"Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit! Bei ihrer Blockade auf den Gleisen handelt es sich um einen Verstoß gegen versammlungsrechtliche Bestimmungen! Sie sind aufgefordert, den kompletten Bereich der Gleisanlagen zu verlassen."
Ein Waldstück im Wendland, gegen vier Uhr am frühen Morgen. Es ist der 8. November 2010. Aus Protest gegen den Castortransport nach Gorleben sitzen rund 5000 Menschen im Gleisbett, oben am Bahndamm stehen aufgereiht zwei Dutzend Polizeibusse, ihre Scheinwerfer erleuchten die Szenerie. Die Einsatzleitung hat fast 1500 Beamte zusammengezogen, die Räumung beginnt.
Die Räumung der Blockade in der Nähe des kleinen Ortes Harlingen ist für die Polizisten eine der größten Herausforderungen beim Castortransport im vergangenen Jahr. Es ist dunkel, die Beamten der Bundespolizei sind schon seit Stunden auf den Beinen, durchgefroren und hungrig. Kirchenvertreter und Bürgerinitiativen sind vor Ort, eine Abgeordnete des EU-Parlaments beobachtet die Aktion. Und jede Menge Fernsehteams warten nur darauf, spektakuläre Szenen zu filmen. Ein Blockierer nach dem anderen wird, meist vorsichtig, weggetragen. Professionell, fast freundlich. Aber eine Gruppe französischer Aktivisten macht der Polizei das Leben schwer. Zwei ältere Bundespolizisten versuchen, einen jungen sportlichen Mann aus dem Gleisbett zu entfernen. Der zappelt, macht Theater. Und sofort laufen die Kameras, klicken die Fotoapparate:
35 Stunden am Stück waren einzelne Hundertschaften im vergangenen Jahr im Einsatz. Oft abgeschnitten vom Nachschub, von Küchen- und Toilettenwagen, abgeschnitten von den Kollegen, die sie zur Sicherung der Castoren eigentlich ablösen sollten.
Die Klagen von Bundespolizistinnen und –polizisten über die immense Arbeitsbelastung sind schon seit Jahren bekannt. Und mittlerweile belegen auch wissenschaftliche Studien, welchem Stress die Beamten ausgesetzt sind. Irmtraut Beerlage, Psychologieprofessorin an der Universität Magdeburg, hat im Auftrag des Bundesinnenministeriums über 5300 Einsatzkräfte nach ihren subjektiven Eindrücken befragt. Teilgenommen haben Feuerwehrleute, THW-Mitarbeiter, Beamte von Landespolizeien und 1600 Bundespolizistinnen und -polizisten. Irmtraut Beerlage fasst die Ergebnisse zusammen:
"Nach allen Ergebnissen ist die Bundespolizei gegenwärtig am belastetsten. In der Bundespolizei zeigt sich über den gesamten Erhebungszeitraum, dass die Burn-out-Rate zunimmt von 15 Prozent auf 25 Prozent. Das heißt: Im Jahr 2008 war jede vierte Einsatzkraft in der Bundespolizei hoch ausgebrannt."
"Es ist sicherlich so, dass du in der Bevölkerung wesentlich negativer wahrgenommen wirst, zumindest von der Klientel, mit der wir zu tun haben. Das Aggressionspotenzial ist sehr viel höher geworden. Und eben auch die Dichte dieser Einsätze hat sehr stark zugenommen. Es ist eine stetige Steigerung!"
Der Polizist ist Anfang 40. Ein durchtrainierter, großer Typ mit kurzen, dunklen Haaren. Seinen Namen will er nicht nennen. "Geht nicht, gibt’s nicht!" war immer sein Leitspruch. Bis zu seinem Zusammenbruch vor zwei Jahren. Es folgten: sechs Wochen in einer Psychosomatikklinik, ein halbes Jahr Pause vom Beruf. Anderthalb Jahre lang nimmt er Tabletten, um seinen Alltag in den Griff zu bekommen, die Psyche zu stützen. Er hat mittlerweile gelernt, auf seine Kräfte zu achten. Aber seinen Kollegen fällt das immer schwerer, sagt der Beamte:
"Irgendwann wird das Unnormale zum Normalen, die Überlastung zum Normalen, und man versucht trotzdem noch mal weiterzumachen und noch mal sich zu verbessern und noch mehr zu machen. Und irgendwann sagte der Körper dann: 'Wenn du es selber nicht begreifst, war’s das jetzt…!' Irgendwann packst du diese ganzen Ansprüche nicht mehr. Irgendwann macht dein Körper, deine Seele einfach zu."
Die wachsende Aggressivität bekommen die Beamten vor allem an den Wochenenden zu spüren: Dann rücken sie aus zu Einsätzen bei Erst-, Zweit- und Drittliga-Spielen. Sie begleiten die Reisezüge der Fußballanhänger, mit denen die oft alkoholisierten und gewaltbereiten Fans quer durch die Republik reisen. Dagegen sei der Papstbesuch im September fast erholsam gewesen. Aber auch anlässlich der Deutschlandreise des Oberhauptes der katholischen Kirche fielen Sonderschichten an. So wie in dieser Woche beim Castortransport nach Gorleben oder der "Afghanistan-Konferenz" Anfang Dezember in Bonn. Natürlich können die Beamten ihre Überstunden mit Freizeit wieder ausgleichen. Dennoch beklagen viele von ihnen eine soziale Entwurzelung durch die ständigen Wochenenddienste. Den Mechanismus des Schichtdienstplans erklärt Gerhard Medgenberg. Er ist Vorsitzender der Kreisgruppe der Gewerkschaft der Polizei im südbadischen Weil am Rhein; ein Bundespolizist mit 30 Jahren Berufserfahrung:
"Wenn in einem normalen Schichtdienstplan die Kollegen sowieso nur jedes fünfte Wochenende komplett freihaben, und wenn an diesem fünften Wochenende dann wieder noch ein Sondereinsatz dazwischen kommt. Und sie dann den eigentlich schon seit langem eingeplanten Familiensonntag dann doch nicht ausleben können. Dann ist es schon verständlich, wenn die Leute irgendwann dann - auf gut Deutsch: die Faxen dicke haben davon!"
