Laurent Gbagbo: "Es ist unerlässlich, dass beide, Sieger und Verlierer, das Wahlergebnis akzeptieren. Wenn sie das nicht tun, was wird dann aus der Elfenbeinküste? Wir können unserem Vaterland doch keinen Holocaust hinterlassen!"
Laurent Gbagbo Ende November 2010 - in einer Fernsehdebatte vor der Stichwahl gegen seinen Widersacher Alassane Ouattara. Was so versöhnlich klingt, so demokratisch, ist in Wahrheit ein böses Omen. Denn schon damals ist klar: Gbagbo wird auf jeden Fall Präsident der Elfenbeinküste bleiben – ob das Wahlergebnis es hergibt, oder nicht. Gbagbo und Ouattara geben im TV-Duell die Rollen der Gentlemen. Man duzt sich, schüttelt lange die Hände, lächelt in die Kameras. Doch in den Hosentaschen gehen die Messer auf. Beide scheinen es zu ahnen: Diese Wahl würde der letzte Akt ihres absurden politischen Theaters sein. Dieser Akt würde mit Demokratie nicht viel zu tun haben, sondern ein blutiges Ende nehmen. Der endgültige Kampf um die Macht würde gnadenlos werden - und könnte die Elfenbeinküste, die Côte d'Ivoire, samt ihrer Bevölkerung in den Abgrund reißen.
Vier Monate später ist es soweit.
Wahlsieger Ouattara muss als erster Präsident der Geschichte des Landes sein Amt militärisch erkämpfen. Muss mit seinen Truppen das Land von Nord nach Süd erobern, den Präsidentenpalast in Abidjan angreifen.
Ouattara: "Liebe Landsleute, wir steht am Scheideweg. Meine Republikanischen Kräfte haben die Aufgabe, die Bevölkerung gegen die Milizen von Laurent Gbagbo zu verteidigen und das Ergebnis der Präsidentschaftswahl durchzusetzen. Gemeinsam müssen wir Frieden schaffen – es lebe die Republik, es lebe die Elfenbeinküste, Gott segne unser Land."
Wahlverlierer Gbagbo sitzt währenddessen in einem Bunker und verteidigt sich mit schwerer Artillerie – bereit, mit der Macht unterzugehen. Denn er, der Sozialist, der Geschichtsprofessor, der erbitterte Feind der Ex-Kolonialmacht Frankreich, sieht sich als rechtmäßiger Präsident. Als einzig wahre Verkörperung der ivorischen Nation. Seit mehr als zehn Jahren hält er sich im Amt. Kritiker nennen Gbagbo den Bäckermeister, der die Opposition und die gesamte internationale Gemeinschaft im Mehl rollt, bis sie nicht mehr klar sehen können – seit dem Jahr 2000 hat diese Strategie bestens funktioniert. Die Wahlen von 2005 zögert er hinaus - bis er schließlich doch noch gegen seinen Erzrivalen Ouattara antreten muss.
30. November 2010, drei Tage nach der Stichwahl: Am Sitz der Wahlkommission in Abidjan kommt es zu surrealen Szenen: Als der Vorsitzende der Wahlkommission Teilergebnisse verkünden will, unterbricht ihn ein Vertreter Gbagbos. Und zerreißt die Dokumente. Vor Journalisten und laufenden Kameras.
Wenige Tage danach verbreiten ausländische Radio- und Fernsehsender folgende Nachricht in Windeseile:
"Das sind 54,1 Prozent der Stimmen"
54,1 Prozent der Stimmen entfallen auf Alassane Ouattara - mit diesen Worten spricht der Chef der Unabhängigen Wahlkommission dem damaligen Oppositionsführer Ouattara den Wahlsieg zu. Doch Gbagbo ruft das Verfassungsgericht an, dessen Chef ist sein Freund. Paul Yao Ndre. In einer live im Fernsehen verlesenen Erklärung erklärt er Gbagbo zum Wahlsieger. Als Grund nennt er Unregelmäßigkeiten bei der Wahl im Norden des Landes – wo Ouattara seine Hochburgen hat.
"Es ist allein das Verfassungsgericht, das die Zuständigkeit hat, über die umstrittenen Ergebnisse zu urteilen."
Der Freund des Präsidenten Gbagbo dreht das Wahlergebnis einfach um. Die Vereinten Nationen bezeichnen Ouattaras Wahl ungeachtet der Widersprüche aber als korrekt. Rinaldo Depagne, Experte der International Crisis Group, hält die Pro-Gbagbo-Entscheidung für einen Angriff auf demokratische Grundprinzipien und weist auf die Abhängigkeit des Obersten Juristen des Landes hin.
"Der Präsident des Verfassungsgerichts ist vom Präsidenten der Republik ernannt worden. Das ist doch unglaublich!"
