben Werte. Es gibt natürlich viele Unsicherheitsfaktoren, die das nach oben oder nach unten beeinflussen werden. Das ist nicht nur die Wirtschaftslage, die Konjunktur und so weiter, sondern das ist vor allen Dingen der Einfluss der Rentenpolitik selber. Da kann die Politik sehr viel Schaden anrichten. Beispielsweise das, was im Rentenpaket gemacht wurde vor Kurzem, die Rente ab 63, das gefährdet die Stabilität des Rentenniveaus und die Stabilität des Beitrags.
Kaess: Das war für Sie ein politischer Fehler?
Schnabel: Das war etwas, was in Richtung höhere Beiträge führt und zu einem niedrigeren Rentenniveau. Und wenn man dieses Ziel hat, dann war das natürlich ein großer Fehler.
Kaess: Die SPD sagt aber auf der anderen Seite, das war gerecht für diejenigen mit 45 Arbeitsjahren.
Schnabel: Das ist eine Diskussion, die können wir natürlich gerne auch führen. Aber es ist natürlich nach einhelliger Meinung auch der Sozialverbände - da bin ich gar nicht alleine - ungerecht gegenüber all denjenigen, die nicht auf ihre 45 Jahre kommen, und es ist ungerecht gegenüber denen, die dann in einigen Jahren in Rente gehen werden und von diesen Vorzügen nicht mehr leben können. Aber ich denke, wir wollen über die Entwicklung in der Zukunft reden, und da zeichnet sich ab, dass vor allen Dingen das Rentenniveau ein Stück weit unter Druck gerät. Das wissen wir aber und dafür gibt es auch gute Gegenmaßnahmen, die das verhindern werden.
Kaess: Zum Beispiel?
Schnabel: Zum einen haben wir ja die Rente mit 67. Die Rente mit 67 stabilisiert nicht nur den Beitrag, sondern auch das Rentenniveau. Und wenn man ernst macht mit der Rente mit 67, dann tut man etwas für die Erhaltung des Rentenniveaus. Dann muss man natürlich auch sehen …
"Die Regelaltersgrenze wird weiter angehoben"
Kaess: Herr Schnabel, darf ich da gerade noch mal kurz einhaken, weil dieser Punkt Rentenalter ist ja ein zentraler Punkt in der Diskussion jetzt. Und jetzt fragen sich natürlich viele: Wenn jetzt schon davon gesprochen wird, dass das Rentenalter dann im Jahr 2045 bei 69 Jahren liegen wird, wo soll das überhaupt enden?
Schnabel: Zunächst mal ist jetzt vorgesehen, dass bis ungefähr 2030 das Rentenalter, das Standardalter auf 67 ansteigt. Das liegt ja noch vor uns. Der Prozess, der dauert ja noch fast 15 Jahre an. Wenn dann dieses Alter 67 als Standard gilt, dann wird man sich weiterhin Gedanken machen. Das hängt dann von der Entwicklung der Lebenserwartung ab. Und es wird dann auf jeden Fall so sein wie bisher auch: Die Regelaltersgrenze wird weiter angehoben. Das heißt, die Leute arbeiten länger, aber gleichzeitig beziehen sie trotzdem noch länger die Rente. Das ist keine schlechte Nachricht.
Kaess: Ist das Rentenalter für Sie die einzige Stellschraube, an der gedreht werden muss?
Schnabel: Das ist die wirkungsvollste Stellschraube, die wir haben, die genau die Alterung, die aus der Lebenserwartung kommt, neutralisieren kann. Es gibt natürlich noch andere Stellschrauben und das ist in erster Linie natürlich die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Frauen, das heißt Erhöhung der Arbeitsbeteiligung von Frauen, eine Konvergenz hin zu der Beteiligung von Männern. Auch Angleichung der Löhne, das wird auch eine Rolle spielen. Migration kann auch eine gewisse Rolle spielen. Aber es ist nicht so, dass ein einzelnes Instrument das rausreißt. Wir brauchen immer ein Portfolio.
Kaess: Migration im Zusammenhang mit dem demografischen Faktor?
Schnabel: Migration, vor allen Dingen qualifizierte Migration, gesteuerte Migration. Das hat mit dem aktuellen Thema der Flüchtlinge nichts zu tun. Da geht es um die Frage, dass wir das selber steuern. Das können wir bei der Flüchtlingsfrage natürlich nicht, aber in den übrigen Teilen müssen wir das natürlich versuchen.
"Natürlich spielt schon aktuell Betriebsrente und private Rente eine große Rolle"
Kaess: Welche Rolle spielen Betriebsrenten und private Vorsorge?
Schnabel: Das Glas ist, je nachdem wie man es betrachtet, halb voll oder halb leer. Natürlich spielt schon aktuell Betriebsrente und private Rente eine große Rolle. Es könnte eine noch größere Rolle spielen. Es ist nun mal so, dass nicht alle mitmachen dabei. Nur rund 50 Prozent der Leute bekommen eine Betriebsrente. Hier könnte man vor allen Dingen noch gegensteuern, indem man Anreize setzt vor allen Dingen für Geringverdiener, mehr in die betriebliche Altersvorsorge einzuzahlen. Da gibt es ja auch Überlegungen in der Bundesregierung, die ich grundsätzlich begrüße.
Kaess: … sagt Reinhold Schnabel. Er ist Professor für öffentliche Finanzen an der Universität Duisburg-Essen. Danke für das Gespräch heute Morgen.
Schnabel: Ja gerne! Danke.
Kaess:
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