Diese strukturellen Probleme in der Organisation der Bundespolizei, die den Beamten zu schaffen machen, spricht auch die Psychologin Irmtraut Beerlage in ihrer Studie an. Die hohe Burn-out-Quote unter Bundespolizisten lasse sich weder durch das hohe Aggressionspotenzial unter Fans oder Demonstranten noch durch lang andauernde Großeinsätze wie den Castortransport erklären. Mit dem Druck bei einem kräftezehrenden Einsatz kämen die meisten Beamten gut zurecht, berichtet die Expertin. Das Problem liege woanders:
"In der Bundespolizei haben wir die höchste subjektiv erlebte Belastung durch Zeitdruck. Es gibt mehr Aufgaben, als man erledigen kann. Wir haben einen weiteren, allerdings etwas schwächeren Einflussfaktor und das sind sogenannte Einsätze, in denen Dinge nicht klappen. Zum Beispiel durch unsinnig erlebte Vorschriften oder schlechte Ausstattung oder die Abstimmung zwischen den verschiedenen Ebenen oder anderen Organisationen funktioniert nicht so, wie sie sein soll."
Eine gestörte Kommunikation zwischen den Führungsebenen konstatiert auch Gerhard Medgenberg von der Gewerkschaft der Polizei:
"Das beginnt eigentlich schon auf der ersten Führungsebene! Schon im Bereich der Dienstgruppenleiter. Da wird schon sehr häufig das nach oben berichtet, was man in der nächsten Etage, sprich: in der Bundespolizeiinspektion so hören will. Und das kumuliert sich eigentlich von Etage zu Etage so weiter, und daraufhin passiert es dann eben, dass weiter oben, sprich: Letztendlich auch beim Ministerium eben Informationen ankommen, die mit dem tatsächlichen Sachverhalt unten an der Basis überhaupt nichts mehr zu tun haben."
Und dieses Problem hätte sich in den vergangenen fünf Jahren noch verschärft, behauptet der Gewerkschafter. Schuld daran seien auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU und seine Vorgänger im Amt, Thomas de Maizière und Wolfgang Schäuble, beide CDU. Als oberste Dienstherren hätten sie wenig Interesse gezeigt, wenn es um die Probleme der Bundespolizei geht, klagt Medgenberg:
"Wie ich das von der gewerkschaftlichen Schiene her weiß, ist es eben tatsächlich so, dass beispielsweise ein Otto Schily offenbar erheblich mehr Einblick in das hatte, was tatsächlich in dem Laden abgelaufen ist, als es heute der Fall ist. Man hat also das Gefühl, die Minister werden zunehmend abgeschottet."
Vor 60 Jahren wurde der Bundesgrenzschutz – wie die Truppe früher hieß - als eine Sonderpolizei des Bundes gegründet und mit der Sicherung der Staatsgrenzen zu Lande, zu Wasser und aus der Luft beauftragt. Haupteinsatzgebiet war jahrzehntelang die innerdeutsche Grenze. Darüber hinaus schützen die Bundesbeamten die Amtssitze der Bundesbehörden und sie unterstützen ihre Länderkollegen bei Demonstrationen oder Großeinsätzen. Nach der deutschen Wiedervereinigung übernahm der Bundesgrenzschutz die Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherung. Weiteres änderte sich: Mit dem Schengen-Abkommen im Jahr 1995 entfielen die Kontrollen an den Grenzen der Mitgliedsstaaten; die Schengen-Erweiterung im Jahr 2006 machte auch die stationären Grenzübergänge zu Polen, der Tschechischen Republik und der Schweiz überflüssig. Die personellen Überkapazitäten an den Außengrenzen der Bundesrepublik mussten abgebaut werden.
Im Jahr 2005 wird der Bundesgrenzschutz in Bundespolizei umbenannt. Doch damit war es nicht getan – denn noch immer stecken die rund 40.000 Frauen und Männer der Truppe mitten im Umbau des Apparats. Gerade läuft die Schlussphase der dritten Bundespolizei-Reform seit 1990. Drei Reformen innerhalb von 20 Jahren haben viele Beamte nicht nur verunsichert. Sie wurden in neue Aufgabenbereiche verschoben und in neue Dienststellen versetzt. Allein nach der deutschen Wiedervereinigung wurden in einer ersten Umbauphase rund 2000 Beamte mit ihren Familien aus dem Westen nach Osten verpflanzt, wo sie ein neues Leben in neuer Umgebung, mit neuen Freunden und neuen Schulen beginnen mussten. Die dritte, die sogenannte 2008er-Reform, hat aber noch ein anderes Ziel: Der alte Bundesgrenzschutz soll effizienter und schlanker werden.
