Dirk-Oliver Heckmann: Im zweiten Quartal ist die Wirtschaftsleistung in Deutschland bereits gesunken. Sollte das so weitergehen, befindet sich das Land auch formell in einer Rezession. Wichtige Faktoren, die dazu beigetragen haben, die dauernde Unsicherheit, wie es mit dem Brexit weitergeht, und natürlich die immer neuen Runden im Handelskrieg zwischen den USA und China beispielsweise, aber auch zwischen den USA und Europa. US-Präsident Trump hat ja beim G7-Gipfel in Biarritz betont, er hoffe, dass er Strafzölle gegen europäische Autos nicht werde verhängen müssen. Damit hat er aber auch in Erinnerung gerufen, dass die Drohung sehr wohl im Raum steht, und das wäre eine miese Nachricht für die Automobilindustrie hierzulande.
In der Lage konkretisiert die SPD ihre Pläne für eine Vermögensteuer, die seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts seit 1997 ausgesetzt ist, und über beides können wir jetzt sprechen, und zwar mit Peter Altmaier von der CDU, Bundeswirtschaftsminister. Schönen guten Morgen, Herr Altmaier.
Peter Altmaier: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Gehen wir ganz kurz auf die Nachricht des gestrigen Tages ein. Präsident Macron gab am Abend bekannt, er hoffe, im Atomstreit mit dem Iran auf ein Treffen zwischen Trump und dem iranischen Präsidenten Rohani. Die Gespräche in Biarritz hätten die Grundlage dafür gelegt. Und auch Trump selbst meinte, die Chancen stünden sehr gut. Wie sehr waren Sie von dieser Nachricht überrascht?
Altmaier: Es war eine positive Nachricht, die wir so in dieser Form nicht unbedingt erwartet hatten. Aber es zeigt, dass alle Beteiligten inzwischen erkannt haben, dass man das Problem nur mit Gesprächen lösen kann. Der G7-Gipfel war sich einig, eine Aufrüstung des Iran mit Atomwaffen zu verhindern, aber es sind sich jetzt alle auch einig, dass man darüber reden muss mit dem Iran, die Europäer auch mit den Amerikanern. Das ist ein positives Signal, das Vertrauen schafft.
"Es zeigt, dass es auch in diesem Bereich eine internationale Solidarität gibt"
Heckmann: Wie wichtig wäre denn eine Einigung oder eine Entspannung zwischen den USA und dem Iran im Atomstreit für die Weltwirtschaft und auch für die deutschen Unternehmen, die dort engagiert sind?
Altmaier: Wir haben in den letzten Monaten erlebt, dass zu den bereits lange vorhandenen Krisenpunkten in der Welt einige neue hinzugekommen sind. Das hat nicht nur der Weltwirtschaft geschadet, sondern es hat insgesamt die Sicherheit und das Vertrauen in die internationale Kooperation beschädigt. Dieser Gipfel kann ein wichtiges Signal setzen, dass es eine Umkehr ist. Das eine im Hinblick auf den Iran: Wenn es gelänge, eine Verständigung zu finden, hätte das natürlich auch Auswirkungen auf die wirtschaftliche Kooperation. Aber im Vordergrund steht jetzt zunächst einmal, dass man über die Sicherheitsfragen spricht, dass auch geklärt wird, dass der Iran künftig keine Atomwaffen produziert.
Im Übrigen sehe ich in unmittelbarem Zusammenhang auch das zweite Ergebnis. Es waren sich alle Teilnehmer einig, dass man gegen die fürchterlichen Waldbrände im Amazonas etwas tun muss, und es sieht jetzt heute Morgen so aus, dass Brasilien die angebotene Hilfe nicht annimmt. Das ist sehr bedauerlich und schade. Aber es zeigt, dass es auch in diesem Bereich eine internationale Solidarität gibt.
