"Können wir Ihnen helfen? Ich hätte gerne eine Broschüre. Eine Broschüre. Ja, das ist die Kandidatin aus der Innenstadt."
Straßenwahlkampf auf dem Kölner Neumarkt. Es ist Samstagmittag. Die Aprilsonne hat endlich Kraft. T-Shirts, kurze Röcke, Sonnenbrillen ziehen langsam am gelb-blauen Container der FDP vorüber. Ein Sonnenschirm spendet den Wahlkämpfern Schatten. Auch er in blau-gelb. Die Fotos der Kandidaten lächeln den Passanten zu. Hin und wieder löst sich jemand aus der Menschenmenge, steuert auf die FDP zu. In zwei Wochen wird in Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt.
Yvonne Gebauer steht auf der Straße, vor ihrem eigenen Foto. Die Sonnenbrille hält die braunen Haare zurück, der olivgrüne Schal ist perfekt auf ihre Jacke mit den schmalen Schulterklappen abgestimmt. Sie lächelt, hört zu, erklärt, diskutiert. Sie hat nicht mehr viel Zeit, um die Wähler von der FDP zu überzeugen. Für Yvonne Gebauer bedeutet das: Dauereinsatz.
"Wenn Sie das mal in Stunden aufrechnen. Das sind am Tag bestimmt fünf bis sechs Stunden. Und da ist der Samstag dann auch mit einbezogen. Das sind sechs Tage die Woche. Das ist ein Pensum, das man auch erst mal leisten muss."
Yvonne Gebauer sitzt für die FDP im Kölner Stadtrat. Sie ist 43 Jahre alt, seit 28 Jahren ist sie Parteimitglied. Schon als Kind hat sie mit ihrem Vater Wahlkampf gemacht. Wer so lange dabei ist, der kennt sie nur zu gut: Die harten Zeiten, die schlechten Umfragewerte. Im vergangenen Jahr aber, da war alles anders. Da waren die Leute begeistert von den Liberalen, endlich einmal – sagt Ulrich Breite, Geschäftsführer der Kölner Ratsfraktion. Auch er steht an diesem Samstag Vormittag auf der Straße:
"Also es war letztes Jahr, 2009, bei der Europa, Kommunalwahl, die wir hier in NRW hatten und dann bei der Bundestagswahl ein euphorischer Wahlkampf. Da sind die Leute auf einen (zu) gekommen und haben auf die Schulter geklopft. Das war schon ein erhabenes Gefühl. Das war sicherlich eine der besten Zeiten, die ich in der FDP, und ich bin seit 27 Jahren Mitglied, erlebt habe."
Das Ergebnis am Abend der Bundestagswahl: 14,6 Prozent. Historisch. Das beste Ergebnis aller Zeiten. Nach elf Jahren Opposition kehrten die Liberalen triumphierend in die Bundesregierung zurück. Doch die Hochstimmung ist innerhalb von nur sieben Monaten verpufft, die Umfragewerte sind abgestürzt. Meinungsforscher prognostizieren der FDP auf Bundesebene nur noch zwischen acht und neun Prozent.
Auf dem Bundesparteitag, der morgen in Köln beginnt, werden sich die Liberalen also auf die Suche nach den verlorenen Wählern machen müssen. Denn auch in Nordrhein-Westfalen würden nach den jüngsten Umfragen nur noch 6 bis 8 Prozent die FDP wählen – wäre schon an diesem Sonntag Landtagswahl. Diesen Stimmungseinbruch bekommen auch die Wahlkämpfer am Kölner Neumarkt zu spüren.
"Wir wussten, dass wir, wenn wir in die Regierung kommen, was ja nun im vergangenen Herbst geschehen ist. Dass das in diesem Jahr anders sein wird. Und manches Mal ist es schon so, dass uns der Wind jetzt im Landtagswahlkampf recht heftig entgegenschlägt."
An der Landespolitik liegt es nicht, sagt Yvonne Gebauer. Die wird am Stand kaum zum Thema gemacht – mal abgesehen von der Bildungspolitik. Nein, nicht Düsseldorf interessiert hier, sondern Berlin. Was da eigentlich los sei, das ist es, was die Leute wissen wollen.
"Ja, aber wo wollen sie denn jetzt die Steuern senken? Man hört immer nur, überall ist Geld zu wenig, also, wo wollen Sie das Geld hernehmen. Das passt für mich irgendwie nicht ... "
Nun hatte die FDP vor der Bundestagswahl kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie die Steuern senken wolle. Um bis zu 35 Milliarden Euro im Jahr sollten die Bürger entlastet werden, das versprachen die Liberalen im Wahlkampf. Auch sollte es künftig nur noch drei Steuerstufen geben. Doch beim Wähler waren die Steuerparolen offenbar nicht der ausschlaggebende Grund dafür, das Kreuz bei der FDP zu setzen.
"Also der große Wahlerfolg der FDP, das war letztendlich ein fundamentales Missverständnis."
... sagt Stephan Grünewald, Mitbegründer des Rheingold-Instituts in Köln. Dem stimmt ein anderer Meinungsforscher zu: Manfred Güllner, Geschäftsführer von Forsa.
"Man hatte nicht erwartet, das ist das große Missverständnis der FDP, dass Steuern gesenkt würden. Das glaubt man ohnehin keiner Partei, die Steuersenkungen verspricht. Und auch die FDP-Wähler, auch vor der Wahl schon, waren ja gar nicht deshalb auf Steuersenkungen aus, weil sie ja auch für ihre Kinder und Enkelkinder ein gutes Bildungssystem zum Beispiel haben wollen. Sie haben erwartet, dass die FDP, die vom Mittelstand beklagte Überregulierung abbaut. Und das ist eben nicht passiert bislang."
