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Altmaier (CDU) zum Brexit
"Es ist wichtig, dass wir auch in Zukunft einen No Deal verhindern"

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat sich optimistisch gezeigt, dass sich bis Oktober in Großbritannien eine breite Mehrheit für einen geregelten Brexit findet. Die Briten würden nun über rote Linien neu nachdenken, sagte er im Dlf.

Peter Altmaier im Gespräch Christoph Heinemann |
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU)
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) (picture alliance / Shan Yuqi)
Christoph Heinemann: Heute verstreicht die zweite Brexit-Frist; die dritte endet am 31. Oktober. Das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange, denn EU-Kommissar Günther Oettinger sagte gestern bei uns im Deutschlandfunk, dass man nochmals für ein Viertel, ein halbes oder ein ganzes Jahr bis Ende 2020 die Mitgliedschaft der Briten in der EU verlängern könnte. Theresa May legt dem Unterhaus ihren Austrittsvertrag immer wieder vergeblich zur Abstimmung vor. Niemand weiß, ob, wann und wie sie ihren Deal retten kann. Einiges spricht dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger auf der Insel am 26. Mai zusammen mit den Menschen auf dem Kontinent das künftige Europäische Parlament wählen können.
Um einmal eine Hausnummer zu nennen: Im vergangenen Jahr betrug der Außenhandelsumsatz zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland mehr als 140 Milliarden Euro.
Am Telefon ist Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Guten Morgen.
Peter Altmaier: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Altmaier, was benötigt die deutsche Wirtschaft jetzt?
Altmaier: Wir waren ja auf ein No-Deal-Szenario vorbereitet, so gut es geht. Das wird auch im nächsten Oktober so sein für den unwahrscheinlichen Fall, dass es dazu kommt. Was die deutsche Wirtschaft benötigt ist vor allen Dingen, dass die Diskussion in Großbritannien zielorientiert weitergeht. Ich glaube, das war eine Wasserscheide, und ich glaube, dass man in Großbritannien nun anfängt, sich grundsätzlich Gedanken zu machen. Das hat die britische Wirtschaft gefordert und das wird im Unterhaus sicherlich in den nächsten Tagen und Wochen zu Diskussionen führen.
"Chance auf eine breite Mehrheit"
Heinemann: Ein Ende mit Schrecken wurde jetzt gegen einen Schrecken ohne Ende eingetauscht. Was ist damit gewonnen?
Altmaier: Ich glaube, dass es umgekehrt ist. Wir haben in den letzten zwei Monaten in ständiger Furcht vor einem ungeregelten Brexit gelebt. Wir haben auch erlebt, dass die britische Regierung und auch nicht das britische Parlament imstande waren, klare Mehrheiten zu bilden. Jetzt haben wir zum ersten Mal die Situation, dass parteiübergreifende Gespräche stattfinden, zwischen der Regierung, mit der Opposition. Das beinhaltet die Chance auf eine breite Mehrheit, und das ist genau das, was wir im Interesse aller Beteiligten brauchen.
Zweitens: Die britische Regierung hat ja bisher sogenannte rote Linien aufgestellt. Das heißt, keine Zollunion mit der Europäischen Union, keine weitere Teilnahme am Binnenmarkt. Jetzt stellen wir fest, dass über diese roten Linien in Großbritannien neu nachgedacht wird. Und wenn es beispielsweise gelänge, dass Großbritannien in der Zollunion bleibt, dann hätte dies positive Auswirkungen für die Menschen in beiden Seiten, würde Arbeitsplätze schützen und verhindern, dass aufgrund von Zollerhöhungen und ungeregelten Situationen in den ersten Wochen Unternehmen in Schwierigkeiten geraten.
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Heinemann: Ziemlich viel "wenn"! – Die Unterhaus-Abgeordnete Wera Hobhouse von den Liberaldemokraten hat jetzt noch einmal gesagt, wir werden im Herbst genau vor den gleichen Problemen stehen wie zurzeit. Woraus speist sich Ihr Optimismus, Herr Altmaier?