Heckmann: Trump sprach von einem großartigen Treffen in Biarritz, nannte Kanzlerin Merkel eine "brillante Frau". Er hat auch gesagt, er setzt auf eine Lösung im Streit mit China. Er hat auch gesagt, er hoffe, dass er keine Strafzölle gegen deutsche Autos verhängen müsse. Gleichzeitig waren sich die G7-Teilnehmer einig, dass man auf freien und fairen Welthandel setze. Wonach hört sich das für Sie an, nach Entspannung im Handelsstreit auch zwischen Europa und den USA?
Altmaier: Es ist jedenfalls keine Verschärfung und es zeigt: Ich glaube, dass alle Beteiligten nicht in den Abgrund, aber doch jedenfalls in eine Entwicklung geschaut haben, die für die Weltwirtschaft nicht gut war, die Arbeitsplätze in allen Ländern gefährdet. Deshalb ist die Bereitschaft, über Lösungen zu sprechen, größer und nicht kleiner geworden seit dem letzten Gipfel in Kanada. Wir haben als Europäer ein Angebot für Donald Trump und die USA auf den Tisch gelegt. Wir sind bereit, über viele Handelsfragen zu diskutieren, auch solche, die aus Sicht der USA wichtig sind, um Fairness in beiden Richtungen zu garantieren. Wir halten es für wichtig, dass die Gespräche jetzt beginnen. Es gibt immer noch einige unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zwischen den USA und Europa, über welche Themen geredet und auch Ergebnisse erzielt werden müssen, aber das schließt ja nicht aus, dass man anfängt und dass man die Punkte löst, wo man sich ohnehin nicht so weit auseinander ist. Das könnte dann helfen, dass wir auch das Vertrauen in die globale Wirtschaftsentwicklung wieder festigen.
"Die Gespräche, die kommen, werden schwierig sein"
Heckmann: Fairness in beide Richtungen ist ein gutes Stichwort. Der US-Präsident hat der EU ja auch in Biarritz erneut unfaire Handelspraktiken vorgeworfen. Sein Land habe im Handel mit der EU über die Jahre viel Geld verloren und die EU sei genauso schwierig wie China. Das heißt praktisch, Europa muss sich bewegen, sonst werden sie kommen, die Zölle auf Autos.
Altmaier: Wir haben ja ein Angebot vorgelegt, wo wir bereit sind, uns zu bewegen, etwa im ganzen Bereich der Industriezölle, wo wir zu einer kompletten Abschaffung bereit sind, in den Bereichen der Zusammenarbeit im Hinblick auf Regulierungen, in vielen anderen Bereichen ebenfalls, beispielsweise wenn Sie daran denken, dass wir bei den Sojabohnen der amerikanischen Landwirtschaft sehr geholfen haben in den letzten Monaten. Das alles hat, glaube ich, dazu beigetragen, dass wir eine Verschärfung vermieden haben. Aber die Gespräche, die kommen, werden schwierig sein. Es wird um wichtige Fragen von Arbeitsplätzen und Arbeitsplatzverlagerung gehen. Wir wollen, dass es so wenig Regulierung gibt wie möglich. Wir wollen, dass es keinen Protektionismus gibt. Wir sind bereit, die Zölle abzuschaffen, nicht zu erhöhen. Darüber sind wir bereit zu reden, auch mit den USA. Ich war ja dort noch im Juni und mein Eindruck ist, dass auch in der amerikanischen Administration eine Lösung für wichtiger angesehen wird als ein fortdauernder Konflikt.
Heckmann: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass es bald zu einem Handelsvertrag mit den USA kommen wird? Was denken Sie?
Altmaier: Wir haben diese Verhandlungen ja noch gar nicht aufgenommen. Normalerweise hat es in der Europäischen Union immer Jahre gedauert, bevor ein Angebot gemacht werden konnte. Wir haben das bereits im Frühjahr auf den Tisch gelegt nach wenigen Monaten. Wir sind jederzeit bereit, die Verhandlungen zu führen. Die müssen auf Augenhöhe geführt werden. Die Ergebnisse müssen für beide Seiten akzeptabel sein. Und es muss am Ende mehr Arbeitsplätze geben und nicht weniger.