Früher gab es fünf Bundespolizeipräsidien, jeweils zuständig für fünf Regionen der Bundesrepublik. Seit dem Jahr 2008 steht nun das Bundespolizeipräsidium an der Spitze der Bundespolizei, geleitet von Präsident Matthias Seeger. Seine Behörde bestimmt die polizeilich-strategische Linie. Und sie übt die Fach- und Dienstaufsicht über neun, und nicht mehr 19 Bundespolizeidirektionen aus. Darunter arbeiten 67 Polizeiinspektionen. Vorher waren es 128. Unterm Strich sollte die Reform rund 1000 zusätzliche Bundespolizisten auf die Straße bringen und damit die Einsatzkräfte entlasten. So jedenfalls hat es der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) versprochen. Aber dieses Reformziel, klagt der Gewerkschafter Medgenberg aus Weil am Rhein, sei klar verfehlt worden.
"Ohne da jetzt konkrete Zahlen vorlegen zu können, sind wir allerdings eher der Meinung, dass ganz im Gegenteil an der Basis erheblich weniger Personal ist. Wir erleben das in unserem Bereich jetzt hier ständig!"
Und nicht einmal Schäubles Parteifreund, der Bundestagsabgeordnete Armin Schuster, glaubt daran, dass die jüngste Reform die Beamten draußen im Einsatz entlasten wird. Schuster ist Mitglied im Innenausschuss und zuständig für sicherheitspolitische Themen.
"Ich kenne natürlich sein Versprechen, muss allerdings sagen: Ich habe schon damals als eher einen symbolischen Akt empfunden, dass er das gesagt hat. Was er wirklich gemeint hat, war: Durch Straffung der Organisation werden wir mehr Personal auf die Straße kriegen. Nur sind seitdem schon wieder drei Jahre vergangen. Und wenn sie den Aufgabenzuwachs bei der Bundespolizei sehen, dann ist es für mich klar, dass die meisten Beamten vor Ort gefühlt diese 1000 nicht empfinden können."
Denn die Idee, durch eine Straffung der Verwaltung zusätzliche Beamte auf die Straße schicken zu können, hat einen Haken: Wie die gesamte Bundesverwaltung muss auch die der Bundespolizei jedes Jahr pauschal 1,5 Prozent der Stellen streichen. Der CDU-Politiker Schuster war selbst als Inspektionsleiter bei der Bundespolizei tätig. Er weiß, dass es in der Bundespolizeiverwaltung keinen Spielraum mehr für Sparmaßnahmen oder für Umschichtungen zugunsten von Außeneinsätzen gibt:
"Wenn jetzt ein Behördenleiter da draußen seine Behörde funktionsfähig halten will, dann ist er immer wieder gezwungen, unter Umständen auch Polizeibeamte im Personal- oder Verwaltungsbereich einzusetzen. Und das führt natürlich dazu, dass sie auf der Straße oder in Führungsfunktionen fehlen.2"
Zusätzlich reduzieren Auslandseinsätze die verfügbare Personalstärke. Denn zur Absicherung von Wahlen in Afrika, für Patrouillen im Kosovo oder die Ausbildung von Polizeikräften in Afghanistan sind mit 460 Bundespolizisten regelmäßig mehr Beamte im Einsatz, als es eigentlich Planstellen dafür gibt.
""Die Folge davon ist, dass natürlich in einem gewissen Ausmaß die Alltagsorganisation diese Dienstposten, ich sage mal, herausschwitzen muss."
Mehr Arbeit für die Bundespolizei wird auch anfallen, wenn die Beamten schon bald in den Häfen von Bremen und Bremerhaven die Wasserschutzpolizeien entlasten sollen. Hinzu kommen ab Januar 2012 die Personen- und Luftfrachtkontrollen an den deutschen Flughäfen. 400 neue Stellen sind dafür bewilligt worden. Für Personal, Sprengstoffspürhunde und neue Röntgengeräte stehen rund 50 Millionen Euro zur Verfügung.
Unter Druck steht die Bundespolizei aber nicht allein durch knappe personelle Ressourcen. In Zeiten von Haushaltskonsolidierung und Finanzkrise müssen alljährlich die Mitglieder des Haushaltsausschusses im Bundestag davon überzeugt werden, dass die Bundespolizei nach wie vor mindestens 2,4 Milliarden Euro benötigt – das ist immerhin rund die Hälfte des Gesamtetats des Innenressorts. 30 Millionen Euro musste die Bundespolizei in den vergangenen zwei Jahren jeweils bereits einsparen. Und noch immer, erklärt Präsident Matthias Seeger, sei seine Behörde auf der Suche nach Einsparpotenzialen:
"Wir sind gegenwärtig dabei, alle Bereiche der Bundespolizei zu durchforsten, wo man – ohne, dass Sicherheitsdefizite zu besorgen sind – mit weniger Geld auskommen kann. Das ist eben auch die Anzahl der Fahrzeuge. Wir haben schon reduziert beim Betriebsstoff – ohne, dass dadurch Sicherheitsdefizite eingetreten sind. Für die notwendigen Einsatzfahrten ist genügend Geld da!"