Mit Gbagbos erzwungenem Wahlsieg werden die schlimmsten Befürchtungen wahr. Ouattaras Lager spricht noch am selben Abend von einem Putsch des Präsidenten. In Abidjan kommt es zu wütenden Protesten. Doch Gbagbo lässt sich als Staatschef vereidigen. Auch Ouattara leistet den Amtseid als Präsident. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gratuliert ihm zum Erfolg. Weil Gbagbo den Präsidentenpalast nicht räumen will, macht Ouattara das Hotel du Golf an der Lagune von Abidjan zu seinem provisorischen Regierungssitz. Blauhelme der 10.000 Mann starken UN-Mission ONUCI müssen Ouattara, den international anerkannten Wahlsieger, vor Gbagbos Militär schützen. Ein Land – zwei Präsidenten. Zwei machthungrige Politiker.
Es folgen vier dramatische Monate. Vermittler kommen und gehen, geben sich bei Gbagbo und Ouattara die Klinke in die Hand. Doch die Fronten sind verhärtet. Gbagbo fordert eine Neuauszählung der Stimmen, Ouattara und bald die ganze Welt verlangen Gbagbos Rückzug. Auch wenn die Afrikanische Union in der Frage gespalten ist – in Addis Abeba stärkt sie Ouattara den Rücken.
Ouattara: "Die Afrikanische Union hat bestätigt, dass ich der rechtmäßige Sieger der Präsidentschaftswahl in der Elfenbeinküste bin. Und sie hat mich gebeten, eine Regierung zu bilden, die beide Lager miteinander versöhnt – und die Laurent Gbagbo einen ehrenhaften Abgang ermöglicht."
Doch Gbagbo klebt an der Macht. EU und UNO verhängen Sanktionen, die USA, die Schweiz, Frankreich, Deutschland – sie frieren Gbagbos Konten ein, sprechen Reiseverbote aus. Die Westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS droht, Gbagbo notfalls mit Gewalt zu vertreiben. Doch all das bleibt folgenlos. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die Elfenbeinküste längst in einer Sackgasse. Hoffnungen, Gbagbo könne wegen der Sanktionen bald das Geld ausgehen, erfüllen sich nicht. Die Diplomatie ist am Ende.
Februar 2011. Der Einpeitscher auf der Bühne ist in seinem Element - Charles Blé Goudé, der Chef der Gbagbo treu ergebenen Jungen Patrioten. Zehntausende sind seinem Aufruf gefolgt – und melden sich freiwillig zur Armee. Sie lassen sich den Kopf kahl rasieren. Sie wollen für Gbagbo kämpfen, verlangen Waffen. Sofort. Um die Elfenbeinküste von einem "Banditen" zu befreien. "Wir werden den Tyrannen töten", singen sie - gemeint ist Alassane Ouattara.
Tag für Tag, Nacht für Nacht spielen sich in der Wirtschaftsmetropole Abidjan nun grauenhafte Szenen ab. Hunde fressen Leichen an, die nicht beerdigt werden können - wegen der Gemetzel zwischen Gbagbos Armee und Ouattara-treuen Milizen. Beide Seiten verbrennen Gefangene bei lebendigem Leib. Im Viertel Abobo werden sieben Frauen von Gbagbos Truppen erschossen. Zu Hunderten hatten die Frauen friedlich für Ouattara demonstriert.
März 2011. Während die Lage in Abidjan außer Kontrolle gerät, schlagen sich die Rebellen aus dem Norden auf Ouattaras Seite. Sie nennen sich jetzt die "Republikanischen Kräfte der Elfenbeinküste". In einem blitzkriegsartigen Feldzug erobern sie die Hauptstadt Yamoussoukro und strategisch wichtige Städte im Westen und im Süden des Landes. Wenige Tage später stehen Ouattaras Truppen vor Abidjan. Mit dem blutigen Endkampf um die Macht ist die Elfenbeinküste auf dem absoluten Tiefpunkt ihrer Geschichte angekommen.
Ein tiefer Riss geht durchs Land. Dabei sollte die lang ersehnte Wahl genau diese Spaltung überwinden. Seit Gbagbos umstrittener Wahl im Jahr 2000 hatte es keine Präsidentschaftswahl mehr gegeben. 2002 hatten Teile der Armee gegen Gbagbo einen Putschversuch unternommen, danach war die Elfenbeinküste in einen Bürgerkrieg abgeglitten. Erst 2007 wurde ein Friedensvertrag unterzeichnet – doch der Entwaffnungsprozess wurde nie abgeschlossen. Gbagbo regierte im Süden, die Rebellen der Forces Nouvelles im Norden. Dieselben Rebellen übrigens, die in diesen Tagen Gbagbo in Abidjan unter Beschuss nehmen. Die Elfenbeinküste blieb faktisch geteilt – und die Köpfe der Menschen waren vergiftet von der Ideologie der "Ivoirité".
Das Konzept stammt aus den 90er-Jahren – und wer gerade an der Macht war, bediente sich dieses Konzepts, der Spaltung der Bevölkerung in sogenannte "echte Ivorer" und andere Ethnien. Dabei war die Elfenbeinküste seit Jahrzehnten auf Immigranten aus nördlichen Nachbarländern wie Burkina Faso, Mali, Niger angewiesen – die wichtigsten Arbeitskräfte in den Kakaoplantagen. Doch mit dem Konzept der Ivoirité wurden Hunderttausende zu Bürgern zweiter Klasse. Auch Alassane Ouattara – selbst Moslem – und Hoffnungsträger des Nordens.