Vor allem der Mittelstand hatte aus dem Programm der FDP gelesen: weniger Bürokratie, weniger Staat. Die Partei hielt an dieser Forderung fest – auch dann noch als Deutschland in die Wirtschaftskrise schlitterte. Und während die FDP von der Oppositionsbank den liberalen Staat predigte, dachte die damalige Regierung, die schwarz-rote Koalition, darüber nach, große Unternehmen und Banken wie die Hypo Real Estate zu retten. Auf Kosten der Steuerzahler.
"Anfang 2009 konnten wir feststellen, dass die mittelständischen Wähler, die vorher der CDU ihre Stimme gegeben haben, irritiert waren durch ihre Partei. Einerseits weil die CDU doch Begriffe wie Verstaatlichung, Vergesellschaftung, Enteignung in den Mund nahm. Das war zuletzt 1947 passiert."
... sagt Manfred Güllner.
"Was aber noch wichtiger war: Die Mittelständler fühlten sich im Stich gelassen, weil sie das Gefühl hatten, die CDU redet über Hilfen für Großunternehmen wie Opel, Karstadt-Arcandor oder für die Banken, aber für den Mittelstand tun sie nichts. Und das führte zu einer Abwanderung potenzieller CDU-Wähler aus diesem Bereich des Mittelstandes zur FDP."
Die FDP aber schloss aus dem Wahlergebnis: Die Wähler wollen weniger Steuern zahlen. Und das so bald wie möglich. Zwar hatte sie im Wahlkampf noch von 35 Milliarden Euro geträumt, doch in den Koalitionsgesprächen musste sie ihre Forderung schon auf 24 Milliarden Euro reduzieren: Um diese Summe sollten Bürger und Unternehmen pro Jahr entlastet werden. Und das ab 2010. So steht es jetzt im Koalitionsvertrag mit CDU und CSU.
Das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das die neue Regierung in Windeseile durch Bundestag und -rat peitschte, sollte den Anfang machen. Spätestens da hatte sich das Missverständnis verselbstständigt. Und die Zustimmung in Umfragen sank. Denn die Partei habe die Bürger unterschätzt, sagt der Journalist Friedrich Nowottny.
"Die Leute wissen sehr wohl, dass 1,7 Billionen, Billionen, eine Belastung sind, die im Grunde genommen unerträglich ist - für die gegenwärtigen Steuerzahler und für die Generationen, die nach ihnen kommen."
Tatsächlich sind die Schulden des Bundes im vergangenen Jahr auf 1,72 Billionen Euro angewachsen. Eine Billionen, das ist eine Zahl mit 12 Nullen. Und es könnte sein, dass der Bundesfinanzminister in diesem Jahr bis zu 80 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen muss. Dabei wird die Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich um nur 1,4 Prozent wachsen, verkündete Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle diese Woche.
Inzwischen stehen nicht einmal mehr die Führungskräfte aus der Wirtschaft hinter der FDP. Aus einer Umfrage des Handelsblatt geht hervor: Hatten vor sieben Monaten bei der Bundestagswahl noch 37 Prozent der befragten Manager ihre Zweitstimme an die FDP gegeben, würden es jetzt nur noch sechs Prozent tun.
Trotzdem. Die Liberalen halten an ihren Forderungen nach Steuersenkungen fest. Von den 24 Milliarden Euro Steuerentlastungen aus dem Koalitionsvertrag sind inzwischen nur noch 16 Milliarden Euro übrig geblieben – um diesen Betrag sollen Bürger und Unternehmen pro Jahr steuerlich entlastet werden. Und auch erst ab 2012. Damit bleibe die FDP nicht hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück, betont Hermann Otto-Solms. Vielmehr liege diese Differenz von acht Milliarden darin begründet, dass das Wachstumsbeschleunigungsgesetz bereits umgesetzt sei, so der FDP-Finanzexperte.
In einem ersten Schritt wollen die Liberalen ab dem nächsten Jahr die vielen komplizierten Regeln des Steuersystems vereinfachen. Das will die FDP an diesem Wochenende auf ihrem Bundesparteitag beschließen und danach mit der Union darüber verhandeln. Doch CDU und CSU waren den Steuerplänen der FDP von Anfang mit Skepsis begegnet. Schwarz auf Weiß findet sich das schon im Koalitionsvertrag wieder. In den hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble den Satz hineinverhandelt:
"Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt."
Heißt: Entlastungen für den Bürger nur, wenn die Kassenlage es zulässt. Dazu steht auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, CDU. Zwar sei er grundsätzlich für Steuersenkungen ...
" ... aber liebe Freunde, mit meiner Stimme werden keine Steuern gesenkt, wenn gleichzeitig bei den Kommunen Schwimmbäder geschlossen werden oder Kindergärten nicht ausgebaut werden können, dann gibt's eben keine Steuersenkungen, liebe Freunde!"
Jürgen Rüttgers verfährt dieser Tage nach dem immer gleichen Prinzip: Schmeichelnd beschwört er die Fortsetzung von Schwarz-Gelb nach dem 9. Mai – und lässt die FDP im nächsten Atemzug spüren, wer der größere Koalitionspartner ist:
"Die CDU macht Politik für alle Menschen in Nordrhein-Westfalen, und nicht nur für zehn Prozent, damit das auch klar ist."
