Philipp May: Klaus von Dohnanyi, Ihr SPD-Parteigenosse und Altkanzler Gerhard Schröder hat die Sozialdemokraten in dieser Woche kritisiert und ihr mangelnde ökonomische Kompetenz vorgeworfen. Das sei der Grund für die Wahlniederlage gewesen, und quasi zum Beweis dafür, wie es geht, hat er sich nun zum Aufsichtsratschef beim russischen Ölriesen Rosneft wählen lassen, wofür er 500.000 Dollar brutto jährlich bekommt. Ist er für so viel ökonomische Kompetenz also zu loben?
Klaus von Dohnanyi: Er hat natürlich ökonomisch sehr gut verstanden … Er kam ja auch also vom linken Flügel, von den Jusos, und hat sehr, sehr gut verstanden am Ende, wo die Wirklichkeiten in einer offenen Gesellschaft sind. Mit denen hat er sich auseinandergesetzt, hat als Kanzler ja diese Agenda 2010 gemacht, mutig, sehr spät, aber wie er mir mal gesagt hat, was soll er denn machen in den ersten fünf Jahren, da hat er noch den Lafontaine auf dem Schoß gewissermaßen.
May: Der war nach einem Jahr weg.
Dohnanyi: Mit dem kann man ja keine vernünftige Agenda 2010 machen, wie wir auch heute sehen an der Linken. Also insofern, finde ich, hat er das gut gemacht, und er hat immer sehr realistisch über diese Welt gesprochen, und das ist das, was natürlich bei Schulz und bei vielen in der SPD fehlt, und das ist auch ein Punkt, über den ich immer mit der SPD selber gestritten habe. Also ich kann sein Urteil in der Beziehung, es fehlt an einer modernen ökonomischen Einsicht, leider im Ganzen nur bestätigen.
"Es ist gut, eine solche Beziehung aufrechtzuerhalten"
May: Und das hat er auch mit Rosneft und seinem Engagement da unter Beweis gestellt.
Dohnanyi: Nein, das will ich so nicht sagen. Ich meine, das ist seine eigene Entscheidung. Rosneft hat seine Nachteile und Vorteile. Nachteile in der Art und Weise, wie das aussieht, wenn ein ehemaliger Bundeskanzler so viel Geld in einem anderen Land verdient. Da mögen die Leute drüber urteilen. Ich würde das nicht tun. Aber sicher ist für mich, dass es nicht unbedeutend ist, jemanden auf der Seite der wirtschaftlichen Beziehung zwischen Russland und Europa und Russland und Deutschland zu haben, der dort auch die deutsche Seite verständlich und die europäische Seite verständlich machen kann, und deswegen bin ich im Ganzen der Meinung, dass es gut ist, eine solche Beziehung aufrechtzuerhalten. Schließlich ist Russland unser unmittelbarer Nachbar, Grenznachbar, einiger europäischer Staaten, während es etwa 5.000 oder 6.000 Seemeilen von den USA entfernt ist.
May: Also die Kritik, die jetzt aus allen Parteien, auch aus der SPD, Ihrer Partei, kommt an Schröders Engagement, die ist unberechtigt.
Dohnanyi: Na ja, ich würde sie differenzieren. Ich würde sagen, wenn man das machen will, das Geld nimmt oder es stiftet oder spendet oder so, das sind zwei verschiedene Dinge. Das ist seine eigene Entscheidung, und darüber will ich auch nicht urteilen, aber ich urteile darüber, dass ich es gut finde, dass ein ehemaliger deutscher Bundeskanzler, der auch in Deutschland noch eine Stimme hat, eine Beziehung zwischen Russland und Europa durch ein wirtschaftliches Engagement, was auch für diese Beziehung wichtig ist, auch unter anderem für Nord Stream 2, also für diese zweite Linie, die da durch die Ostsee mit russischem Gas gehen soll, dass sich da jemand sozusagen auskennt in Europa und auch auf der russischen Seite diese europäischen Interessen mit zum Sprechen bringen kann. Ich halte das für gut und sehe, dass die Kritik, die daraus kommt, zum Beispiel von den USA, die kann ich auch nachvollziehen, denn die USA haben selber wirtschaftliche Interessen und würden uns gerne Flüssiggas liefern.