Ouattara: "Wissen Sie, diese Frage der Identität hat die Elfenbeinküste in die Katastrophe getrieben. Sie hat zu Mord und Totschlag geführt, es gab Massaker im Namen der Nationalität! Die Menschen sind lange Zeit absolut ungleich behandelt worden. Das hat zum Staatsstreich geführt, zur Rebellion des Nordens, zum Bürgerkrieg. All das sollte uns eine Lehre sein, damit wir den Hass in dieser Gesellschaft endlich eindämmen, diese Diskriminierung, die zu so großen Spannungen geführt hat."
Ouattara hat das am eigenen Leib erfahren. Im Jahr 2000 wurde der frühere Ministerpräsident und Karriere-Ökonom des Internationalen Währungsfonds gar nicht erst zur Präsidentschaftswahl zugelassen – weil er nicht als Ivorer galt. Dabei konnte sich die Elfenbeinküste, die Côte d'Ivoire, dieses gefährliche ethnische Spiel nie leisten. Das ehemalige Musterland, der einstige Wirtschaftsmotor Westafrikas, sei heute schlimmer dran als jemals zuvor, findet Patrick N'Gouan vom Netzwerk der Zivilgesellschaftlichen Gruppen in Abidjan.
"Von insgesamt 50 Jahren Unabhängigkeit hatten wir 20 gute Jahre, aber danach 30 schlechte. Die großen Löcher von heute können wir mit dem bisschen Wachstum gar nicht stopfen. Die Politiker glauben, sie können die Menschen noch eine Weile hinhalten, aber das wird nicht mehr lange gut gehen."
Dabei ist die Côte d'Ivoire der größte Kakaoproduzent der Welt und damit der wichtigste Lieferant für die Schokoladenindustrie, das Land liefert mehr als ein Drittel des gesamten Weltbedarfs an Kakao - ein Viertel der 20-Millionen-Bevölkerung lebt vom Anbau. Doch niemand weiß, was mit den enormen Steuereinnahmen aus dem Kakaogeschäft geschieht – angeblich sind sie in den Bildungssektor geflossen. Ein Blick auf die marode Universität oder die Schulen von Abidjan beweist das Gegenteil.
Die internationale Gemeinschaft und vor allem die alte Kolonialmacht Frankreich hatten immer ein politisches und vor allem ein wirtschaftliches Interesse an einer friedlichen Elfenbeinküste. Stabilität war die Grundlage für Geschäfte mit der Ex-Kolonie. Im Dezember 2009 erließ Frankreichs Botschafter der Elfenbeinküste noch 330 Millionen Euro Auslandsschulden. Gleichzeitig bekannte die EU sich erneut dazu, den Friedensprozess weiter zu finanzieren. Ein dicker Batzen, denn mit noch einmal knapp 300 Millionen Euro leistete sich die Elfenbeinküste die teuersten fremdfinanzierten Wahlen der Welt.
"Die EU ist einer der ganz wenigen Partner, die vor, während und nach der schweren Krise der Elfenbeinküste treu geblieben sind. Wir haben alles finanziert – von den ersten humanitären Einsätzen bis zum Wahlprozess."
Michel Arion, Vertreter der EU-Komission in der Côte d'Ivoire, war noch unmittelbar vor der Stichwahl 2010 optimistisch, dass das Land nun auf einem guten Weg sei.
Doch all das ist jetzt Makulatur – die Wahlen, die Diplomatie, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. April 2011. Ouattaras Truppen greifen Gbagbos Stellungen in Abidjan an. Der rechtmäßige Präsident, der feine Aristokrat aus dem edlen westafrikanischen Königshaus Wattara, längst ist er zum Machtmenschen geworden, nun wird er zum Kriegsherren.
An den Kämpfen beteiligen sich nun auch die UN-Mission ONUCI sowie Soldaten der französischen Licorne-Einheit, die schon seit dem Bürgerkrieg im Land ist. Die Afrikanische Union und auch UN-Mitglieder wie Russland und Südafrika haben kritisiert, dass für einen solchen Angriff die rechtliche Grundlage fehle. Im Namen von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verteidigt sein Sprecher Michel Bonnardeaux das Eingreifen mit dem Schutz von Zivilisten. Und betont, die Vereinten Nationen würden in dem Konflikt keine Partei ergreifen.
"Wir haben unsere Kampfhubschrauber eingesetzt, um Gbagbos schwere Waffen auszuschalten – denn damit haben seine Truppen die UN-Mission und die Zivilbevölkerung angegriffen. Der Sicherheitsrat hat ja vor ein paar Tagen die Resolution 1975 verabschiedet, und da hat er die UN-Mission ermächtigt, alles zu tun, um die Zivilbevölkerung zu schützen und Gbagbos Waffenarsenal zu zerstören."
Andreas Mehler vom GIGA-Institut für Afrikastudien befürchtet, dass die Internationale Gemeinschaft gerade sehr viel politisches Porzellan zerschlägt – politisch und militärisch. Auch wenn sie nur ihrer eigenen Strategie der Demokratisierung gefolgt ist.
