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Alzheimer
Wenn der Mensch sich selbst vergisst

Alzheimer ist eine der häufigsten Demenzerkrankungen. Sie zählt zu den neurodegenerativen Erkrankungen, die meistens bei Personen nach dem 65. Lebensjahr auftritt. Heilungsmethoden gibt es bisher nicht, wohl aber Wege und Mittel, um der Krankheit vorzubeugen beziehungsweise ihren Verlauf zu verlangsamen.

Von Andrea Westhoff | 11.06.2019
Der Hinterkopf einer alten weißhaarigen Frau, die ihren Kopf auf die linke Hand stützt.
Der Mediziner Alois Alzheimer dokumentierte ab 1901 die Krankheit (dpa/Patrick Pleul)
Am 25. November 1901 bringt ein verzweifelter Ehemann seine Frau in die Städtische Anstalt für Irre und Epileptische in Frankfurt am Main. Der diensthabende Arzt Alois Alzheimer nimmt sie auf.
"Wie heißen Sie?" – "Auguste." – "Familienname?" – "Auguste." – "Wie heißt Ihr Mann?" – "Ich glaube Auguste."
Der Befund scheint eigentlich klar: "Dementia" – komplette geistige Verwirrung. Allerdings kennt der Arzt so etwas bisher nur bei über 70-jährigen Patienten. Auguste Deter aber ist erst 51. Alois Alzheimer protokolliert in den nächsten vier Jahren ihren Leidensweg, meist in Dialogform. Damit liefert er nicht nur die Vorlage für ein späteres Theaterstück und Hörspiel, sondern vor allem eine genaue Beschreibung dieser neurologischen Störung, die deshalb seinen Namen bekommt.
Heute die häufigste Demenzform
Doktor Arnim Quante, Gerontopsychiater und Leiter der Gedächtnissprechstunde an der Friedrich-von-Bodelschwingh-Klinik in Berlin, hat täglich mit Patienten wie Auguste D. zu tun. Denn die Alzheimersche Krankheit ist heute die häufigste Demenzform.
"In erster Linie bemerken die Patienten Gedächtnisstörungen, insbesondere das Kurzzeitgedächtnis ist da betroffen, das heißt, die Patienten können sich nicht gut merken, was sie beispielsweise vor ein paar Stunden gemacht haben, es kommen dann im Verlauf der Alzheimer-Erkrankung aber noch weitere Störungen hinzu, zum Beispiel Störungen der zeitlichen Orientierung, dann kommt die örtliche Desorientierung hinzu, dann irgendwann auch die Orientierung zur Situation und zur Person selbst, bevor dann im weiteren Verlauf neurologische Symptome hinzukommen können, wie zum Beispiel Apraxie, sie wissen nicht mehr genau, wie sie was zu benutzen haben, bis hin dann ganz am Ende zu einer Bettlägerigkeit."
Im allgemeinen Sprachgebrauch gilt Alzheimer vor allem als "Krankheit des Vergessens". Deshalb sind viele beunruhigt, wenn sie bei sich oder Angehörigen häufiger Schusseligkeiten oder Erinnerungslücken bemerken:
"Man muss klar sagen: wir alle sind mal vergesslich. Egal in welchem Alter, wir vergessen mal irgendwas, wenn man einkauft, dann hat man ein Produkt vergessen, obwohl man’s auf jeden Fall haben wollte, das ist erst einmal nicht pathologisch."
Auch eine mit dem Alter zunehmende Vergesslichkeit ist "normal", betont Arnim Quante. Anzeichen einer beginnenden Alzheimer-Demenz sind eher bestimmte Verhaltensweise, die im Zusammenhang mit Gedächtnisstörungen auftreten.
"Die Patienten fragen häufiger nach, obwohl man diese Antwort schon häufiger gegeben hat, es werden Dinge verlegt, hinzu kommt, dass auch Gegenstände falsch irgendwo hingelegt werden, Schmuck in den Kühlschrank, solche Dinge sind dann schon auffälliger, und die bedürfen dann einer spezifischen weiteren Diagnostik."
Diagnose der genauen Demenzform ist wichtig
Dafür sollten Betroffene, am besten mit Angehörigen, eine der "Gedächtnissprechstunden" aufsuchen, die es in vielen Kliniken gibt. Denn zusätzlich muss eine Alzheimer-Erkrankung auch von anderen Demenzformen abgegrenzt werden:
"Bei anderen Demenzformen sieht man insbesondere auch so etwas wie Enthemmtheit, Aggressivität, die natürlich extrem schwer zu handhaben sind.
