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Am Anfang war das Wort

Der Amerikaner Ed Ruscha ist bekannt für seine Künstlerbücher. In den 60er-Jahren fotografierte er für die Serie "Twentysix Gasoline Stations" alle Tankstellen auf der Strecke zwischen seinem Wohnort Los Angeles zu seiner Familie in Oklahoma. Die Ausstellung "Reading Ed Ruscha" im Kunsthaus Bregenz zeigt die ganze Spannbreite seines Schaffens.

Von Christian Gampert |
    Am Anfang war das Wort, und das Wort hat auch bei Ed Ruscha schon früh eine Hauptrolle gespielt. Er war Schildermaler und Werbetexter, Layouter und Drucktechniker; seine heute hoch gehandelten Fotobücher arbeiten natürlich mit Text, in seiner meist monochromen Malerei werden Buchstaben inszeniert, und aufgeschlagene leere Buchseiten schweben uns auf den Leinwänden des Spätwerks entgegen, als wären sie die Heilige Schrift.

    Ob man aber auch den Konzeptkünstler Ed Ruscha selber lesen kann wie ein aufgeschlagenes Buch, das ist eine ganz andere Frage. Die Bregenzer Ausstellung gibt sich alle Mühe, den Mann verständlich zu machen, aber natürlich – und gottlob: Da bleibt ein Geheimnis. Zu vielfältig ist das Werk, zu disparat die Ausdrucksformen: Da fährt einer 1963 die Strecke von Los Angeles nach Oklahoma immer wieder ab, fotografiert alle Tankstellen und macht daraus die Serie "Twentysix Gasoline Stations". Das ist ein tolles, lakonisches und trotzdem irgendwie poplastiges Konzept – denn es hält nebenbei amerikanische Alltagsgeschichte fest. Fast fünfzig Jahre später malt Ruscha, mittlerweile 74, enigmatische Buchcover auf rauhe Leinwand und stellt das Originalbuch neben den Rahmen: Original und Fälschung, Schein und Sein, Wesen und Oberfläche, Wort und Sinn. Der Mann ist weise geworden ...

    Die Bregenzer Ausstellung setzt jedoch ganz anders ein. Im Foyer sieht man zunächst Ruschas frühen "Miracle"-Film über einen Automechaniker, der ständig an einem Straßenkreuzer herumschraubt und herumpoliert und technische Details nachlesen muss – darüber vergisst er sein Rendezvous mit seiner Doris-Day-haften Freundin. Aber am Ende hängt das vibrierende Auspuffrohr des reparierten Luxusfahrzeugs etwas obszön im Bild.

    Solch nette Eingangsaperitifs führen in die amerikanische Wirklichkeit, die ja vor allem in Ruschas Fotografie die Hauptrolle spielt. Die aber immer gebrochen ist von einem absolut grafischen Verständnis, mit dem Ruscha die Landschaft liest: die im Morgengrauen von oben fotografierten, grauenhaft leeren Parkplätze, die Tankstellen, die Swimmingpools der Reichen, die Häuserfronten des Sunset Boulevard. Diverse dieser auch in Künstlerbüchern veröffentlichten Serien sind in Bregenz zu sehen: Das Buch in der Vitrine, und am iPad kann der Besucher die Bilder hin- und herscrollen. Der Leporello des "Sunset Boulevard" ist etwa acht Meter lang, die kürzlich auf Deutsch erschienene Illustration von Kerouacs "On the Road" füllt eine Wand.
    Dann aber geht es ins Hauptthema der Ausstellung, hin zur Schrift. Die Schrift ist das Mirakel, das uns die Welt erst erschließt; und man muss den Buchstaben bannen, auf Leinwand, auf Papier. Man kann ihn als popbuntes, leuchtendes Fanal inszenieren oder als klösterliches Signet.

    Der 74-jährige Ruscha war krankheitsbedingt nicht auf der Pressekonferenz, ersatzweise sprach Kunsthausdirektor Yilmaz Dziewior:

    "Das Interesse von Ed Ruscha an dem Buch, an der Schrift ist tief verwurzelt in seiner eigenen Biografie. Es gibt ein sehr schönes Bild von ihm als Kind, wo er sitzt und Buchstaben malt. Und auch wenn man frühe Interviews von ihm liest, erzählt er selber darüber, wie er schon als Kind fasziniert war von Comics beispielsweise. Ein weiteres biografisches Element ist, dass er als Typesetter für Zeitungen und Werbeagenturen gearbeitet und auch selber eine Schrift für seine Bilder entwickelt hat.".

    Schon die Fotoserien sind streng komponiert; die Malerei aber wirft einen fast metaphysisch beschwörenden Blick auf den Buchstaben und das Buch, das wie ein Gral inszeniert ist. Im Gegensatz zur Fotografie, wo er auch Aufträge vergab, macht er hier alles selbst. Und der Maler Ed Ruscha steht ersichtlich unter dem Einfluss Mark Rothkos: Da verschwimmt alles in Farbe, und man betritt eine andere Welt. In Bregenz sieht man diese durch Buchstaben oder Leerstellen kommentierten Farbflächen und Berglandschaften, die "Cityscapes", die schwebenden Schriften und, am neuesten und frischesten, die Objekte, die sich selbst mystifizieren. Diese mit Säure bearbeiteten Buchrücken, -körper, -einbände, auf denen sich wieder bleiche Buchstaben bilden, signalisieren nur eines: Das Buch bleibt etwas Heiliges.