Heckmann: Denken Sie denn, dass die in Aussicht gestellten Strafzölle auf deutsche Autos mittlerweile mehr oder weniger vom Tisch sind? Oder rechnen Sie damit, dass Donald Trump wieder einen Tweet loslässt und die ganze Sache wieder neu anläuft?
Altmaier: Nein. Wir haben ja noch keine endgültige Einigung. Der Präsident hat die Entscheidung über diese Frage verschoben auf den November. Das heißt, wir haben jetzt drei Monate vor uns, die wir nutzen müssen, um Verhandlungen in der Sache zu führen. Ich bin allerdings auch überzeugt, dass die Verlangsamung des weltweiten Wachstums, dass die Stagnation, die wir in einigen Ländern haben - auch die amerikanischen Wachstumszahlen sind weniger großartig, als viele sich das in den USA vorgestellt hatten -, dass alle diese Entwicklungen die Chancen erhöhen, dass wir zu einem Ergebnis kommen. Aber wir haben dieses Ergebnis noch nicht und deshalb empfehle ich allen auch ein Stück weit Demut und Bescheidenheit.
Wir werden jedenfalls alles tun, um unsere berechtigten Interessen zu vertreten und eine Lösung zu finden, die den Welthandel voranbringt. Deshalb war es wichtig, dass wir uns verständigt haben auf eine Reform der Welthandelsorganisation. Wir haben immer die Auffassung vertreten, dass die OECD für einen weltweiten Handel wichtig ist. Wir wollen auch die WTO reformieren. Auch das ist gemeinsam angesprochen worden. Da geht es um den Schutz des geistigen Eigentums. Über all diese Fragen muss jetzt konkret gearbeitet werden. Wir haben keine Zeit zu vergeuden.
Heckmann: Soweit der internationale Rahmen, Herr Altmaier. Kommen wir zum innenpolitischen Thema Nummer eins. Die SPD hat gestern ihre Forderung nach einer Vermögensteuer konkretisiert, die ja seit 1997 ausgesetzt ist, wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Weshalb halten Sie denn eine Vermögensteuer für Teufelszeug? Unter Schwarz-Gelb hat es das ja lang genug gegeben.
Altmaier: Ja, ich halte es für falsch und für schädlich, weil wir in den letzten 30 Jahren gemeinsam gelernt haben, dass höhere Steuern, dass vor allen Dingen Steuern auf Substanz, die nichts zu tun haben mit wirtschaftlichem Erfolg, Arbeitsplätze kosten, nicht Arbeitsplätze schaffen.
"Es ist ein Vorschlag aus der Rumpelkammer"
Heckmann: Das will die SPD ja vermeiden, die Substanz zu besteuern.
Altmaier: Die SPD hat zum wiederholten Male einen Vorschlag vorgelegt, der nicht fliegen wird. Er wird eine Diskussion entfachen, die an sich schon schädlich ist, weil sie viele mittelständische Arbeitgeber, Handwerker verunsichert. Es ist ein Vorschlag aus der Rumpelkammer und wir haben in den letzten Jahren weltweit gesehen, dass Steuern gesenkt und nicht erhöht wurden. Ich sehe nirgendwo eine Mehrheit oder eine Bereitschaft, über dieses Thema ernsthaft zu reden. Und im Übrigen: Die SPD hat ja auch in den letzten Jahren mehrfach vor Wahlen darüber gesprochen. Es ist nach den Wahlen auch nie etwas passiert. Das zeigt, dass es auch in der SPD Verantwortliche gibt, die genau wissen, dass dieses Instrument für die Praxis nicht taugt.