Wir gucken uns genau an, welche Domänen im Augenblick bei dem Patienten vornehmlich gestört sind, ist es eher das Gedächtnis, ist es eher die Persönlichkeit oder sind es gar Symptome wie Halluzinationen oder wahnhafte Symptome, die man auch bei einigen anderen Demenzformen häufiger als erstes feststellen kann, das zweite ist, dass wir in der Regel auch eine ausführliche neuropsychologische Testung anbieten, wo man gut beurteilen kann, ob das eine Alzheimer-Demenz ist oder eine andere Demenzform, und, was auch noch hinzukommt, ist, dass wir mittlerweile Biomarker zur Verfügung haben, das heißt, wir können mit einer Nervenwasseruntersuchung feststellen, ob bestimmte Proteine erhöht oder erniedrigt sind, um dann noch einmal spezifisch im Sinne einer Alzheimer-Demenz zu diagnostizieren."
Ursache ist bis heute noch nicht genau erkannt
Die Ursache dieser Krankheit kennt man auch mehr als 100 Jahre nach Alois Alzheimers Entdeckung noch nicht genau:
"Wir haben einmal die Amyloidplagues, das sind Proteine, die sich ablagern in spezifischen Hirnregionen, und wir haben auch einen Nervenzerfall, der nicht unbedingt spezifisch ist für die Alzheimer-Demenz, aber den 100prozentigen Mechanismus, was jetzt wirklich dafür verantwortlich ist, den haben wir bisher noch nicht finden können."
Deshalb ist auch noch keine Heilung in Sicht. Allerdings kann jeder das Risiko senken, an einer Demenz zu erkranken, betont Armin Quante.
"Dazu gehört eine gesunde Lebensweise, eine gesunde Ernährung, weiterhin sportliche Aktivität, kein Übergewicht; wenn wir so was wie einen Bluthochdruck haben oder Diabetes Mellitus, dass die auch gut eingestellt sind, auch Hobbys gehören dazu, also soziale Kontakte sind auch tatsächlich prophylaktische Maßnahmen, die dazu beitragen können, das Risiko zu minimieren."
Arzneimittel-Therapie kann Erkrankung zu Beginn verlangsamen
Es gibt inzwischen auch eine Arzneimittel-Therapie, die bei Krankheitsbeginn durchaus wirksam ist,
"Die allerdings nicht dazu führen kann, dass die Alzheimer-Demenz rückläufig ist, aber sie kann dazu führen, dass die Progression der Alzheimer-Demenz etwas abgemildert wird, was durchaus auch schon in der Alltagsaktivität sehr relevant sein kann."
Auch vom so genannten "Gehirnjogging" ist immer wieder die Rede. Verhindern kann das die Erkrankung nicht, wohl aber den Verlauf günstig beeinflussen, sagt der Leiter der Gedächtnissprechstunde der Berliner Friedrich-von-Bodelschwingh-Klinik:
"Das gehört mit in diese kognitive Stimulationstherapie, das sind auch solche Gehirnjoggingspiele, die wir zum Beispiel in Gruppentherapien anbieten, wo man ganz viele Tiere benennen muss und so weiter, was einfach das Gehirn, das Denken wieder anregt und das hilft tatsächlich vielen Patienten."
Musiktherapie kann Krankheitsverlauf positiv beeinflussen
Sehr hilfreich und anerkannt ist auch die Musiktherapie. Dr. Dorothea Muthesius bildet entsprechende Fachkräfte aus und hat selbst viele Jahre Erfahrung in der Arbeit mit Alzheimer-Patienten.
"Ich setze mich zu ihnen, in der Regel mit einer Gitarre in der Hand, und fange an zu singen, oder jemand aus der Gruppe fängt schon gleich an zu singen, weil, die Gitarre als Symbol für gemeinschaftliches Singen so aus der Jugend, an der werde ich auch erkannt, also ich werde als Person nicht mehr erkannt, sondern sie sehen meine Gitarre und sagen: "aha, jetzt ist Musik. In der Regel sind die Alltagskompetenzen ja ziemlich durcheinander geraten und sie erleben Minute für Minute, was alles nicht klappt, und beim Singen erleben sie halt sofort, "ja doch, das geht noch."
Die Musiktherapie tut manchmal auch den Angehörigen gut, etwa wenn Demenzkranke sich plötzlich durch eine Melodie wieder an Stationen ihres Lebens oder an ihren Partner erinnern; manche singen voller Freude mehrstrophige Lieder, obwohl sie ansonsten keinen zusammenhängenden Satz mehr sprechen. Warum das so ist, kann die Wissenschaft bislang nur vermuten. Dr. Armin Quante.

"Beim typischen Alzheimerpatienten ist das Altgedächtnis in der Regel auch noch erhalten, das heißt alles, was sie früher mal gelernt haben und mit besonders viel Freude assoziiert war, das bleibt tatsächlich am ehesten erhalten, und Musik ist in der Regel, so sollte es sein, mit Freude einhergehend, deswegen sind diese Erinnerungen wahrscheinlich eher abrufbar für diese Patienten."