Hinzu kommt: Rüttgers schließt andere Koalitionen, etwa mit SPD oder Grünen, nicht aus. Er meidet gemeinsame Wahlkampfauftritte mit den Liberalen. Jeder für sich – lautet seine Botschaft. Und damit kämpfen Schwarze und Gelbe dieser Tage eben auch gegeneinander – ganz so als hätte sich Düsseldorf das von Berlin abgeschaut. Es trifft die FDP hart, dass die CDU ihnen nach fünf gemeinsamen Regierungsjahren jetzt die kalte Schulter zeigt.
Anfang der Woche herrschte bei der FDP schon wieder dicke Luft, nachdem Rüttgers gegen die lange von FDP und CDU getragene Losung "Privat vor Staat", und über "die vielen Marktradikalen" geschimpft hatte . Der Düsseldorfer Fraktionschef der Liberalen, Gerhard Papke, fühlte sich durchaus angesprochen, doch machte er aus der Not eine Tugend und bemühte sich auf dem Sommerfest – das die Liberalen dieses Jahr schon im April feierten – um Gelassenheit:
"Deswegen war es schon etwas überraschend, dass der Ministerpräsident unser Erfolgsrezept 'Privat vor Staat' in Frage gestellt hat. Ich hoffe sehr, dass er unterm Strich weiter zu der Koalition stehen wird."
Immerhin: Ein Gutes sehen die Liberalen in den Absetzbewegungen der CDU. So können sie ihr eigenes Profil besser schärfen, was auch bundespolitisch wichtig ist. Das aber würde ihnen leichter fallen – hätten sie sich nicht auf Gedeih und Verderb an Jürgen Rüttgers gebunden. Ein Ampelbündnis mit SPD und Grünen lehnt Gerhard Papke klar ab. Umso misstrauischer beobachtet die FDP deshalb die Hintertür-Strategie der Christdemokraten, die sich alles offen halten. Und so bleibt dem liberalen Fraktionschef nur eines – die Warnung vor der Linkspartei, die erst mals in den Landtag einziehen könnte:
"Ich hab in den letzten Wochen manchmal über die Naivität von Teilen der CDU gestaunt, man könne sich die Grünen gewissermaßen als eigene Machtreserve vorhalten. Hat Schwarz-Gelb im nächsten Landtag keine Mehrheit, dann wird es eine Mehrheit für ein Bündnis mit den Linksextremisten geben."
Einsam aber könnte es für die FDP nach dem 9. Mai nicht nur deshalb werden, weil sich kein Koalitionspartner findet. Abgesehen davon habe sich die Partei zu lange auf ein einziges Thema festgelegt, sagt der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann:
"Sie hat das linksliberale Element der Bürgerrechte, der Demokratie, der Menschenrechte, weitgehend abgetreten an die Grünen. Die FDP muss sich von einer einseitigen Steuersenkungspartei wieder entwickeln, auf eine breitere Partei des gesamten Spektrums, des Liberalismus, wenn sie an diese Erfolge wieder anknüpfen will, deutlich über zehn Prozent zu kommen."
Bei den Bürgerrechten hatte die FDP jüngst noch versucht zu punkten, als sie sich grundsätzlich – wenn auch nur unter bestimmten Bedingungen - dafür aussprach, Guantanamo-Häftlinge in Nordrhein-Westfalen aufzunehmen. CDU-Chef Jürgen Rüttgers legte jedoch sofort ein Veto ein. Bei der Videoüberwachung ist es nicht anders, Rüttgers will mehr Kameras auf öffentlichen Plätzen, die Liberalen sind dagegen. Nun herrscht gereiztes Schweigen. Vom Deutschlandfunk zum Thema Guantanamo angesprochen, kanzelte FDP-Innenminister Ingo Wolf die Interviewerin in dieser Woche rüde ab: Er beantworte nur Fragen zum Wahlkampf.
Aber welcher Wahlkampf? Wochenlang tauchte die liberale Landesspitze in Nordrhein-Westfalen ab, nach dem Motto: Wer nichts sagt, kann auch nichts Falsches sagen. Jetzt aber, wo die Wahl so kurz bevor steht, müssen sich die Liberalen aus der Deckung wagen.
Nicht von ungefähr hat die Partei ihren Bundesparteitag in diesem Jahr nach Nordrhein-Westfalen, nach Köln gelegt. Am Sonntag wird dort Guido Westerwelle sprechen, er wird den Kampfgeist beschwören, den Seinen Mut zusprechen. Dann könnte der Wahlkampf noch einmal richtig Fahrt aufnehmen, der Parteichef könnte ein paar Tage dran hängen, Duisburg und Recklinghausen statt Daressalam und Rio de Janeiro, in den Fußgängerzonen für seine Partei werben. Schließlich war er im September, vor der Bundestagswahl, ein gutes Argument für die FDP. In diesem Landtagswahlkampf aber wäre zu viel Einsatz keine gute Idee, sagt jedenfalls Manfred Güllner, Chef von Forsa:
"Es wäre ganz gut, wenn Herr Westerwelle sich in den letzten Wochen vor der Wahl auf eine Dienstreise in die Mongolei begeben würde und nicht hier durch Äußerungen auf sich aufmerksam macht."
Denn für politische Beobachter ist Guido Westerwelle ein weiterer Grund dafür, dass die FDP so dramatisch viele Stimmen verloren hat. Zu selbstbewusst, zu schneidig, zu polarisierend trete der 48-Jährige auf.