"Es ist auch wirklich eine sehr radikale Position der UN. Man muss das in dem Kontext sehen, dass im Friedensprozess die UN eine bestimmte Rolle hatte, also verschiedene, aber nur einen Teil davon erfüllen konnte. Also, die Peacekeeper waren nicht gerade stark darin, Sicherheit für die Bevölkerung zu schaffen und vor allem auch Rebellen und Gbagbo-treue Milizen zu entwaffnen. Das ist komplett unterblieben, während die Wahlvorbereitung, wenn auch verspätet, schließlich Fortschritte gemacht hat.
Beides war eigentlich nur parallel zu denken, Wahlen ohne die Entwaffnung, das war ein Riesenrisiko, wie man heute ganz deutlich sieht. Und die Wahlvorbereitung, das bedeutete, dass man auch die Wahlkommission unterstützt. Die hat bestimmte Ergebnisse mitgeteilt, die Ouattara vorne sehen, und es war für die UN so gut wie unmöglich, was anderes zu tun, als diese Ergebnisse für richtig zu halten. Ich sage nicht, dass sie falsch sind, aber wenigstens war man hier gleichzeitig Schiedsrichter und Partei, und so ist man es auch geblieben. Also, man kann heute sagen, die UN ist nicht unparteiisch in diesem Konflikt."
Gbagbos Lager wittert schon lange ein Komplott gegen den Ex-Präsidenten, geführt von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und den USA. Die UNO sei nur ein Handlanger französischer Interessenpolitik. Die Angriffe sind Wasser auf Gbagbos Propagandamühlen. Schließlich wurden nicht nur Militäreinrichtungen bombardiert, sondern auch die Residenz von Gbagbo - und sein Präsidentenpalast. Schon früher hatte Gbagbo Ouattara vorgeworfen, eine bloße Marionette des Westens, und insbesondere Frankreichs zu sein.
Keine guten Bedingungen für Ouattara, der zumindest im Süden des Landes gegen eine ihm feindlich gesinnte Bevölkerungsmehrheit regieren muss. Wenn Gbagbo aufgibt, dann übernimmt Ouattara die Präsidentschaft unter den schlimmsten Voraussetzungen.
Unterdessen versinkt die Elfenbeinküste in einem Sumpf von Gewalt, der weit schlimmere Ausmaße hat als der Bürgerkrieg des letzten Jahrzehnts. In Abidjan werden Geschäfte geplündert, in vielen Vierteln gibt es weder Wasser noch Strom, in den Straßen liegen Leichen. Die Krankenhäuser könnten kaum noch arbeiten, berichtet dieser Arzt aus dem Stadtteil Treichville:
"Wir haben sehr viele Verletzte, man stapelt sie auf Pritschenwagen und bringt sie zu uns. Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Es gibt keine Medikamente, es fehlt uns an allem, wir haben nicht einmal mehr Alkohol, um Wunden zu desinfizieren. Und die vielen Toten, die können wir gar nicht mehr zählen."
Das Leid der Menschen in der Elfenbeinküste ist noch lange nicht vorbei. Eine Million sind auf der Flucht, die UNO spricht von einer absolut dramatischen humanitären Lage. Hilfsorganisationen berichten von Massakern im Westen der Elfenbeinküste. In den letzten Wochen sollen dort bis zu tausend Menschen getötet worden sein - darunter Frauen und Kinder. Guillaume Ngefu – Menschenrechtsbeauftragter der UN-Mission:
"Wir sind im Kriegszustand, in einer Situation, in der keines der beiden Lager mehr die Menschenrechte achtet. Diese Gräueltaten werden nicht ungestraft bleiben. Die Machthaber auf beiden Seiten müssen ihren Truppen Einhalt gebieten, sonst werden sie dafür zur Verantwortung gezogen."
Die Vereinten Nationen erheben bittere Vorwürfe - gegen Gbagbo, aber auch gegen Ouattaras Truppen. Seine Soldaten seien schuld an einem Großteil der Opfer. Ouattara, der international anerkannte Präsident der Elfenbeinküste zahlt schon jetzt einen hohen Preis für die Macht, die er noch immer nicht hat – sein Image als Saubermann und Befreier ist schwer beschädigt, noch bevor er im Präsidentenpalast einziehen kann. Und dann beginnt für Ouattara erst seine eigentliche, fast unlösbare Aufgabe: Ein Land zu versöhnen, das noch immer an den Folgen eines Bürgerkriegs leidet. Ein Land, durch das seit über zehn Jahren ein tiefer Riss geht. Ein Riss, der einfach nicht heilen will. Und der nun noch tiefer ist.
Zwanzig Jahre nach seinem Einstieg in die Politik wähnt sich Ouattara am Ziel. Ein bitterer Triumph. Ouattara hat einen Pyrrhussieg errungen. Doch im Grunde gibt es nach dieser Schlacht nur Verlierer. Gbagbo hinterlässt dem neuen Präsidenten verbrannte Erde.