"Er rüttelt ja an den Sanktionen dadurch nicht"
May: Aber es gibt immerhin gerade Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland, auch von der EU, auch von den USA. Ist das nicht das falsche Signal, wenn man das im Prinzip als Altkanzler, als ja dann doch irgendwie noch Vertreter der Bundesrepublik, umgeht?
Dohnanyi: Er rüttelt ja an den Sanktionen dadurch nicht. Er hat dazu auch seine Meinung, hat sie auch schon geäußert, das haben auch andere getan. Darum wird man sich auch weiter kümmern müssen. Wir müssen auch sehen, dass natürlich wir eine Partnerschaft mit den USA haben, aber die USA nicht immer unsere Interessen teilen. Das sieht man auch am Umgang von Herrn Trump jetzt mit Iran. Wir sind natürlich daran interessiert, dass diese dort bestehenden Sanktionen langsam gelockert werden, wenn es nachweisbar ist – und bisher sieht es doch so aus –, dass Iran diese Verpflichtung auf dem nuklearen Bereich, also in dem Atombereich, verfolgt und erfüllt. Da müssen wir auch als Europäer mal dazwischenreden und sagen, dass unsere Interessen nicht sind, das zu lockern. Wir haben auch kein Interesse am Irakkrieg gehabt. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir heute … als einen der großen Fehler des Beginnes dieses Jahrhunderts gesehen wird, eine der großen politischen Fehler – das sagen auch inzwischen die Briten, das sagen auch die Amerikaner –, aber Schröder war derjenige, der gesagt hat, ich werde mich nicht beteiligen. Also lassen wir doch die Dinge in Ruhe diskutieren, und da kann man verschiedener Meinung sein, aber Schröder ist ein kluger politischer Kopf, und ich würde immer noch darauf vertrauen, dass er die europäische Seite auch gegenüber der russischen Seite vernünftig vertreten kann.
May: Beim Thema Irakkrieg, das ist ein guter Punkt: Ich würde jetzt mal sagen, wenn Sie damals eine Umfrage gemacht haben, wer in Deutschland ist für den Irakkrieg und wer dagegen, dann hätte die große, die überwiegende Mehrheit der Deutschen ganz klar gesagt, ich bin gegen den Irakkrieg. Wenn man allerdings jetzt fragen würde, finden Sie es richtig, dass Gerhard Schröder Aufsichtsratschef von Rosneft wird, dann würde ich eher sagen, steht da doch eher eine Minderheit dagegen.
Dohnanyi: Ja, das ist sicher so, aber das hat natürlich auch … ist eine sehr schwer zu diskutierende Frage. Er kriegt sehr viel Geld, er hat auch eine gute Pension als ehemaliger Bundeskanzler, und da finden die Leute natürlich manches nicht wirklich nachvollziehbar. Ich will in dieser Frage nicht urteilen.
May: Aber auch unabhängig vom Geld.
Dohnanyi: Ich bin nur der Meinung, ich bin an sich ganz froh, dass in den Fragen der Beziehung zwischen Russland und Europa, nicht nur Deutschland, einer da ist, der Europa gut kennt, der in Europa vernünftige Politik gemacht hat, wie wir an der Agenda 2010 noch heute wissen, und der dort auch die Stimme Europas immer wieder zum Klingen bringen kann.
May: Dennoch hat Schröders Rosneft-Engagement der SPD im Wahlkampf eher geschadet als genützt.
Dohnanyi: Das kommt darauf an, ob es hätte schaden müssen. Natürlich, wenn Herr Schulz erst sagt, er will die Sache nicht beurteilen, und dann, wenn die Stimmung, die öffentliche Meinung, sich wendet, dann sagt er, er ist jetzt auch dagegen, dann hat …
May: Er hat gesagt, er hätte es nicht gemacht. Hat die Kanzlerin auch gesagt. Das kann man ja auch so sehen.
