In Deutschland leiden rund 1,8 Millionen Menschen an einer Form von Demenz, Tendenz steigend. Die häufigste und extremste Demenzerkrankung ist Alzheimer, auch Alzheimer-Demenz oder Morbus Alzheimer genannt. Weil dort Nervenzellen absterben, werden Menschen mit Alzheimer zunehmend vergesslich, verwirrt und orientierungslos. Meistens treten auch Symptome wie Persönlichkeits- und Verhaltensänderungen auf.
Aufmerksamkeit erregt in der Alzheimer-Forschung aktuell der Wirkstoff Lecanemab, der den Gedächtnisverlust von Betroffenen verlangsamen könnte. Erstmals hat die US-Arzneimittelbehörde FDA im Januar 2023 ein Medikament mit Lecanemab als Wirkstoff zugelassen: Leqembi von den Pharmaunternehmen Eisai und Biogen. Auch in Deutschland soll eine Zulassung von Leqembi überprüft werden, dies könnte aber noch Monate dauern.
Wie ist der Stand der Forschung, welche Therapien gibt es bisher?
Alzheimer gilt bis heute als unheilbar. Bisher konnten nur die Symptome und Beschwerden gelindert werden. Dazu wurden bisher medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapien kombiniert eingesetzt.
Nun könnte es erstmals auch ein Medikament geben, das den geistigen Abbau im Gehirn verlangsamen kann. Die Pharmaunternehmen Eisai (Japan) und Biogen (USA) deuteten Ende September 2022 in einer Pressemitteilung an, dass ihr Wirkstoff Lecanemab den Gedächtnisverlust der Betroffenen bremsen könnte. Die Ergebnisse der Zulassungsstudie bestätigten das. Forscher wie Frank Jessen, Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Alzheimerforschung, sprechen von einem "historischen Meilenstein in der Alzheimer-Forschung."
In der Studie wurden gut 2.000 Probanden mit noch milden Symptomen mit Lecanemab behandelt. Sie hatten nach 18 Monaten fast 30 Prozent weniger Gedächtnis- und Funktionsverlust im Vergleich zu denjenigen, die ein Placebo erhielten. Erhoben wurde das mit einem Fragebogen, der nicht nur die Gedächtnisleistung abfragt, sondern auch, wie gut die Betroffenen Probleme lösen können, ob sie sich noch orientieren können und ob sie noch im Alltag alleine zurechtkommen können.
Neben Lecanemab wurden auch die Antikörper Aducanumab und Gantenerumab lange als erfolgsversprechend gehandelt und in klinischen Studien auf ihre Wirksamkeit geprüft – konnten sich dabei allerdings nicht behaupten. Bereits im Juni 2021 wurde in den USA der monoklonale Antikörper Aducanumab in einem beschleunigten Verfahren zugelassen, seit April vermarktet der Hersteller Biogen den Wirkstoff aber nicht mehr. Der medizinische Nutzen ist nicht bewiesen, die meisten Krankenversicherungen in den USA wollten die Kosten für die Behandlung daher nicht übernehmen. Der Antikörper Gantenerumab der Firma Roche wiederum konnte bereits in den entscheidenden Phase-III-Studien keine signifikante klinische Wirksamkeit erreichen.
Was könnte das neue Medikament mit dem Wirkstoff Lecanemab bewirken?
Ein Medikament mit dem Wirkstoff Lecanemab könnte das erste sein, das in die Prozesse im Gehirn eingreift, die Forscherinnen und Forscher als ursächlich für Alzheimer ansehen, und das erste, das den fortschreitenden Gedächtnisverlust aufhalten kann.
Humanbiologin Linda Thienpont vom Verein Alzheimer Forschungsinitiative betonte allerdings, dass das Medikament für viele Forscherinnen und Forscher zwar ein Durchbruch sei, für Betroffene aber keine Heilung, sondern bestenfalls eine leichte Verzögerung im Krankheitsverlauf bedeute.
Dem stimmt auch Frank Jessen, Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Alzheimerforschung, zu: "Es handelt sich nicht um ein heilendes Medikament, oder ein Medikament, das die Krankheit vollständig zum Stillstand bringt. Die Krankheit und die Symptome schreiten weiter fort, aber deutlich verlangsamt." Das sei allerdings auch eine realistische Erwartung an ein Medikament, da die Alzheimer-Erkrankung äußerst komplex sei. "Jedes Medikament, was nur einen pathologischen Mechanismus adressiert, wird keine stärkeren Effekte erzielen. Diese erzielt man nur mit einer Kombination von Behandlungen."