Heckmann: Da könnte sich der Wind mittlerweile aber gedreht haben. – Sie sprechen von einem Vorschlag aus der Rumpelkammer. Die kommissarische SPD-Chefin Manuela Schwesig weist den Vorwurf, die SPD greife in die Mottenkiste, allerdings zurück.
O-Ton Manuela Schwesig: "Ich finde das gar nicht Mottenkiste, sondern es ist wirklich eine Antwort für die Zukunft. Wir sehen den weiteren Investitionsbedarf und wollen, dass die, die sehr vermögend sind in diesem Land, ihren Beitrag stärker leisten. Unser Land ist eines der Länder in der Europäischen Union, was die geringste Vermögensbesteuerung hat. Das ist eine Ungerechtigkeit, die man so nicht stehen lassen kann."
Heckmann: Und auch Thorsten Schäfer-Gümbel hat gesagt, die reichsten 45 Familien in Deutschland besitzen so viel wie 50 Prozent der Deutschen. Selbst die Bundesbank hat gesagt, die reichsten zehn Prozent besitzen 55 Prozent des Vermögens. Kann das so bleiben?
Altmaier: Die Frage ist, ob man diese Menschen aus Deutschland vertreiben will und damit Investitionen in Deutschland verhindert, Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen, Wirtschaftswachstum nicht stattfindet. Wir haben das oft genug diskutiert. Im Übrigen hat der Staat im Augenblick kein Problem mit fehlendem Geld und fehlenden Steuereinnahmen. Wir haben eher das Problem, dass die Investitionen nicht abfließen, weil die Planungsverfahren zu lange dauern, weil die Bürokratie zu groß ist. Deshalb brauchen wir nach meiner festen Überzeugung Steuerentlastungen für alle, für Arbeitnehmer, genauso beim Soli – das haben wir bereits beschlossen ab 2021 -, wie aber auch für Mittelständler, für Unternehmer von kleinen und mittleren Betrieben. Das gilt für die Körperschaftssteuer, das gilt für den Teil des Soli, der noch nicht abgeschafft ist. Damit können wir mehr Investitionen auslösen als mit jeder Steuer- oder Neiddebatte.
"Fratzscher mit dieser Position in der Wirtschaftsforschung relativ isoliert"
Heckmann: Herr Altmaier, Sie sprechen von einer Neiddebatte.Wir haben hier im Deutschlandfunk vor einer guten halben Stunde mit
Marcel Fratzscher vom DIW
gesprochen, und der unterstützt die Idee einer Vermögensteuer und streitet auch ab, dass das eine Vertreibung von Unternehmen zur Folge haben muss. Hören wir mal kurz rein:
O-Ton Marcel Fratzscher: "Für mich ist es sinnvoll, die Belastung von Arbeitseinkommen auf Vermögen zu verschieben – erstens, weil das international absolut üblich ist, zweitens, weil es uns helfen würde, viele der Potenziale Deutschlands zu heben. Wir haben viele Menschen, die wenig arbeiten oder gar nicht arbeiten. Gerade Menschen mit geringen und mittleren Einkommen werden steuerlich sehr stark belastet. Ein Steuersystem muss so gestaltet werden, dass es diese Potenziale heben hilft, und das bedeutet nun mal, dass es aus einer wirtschaftlichen Perspektive sehr viel Sinn macht, Arbeitseinkommen, Menschen, die arbeiten, zu entlasten und vor allem die, die geringe Einkommen haben. Das wäre eigentlich eine kluge Wirtschaftspolitik."
Heckmann: Soweit Marcel Fratzscher. – Was sagen Sie dazu?
Altmaier: Ich schätze und kenne Herrn Fratzscher gut, aber mit dieser Position ist er in der Wirtschaftsforschung relativ isoliert. Es gibt eine große Mehrheit von Stimmen, von seriösen Stimmen, die sagen, dass Substanzbesteuerung der falsche Weg ist und dass man Substanzsteuern abbauen und nicht erhöhen muss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.