Altmaier: Erstens ist es so, dass wie in jeder Demokratie auch in Großbritannien demokratische Mehrheitsbildungen nicht mit Sicherheit absehbar sind. Es wird im Parlament und in der Regierung diskutiert. Es gab auch bisher knappe Entscheidungen. Einmal fehlte nur eine Stimme für einen bestimmten Antrag. Aber der Optimismus speist sich daraus, dass es in dieser Woche möglich war mit einem sehr breiten Konsens in der Europäischen Union. Wir waren am Ende geschlossen, was die Verlängerung bis Ende Oktober angeht, und auch in einer guten Zusammenarbeit mit der britischen Regierung, diese Lösung zu finden. Das gibt mir die Hoffnung, dass wir auch in Zukunft imstande sein werden, einen ungeregelten No Deal zu verhindern. Das wäre ja gerade die Situation, wo die negativen Auswirkungen am größten wären.
"No Deal würde exportorienterte deutsche Wirtschaft treffen"
Heinemann: Wieso lässt man die Briten nicht deallos ziehen und schaut sich die Folgen eines EU-Austritts am Beispiel dieses Landes an?
Altmaier: Weil ein solcher ungeregelter vertragsloser Austritt nicht nur schwere Schäden für die britische Wirtschaft hätte. Er würde auch die exportorientierte deutsche Wirtschaft treffen, etwa im Automobilbereich, aber auch in anderen Bereichen. Er würde die Wirtschaft in vielen EU-Staaten treffen, denn unsere Volkswirtschaften sind verflochten. Großbritannien ist seit 46 Jahren Mitglied der Europäischen Union. Da sind ganz enge Handelsbeziehungen entstanden. Und das mit einem Schlag und zu 100 Prozent zu verändern, das kann für keine Seite gut sein.
Heinemann: Sollte das Vereinigte Königreich die EU mit einem Abkommen verlassen und in Folge des Brexits in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, Herr Altmaier, dann wissen Sie genau, können Sie sich an fünf Fingern abzählen, was passieren wird. Die Brexit-Befürworter werden dann sagen, diese Probleme liegen am Deal, nicht am Brexit. Wieso sollte man es diesen Leuten so leicht machen?
Altmaier: Nein. Wir haben uns bislang immer zum Ziel gemacht, uns nicht einzumischen in die inneren Debatten in Großbritannien. Wir haben keine Ratschläge gegeben, in welcher Form diese Vertragsbeziehung, die 46 Jahre besteht, gelöst werden soll. Wir haben allerdings immer, und zwar gemeinsam mit der Mehrheit im Unterhaus, gemeinsam mit der britischen Regierung, mit allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gesagt, ein solcher No Deal hätte die größten negativen Auswirkungen von allen. Mit Arbeitsplätzen spielt man nicht, nicht in Großbritannien und auch nicht in Deutschland.
"Niemand weiß, wie gut britische Regierung vorbereitet ist"
Heinemann: Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert Sie übrigens gerade schon im laufenden Interview aus diesem Gespräch. Dieselbe Nachrichtenagentur schrieb gestern, eine neue Bankenkrise wäre möglich, falls die Zahlungsströme über den Finanzplatz London zusammenbrechen würden. Für wie begründet halten Sie diese Sorge?
Altmaier: Diese Sorge halte ich für nicht wahrscheinlich. Wir werden jetzt ohnehin in den nächsten sechs Monaten eine solche Situation nicht erleben. Das ist die gute Nachricht. Das wird sich positiv auch auf Wirtschaftswachstum in Deutschland und in der gesamten EU auswirken. Aber – und das ist der entscheidende Punkt – niemand weiß, wie gut die britische Regierung auf den Fall aller Fälle vorbereitet ist, und deshalb ist es wichtig, dass wir auch künftig einen solchen Nicht-Deal verhindern, gemeinsam mit der Regierung und dem Parlament in Großbritannien.