Die Schwere von Demenz-Erkrankungen wurde in der Studie auf einer Skala von 1 bis 18 angegeben, auf der Patienten unter anderem nach ihren Ergebnissen in Gedächtnistests eingeordnet wurden. Menschen, die innerhalb der Studie Lecanemab bekamen, büßten auf der Skala innerhalb von 18 Monaten 1,21 Punkte ein – die Krankheit schritt also weiter voran. Die Menschen in der Kontrollgruppe der Studie, also die Patienten, die kein Lecanemab bekamen, hatten nach 18 Monaten allerdings 1,66 Punkte verloren. Lecanemab konnte das Fortschreiten der Krankheit also um etwa ein Drittel verlangsamen. Im Durchschnitt. Experten gehen davon aus, dass das Mittel je nach Patient sehr unterschiedlich gut wirkt.
Wie wirkt Lecanemab und welche Nebenwirkungen gibt es?
Lecanemab ist ein Antikörper. Bei Alzheimer-Betroffenen finden sich im Gehirn Ablagerungen eines speziellen Eiweißes, das Amyloid-ß. Viele Wissenschaftler sehen in diesem Amyloid-ß die Ursache für die Symptome der Betroffenen. Der künstliche Antikörper Lecanemab markiert dieses Amyloid. Daraufhin kann das Immunsystem das Amyloid angreifen und "wegräumen". Das Prinzip ist nicht ganz neu. Seit Anfang der 2000er-Jahre wird daran geforscht, und viele Antikörper-Medikamente wurden schon in Studien geprüft.
Die Sicherheit der Behandlung müsse in längeren Studien weiter untersucht werden, schreiben die Forschenden. Es scheint ein Risiko für lebensgefährliche Hirnblutungen und -schwellungen zu geben. Bei zwei Todesfällen in der Studie besteht zumindest der Verdacht, dass die Behandlung die Ursache war. Zwei Tage vor der Präsentation der Daten erschien im Fachjournal „Science“ ein Beitrag über einen Todesfall, der ursächlich auf die Therapie mit Lecanemab zurückgehen soll. Nebenwirkungen wie die Veränderung der Durchlässigkeit der kleinen Hirngefäße kennt man bereits von anderen Antikörper-Medikamenten.
Für wen wäre das Medikament geeignet?
Wie so oft gilt: Je früher man behandelt, desto wirksamer ist das Medikament. Es ist vor allem für Betroffene mit noch milden Symptomen geeignet, erklärt Frank Jessen, Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Alzheimerforschung: "Es geht um ein spezielles Krankheitsstadium, was im Verlauf der Erkrankung drei bis vier Jahre ausmacht bei einem symptomatischen Verlauf, der insgesamt zehn bis 15 Jahre dauert. Also nur für eine kleine Gruppe in einem sehr frühen Stadium der Erkrankung." Zudem gebe es Ausschlusskriterien wie zum Beispiel Blutgerinnungsstörungen, an denen viele alte Menschen leiden. "Wenn man es weiter herunterbricht, kommt nur ein Bruchteil der Patienten für diese Therapie infrage."
Wann könnte Leqembi auf den Markt kommen?
Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat Anfang Januar 2023 ein Medikament mit dem Wirkstoff Lecanemab zugelassen. Das von den Unternehmen Eisai und Biogen entwickelte Medikament mit dem Namen Leqembi wird von der US-Behörde für die Anwendung bei Patienten empfohlen, bei denen die neurodegenerative Krankheit in einem frühen Stadium ist. Biogen und Eisai planen auch Zulassungsanträge für dieses Medikament in Europa und Japan.
Selbst wenn das Medikament Leqembi in Europa zugelassen werde, stelle sich in Deutschland noch die Frage nach der Kostenerstattung, erklärt Frank Jessen vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Bei einer Behandlung mit Antikörpern komme es zu fünfstelligen Jahres-Behandlungskosten. In den USA soll Leqembi zu einem jährlichen Preis von zunächst 26.500 Dollar verfügbar sein, wie der Medikamenten-Hersteller Eisai erklärte.
Um die Erkrankung spürbar aufzuhalten, braucht man sehr wahrscheinlich mehrere Wirkstoffe, die an unterschiedlichen Stellen in dem Krankheitsprozess angreifen. Das wiederum wird noch Jahrzehnte dauern und ist sehr kostenintensiv. Die Entwicklung der Therapien ist extrem teuer und kann um die 800 Millionen Dollar kosten, schätzt Hans-Ulrich Demuth, Berater des Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie. Bei einer Kombinationstherapie müsse man zudem erst beide Medikamente entwickeln, das sei ein extrem teures Unterfangen.
Quellen: Lukas Kohlenbach, Science Media Center, Alzheimer Forschung Initiative, bmfsfj, AFP, og, pto