Ein ivorisches Sprichwort sagt: "Wenn zwei Elefanten kämpfen, dann leidet das Gras." An der Elfenbeinküste haben Ouattara und Gbagbo schon so viel Gras zertrampelt, dass bald vielleicht keines mehr wächst.
Laurent Gbagbo Ende November 2010 - in einer Fernsehdebatte vor der Stichwahl gegen seinen Widersacher Alassane Ouattara. Was so versöhnlich klingt, so demokratisch, ist in Wahrheit ein böses Omen. Denn schon damals ist klar: Gbagbo wird auf jeden Fall Präsident der Elfenbeinküste bleiben – ob das Wahlergebnis es hergibt, oder nicht. Gbagbo und Ouattara geben im TV-Duell die Rollen der Gentlemen. Man duzt sich, schüttelt lange die Hände, lächelt in die Kameras. Doch in den Hosentaschen gehen die Messer auf. Beide scheinen es zu ahnen: Diese Wahl würde der letzte Akt ihres absurden politischen Theaters sein. Dieser Akt würde mit Demokratie nicht viel zu tun haben, sondern ein blutiges Ende nehmen. Der endgültige Kampf um die Macht würde gnadenlos werden - und könnte die Elfenbeinküste, die Côte d'Ivoire, samt ihrer Bevölkerung in den Abgrund reißen.
Vier Monate später ist es soweit.
Wahlsieger Ouattara muss als erster Präsident der Geschichte des Landes sein Amt militärisch erkämpfen. Muss mit seinen Truppen das Land von Nord nach Süd erobern, den Präsidentenpalast in Abidjan angreifen.
Ouattara: "Liebe Landsleute, wir steht am Scheideweg. Meine Republikanischen Kräfte haben die Aufgabe, die Bevölkerung gegen die Milizen von Laurent Gbagbo zu verteidigen und das Ergebnis der Präsidentschaftswahl durchzusetzen. Gemeinsam müssen wir Frieden schaffen – es lebe die Republik, es lebe die Elfenbeinküste, Gott segne unser Land."
Wahlverlierer Gbagbo sitzt währenddessen in einem Bunker und verteidigt sich mit schwerer Artillerie – bereit, mit der Macht unterzugehen. Denn er, der Sozialist, der Geschichtsprofessor, der erbitterte Feind der Ex-Kolonialmacht Frankreich, sieht sich als rechtmäßiger Präsident. Als einzig wahre Verkörperung der ivorischen Nation. Seit mehr als zehn Jahren hält er sich im Amt. Kritiker nennen Gbagbo den Bäckermeister, der die Opposition und die gesamte internationale Gemeinschaft im Mehl rollt, bis sie nicht mehr klar sehen können – seit dem Jahr 2000 hat diese Strategie bestens funktioniert. Die Wahlen von 2005 zögert er hinaus - bis er schließlich doch noch gegen seinen Erzrivalen Ouattara antreten muss.
30. November 2010, drei Tage nach der Stichwahl: Am Sitz der Wahlkommission in Abidjan kommt es zu surrealen Szenen: Als der Vorsitzende der Wahlkommission Teilergebnisse verkünden will, unterbricht ihn ein Vertreter Gbagbos. Und zerreißt die Dokumente. Vor Journalisten und laufenden Kameras.
Wenige Tage danach verbreiten ausländische Radio- und Fernsehsender folgende Nachricht in Windeseile:
"Das sind 54,1 Prozent der Stimmen"
54,1 Prozent der Stimmen entfallen auf Alassane Ouattara - mit diesen Worten spricht der Chef der Unabhängigen Wahlkommission dem damaligen Oppositionsführer Ouattara den Wahlsieg zu. Doch Gbagbo ruft das Verfassungsgericht an, dessen Chef ist sein Freund. Paul Yao Ndre. In einer live im Fernsehen verlesenen Erklärung erklärt er Gbagbo zum Wahlsieger. Als Grund nennt er Unregelmäßigkeiten bei der Wahl im Norden des Landes – wo Ouattara seine Hochburgen hat.
"Es ist allein das Verfassungsgericht, das die Zuständigkeit hat, über die umstrittenen Ergebnisse zu urteilen."
Der Freund des Präsidenten Gbagbo dreht das Wahlergebnis einfach um. Die Vereinten Nationen bezeichnen Ouattaras Wahl ungeachtet der Widersprüche aber als korrekt. Rinaldo Depagne, Experte der International Crisis Group, hält die Pro-Gbagbo-Entscheidung für einen Angriff auf demokratische Grundprinzipien und weist auf die Abhängigkeit des Obersten Juristen des Landes hin.
"Der Präsident des Verfassungsgerichts ist vom Präsidenten der Republik ernannt worden. Das ist doch unglaublich!"
Mit Gbagbos erzwungenem Wahlsieg werden die schlimmsten Befürchtungen wahr. Ouattaras Lager spricht noch am selben Abend von einem Putsch des Präsidenten. In Abidjan kommt es zu wütenden Protesten. Doch Gbagbo lässt sich als Staatschef vereidigen. Auch Ouattara leistet den Amtseid als Präsident. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gratuliert ihm zum Erfolg. Weil Gbagbo den Präsidentenpalast nicht räumen will, macht Ouattara das Hotel du Golf an der Lagune von Abidjan zu seinem provisorischen Regierungssitz. Blauhelme der 10.000 Mann starken UN-Mission ONUCI müssen Ouattara, den international anerkannten Wahlsieger, vor Gbagbos Militär schützen. Ein Land – zwei Präsidenten. Zwei machthungrige Politiker.