Erst Mitte September kam es im Haushaltsausschuss des Bundestages zum Eklat über die Sparmaßnahmen. Auslöser war ein Referat des Bundespolizeipräsidenten über den Bedarf und die Haushaltslöcher seiner Behörde im kommenden Jahr: 160 Millionen Euro würden fehlen, rechnete Matthias Seeger vor. Und wurde sofort zum Rapport ins Innenministerium bestellt. Der zuständige Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche hält, so heißt es aus dem Ministerium, Seegers Zahlen für maßlos übertrieben und aus haushaltstechnischer Sicht für schlicht unseriös. Denn in der Rechnung des Präsidenten würden bereits Tariferhöhungen auftauchen, die noch längst nicht beschlossen sind. Schützenhilfe erhält er dagegen vom CDU-Abgeordneten Armin Schuster:
"Ob es nun 160 Millionen sind oder 80 Millionen, das kann ich wirklich nicht sagen… Für mich ist nur wichtig: Ich weiß, dass es im Bundeshaushalt bei der Bundespolizei Nachbesserungsbedarf gibt, 2012 etwas, 2013 gravierend. Und deswegen bin ich nicht so böse drum, dass da mal ein wenig Stoff in den Karton kommt!"
Ohne finanziellen Nachbesserungen werden seiner Ansicht nach zwei weitere Probleme der Bundespolizei nicht lösbar sein: Zum einen gibt es schon seit Jahren einen Beförderungsstau, den rund 2000 Beamte im eigenen Geldbeutel spüren: Als Polizeiobermeister verdienen sie – bezahlt nach Besoldungsgruppe A8 – pro Monat rund 2400 Euro netto. Und egal, welche Leistungen sie erbringen und wie lange sie schon im Einsatz sind: der Aufstieg bleibt ihnen verwehrt, das zweite Problem. Gerhard Medgenberg von der Gewerkschaft der Polizei:
"Wir laufen in der Tat mittlerweile Gefahr, dass vermehrt Kollegen mit A8, also als Polizeiobermeister in Ruhestand gehen müssen. Und das ist in unseren Augen überhaupt nicht akzeptabel!"
Im Bundesinnenministerium sind die Probleme bekannt. Und gerade erst wurde entschieden, 150 Beförderungen von Polizeiobermeistern möglich zu machen. Die anderen rund 1850 Beamten müssen warten. Ähnlich frustrierend empfinden es viele Beamte, dass sie für den Einsatz draußen mit 150 Euro pro Monat zusätzlich nicht wesentlich mehr verdienen als ihre Kollegen im Innendienst. 150 Euro, so die vorherrschende Meinung, entschädigten nicht für harte Auseinandersetzungen mit Fußballfans oder Randalierern, für die kalten Nächte im Wendland, für den Stress und für Rückenschmerzen, die nach der Räumung von Sitzblockaden bleiben.
"Was die Bereitschaft angeht, an der Front tätig zu sein, ist natürlich ein Aspekt sicherlich die Bezahlung. Das vielleicht der ein oder andere für mehr Geld auch eher bereit wäre, diesen Job auch wieder zu machen. Ich glaube aber mal, es ist gesamt gesehen, was ein wesentlich größeres Problem ist, das ist die Anhebung des Stunden-Solls von ehemals 38,5 Stunden auf jetzt mittlerweile 41 Wochenstunden. Was dazu führt, dass die Leute kaum noch über eine geordnete Regenerationsmöglichkeit verfügen."
"Ein Merkmal ist auch die Stressresistenz, dass die nachlässt. Man merkt es sehr stark im persönlichen Bereich, du fährst halt immer auf 120 Prozent. Und das ist auch in diesen Einsatzsituationen umso mehr der Fall."
Der Bundespolizist, der dies sagt, will lieber anonym bleiben. Der Anfang 40-Jährige konnte ein halbes Jahr nach seinem Zusammenbruch zur Arbeit zurückkehren. Der Schichtdienst bleibt ihm erspart, seine persönlichen Grenzen kennt er jetzt. Er gehörte zu den 25 Prozent der Bundespolizisten, die nach der Magdeburger Burn-out-Studie stark ausgebrannt sind. Neben der Organisationsstruktur macht die Psychologieprofessorin Irmtraut Beerlage den Personalmangel für die Burn-out-Häufung verantwortlich.
Aus dem Bundesinnenministerium heißt es, die Beerlage-Studie, vom Ministerium selbst in Auftrag gegeben, werde natürlich sehr ernst genommen. Abhilfe hoffe man durch die Personalverlagerung weg von den ehemaligen östlichen Außengrenzen zu schaffen. Und auch Bundespolizeipräsident Matthias Seeger will einen Beitrag zur Entlastung seiner Einsatzkräfte leisten:
"Weil wir – wo immer wir können – versuchen müssen, den Kollegen auch entgegenzukommen. Und ihnen auch einfach eine Phase der Regeneration einräumen. Wie ich das jetzt gemacht habe nach der Fußballsaison: dass ich für die Bereitschaftspolizei gesagt habe: Die haben jetzt die nächsten zwei Monate deutlich weniger Einsätze. Die setzen wir nicht auf den Bahnhöfen ein und nicht auf den Flughäfen, wie wir es sonst in der Vergangenheit gemacht haben."
Irmtraut Beerlage ist nicht nur Professorin an der Universität in Magdeburg. Sie sitzt auch in der sogenannten Schutzkommission; einem Gremium, das dem Bundesinnenminister wissenschaftlichen Rat etwa im Katastrophenfall bietet. Die Psychologin hat einen ganz einfachen Vorschlag, wie die Burn-out-Rate unter Bundespolizisten gesenkt werden kann:
"Dass man mit mehr Personal auch mehr bewältigen kann, den Druck abbauen kann."
Aber mit zusätzlichem Personal, das die Arbeit jedes einzelnen Bundespolizisten erleichtern würde, ist nicht zu rechnen. Bundespolizeipräsident Seeger muss schon froh sein, wenn die derzeitige Personalstärke seiner Truppe erhalten bleibt.