Dohnanyi: Ja, aber am Anfang hat er gesagt, er hätte es nicht, aber es geht ihn eigentlich nichts an. Hinterher hat er sich etwas schärfer ausgedrückt. Ich kann das auch im Einzelnen nicht wiederholen, aber auf jeden Fall, das hängt doch davon ab, wie man das argumentiert. Von Seiten der Bundeskanzlerin kann ich das durchaus verstehen, denn sie hat ja auch die Interessen sozusagen gegenüber den USA mit zu vertreten, und das ist eine andere Frage, aber ich finde, dass die SPD vielleicht da eine etwas differenziertere Meinung hätte zum Ausdruck bringen können, aber auch das ist ja nun spilled milk, also vergossene Milch. Das ist ja nun zu spät.
"Man muss versuchen, die Linken wieder auf einen vernünftigen Kurs zu bringen"
May: Ein bisschen vergossene Milch wollen wir aber hier auch noch mal machen. Woran lag es denn, dass die SPD massiv verloren hat, wenn es nicht an dem Schröderschen Rosneft-Engagement gelegen hat?
Dohnanyi: Es war auch längst, bevor diese Äußerung über Schröder diskutiert worden ja immer nur zwischen 22, 23 oder so etwas Prozent. Nein, ich glaube, es lag sowohl am Kandidaten wie an der Position der SPD. Ich teile da die Meinung von Olaf Scholz voll, der in seinem "Spiegel"-Interview ja gesagt hat, es ist möglich, wir müssen zeigen, dass es möglich ist, eine offene, fortschrittliche und zuversichtliche Politik zu machen, die pragmatisch die innere und die äußere Sicherheit im Auge hat und zugleich für den sozialen Zusammenhalt sorgt, und wenn man nur den letzten Satz nimmt, für den sozialen Zusammenhalt sorgen, ist man in dieser internationalen europäischen und deutschen Lage nicht wirklich glaubwürdig, und Schulz hat sich sehr verengt in seiner Aussage. Er begann mit Ungerechtigkeit, die ja in der ganzen Welt besteht, aber in Deutschland geringer als in allen anderen großen europäischen Staaten und nur in dem kleinen Dänemark und Norwegen und Schweden besser ist, und da, muss ich sagen, hat die Bundeskanzlerin in dieser Debatte auch die bessere Position bezogen. Sie hat gesagt, wir haben große Schwierigkeiten, mit der Digitalisierung fertig zu werden, mit der Autoindustrie fertig zu werden und so weiter, und das sind unsere großen Fragen, denn wenn die nicht funktionieren, die Industrie und die Wirtschaft nicht funktioniert, dann können wir lange von Umverteilung reden, wir haben dann nichts mehr zum Umverteilen.
May: Sind Sie zuversichtlich, dass diese Kompetenzen, die Sie bei Martin Schulz vermisst haben, mit Andrea Nahles als Oppositionsführerin im Parlament zurückkommen?
Dohnanyi: Da muss man gucken, wie sie … Sie hat ja jetzt gesagt, sie würde sich eher den Linken zuwenden. Das muss man sehen. Ich finde, die Linken haben in dieser Weise keine Wirtschaftskompetenz. Das war ja der Grund, warum ich gesagt habe, ich könne für Schulz nicht stimmen, solange er Rot-Rot-Grün nicht ausschließt, und das habe ich dann auch nicht getan.
May: Jetzt hat sie ja klare Andeutungen gemacht, dass sie sich der Linkspartei eher hinwenden …
Dohnanyi: Ja, eben, und das kann man auch tun in der Opposition, indem man jetzt versucht, vielleicht die Linke so zu lockern, dass man sie auf die Seite der SPD mit mehr sozialdemokratischen, pragmatischen Thesen zur SPD holt, aber wenn man sich den Linken sozusagen unterwirft … Wir haben ja solche Zusammenarbeit zwischen solchen Truppen und der SPD an anderer Stelle erlebt und hat halt meistens zum Übergewicht der etwas Dogmatischeren und Radikaleren geführt, und da bin ich dagegen.