Friedrich Nowottny erinnert sich mit Unbehagen an den Parteitag in Stuttgart. Drei Jahre ist das her, da rief Guido Westerwelle in die Porsche-Arena: "Hier steht die Freiheitsstatue der Berliner Republik!" Ein Mann, der mit einem solchen Selbstverständnis auftrete, werde im Wahlkampf mehr schaden als nutzen, so der ehemalige WDR-Intendant.
"Welcher Westerwelle taucht denn da auf? Das ist doch bei ihm immer die unberechenbare Frage, ob es - wie er selbst sagt - die Freiheitsstatue der Deutschen ist. Er selber. Also, wissen Sie, es bleibt einem die Milz stecken, wenn man sich die Anmaßung, die in diesem Bild steckt, vorstellt."
Dabei hatte am 27. September vergangenen Jahres alles so schön begonnen. Westerwelle war seinem eigenem Ziel verdammt nahe gekommen: Hatte er sich im Wahlkampf 2002 doch 18 Prozent unter die Schuhsohle geschrieben. Und was war er dafür belächelt, belacht worden. 2009 aber war er davon nur noch 3,4 Prozent entfernt.
"Dieses hervorragende Wahlergebnis, das Beste in der Geschichte der FDP, hat Herr Westerwelle verspielt mit seinem undiplomatischen, er hält es für dynamisches Auftreten."
Nun ist Guido Westerwelle nicht über Nacht dynamisch geworden. Schon vor dem September 2009 hatten die Wähler ausreichend Gelegenheit, den FDP-Chef näher kennenzulernen. Das Guido-Mobil ist vor Jahren durch Deutschland gefahren. Doch vor der Bundestagswahl, als Banken und Firmen zusammenbrachen, haben die Menschen an die Kompetenz der Liberalen geglaubt. Das Team Merkel/Westerwelle sollte die Deutschen aus der Krise führen. In ihnen sahen viele die Retter in der Not, sagt Stephan Grünewald vom Rheingold-Institut.
"Vor der Wahl war eine Hoffnung da, dass Angela Merkel, so als fleischgewordene Besitzstandwahrung als nationaler Schutzengel die Deutschen beruhigt und ihnen das Gefühl gibt, ihr kommt unbeschadet aus der Krise. An ihrer Seite war die FDP die Zugewinnsverheißung. Man hat nicht nur seine Besitzstände sicher, sondern man profitiert auch."
Nach der Wahl aber ist nicht vor der Wahl – jedenfalls was die Stimmung der Bürger anbelangt. Statt Hoffnung: Enttäuschung.
"Jetzt im neuen Jahr merkt man, die Krise ist immer noch da, Zugewinne sind überhaupt nicht möglich. Man spürt sogar eine Notwendigkeit, die Gemeinschaft zu stärken und erlebt dann einen Westerwelle, der wieder als egozentrisch erlebt wird. Der seine Versprechungen nicht einhalten kann. Der sogar Versprechungen gemacht hat, die überhaupt nicht zur aktuellen Notlage passen."
Sein großer Traum war es immer, Außenminister zu werden. Jetzt ist Guido Westerwelle dort, wo er immer sein wollte, in aller Welt. Doch seine Umfragewerte sind ein Albtraum: Innerhalb kürzester Zeit ist er auf der Skala der Beliebtheit nach ganz unten gesunken. Was ihm zu denken geben sollte, zumal die Deutschen ihre Chefdiplomaten traditionell mögen: Von ihnen sieht man Bilder aus Washington und Peking, shaking hands, doch ins Portemonnaie der Bürger greifen sie in der Regel nicht, treffen also keine unliebsamen Entscheidungen.
Guido Westerwelle hat es trotzdem geschafft, sich unbeliebt zu machen. Er lässt Fingerspitzengefühl vermissen, nimmt seine eigenen Leute mit auf Reisen und sorgt so dafür, dass die FDP ihren Ruf als Klientelpartei nicht los wird. Nach einer Forsa-Umfrage sind inzwischen nur noch 33 Prozent der Befragten der Ansicht, der FDP-Chef vertrete die Deutschen im Ausland gut. Manfred Güllner:
"Sein Hauptproblem ist, dass er als Außenminister noch nicht geachtet wird, noch nicht akzeptiert ist und viele das Gefühl haben, er füllt das Amt eigentlich noch gar nicht richtig aus - obwohl er ja schon sehr viel länger als 100 Tage im Amt ist."
Auf leisen Sohlen über diplomatisches Parkett, das wäre seine Aufgabe – doch Guido Westerwelle kann es nicht lassen: Zeitgleich poltert er auch noch über die innenpolitische Bühne. Anfang dieses Jahres polarisierte er mit seinen Äußerungen über Hartz IV-Empfänger – von seiner Bemerkung zur "spätrömischen Dekadenz" zeigte sich auch die Kanzlerin "not amused".
"Die Wähler vom September bei der Bundestagswahl haben ja FDP gewählt, damit sie regiert, damit sie auch ein bisschen als Korrektiv wirken kann gegen die Union. Aber sie haben die FDP nicht gewählt, damit sie Klamauk macht."
Jetzt, in den letzten Wochen vor dieser wichtigen Wahl, ist es etwas ruhiger geworden um den Parteichef. Vielleicht hat er sich die Beobachtungen der Meinungsforscher zu Herzen genommen. Auch wenn er nicht in die Mongolei gereist ist, vielleicht tritt er nun etwas leiser, weniger dynamisch auf. Vielleicht aber auch nicht – und er macht am kommenden Sonntag in Köln wahr, was er schon im März auf dem Landesparteitag versprochen hat:
"Ihr kauft mir den Schneid nicht ab – das verspreche ich euch!"