Ein Waldstück im Wendland, gegen vier Uhr am frühen Morgen. Es ist der 8. November 2010. Aus Protest gegen den Castortransport nach Gorleben sitzen rund 5000 Menschen im Gleisbett, oben am Bahndamm stehen aufgereiht zwei Dutzend Polizeibusse, ihre Scheinwerfer erleuchten die Szenerie. Die Einsatzleitung hat fast 1500 Beamte zusammengezogen, die Räumung beginnt.
Die Räumung der Blockade in der Nähe des kleinen Ortes Harlingen ist für die Polizisten eine der größten Herausforderungen beim Castortransport im vergangenen Jahr. Es ist dunkel, die Beamten der Bundespolizei sind schon seit Stunden auf den Beinen, durchgefroren und hungrig. Kirchenvertreter und Bürgerinitiativen sind vor Ort, eine Abgeordnete des EU-Parlaments beobachtet die Aktion. Und jede Menge Fernsehteams warten nur darauf, spektakuläre Szenen zu filmen. Ein Blockierer nach dem anderen wird, meist vorsichtig, weggetragen. Professionell, fast freundlich. Aber eine Gruppe französischer Aktivisten macht der Polizei das Leben schwer. Zwei ältere Bundespolizisten versuchen, einen jungen sportlichen Mann aus dem Gleisbett zu entfernen. Der zappelt, macht Theater. Und sofort laufen die Kameras, klicken die Fotoapparate:
35 Stunden am Stück waren einzelne Hundertschaften im vergangenen Jahr im Einsatz. Oft abgeschnitten vom Nachschub, von Küchen- und Toilettenwagen, abgeschnitten von den Kollegen, die sie zur Sicherung der Castoren eigentlich ablösen sollten.
Die Klagen von Bundespolizistinnen und –polizisten über die immense Arbeitsbelastung sind schon seit Jahren bekannt. Und mittlerweile belegen auch wissenschaftliche Studien, welchem Stress die Beamten ausgesetzt sind. Irmtraut Beerlage, Psychologieprofessorin an der Universität Magdeburg, hat im Auftrag des Bundesinnenministeriums über 5300 Einsatzkräfte nach ihren subjektiven Eindrücken befragt. Teilgenommen haben Feuerwehrleute, THW-Mitarbeiter, Beamte von Landespolizeien und 1600 Bundespolizistinnen und -polizisten. Irmtraut Beerlage fasst die Ergebnisse zusammen:
"Nach allen Ergebnissen ist die Bundespolizei gegenwärtig am belastetsten. In der Bundespolizei zeigt sich über den gesamten Erhebungszeitraum, dass die Burn-out-Rate zunimmt von 15 Prozent auf 25 Prozent. Das heißt: Im Jahr 2008 war jede vierte Einsatzkraft in der Bundespolizei hoch ausgebrannt."
"Es ist sicherlich so, dass du in der Bevölkerung wesentlich negativer wahrgenommen wirst, zumindest von der Klientel, mit der wir zu tun haben. Das Aggressionspotenzial ist sehr viel höher geworden. Und eben auch die Dichte dieser Einsätze hat sehr stark zugenommen. Es ist eine stetige Steigerung!"
Der Polizist ist Anfang 40. Ein durchtrainierter, großer Typ mit kurzen, dunklen Haaren. Seinen Namen will er nicht nennen. "Geht nicht, gibt’s nicht!" war immer sein Leitspruch. Bis zu seinem Zusammenbruch vor zwei Jahren. Es folgten: sechs Wochen in einer Psychosomatikklinik, ein halbes Jahr Pause vom Beruf. Anderthalb Jahre lang nimmt er Tabletten, um seinen Alltag in den Griff zu bekommen, die Psyche zu stützen. Er hat mittlerweile gelernt, auf seine Kräfte zu achten. Aber seinen Kollegen fällt das immer schwerer, sagt der Beamte:
"Irgendwann wird das Unnormale zum Normalen, die Überlastung zum Normalen, und man versucht trotzdem noch mal weiterzumachen und noch mal sich zu verbessern und noch mehr zu machen. Und irgendwann sagte der Körper dann: 'Wenn du es selber nicht begreifst, war’s das jetzt…!' Irgendwann packst du diese ganzen Ansprüche nicht mehr. Irgendwann macht dein Körper, deine Seele einfach zu."
Die wachsende Aggressivität bekommen die Beamten vor allem an den Wochenenden zu spüren: Dann rücken sie aus zu Einsätzen bei Erst-, Zweit- und Drittliga-Spielen. Sie begleiten die Reisezüge der Fußballanhänger, mit denen die oft alkoholisierten und gewaltbereiten Fans quer durch die Republik reisen. Dagegen sei der Papstbesuch im September fast erholsam gewesen. Aber auch anlässlich der Deutschlandreise des Oberhauptes der katholischen Kirche fielen Sonderschichten an. So wie in dieser Woche beim Castortransport nach Gorleben oder der "Afghanistan-Konferenz" Anfang Dezember in Bonn. Natürlich können die Beamten ihre Überstunden mit Freizeit wieder ausgleichen. Dennoch beklagen viele von ihnen eine soziale Entwurzelung durch die ständigen Wochenenddienste. Den Mechanismus des Schichtdienstplans erklärt Gerhard Medgenberg. Er ist Vorsitzender der Kreisgruppe der Gewerkschaft der Polizei im südbadischen Weil am Rhein; ein Bundespolizist mit 30 Jahren Berufserfahrung:
"Wenn in einem normalen Schichtdienstplan die Kollegen sowieso nur jedes fünfte Wochenende komplett freihaben, und wenn an diesem fünften Wochenende dann wieder noch ein Sondereinsatz dazwischen kommt. Und sie dann den eigentlich schon seit langem eingeplanten Familiensonntag dann doch nicht ausleben können. Dann ist es schon verständlich, wenn die Leute irgendwann dann - auf gut Deutsch: die Faxen dicke haben davon!"
