Nach Unionsabstimmung mit AfD-Hilfe
Altkanzlerin Merkel kritisiert Merz scharf - "falsches Vorgehen"

Nach der mit Hilfe der AfD erfolgten Verabschiedung eines Antrags von CDU und CSU zur Migrationspolitik im Bundestag steht Unionskanzlerkandidat Merz in der Kritik. Neben Vertretern der Kirchen, von SPD und Grünen meldet sich auch die frühere Kanzlerin Merkel zu Wort. In einer Erklärung auf ihrer Homepage bezeichnete sie das Vorgehen als "falsch".

    Angela Merkel, Bundeskanzlerin a.D., vor dunklem Hintergrund
    Die ehemalige Bundeskanzlerin Merkel hat CDU-Chef Merz kritisiert. (IMAGO / / Thomas Imo)
    Merkel kritisierte, dass Merz sich nicht mehr an Äußerungen aus dem November gebunden fühle, vor der Wahl keine Abstimmungen herbeizuführen, die "zufällige oder tatsächlich herbeigeführte" Mehrheiten mit der AfD erforderten. "Dieser Vorschlag und die mit ihm verbundene Haltung waren Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung", betonte die ehemalige CDU-Chefin. Ein solches Vorgehen unterstütze sie "vollumfänglich".

    Merkel: "Keine taktischen Manöver"

    Die Altkanzlerin forderte Merz auf, zu seiner früheren Position zurückzukehren. Es sei "erforderlich, dass alle demokratischen Parteien gemeinsam über parteipolitische Grenzen hinweg" zusammenarbeiteten, um "so schreckliche Attentate" wie in Magdeburg und Aschaffenburg zu verhindern. Dabei dürfe es nicht um "taktische Manöver" gehen. Die Gespräche müssten "in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts" erfolgen, mahnte Merkel.
    Kritik kam auch von zwei Ministerpräsidenten der CDU. Der nordrhein-westfälische Regierungschef Wüst und Berlins Regierender Bürgermeister Wegner riefen dazu auf, Probleme aus der demokratischen Mitte heraus zu lösen. Auch in der aufgeheizten Stimmung vor der Bundestagswahl gebe es eine Chance dazu, sagte Wüst. Wegner erklärte, was man derzeit erlebe, werde dazu führen, dass rechte Hetzer profitierten.

    Habeck: Union schadet Wirtschaftsstandort - Klingbeil: Verheerendes Signal für Geschlossenheit in Europa

    Bundeswirtschaftsminister Habeck warnte vor negativen Folgen für den Standort Deutschland. Eine Zusammenarbeit mit der AfD sei der Sargnagel für die deutsche Wirtschaft, sagte der Grünen-Politiker in einer Regierungserklärung zum Jahreswirtschaftsbericht. SPD-Chef Klingbeil sprach von einem verheerenden Signal für die Geschlossenheit in Europa. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Mützenich, rief Merz auf, sich im Bundestag nicht erneut auf eine Mehrheit mit der AfD einzulassen.

    Kritik vom Zentralrat der Juden und von Kirchen

    Der Präsident des Zentralrats der Juden, Schuster, erklärte nach der Abstimmung, es sei klar, dass im Interesse der Gesellschaft ein Wandel im Umgang mit illegaler Migration in Deutschland notwendig sei. Er finde es aber enttäuschend, "dass die demokratischen politischen Kräfte in unserem Land – auch in Zeiten des Wahlkampfs – nicht in der Lage waren, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen und damit der AfD diese Bühne bereitet haben".
    Bereits im Vorfeld der Abstimmung hatten die beiden großen Kirchen Unionskanzlerkandidat Merz davor gewarnt, für einen härteren Kurs in der Migrationspolitik AfD-Stimmen in Kauf zu nehmen.

    Michel Friedman verlässt CDU

    Der Publizist und ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, tritt als Reaktion aus der CDU aus. Dies kündigte der 69-Jährige gegenüber dem Hessischen Rundfunk an, wie der Sender berichtet. Friedman habe die Bundestagsabstimmung zur Asylpolitik am Mittwoch "eine katastrophale Zäsur für die Demokratie der Bundesrepublik" und ein "unentschuldbares Machtspiel" genannt. Die "Büchse der Pandora" zur Normalisierung der AfD sei geöffnet.

    Politologin Reuschenbach: Tür für Mehrheiten mit AfD in Landtagen geöffnet

    Die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach erwartet Auswirkungen auf die Mehrheitssuchen in den Ländern. Reuschenbach sagte im Deutschlandfunk, man werde in den Ländern – vor allem im Osten – eine ähnliche Argumentationsstruktur sehen. Anders als in der Bundespartei würden sich die CDU-Landesverbände nun nicht mehr in Zurückhaltung üben. Die AfD könne die Union jetzt vor sich hertreiben, erklärte die Wissenschaftlerin der Freien Uni Berlin.

    Prominente kritisieren die Parteien in offenem Brief

    Auch zahlreiche Prominente äußerten sich entsetzt über die Abstimmung und ihr Ergebnis. In einem offenen Brief fordern hunderte Stars und Kulturschaffende die Abgeordneten von Union, FDP und BSW auf, sich an das Versprechen "Nie wieder" zu halten - ein Versprechen, das von der Politik gebrochen worden sei. Nun müsse die Zivilgesellschaft die "Brandmauer" aufrecht erhalten.

    Unionsfraktionsvize Spahn: SPD und Grüne haben mit "Politik des Nichtstuns" AfD groß gemacht

    Unions-Fraktionsvize Spahn verteidigte dagegen das Vorgehen von CDU und CSU. Er sagte ebenfalls im Deutschlandfunk, ein Großteil der Bundesbürger wolle keine unkontrollierte Migration. SPD und Grüne hätten mit ihrer - Zitat - "Politik des Nichtstuns" die AfD doppelt so groß gemacht. Spahn bekräftigte, dass es keine Zusammenarbeit oder Gespräche mit der AfD gebe.

    Weitere Informationen

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    Diese Nachricht wurde am 30.01.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.