Straßenwahlkampf auf dem Kölner Neumarkt. Es ist Samstagmittag. Die Aprilsonne hat endlich Kraft. T-Shirts, kurze Röcke, Sonnenbrillen ziehen langsam am gelb-blauen Container der FDP vorüber. Ein Sonnenschirm spendet den Wahlkämpfern Schatten. Auch er in blau-gelb. Die Fotos der Kandidaten lächeln den Passanten zu. Hin und wieder löst sich jemand aus der Menschenmenge, steuert auf die FDP zu. In zwei Wochen wird in Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt.
Yvonne Gebauer steht auf der Straße, vor ihrem eigenen Foto. Die Sonnenbrille hält die braunen Haare zurück, der olivgrüne Schal ist perfekt auf ihre Jacke mit den schmalen Schulterklappen abgestimmt. Sie lächelt, hört zu, erklärt, diskutiert. Sie hat nicht mehr viel Zeit, um die Wähler von der FDP zu überzeugen. Für Yvonne Gebauer bedeutet das: Dauereinsatz.
"Wenn Sie das mal in Stunden aufrechnen. Das sind am Tag bestimmt fünf bis sechs Stunden. Und da ist der Samstag dann auch mit einbezogen. Das sind sechs Tage die Woche. Das ist ein Pensum, das man auch erst mal leisten muss."
Yvonne Gebauer sitzt für die FDP im Kölner Stadtrat. Sie ist 43 Jahre alt, seit 28 Jahren ist sie Parteimitglied. Schon als Kind hat sie mit ihrem Vater Wahlkampf gemacht. Wer so lange dabei ist, der kennt sie nur zu gut: Die harten Zeiten, die schlechten Umfragewerte. Im vergangenen Jahr aber, da war alles anders. Da waren die Leute begeistert von den Liberalen, endlich einmal – sagt Ulrich Breite, Geschäftsführer der Kölner Ratsfraktion. Auch er steht an diesem Samstag Vormittag auf der Straße:
"Also es war letztes Jahr, 2009, bei der Europa, Kommunalwahl, die wir hier in NRW hatten und dann bei der Bundestagswahl ein euphorischer Wahlkampf. Da sind die Leute auf einen (zu) gekommen und haben auf die Schulter geklopft. Das war schon ein erhabenes Gefühl. Das war sicherlich eine der besten Zeiten, die ich in der FDP, und ich bin seit 27 Jahren Mitglied, erlebt habe."
Das Ergebnis am Abend der Bundestagswahl: 14,6 Prozent. Historisch. Das beste Ergebnis aller Zeiten. Nach elf Jahren Opposition kehrten die Liberalen triumphierend in die Bundesregierung zurück. Doch die Hochstimmung ist innerhalb von nur sieben Monaten verpufft, die Umfragewerte sind abgestürzt. Meinungsforscher prognostizieren der FDP auf Bundesebene nur noch zwischen acht und neun Prozent.
Auf dem Bundesparteitag, der morgen in Köln beginnt, werden sich die Liberalen also auf die Suche nach den verlorenen Wählern machen müssen. Denn auch in Nordrhein-Westfalen würden nach den jüngsten Umfragen nur noch 6 bis 8 Prozent die FDP wählen – wäre schon an diesem Sonntag Landtagswahl. Diesen Stimmungseinbruch bekommen auch die Wahlkämpfer am Kölner Neumarkt zu spüren.
"Wir wussten, dass wir, wenn wir in die Regierung kommen, was ja nun im vergangenen Herbst geschehen ist. Dass das in diesem Jahr anders sein wird. Und manches Mal ist es schon so, dass uns der Wind jetzt im Landtagswahlkampf recht heftig entgegenschlägt."
An der Landespolitik liegt es nicht, sagt Yvonne Gebauer. Die wird am Stand kaum zum Thema gemacht – mal abgesehen von der Bildungspolitik. Nein, nicht Düsseldorf interessiert hier, sondern Berlin. Was da eigentlich los sei, das ist es, was die Leute wissen wollen.
"Ja, aber wo wollen sie denn jetzt die Steuern senken? Man hört immer nur, überall ist Geld zu wenig, also, wo wollen Sie das Geld hernehmen. Das passt für mich irgendwie nicht ... "
Nun hatte die FDP vor der Bundestagswahl kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie die Steuern senken wolle. Um bis zu 35 Milliarden Euro im Jahr sollten die Bürger entlastet werden, das versprachen die Liberalen im Wahlkampf. Auch sollte es künftig nur noch drei Steuerstufen geben. Doch beim Wähler waren die Steuerparolen offenbar nicht der ausschlaggebende Grund dafür, das Kreuz bei der FDP zu setzen.
"Also der große Wahlerfolg der FDP, das war letztendlich ein fundamentales Missverständnis."
... sagt Stephan Grünewald, Mitbegründer des Rheingold-Instituts in Köln. Dem stimmt ein anderer Meinungsforscher zu: Manfred Güllner, Geschäftsführer von Forsa.
"Man hatte nicht erwartet, das ist das große Missverständnis der FDP, dass Steuern gesenkt würden. Das glaubt man ohnehin keiner Partei, die Steuersenkungen verspricht. Und auch die FDP-Wähler, auch vor der Wahl schon, waren ja gar nicht deshalb auf Steuersenkungen aus, weil sie ja auch für ihre Kinder und Enkelkinder ein gutes Bildungssystem zum Beispiel haben wollen. Sie haben erwartet, dass die FDP, die vom Mittelstand beklagte Überregulierung abbaut. Und das ist eben nicht passiert bislang."