Diese strukturellen Probleme in der Organisation der Bundespolizei, die den Beamten zu schaffen machen, spricht auch die Psychologin Irmtraut Beerlage in ihrer Studie an. Die hohe Burn-out-Quote unter Bundespolizisten lasse sich weder durch das hohe Aggressionspotenzial unter Fans oder Demonstranten noch durch lang andauernde Großeinsätze wie den Castortransport erklären. Mit dem Druck bei einem kräftezehrenden Einsatz kämen die meisten Beamten gut zurecht, berichtet die Expertin. Das Problem liege woanders:
"In der Bundespolizei haben wir die höchste subjektiv erlebte Belastung durch Zeitdruck. Es gibt mehr Aufgaben, als man erledigen kann. Wir haben einen weiteren, allerdings etwas schwächeren Einflussfaktor und das sind sogenannte Einsätze, in denen Dinge nicht klappen. Zum Beispiel durch unsinnig erlebte Vorschriften oder schlechte Ausstattung oder die Abstimmung zwischen den verschiedenen Ebenen oder anderen Organisationen funktioniert nicht so, wie sie sein soll."
Eine gestörte Kommunikation zwischen den Führungsebenen konstatiert auch Gerhard Medgenberg von der Gewerkschaft der Polizei:
"Das beginnt eigentlich schon auf der ersten Führungsebene! Schon im Bereich der Dienstgruppenleiter. Da wird schon sehr häufig das nach oben berichtet, was man in der nächsten Etage, sprich: in der Bundespolizeiinspektion so hören will. Und das kumuliert sich eigentlich von Etage zu Etage so weiter, und daraufhin passiert es dann eben, dass weiter oben, sprich: Letztendlich auch beim Ministerium eben Informationen ankommen, die mit dem tatsächlichen Sachverhalt unten an der Basis überhaupt nichts mehr zu tun haben."
Und dieses Problem hätte sich in den vergangenen fünf Jahren noch verschärft, behauptet der Gewerkschafter. Schuld daran seien auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU und seine Vorgänger im Amt, Thomas de Maizière und Wolfgang Schäuble, beide CDU. Als oberste Dienstherren hätten sie wenig Interesse gezeigt, wenn es um die Probleme der Bundespolizei geht, klagt Medgenberg:
"Wie ich das von der gewerkschaftlichen Schiene her weiß, ist es eben tatsächlich so, dass beispielsweise ein Otto Schily offenbar erheblich mehr Einblick in das hatte, was tatsächlich in dem Laden abgelaufen ist, als es heute der Fall ist. Man hat also das Gefühl, die Minister werden zunehmend abgeschottet."
Vor 60 Jahren wurde der Bundesgrenzschutz – wie die Truppe früher hieß - als eine Sonderpolizei des Bundes gegründet und mit der Sicherung der Staatsgrenzen zu Lande, zu Wasser und aus der Luft beauftragt. Haupteinsatzgebiet war jahrzehntelang die innerdeutsche Grenze. Darüber hinaus schützen die Bundesbeamten die Amtssitze der Bundesbehörden und sie unterstützen ihre Länderkollegen bei Demonstrationen oder Großeinsätzen. Nach der deutschen Wiedervereinigung übernahm der Bundesgrenzschutz die Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherung. Weiteres änderte sich: Mit dem Schengen-Abkommen im Jahr 1995 entfielen die Kontrollen an den Grenzen der Mitgliedsstaaten; die Schengen-Erweiterung im Jahr 2006 machte auch die stationären Grenzübergänge zu Polen, der Tschechischen Republik und der Schweiz überflüssig. Die personellen Überkapazitäten an den Außengrenzen der Bundesrepublik mussten abgebaut werden.
Im Jahr 2005 wird der Bundesgrenzschutz in Bundespolizei umbenannt. Doch damit war es nicht getan – denn noch immer stecken die rund 40.000 Frauen und Männer der Truppe mitten im Umbau des Apparats. Gerade läuft die Schlussphase der dritten Bundespolizei-Reform seit 1990. Drei Reformen innerhalb von 20 Jahren haben viele Beamte nicht nur verunsichert. Sie wurden in neue Aufgabenbereiche verschoben und in neue Dienststellen versetzt. Allein nach der deutschen Wiedervereinigung wurden in einer ersten Umbauphase rund 2000 Beamte mit ihren Familien aus dem Westen nach Osten verpflanzt, wo sie ein neues Leben in neuer Umgebung, mit neuen Freunden und neuen Schulen beginnen mussten. Die dritte, die sogenannte 2008er-Reform, hat aber noch ein anderes Ziel: Der alte Bundesgrenzschutz soll effizienter und schlanker werden.