Es folgen vier dramatische Monate. Vermittler kommen und gehen, geben sich bei Gbagbo und Ouattara die Klinke in die Hand. Doch die Fronten sind verhärtet. Gbagbo fordert eine Neuauszählung der Stimmen, Ouattara und bald die ganze Welt verlangen Gbagbos Rückzug. Auch wenn die Afrikanische Union in der Frage gespalten ist – in Addis Abeba stärkt sie Ouattara den Rücken.
Ouattara: "Die Afrikanische Union hat bestätigt, dass ich der rechtmäßige Sieger der Präsidentschaftswahl in der Elfenbeinküste bin. Und sie hat mich gebeten, eine Regierung zu bilden, die beide Lager miteinander versöhnt – und die Laurent Gbagbo einen ehrenhaften Abgang ermöglicht."
Doch Gbagbo klebt an der Macht. EU und UNO verhängen Sanktionen, die USA, die Schweiz, Frankreich, Deutschland – sie frieren Gbagbos Konten ein, sprechen Reiseverbote aus. Die Westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS droht, Gbagbo notfalls mit Gewalt zu vertreiben. Doch all das bleibt folgenlos. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die Elfenbeinküste längst in einer Sackgasse. Hoffnungen, Gbagbo könne wegen der Sanktionen bald das Geld ausgehen, erfüllen sich nicht. Die Diplomatie ist am Ende.
Februar 2011. Der Einpeitscher auf der Bühne ist in seinem Element - Charles Blé Goudé, der Chef der Gbagbo treu ergebenen Jungen Patrioten. Zehntausende sind seinem Aufruf gefolgt – und melden sich freiwillig zur Armee. Sie lassen sich den Kopf kahl rasieren. Sie wollen für Gbagbo kämpfen, verlangen Waffen. Sofort. Um die Elfenbeinküste von einem "Banditen" zu befreien. "Wir werden den Tyrannen töten", singen sie - gemeint ist Alassane Ouattara.
Tag für Tag, Nacht für Nacht spielen sich in der Wirtschaftsmetropole Abidjan nun grauenhafte Szenen ab. Hunde fressen Leichen an, die nicht beerdigt werden können - wegen der Gemetzel zwischen Gbagbos Armee und Ouattara-treuen Milizen. Beide Seiten verbrennen Gefangene bei lebendigem Leib. Im Viertel Abobo werden sieben Frauen von Gbagbos Truppen erschossen. Zu Hunderten hatten die Frauen friedlich für Ouattara demonstriert.
März 2011. Während die Lage in Abidjan außer Kontrolle gerät, schlagen sich die Rebellen aus dem Norden auf Ouattaras Seite. Sie nennen sich jetzt die "Republikanischen Kräfte der Elfenbeinküste". In einem blitzkriegsartigen Feldzug erobern sie die Hauptstadt Yamoussoukro und strategisch wichtige Städte im Westen und im Süden des Landes. Wenige Tage später stehen Ouattaras Truppen vor Abidjan. Mit dem blutigen Endkampf um die Macht ist die Elfenbeinküste auf dem absoluten Tiefpunkt ihrer Geschichte angekommen.
Ein tiefer Riss geht durchs Land. Dabei sollte die lang ersehnte Wahl genau diese Spaltung überwinden. Seit Gbagbos umstrittener Wahl im Jahr 2000 hatte es keine Präsidentschaftswahl mehr gegeben. 2002 hatten Teile der Armee gegen Gbagbo einen Putschversuch unternommen, danach war die Elfenbeinküste in einen Bürgerkrieg abgeglitten. Erst 2007 wurde ein Friedensvertrag unterzeichnet – doch der Entwaffnungsprozess wurde nie abgeschlossen. Gbagbo regierte im Süden, die Rebellen der Forces Nouvelles im Norden. Dieselben Rebellen übrigens, die in diesen Tagen Gbagbo in Abidjan unter Beschuss nehmen. Die Elfenbeinküste blieb faktisch geteilt – und die Köpfe der Menschen waren vergiftet von der Ideologie der "Ivoirité".
Das Konzept stammt aus den 90er-Jahren – und wer gerade an der Macht war, bediente sich dieses Konzepts, der Spaltung der Bevölkerung in sogenannte "echte Ivorer" und andere Ethnien. Dabei war die Elfenbeinküste seit Jahrzehnten auf Immigranten aus nördlichen Nachbarländern wie Burkina Faso, Mali, Niger angewiesen – die wichtigsten Arbeitskräfte in den Kakaoplantagen. Doch mit dem Konzept der Ivoirité wurden Hunderttausende zu Bürgern zweiter Klasse. Auch Alassane Ouattara – selbst Moslem – und Hoffnungsträger des Nordens.