Vor allem der Mittelstand hatte aus dem Programm der FDP gelesen: weniger Bürokratie, weniger Staat. Die Partei hielt an dieser Forderung fest – auch dann noch als Deutschland in die Wirtschaftskrise schlitterte. Und während die FDP von der Oppositionsbank den liberalen Staat predigte, dachte die damalige Regierung, die schwarz-rote Koalition, darüber nach, große Unternehmen und Banken wie die Hypo Real Estate zu retten. Auf Kosten der Steuerzahler.
"Anfang 2009 konnten wir feststellen, dass die mittelständischen Wähler, die vorher der CDU ihre Stimme gegeben haben, irritiert waren durch ihre Partei. Einerseits weil die CDU doch Begriffe wie Verstaatlichung, Vergesellschaftung, Enteignung in den Mund nahm. Das war zuletzt 1947 passiert."
... sagt Manfred Güllner.
"Was aber noch wichtiger war: Die Mittelständler fühlten sich im Stich gelassen, weil sie das Gefühl hatten, die CDU redet über Hilfen für Großunternehmen wie Opel, Karstadt-Arcandor oder für die Banken, aber für den Mittelstand tun sie nichts. Und das führte zu einer Abwanderung potenzieller CDU-Wähler aus diesem Bereich des Mittelstandes zur FDP."
Die FDP aber schloss aus dem Wahlergebnis: Die Wähler wollen weniger Steuern zahlen. Und das so bald wie möglich. Zwar hatte sie im Wahlkampf noch von 35 Milliarden Euro geträumt, doch in den Koalitionsgesprächen musste sie ihre Forderung schon auf 24 Milliarden Euro reduzieren: Um diese Summe sollten Bürger und Unternehmen pro Jahr entlastet werden. Und das ab 2010. So steht es jetzt im Koalitionsvertrag mit CDU und CSU.
Das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das die neue Regierung in Windeseile durch Bundestag und -rat peitschte, sollte den Anfang machen. Spätestens da hatte sich das Missverständnis verselbstständigt. Und die Zustimmung in Umfragen sank. Denn die Partei habe die Bürger unterschätzt, sagt der Journalist Friedrich Nowottny.
"Die Leute wissen sehr wohl, dass 1,7 Billionen, Billionen, eine Belastung sind, die im Grunde genommen unerträglich ist - für die gegenwärtigen Steuerzahler und für die Generationen, die nach ihnen kommen."
Tatsächlich sind die Schulden des Bundes im vergangenen Jahr auf 1,72 Billionen Euro angewachsen. Eine Billionen, das ist eine Zahl mit 12 Nullen. Und es könnte sein, dass der Bundesfinanzminister in diesem Jahr bis zu 80 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen muss. Dabei wird die Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich um nur 1,4 Prozent wachsen, verkündete Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle diese Woche.
Inzwischen stehen nicht einmal mehr die Führungskräfte aus der Wirtschaft hinter der FDP. Aus einer Umfrage des Handelsblatt geht hervor: Hatten vor sieben Monaten bei der Bundestagswahl noch 37 Prozent der befragten Manager ihre Zweitstimme an die FDP gegeben, würden es jetzt nur noch sechs Prozent tun.
Trotzdem. Die Liberalen halten an ihren Forderungen nach Steuersenkungen fest. Von den 24 Milliarden Euro Steuerentlastungen aus dem Koalitionsvertrag sind inzwischen nur noch 16 Milliarden Euro übrig geblieben – um diesen Betrag sollen Bürger und Unternehmen pro Jahr steuerlich entlastet werden. Und auch erst ab 2012. Damit bleibe die FDP nicht hinter ihren eigenen Ansprüchen zurück, betont Hermann Otto-Solms. Vielmehr liege diese Differenz von acht Milliarden darin begründet, dass das Wachstumsbeschleunigungsgesetz bereits umgesetzt sei, so der FDP-Finanzexperte.
In einem ersten Schritt wollen die Liberalen ab dem nächsten Jahr die vielen komplizierten Regeln des Steuersystems vereinfachen. Das will die FDP an diesem Wochenende auf ihrem Bundesparteitag beschließen und danach mit der Union darüber verhandeln. Doch CDU und CSU waren den Steuerplänen der FDP von Anfang mit Skepsis begegnet. Schwarz auf Weiß findet sich das schon im Koalitionsvertrag wieder. In den hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble den Satz hineinverhandelt:
"Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt."
Heißt: Entlastungen für den Bürger nur, wenn die Kassenlage es zulässt. Dazu steht auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, CDU. Zwar sei er grundsätzlich für Steuersenkungen ...
" ... aber liebe Freunde, mit meiner Stimme werden keine Steuern gesenkt, wenn gleichzeitig bei den Kommunen Schwimmbäder geschlossen werden oder Kindergärten nicht ausgebaut werden können, dann gibt's eben keine Steuersenkungen, liebe Freunde!"
Jürgen Rüttgers verfährt dieser Tage nach dem immer gleichen Prinzip: Schmeichelnd beschwört er die Fortsetzung von Schwarz-Gelb nach dem 9. Mai – und lässt die FDP im nächsten Atemzug spüren, wer der größere Koalitionspartner ist:
"Die CDU macht Politik für alle Menschen in Nordrhein-Westfalen, und nicht nur für zehn Prozent, damit das auch klar ist."