May: Können Sie da Beispiele nennen?
Dohnanyi: Das kennen wir aus der Geschichte.
May: Ach so, Sie meinen jetzt nicht irgendwie aktuell.
Dohnanyi: Nein, kennen wir aus der Geschichte immer wieder. Es ist überall so. Sie sehen das übrigens auch gegenwärtig bei der AfD. Wenn die Radikalen sozusagen dran sind, dann versuchen sie, den pragmatischen Teil auszuschließen und zu unterdrücken, und diese Gefahr sehe ich auch in einer Zusammenarbeit mit den Linken, aber man kann natürlich versuchen, die Linken wieder zurückzuholen und zu Sozialdemokraten zu machen.
May: Aber da muss man Angebote machen, da muss man ja als SPD wahrscheinlich auch ein bisschen nach links rücken.
Dohnanyi: Es gibt Fragen in der Ungleichheit, es gibt Fragen in den Rentenstrukturen und so weiter. Die kann man alle angehen und damit vielleicht sogar auch Wahlen gewinnen.
May: Und ich dachte schon, wenn ich das jetzt frage mit der Linkspartei, dann sagen Sie, Sie stehen kurz vor dem Parteiaustritt. So weit ist es bei Ihnen nicht.
Dohnanyi: Nein, nein. Ich bin ganz der Meinung, dass man versuchen muss auf sozialdemokratischer Seite, die Linken wieder auf einen vernünftigen Kurs zu bringen, und das kann Frau Nahles ja versuchen, aber wenn man sich ihnen unterwirft und etwa die Dogmatik der Linken übernimmt mit vielen Punkten, dann endet man eben da, wo gegenwärtig die thüringische Regierung zum Teil ist, und das ist nicht sehr klug.
"Martin Schulz wird gegenwärtig von der SPD dezimiert"
May: Herr Dohnanyi, eine letzte Frage muss ich Ihnen noch stellen: Die stellvertretende Parteivorsitzende Manuela Schwesig hat jetzt die sogenannten Altvorderen der Partei, unter anderem auch Sie, kritisiert, es könne nicht sein, dass einzelne Sozialdemokraten jetzt schon wieder Zensuren verteilen. Sie hat damit angespielt auf Ihre Äußerung, dass Sie Martin Schulz zum Rücktritt aufgefordert haben. Was antworten Sie ihr?
Dohnanyi: Martin Schulz wird ja gegenwärtig, finde ich, ganz zum Schaden seiner Person von der SPD dezimiert. Die SPD hat nicht bestritten, dass er Fraktionsvorsitzender wollte und hat ihm das abgelehnt. Die SPD hat nicht bestritten, dass er Herrn Heil als parlamentarischen Geschäftsführer an der Seite von Frau Nahles haben wollte. Das haben sie ihm abgelehnt und haben ihm den Herrn Schneider also mehr auf der Wirtschaftsseite hingesetzt. Die SPD geht mit Herrn Schulz, finde ich, nicht richtig um, und es wäre viel klüger gewesen, er wäre an dem Abend mit einem so schlechten Ergebnis zurückgetreten, dann hätte die Partei sagen können, nein, das können wir so schnell nicht machen, wir akzeptieren das, aber das überlassen wir dem Parteitag, aber wir akzeptieren den Rücktritt und bitte führe die Partei weiter, bis wir auf dem Parteitag sind. Das wäre viel klüger gewesen. So wird er sozusagen offenen Auges für die ganze Welt eigentlich immer kleiner geschnitten, und ich finde das unfair ihm gegenüber. Ich fand ihn nicht den richtigen Kandidaten, aber das ist ja nun auch vorbei.
May: Sagt der Altvordere oder einer der Altvorderen der deutschen Sozialdemokraten Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg. Vielen Dank, Herr Dohnanyi, für das Gespräch!
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