Ouattara: "Wissen Sie, diese Frage der Identität hat die Elfenbeinküste in die Katastrophe getrieben. Sie hat zu Mord und Totschlag geführt, es gab Massaker im Namen der Nationalität! Die Menschen sind lange Zeit absolut ungleich behandelt worden. Das hat zum Staatsstreich geführt, zur Rebellion des Nordens, zum Bürgerkrieg. All das sollte uns eine Lehre sein, damit wir den Hass in dieser Gesellschaft endlich eindämmen, diese Diskriminierung, die zu so großen Spannungen geführt hat."
Ouattara hat das am eigenen Leib erfahren. Im Jahr 2000 wurde der frühere Ministerpräsident und Karriere-Ökonom des Internationalen Währungsfonds gar nicht erst zur Präsidentschaftswahl zugelassen – weil er nicht als Ivorer galt. Dabei konnte sich die Elfenbeinküste, die Côte d'Ivoire, dieses gefährliche ethnische Spiel nie leisten. Das ehemalige Musterland, der einstige Wirtschaftsmotor Westafrikas, sei heute schlimmer dran als jemals zuvor, findet Patrick N'Gouan vom Netzwerk der Zivilgesellschaftlichen Gruppen in Abidjan.
"Von insgesamt 50 Jahren Unabhängigkeit hatten wir 20 gute Jahre, aber danach 30 schlechte. Die großen Löcher von heute können wir mit dem bisschen Wachstum gar nicht stopfen. Die Politiker glauben, sie können die Menschen noch eine Weile hinhalten, aber das wird nicht mehr lange gut gehen."
Dabei ist die Côte d'Ivoire der größte Kakaoproduzent der Welt und damit der wichtigste Lieferant für die Schokoladenindustrie, das Land liefert mehr als ein Drittel des gesamten Weltbedarfs an Kakao - ein Viertel der 20-Millionen-Bevölkerung lebt vom Anbau. Doch niemand weiß, was mit den enormen Steuereinnahmen aus dem Kakaogeschäft geschieht – angeblich sind sie in den Bildungssektor geflossen. Ein Blick auf die marode Universität oder die Schulen von Abidjan beweist das Gegenteil.
Die internationale Gemeinschaft und vor allem die alte Kolonialmacht Frankreich hatten immer ein politisches und vor allem ein wirtschaftliches Interesse an einer friedlichen Elfenbeinküste. Stabilität war die Grundlage für Geschäfte mit der Ex-Kolonie. Im Dezember 2009 erließ Frankreichs Botschafter der Elfenbeinküste noch 330 Millionen Euro Auslandsschulden. Gleichzeitig bekannte die EU sich erneut dazu, den Friedensprozess weiter zu finanzieren. Ein dicker Batzen, denn mit noch einmal knapp 300 Millionen Euro leistete sich die Elfenbeinküste die teuersten fremdfinanzierten Wahlen der Welt.
"Die EU ist einer der ganz wenigen Partner, die vor, während und nach der schweren Krise der Elfenbeinküste treu geblieben sind. Wir haben alles finanziert – von den ersten humanitären Einsätzen bis zum Wahlprozess."
Michel Arion, Vertreter der EU-Komission in der Côte d'Ivoire, war noch unmittelbar vor der Stichwahl 2010 optimistisch, dass das Land nun auf einem guten Weg sei.
Doch all das ist jetzt Makulatur – die Wahlen, die Diplomatie, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. April 2011. Ouattaras Truppen greifen Gbagbos Stellungen in Abidjan an. Der rechtmäßige Präsident, der feine Aristokrat aus dem edlen westafrikanischen Königshaus Wattara, längst ist er zum Machtmenschen geworden, nun wird er zum Kriegsherren.
An den Kämpfen beteiligen sich nun auch die UN-Mission ONUCI sowie Soldaten der französischen Licorne-Einheit, die schon seit dem Bürgerkrieg im Land ist. Die Afrikanische Union und auch UN-Mitglieder wie Russland und Südafrika haben kritisiert, dass für einen solchen Angriff die rechtliche Grundlage fehle. Im Namen von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verteidigt sein Sprecher Michel Bonnardeaux das Eingreifen mit dem Schutz von Zivilisten. Und betont, die Vereinten Nationen würden in dem Konflikt keine Partei ergreifen.
"Wir haben unsere Kampfhubschrauber eingesetzt, um Gbagbos schwere Waffen auszuschalten – denn damit haben seine Truppen die UN-Mission und die Zivilbevölkerung angegriffen. Der Sicherheitsrat hat ja vor ein paar Tagen die Resolution 1975 verabschiedet, und da hat er die UN-Mission ermächtigt, alles zu tun, um die Zivilbevölkerung zu schützen und Gbagbos Waffenarsenal zu zerstören."
Andreas Mehler vom GIGA-Institut für Afrikastudien befürchtet, dass die Internationale Gemeinschaft gerade sehr viel politisches Porzellan zerschlägt – politisch und militärisch. Auch wenn sie nur ihrer eigenen Strategie der Demokratisierung gefolgt ist.