Hinzu kommt: Rüttgers schließt andere Koalitionen, etwa mit SPD oder Grünen, nicht aus. Er meidet gemeinsame Wahlkampfauftritte mit den Liberalen. Jeder für sich – lautet seine Botschaft. Und damit kämpfen Schwarze und Gelbe dieser Tage eben auch gegeneinander – ganz so als hätte sich Düsseldorf das von Berlin abgeschaut. Es trifft die FDP hart, dass die CDU ihnen nach fünf gemeinsamen Regierungsjahren jetzt die kalte Schulter zeigt.
Anfang der Woche herrschte bei der FDP schon wieder dicke Luft, nachdem Rüttgers gegen die lange von FDP und CDU getragene Losung "Privat vor Staat", und über "die vielen Marktradikalen" geschimpft hatte . Der Düsseldorfer Fraktionschef der Liberalen, Gerhard Papke, fühlte sich durchaus angesprochen, doch machte er aus der Not eine Tugend und bemühte sich auf dem Sommerfest – das die Liberalen dieses Jahr schon im April feierten – um Gelassenheit:
"Deswegen war es schon etwas überraschend, dass der Ministerpräsident unser Erfolgsrezept 'Privat vor Staat' in Frage gestellt hat. Ich hoffe sehr, dass er unterm Strich weiter zu der Koalition stehen wird."
Immerhin: Ein Gutes sehen die Liberalen in den Absetzbewegungen der CDU. So können sie ihr eigenes Profil besser schärfen, was auch bundespolitisch wichtig ist. Das aber würde ihnen leichter fallen – hätten sie sich nicht auf Gedeih und Verderb an Jürgen Rüttgers gebunden. Ein Ampelbündnis mit SPD und Grünen lehnt Gerhard Papke klar ab. Umso misstrauischer beobachtet die FDP deshalb die Hintertür-Strategie der Christdemokraten, die sich alles offen halten. Und so bleibt dem liberalen Fraktionschef nur eines – die Warnung vor der Linkspartei, die erst mals in den Landtag einziehen könnte:
"Ich hab in den letzten Wochen manchmal über die Naivität von Teilen der CDU gestaunt, man könne sich die Grünen gewissermaßen als eigene Machtreserve vorhalten. Hat Schwarz-Gelb im nächsten Landtag keine Mehrheit, dann wird es eine Mehrheit für ein Bündnis mit den Linksextremisten geben."
Einsam aber könnte es für die FDP nach dem 9. Mai nicht nur deshalb werden, weil sich kein Koalitionspartner findet. Abgesehen davon habe sich die Partei zu lange auf ein einziges Thema festgelegt, sagt der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann:
"Sie hat das linksliberale Element der Bürgerrechte, der Demokratie, der Menschenrechte, weitgehend abgetreten an die Grünen. Die FDP muss sich von einer einseitigen Steuersenkungspartei wieder entwickeln, auf eine breitere Partei des gesamten Spektrums, des Liberalismus, wenn sie an diese Erfolge wieder anknüpfen will, deutlich über zehn Prozent zu kommen."
Bei den Bürgerrechten hatte die FDP jüngst noch versucht zu punkten, als sie sich grundsätzlich – wenn auch nur unter bestimmten Bedingungen - dafür aussprach, Guantanamo-Häftlinge in Nordrhein-Westfalen aufzunehmen. CDU-Chef Jürgen Rüttgers legte jedoch sofort ein Veto ein. Bei der Videoüberwachung ist es nicht anders, Rüttgers will mehr Kameras auf öffentlichen Plätzen, die Liberalen sind dagegen. Nun herrscht gereiztes Schweigen. Vom Deutschlandfunk zum Thema Guantanamo angesprochen, kanzelte FDP-Innenminister Ingo Wolf die Interviewerin in dieser Woche rüde ab: Er beantworte nur Fragen zum Wahlkampf.
Aber welcher Wahlkampf? Wochenlang tauchte die liberale Landesspitze in Nordrhein-Westfalen ab, nach dem Motto: Wer nichts sagt, kann auch nichts Falsches sagen. Jetzt aber, wo die Wahl so kurz bevor steht, müssen sich die Liberalen aus der Deckung wagen.
Nicht von ungefähr hat die Partei ihren Bundesparteitag in diesem Jahr nach Nordrhein-Westfalen, nach Köln gelegt. Am Sonntag wird dort Guido Westerwelle sprechen, er wird den Kampfgeist beschwören, den Seinen Mut zusprechen. Dann könnte der Wahlkampf noch einmal richtig Fahrt aufnehmen, der Parteichef könnte ein paar Tage dran hängen, Duisburg und Recklinghausen statt Daressalam und Rio de Janeiro, in den Fußgängerzonen für seine Partei werben. Schließlich war er im September, vor der Bundestagswahl, ein gutes Argument für die FDP. In diesem Landtagswahlkampf aber wäre zu viel Einsatz keine gute Idee, sagt jedenfalls Manfred Güllner, Chef von Forsa:
"Es wäre ganz gut, wenn Herr Westerwelle sich in den letzten Wochen vor der Wahl auf eine Dienstreise in die Mongolei begeben würde und nicht hier durch Äußerungen auf sich aufmerksam macht."
Denn für politische Beobachter ist Guido Westerwelle ein weiterer Grund dafür, dass die FDP so dramatisch viele Stimmen verloren hat. Zu selbstbewusst, zu schneidig, zu polarisierend trete der 48-Jährige auf.