Heinemann: Herr Altmaier, seit einigen Tagen sind Sie Ziel von Angriffen aus der Wirtschaft. Ich will ein paar Einzelheiten aufzählen. Kritik: Der angekündigte Stromkostengipfel ließe auf sich warten. Die nationale Industriestrategie, mit der große Industrie-Champions gebildet werden sollen, stößt sauer auf. Und der Vorwurf, seit März 2018 hätten Sie bei zehn von 13 EU-Ministerräten gefehlt. Was erwidern Sie?
Altmaier: Erstens einmal ist es so, das in der Politik Kritik mit zum Alltag gehört. Der muss sich jeder Minister, jeder Abgeordneter stellen. Deshalb sehe ich das ganz gelassen.
Zweitens ist die Diskussion in manchen Bereichen auch je nach Interessenlage der Beteiligten ein bisschen zugespitzt. Denn was die Ministerräte angeht ist es so, dass da nicht mitgezählt sind all die informellen Räte, an denen ich teilgenommen und deutsche Interessen vertreten habe. Ich habe mit ungefähr 15 Kommissionsmitgliedern, Kommissaren in Brüssel verhandelt. Ich habe viele europäische Termine wahrgenommen. Und deshalb: Wenn Sie nach Brüssel gehen, wenn Sie sich dort erkundigen, dann wird Ihnen jeder bestätigen, dass dieser Wirtschaftsminister in Brüssel präsent ist und dort seine Arbeit gut macht.
"Meine Industriestrategie hat diese Diskussion mit ausgelöst"
Heinemann: Kritik aus den eigenen Reihen ist ja nicht unbedingt alltäglich. "Merz im Nacken" titelte gestern die Süddeutsche Zeitung. Heute Abend treten Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz zusammen auf. Sägt ein Parteifreund an Ihrem Stuhl?
Altmaier: Ich habe nicht den Eindruck, dass innerhalb der Partei gesägt wird, sondern ich habe die ganz bestimmte Auffassung, dass wir in den letzten Monaten in Deutschland schwierige politische Debatten hatten, auch innerhalb der CDU. Es hat einen Führungswechsel gegeben mit knappen Mehrheiten. Und dass dann im Nachgang darüber Diskussionen geführt werden, das ist eigentlich ein Normalfall von Demokratie. Dass ein Minister nicht sakrosankt ist, sondern dass man auch den kritisieren darf, auch das gehört zur Demokratie. Mir ist es zehnmal lieber, ich werde wegen meiner Auffassungen oder wegen meiner Handlungen kritisiert, als dass sich niemand für Wirtschaftspolitik interessiert. Es ist schon lange nicht mehr so viel über Wirtschaftspolitik diskutiert worden und das halte ich mir auch ein Stück weit zugute, weil meine Industriestrategie diese Diskussion mit ausgelöst hat.
Heinemann: Herr Altmaier, ist es Zufall, dass diese Kritik im Herbst der Ära Merkel geäußert wird, in der Sie wichtige Funktionen innehaben und innehatten?
Altmaier: Noch einmal: Kritik ist der Normalfall der Demokratie und deshalb ist es auch gut, wenn man sich als Betroffener nicht zu jedem einzelnen Punkt äußert, außer wenn es um sachliche Richtigstellung geht. Im Übrigen haben sehr viele in CDU und CSU, sowohl führende Leute wie Kolleginnen und Kollegen, die weniger in führenden Positionen sind, mir ihre Unterstützung zum Ausdruck gebracht, einige auch öffentlich. Das hat mich sehr gefreut. Aber wir dürfen auch bei all diesen Debatten nicht vergessen, dass wir wichtige inhaltliche Fragen zu lösen haben, den Ausbau der Stromnetze beispielsweise, bezahlbare Energiepreise. Das sind die Herausforderungen für die nächsten Monate.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.