"Es ist auch wirklich eine sehr radikale Position der UN. Man muss das in dem Kontext sehen, dass im Friedensprozess die UN eine bestimmte Rolle hatte, also verschiedene, aber nur einen Teil davon erfüllen konnte. Also, die Peacekeeper waren nicht gerade stark darin, Sicherheit für die Bevölkerung zu schaffen und vor allem auch Rebellen und Gbagbo-treue Milizen zu entwaffnen. Das ist komplett unterblieben, während die Wahlvorbereitung, wenn auch verspätet, schließlich Fortschritte gemacht hat.
Beides war eigentlich nur parallel zu denken, Wahlen ohne die Entwaffnung, das war ein Riesenrisiko, wie man heute ganz deutlich sieht. Und die Wahlvorbereitung, das bedeutete, dass man auch die Wahlkommission unterstützt. Die hat bestimmte Ergebnisse mitgeteilt, die Ouattara vorne sehen, und es war für die UN so gut wie unmöglich, was anderes zu tun, als diese Ergebnisse für richtig zu halten. Ich sage nicht, dass sie falsch sind, aber wenigstens war man hier gleichzeitig Schiedsrichter und Partei, und so ist man es auch geblieben. Also, man kann heute sagen, die UN ist nicht unparteiisch in diesem Konflikt."
Gbagbos Lager wittert schon lange ein Komplott gegen den Ex-Präsidenten, geführt von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und den USA. Die UNO sei nur ein Handlanger französischer Interessenpolitik. Die Angriffe sind Wasser auf Gbagbos Propagandamühlen. Schließlich wurden nicht nur Militäreinrichtungen bombardiert, sondern auch die Residenz von Gbagbo - und sein Präsidentenpalast. Schon früher hatte Gbagbo Ouattara vorgeworfen, eine bloße Marionette des Westens, und insbesondere Frankreichs zu sein.
Keine guten Bedingungen für Ouattara, der zumindest im Süden des Landes gegen eine ihm feindlich gesinnte Bevölkerungsmehrheit regieren muss. Wenn Gbagbo aufgibt, dann übernimmt Ouattara die Präsidentschaft unter den schlimmsten Voraussetzungen.
Unterdessen versinkt die Elfenbeinküste in einem Sumpf von Gewalt, der weit schlimmere Ausmaße hat als der Bürgerkrieg des letzten Jahrzehnts. In Abidjan werden Geschäfte geplündert, in vielen Vierteln gibt es weder Wasser noch Strom, in den Straßen liegen Leichen. Die Krankenhäuser könnten kaum noch arbeiten, berichtet dieser Arzt aus dem Stadtteil Treichville:
"Wir haben sehr viele Verletzte, man stapelt sie auf Pritschenwagen und bringt sie zu uns. Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Es gibt keine Medikamente, es fehlt uns an allem, wir haben nicht einmal mehr Alkohol, um Wunden zu desinfizieren. Und die vielen Toten, die können wir gar nicht mehr zählen."
Das Leid der Menschen in der Elfenbeinküste ist noch lange nicht vorbei. Eine Million sind auf der Flucht, die UNO spricht von einer absolut dramatischen humanitären Lage. Hilfsorganisationen berichten von Massakern im Westen der Elfenbeinküste. In den letzten Wochen sollen dort bis zu tausend Menschen getötet worden sein - darunter Frauen und Kinder. Guillaume Ngefu – Menschenrechtsbeauftragter der UN-Mission:
"Wir sind im Kriegszustand, in einer Situation, in der keines der beiden Lager mehr die Menschenrechte achtet. Diese Gräueltaten werden nicht ungestraft bleiben. Die Machthaber auf beiden Seiten müssen ihren Truppen Einhalt gebieten, sonst werden sie dafür zur Verantwortung gezogen."
Die Vereinten Nationen erheben bittere Vorwürfe - gegen Gbagbo, aber auch gegen Ouattaras Truppen. Seine Soldaten seien schuld an einem Großteil der Opfer. Ouattara, der international anerkannte Präsident der Elfenbeinküste zahlt schon jetzt einen hohen Preis für die Macht, die er noch immer nicht hat – sein Image als Saubermann und Befreier ist schwer beschädigt, noch bevor er im Präsidentenpalast einziehen kann. Und dann beginnt für Ouattara erst seine eigentliche, fast unlösbare Aufgabe: Ein Land zu versöhnen, das noch immer an den Folgen eines Bürgerkriegs leidet. Ein Land, durch das seit über zehn Jahren ein tiefer Riss geht. Ein Riss, der einfach nicht heilen will. Und der nun noch tiefer ist.
Zwanzig Jahre nach seinem Einstieg in die Politik wähnt sich Ouattara am Ziel. Ein bitterer Triumph. Ouattara hat einen Pyrrhussieg errungen. Doch im Grunde gibt es nach dieser Schlacht nur Verlierer. Gbagbo hinterlässt dem neuen Präsidenten verbrannte Erde.
Ein ivorisches Sprichwort sagt: "Wenn zwei Elefanten kämpfen, dann leidet das Gras." An der Elfenbeinküste haben Ouattara und Gbagbo schon so viel Gras zertrampelt, dass bald vielleicht keines mehr wächst.