Früher gab es fünf Bundespolizeipräsidien, jeweils zuständig für fünf Regionen der Bundesrepublik. Seit dem Jahr 2008 steht nun das Bundespolizeipräsidium an der Spitze der Bundespolizei, geleitet von Präsident Matthias Seeger. Seine Behörde bestimmt die polizeilich-strategische Linie. Und sie übt die Fach- und Dienstaufsicht über neun, und nicht mehr 19 Bundespolizeidirektionen aus. Darunter arbeiten 67 Polizeiinspektionen. Vorher waren es 128. Unterm Strich sollte die Reform rund 1000 zusätzliche Bundespolizisten auf die Straße bringen und damit die Einsatzkräfte entlasten. So jedenfalls hat es der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) versprochen. Aber dieses Reformziel, klagt der Gewerkschafter Medgenberg aus Weil am Rhein, sei klar verfehlt worden.
"Ohne da jetzt konkrete Zahlen vorlegen zu können, sind wir allerdings eher der Meinung, dass ganz im Gegenteil an der Basis erheblich weniger Personal ist. Wir erleben das in unserem Bereich jetzt hier ständig!"
Und nicht einmal Schäubles Parteifreund, der Bundestagsabgeordnete Armin Schuster, glaubt daran, dass die jüngste Reform die Beamten draußen im Einsatz entlasten wird. Schuster ist Mitglied im Innenausschuss und zuständig für sicherheitspolitische Themen.
"Ich kenne natürlich sein Versprechen, muss allerdings sagen: Ich habe schon damals als eher einen symbolischen Akt empfunden, dass er das gesagt hat. Was er wirklich gemeint hat, war: Durch Straffung der Organisation werden wir mehr Personal auf die Straße kriegen. Nur sind seitdem schon wieder drei Jahre vergangen. Und wenn sie den Aufgabenzuwachs bei der Bundespolizei sehen, dann ist es für mich klar, dass die meisten Beamten vor Ort gefühlt diese 1000 nicht empfinden können."
Denn die Idee, durch eine Straffung der Verwaltung zusätzliche Beamte auf die Straße schicken zu können, hat einen Haken: Wie die gesamte Bundesverwaltung muss auch die der Bundespolizei jedes Jahr pauschal 1,5 Prozent der Stellen streichen. Der CDU-Politiker Schuster war selbst als Inspektionsleiter bei der Bundespolizei tätig. Er weiß, dass es in der Bundespolizeiverwaltung keinen Spielraum mehr für Sparmaßnahmen oder für Umschichtungen zugunsten von Außeneinsätzen gibt:
"Wenn jetzt ein Behördenleiter da draußen seine Behörde funktionsfähig halten will, dann ist er immer wieder gezwungen, unter Umständen auch Polizeibeamte im Personal- oder Verwaltungsbereich einzusetzen. Und das führt natürlich dazu, dass sie auf der Straße oder in Führungsfunktionen fehlen.2"
Zusätzlich reduzieren Auslandseinsätze die verfügbare Personalstärke. Denn zur Absicherung von Wahlen in Afrika, für Patrouillen im Kosovo oder die Ausbildung von Polizeikräften in Afghanistan sind mit 460 Bundespolizisten regelmäßig mehr Beamte im Einsatz, als es eigentlich Planstellen dafür gibt.
""Die Folge davon ist, dass natürlich in einem gewissen Ausmaß die Alltagsorganisation diese Dienstposten, ich sage mal, herausschwitzen muss."
Mehr Arbeit für die Bundespolizei wird auch anfallen, wenn die Beamten schon bald in den Häfen von Bremen und Bremerhaven die Wasserschutzpolizeien entlasten sollen. Hinzu kommen ab Januar 2012 die Personen- und Luftfrachtkontrollen an den deutschen Flughäfen. 400 neue Stellen sind dafür bewilligt worden. Für Personal, Sprengstoffspürhunde und neue Röntgengeräte stehen rund 50 Millionen Euro zur Verfügung.
Unter Druck steht die Bundespolizei aber nicht allein durch knappe personelle Ressourcen. In Zeiten von Haushaltskonsolidierung und Finanzkrise müssen alljährlich die Mitglieder des Haushaltsausschusses im Bundestag davon überzeugt werden, dass die Bundespolizei nach wie vor mindestens 2,4 Milliarden Euro benötigt – das ist immerhin rund die Hälfte des Gesamtetats des Innenressorts. 30 Millionen Euro musste die Bundespolizei in den vergangenen zwei Jahren jeweils bereits einsparen. Und noch immer, erklärt Präsident Matthias Seeger, sei seine Behörde auf der Suche nach Einsparpotenzialen:
"Wir sind gegenwärtig dabei, alle Bereiche der Bundespolizei zu durchforsten, wo man – ohne, dass Sicherheitsdefizite zu besorgen sind – mit weniger Geld auskommen kann. Das ist eben auch die Anzahl der Fahrzeuge. Wir haben schon reduziert beim Betriebsstoff – ohne, dass dadurch Sicherheitsdefizite eingetreten sind. Für die notwendigen Einsatzfahrten ist genügend Geld da!"