Friedrich Nowottny erinnert sich mit Unbehagen an den Parteitag in Stuttgart. Drei Jahre ist das her, da rief Guido Westerwelle in die Porsche-Arena: "Hier steht die Freiheitsstatue der Berliner Republik!" Ein Mann, der mit einem solchen Selbstverständnis auftrete, werde im Wahlkampf mehr schaden als nutzen, so der ehemalige WDR-Intendant.
"Welcher Westerwelle taucht denn da auf? Das ist doch bei ihm immer die unberechenbare Frage, ob es - wie er selbst sagt - die Freiheitsstatue der Deutschen ist. Er selber. Also, wissen Sie, es bleibt einem die Milz stecken, wenn man sich die Anmaßung, die in diesem Bild steckt, vorstellt."
Dabei hatte am 27. September vergangenen Jahres alles so schön begonnen. Westerwelle war seinem eigenem Ziel verdammt nahe gekommen: Hatte er sich im Wahlkampf 2002 doch 18 Prozent unter die Schuhsohle geschrieben. Und was war er dafür belächelt, belacht worden. 2009 aber war er davon nur noch 3,4 Prozent entfernt.
"Dieses hervorragende Wahlergebnis, das Beste in der Geschichte der FDP, hat Herr Westerwelle verspielt mit seinem undiplomatischen, er hält es für dynamisches Auftreten."
Nun ist Guido Westerwelle nicht über Nacht dynamisch geworden. Schon vor dem September 2009 hatten die Wähler ausreichend Gelegenheit, den FDP-Chef näher kennenzulernen. Das Guido-Mobil ist vor Jahren durch Deutschland gefahren. Doch vor der Bundestagswahl, als Banken und Firmen zusammenbrachen, haben die Menschen an die Kompetenz der Liberalen geglaubt. Das Team Merkel/Westerwelle sollte die Deutschen aus der Krise führen. In ihnen sahen viele die Retter in der Not, sagt Stephan Grünewald vom Rheingold-Institut.
"Vor der Wahl war eine Hoffnung da, dass Angela Merkel, so als fleischgewordene Besitzstandwahrung als nationaler Schutzengel die Deutschen beruhigt und ihnen das Gefühl gibt, ihr kommt unbeschadet aus der Krise. An ihrer Seite war die FDP die Zugewinnsverheißung. Man hat nicht nur seine Besitzstände sicher, sondern man profitiert auch."
Nach der Wahl aber ist nicht vor der Wahl – jedenfalls was die Stimmung der Bürger anbelangt. Statt Hoffnung: Enttäuschung.
"Jetzt im neuen Jahr merkt man, die Krise ist immer noch da, Zugewinne sind überhaupt nicht möglich. Man spürt sogar eine Notwendigkeit, die Gemeinschaft zu stärken und erlebt dann einen Westerwelle, der wieder als egozentrisch erlebt wird. Der seine Versprechungen nicht einhalten kann. Der sogar Versprechungen gemacht hat, die überhaupt nicht zur aktuellen Notlage passen."
Sein großer Traum war es immer, Außenminister zu werden. Jetzt ist Guido Westerwelle dort, wo er immer sein wollte, in aller Welt. Doch seine Umfragewerte sind ein Albtraum: Innerhalb kürzester Zeit ist er auf der Skala der Beliebtheit nach ganz unten gesunken. Was ihm zu denken geben sollte, zumal die Deutschen ihre Chefdiplomaten traditionell mögen: Von ihnen sieht man Bilder aus Washington und Peking, shaking hands, doch ins Portemonnaie der Bürger greifen sie in der Regel nicht, treffen also keine unliebsamen Entscheidungen.
Guido Westerwelle hat es trotzdem geschafft, sich unbeliebt zu machen. Er lässt Fingerspitzengefühl vermissen, nimmt seine eigenen Leute mit auf Reisen und sorgt so dafür, dass die FDP ihren Ruf als Klientelpartei nicht los wird. Nach einer Forsa-Umfrage sind inzwischen nur noch 33 Prozent der Befragten der Ansicht, der FDP-Chef vertrete die Deutschen im Ausland gut. Manfred Güllner:
"Sein Hauptproblem ist, dass er als Außenminister noch nicht geachtet wird, noch nicht akzeptiert ist und viele das Gefühl haben, er füllt das Amt eigentlich noch gar nicht richtig aus - obwohl er ja schon sehr viel länger als 100 Tage im Amt ist."
Auf leisen Sohlen über diplomatisches Parkett, das wäre seine Aufgabe – doch Guido Westerwelle kann es nicht lassen: Zeitgleich poltert er auch noch über die innenpolitische Bühne. Anfang dieses Jahres polarisierte er mit seinen Äußerungen über Hartz IV-Empfänger – von seiner Bemerkung zur "spätrömischen Dekadenz" zeigte sich auch die Kanzlerin "not amused".
"Die Wähler vom September bei der Bundestagswahl haben ja FDP gewählt, damit sie regiert, damit sie auch ein bisschen als Korrektiv wirken kann gegen die Union. Aber sie haben die FDP nicht gewählt, damit sie Klamauk macht."
Jetzt, in den letzten Wochen vor dieser wichtigen Wahl, ist es etwas ruhiger geworden um den Parteichef. Vielleicht hat er sich die Beobachtungen der Meinungsforscher zu Herzen genommen. Auch wenn er nicht in die Mongolei gereist ist, vielleicht tritt er nun etwas leiser, weniger dynamisch auf. Vielleicht aber auch nicht – und er macht am kommenden Sonntag in Köln wahr, was er schon im März auf dem Landesparteitag versprochen hat:
"Ihr kauft mir den Schneid nicht ab – das verspreche ich euch!"