Erst Mitte September kam es im Haushaltsausschuss des Bundestages zum Eklat über die Sparmaßnahmen. Auslöser war ein Referat des Bundespolizeipräsidenten über den Bedarf und die Haushaltslöcher seiner Behörde im kommenden Jahr: 160 Millionen Euro würden fehlen, rechnete Matthias Seeger vor. Und wurde sofort zum Rapport ins Innenministerium bestellt. Der zuständige Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche hält, so heißt es aus dem Ministerium, Seegers Zahlen für maßlos übertrieben und aus haushaltstechnischer Sicht für schlicht unseriös. Denn in der Rechnung des Präsidenten würden bereits Tariferhöhungen auftauchen, die noch längst nicht beschlossen sind. Schützenhilfe erhält er dagegen vom CDU-Abgeordneten Armin Schuster:
"Ob es nun 160 Millionen sind oder 80 Millionen, das kann ich wirklich nicht sagen… Für mich ist nur wichtig: Ich weiß, dass es im Bundeshaushalt bei der Bundespolizei Nachbesserungsbedarf gibt, 2012 etwas, 2013 gravierend. Und deswegen bin ich nicht so böse drum, dass da mal ein wenig Stoff in den Karton kommt!"
Ohne finanziellen Nachbesserungen werden seiner Ansicht nach zwei weitere Probleme der Bundespolizei nicht lösbar sein: Zum einen gibt es schon seit Jahren einen Beförderungsstau, den rund 2000 Beamte im eigenen Geldbeutel spüren: Als Polizeiobermeister verdienen sie – bezahlt nach Besoldungsgruppe A8 – pro Monat rund 2400 Euro netto. Und egal, welche Leistungen sie erbringen und wie lange sie schon im Einsatz sind: der Aufstieg bleibt ihnen verwehrt, das zweite Problem. Gerhard Medgenberg von der Gewerkschaft der Polizei:
"Wir laufen in der Tat mittlerweile Gefahr, dass vermehrt Kollegen mit A8, also als Polizeiobermeister in Ruhestand gehen müssen. Und das ist in unseren Augen überhaupt nicht akzeptabel!"
Im Bundesinnenministerium sind die Probleme bekannt. Und gerade erst wurde entschieden, 150 Beförderungen von Polizeiobermeistern möglich zu machen. Die anderen rund 1850 Beamten müssen warten. Ähnlich frustrierend empfinden es viele Beamte, dass sie für den Einsatz draußen mit 150 Euro pro Monat zusätzlich nicht wesentlich mehr verdienen als ihre Kollegen im Innendienst. 150 Euro, so die vorherrschende Meinung, entschädigten nicht für harte Auseinandersetzungen mit Fußballfans oder Randalierern, für die kalten Nächte im Wendland, für den Stress und für Rückenschmerzen, die nach der Räumung von Sitzblockaden bleiben.
"Was die Bereitschaft angeht, an der Front tätig zu sein, ist natürlich ein Aspekt sicherlich die Bezahlung. Das vielleicht der ein oder andere für mehr Geld auch eher bereit wäre, diesen Job auch wieder zu machen. Ich glaube aber mal, es ist gesamt gesehen, was ein wesentlich größeres Problem ist, das ist die Anhebung des Stunden-Solls von ehemals 38,5 Stunden auf jetzt mittlerweile 41 Wochenstunden. Was dazu führt, dass die Leute kaum noch über eine geordnete Regenerationsmöglichkeit verfügen."
"Ein Merkmal ist auch die Stressresistenz, dass die nachlässt. Man merkt es sehr stark im persönlichen Bereich, du fährst halt immer auf 120 Prozent. Und das ist auch in diesen Einsatzsituationen umso mehr der Fall."
Der Bundespolizist, der dies sagt, will lieber anonym bleiben. Der Anfang 40-Jährige konnte ein halbes Jahr nach seinem Zusammenbruch zur Arbeit zurückkehren. Der Schichtdienst bleibt ihm erspart, seine persönlichen Grenzen kennt er jetzt. Er gehörte zu den 25 Prozent der Bundespolizisten, die nach der Magdeburger Burn-out-Studie stark ausgebrannt sind. Neben der Organisationsstruktur macht die Psychologieprofessorin Irmtraut Beerlage den Personalmangel für die Burn-out-Häufung verantwortlich.
Aus dem Bundesinnenministerium heißt es, die Beerlage-Studie, vom Ministerium selbst in Auftrag gegeben, werde natürlich sehr ernst genommen. Abhilfe hoffe man durch die Personalverlagerung weg von den ehemaligen östlichen Außengrenzen zu schaffen. Und auch Bundespolizeipräsident Matthias Seeger will einen Beitrag zur Entlastung seiner Einsatzkräfte leisten:
"Weil wir – wo immer wir können – versuchen müssen, den Kollegen auch entgegenzukommen. Und ihnen auch einfach eine Phase der Regeneration einräumen. Wie ich das jetzt gemacht habe nach der Fußballsaison: dass ich für die Bereitschaftspolizei gesagt habe: Die haben jetzt die nächsten zwei Monate deutlich weniger Einsätze. Die setzen wir nicht auf den Bahnhöfen ein und nicht auf den Flughäfen, wie wir es sonst in der Vergangenheit gemacht haben."
Irmtraut Beerlage ist nicht nur Professorin an der Universität in Magdeburg. Sie sitzt auch in der sogenannten Schutzkommission; einem Gremium, das dem Bundesinnenminister wissenschaftlichen Rat etwa im Katastrophenfall bietet. Die Psychologin hat einen ganz einfachen Vorschlag, wie die Burn-out-Rate unter Bundespolizisten gesenkt werden kann:
"Dass man mit mehr Personal auch mehr bewältigen kann, den Druck abbauen kann."
Aber mit zusätzlichem Personal, das die Arbeit jedes einzelnen Bundespolizisten erleichtern würde, ist nicht zu rechnen. Bundespolizeipräsident Seeger muss schon froh sein, wenn die derzeitige Personalstärke seiner Truppe erhalten bleibt.