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Amazon-Serie "Crisis in Six Scenes"
Typischer Allen in neuem Format

New York Ende der 60er-Jahre: Eine flüchtige Revolutionärin stellt das gemütliche Leben eines gealterten Vorstadtpaares auf den Kopf. Woody Allens erste Serie ist ganz typisch für ihn - mit Neurosen, New York und ihm in der Hauptrolle.

Von Hendrik Efert |
    Woody Allen als Schriftsteller Sidney J. Munsinger in seiner Amazon-Serie "Crisis in Six Scenes".
    Woody Allen als Schriftsteller Sidney J. Munsinger in seiner Amazon-Serie "Crisis in Six Scenes". (Amazon Studios 2016)
    Die USA Ende der 60er-Jahre, das Land ist im Umbruch: Bürgerrechtsbewegung, Rassismus, Vietnamkrieg. Und mitten drin sitzt der in die Jahre gekommene Autor Sidney Munsinger. Beim Friseur.
    "I am working on an idea for a television series now."
    "Oh. I see."
    "Crisis in Six Scenes" erzählt in sechs kurzen Episoden, wie die gemütliche Welt des gealterten New Yorker Vorstadtautors, natürlich gespielt von Woody Allen selbst, und seiner Gattin, gespielt von Hollywood-Veteranin Elaine May, plötzlich durcheinandergerät. Natürlich durch eine junge Frau - typisch Allen:
    "Lenny?"
    "Yes. Lenny Dale."
    "What’s going on? You know her?"
    Lenny ist wegen politischer Aktionen auf der Flucht vor Polizei und FBI und nistet sich kurzerhand bei den Munsingers ein. Ihr frecher Charme und die aufständische Energie färben schnell auf ihr neues Umfeld ab: Munsingers Frau beginnt sich für Lennys revolutionäre Theorien zu interessieren und trägt das sogar in ihre wöchentliche Kaffeeklatschrunde. Nur an einem prallt all das ab: an Sidney Munsinger selbst.
    "I would have gone, but ..."
    "Forget it, I am allergic to tear gas."
    Neurosen, Ängste und revolutionäre Kämpfe
    Für Woody Allen ist es die erste eigene Arbeit fürs Serienfernsehen - und dann gleich für den Streaming-Platzhirschen Amazon. Und dennoch ist "Crisis in Six Scenes" ein typischer Allen: Der von Neurosen und Ängsten geplagte, alternde Mann, die hineinplatzende, energetische Frau, New York und so weiter.
    Zunächst ist das ein Vorteil: Allen überspitzt die bekannten Neurosen seines Alter Egos, und fügt ihnen eine bisher nicht bekannte Überwachungsparanoia hinzu, durch die Beherbergung des flüchtigen Staatsfeindes.
    "I said, she was a menace and when they catch her, they don’t even bother to have a trial. They just shoot her."
    Diese persönlichen Ängste stellt er geschickt den gesellschaftlichen Umwälzung gegenüber. Neurosen gelten als zutiefst egozentrisch. Der revolutionäre Kampf hingegen als altruistisch, als ein Kampf, den man immer auch für andere führt.
    Dies weicht Allen auf, mit "Crisis in Six Scenes" will er zeigen: Der revolutionäre Kampf für die gute Sache und der Kampf ums eigene Wohlbefinden unterscheiden sich letztendlich nicht.
    "How about next saturday?"
    "I can’t. We have a Bar Mitzwa."
    "Oh yeah."
    Revolutionär auch: Die Darstellung eines alten Paares im Mittelpunkt einer Serie. Woody Allen ist mittlerweile 80 Jahre alt, seine Schauspielpartnerin May sogar 84. Es macht Spaß den beiden zuzuschauen, sie agieren gemächlich, aber nie würdelos.
    "That was close."
    "It is now officially, that we are criminals! We crossed the line, this is it!"
    "We are? I can’t think. Let’s go to bed."
    Allen lässt seine Chance bedauerlicherweise nahezu ungenutzt
    Doch damit sind auch schon die größten Leistungen der Serie genannt. Auch unter sehr wohlwollender Betrachtung - schließlich sollte durchaus anerkannt werden, dass hier einer der größten noch lebenden US-Filmemacher endlich einen Fuß in die Welt des seriellen Erzählens gesetzt hat - "Crisis in Six Scenes" ist lediglich ein in sechs Episoden aufgeteilter Woody-Allen-Film. Und leider kein guter. Das Thema wird viel zu sehr aufgeblasen, offenbar hatte Allen Mühe, sechs mal 25 Minuten zu füllen. Hinzu kommt: Miley Cyrus spielt die revolutionäre Göre Lenny unglaubwürdig bis hin zu trostlos.
    "I don’t dislike you. It is just ... everything that you stand for."
    Mit "Crisis in Six Scenes" hat Woody Allen keine Serie des seriellen Erzählens wegen vorgelegt. Amazon wollte eine Serie, also machte er eine, und zwar so, wie er Serie versteht. Im letzten Jahr gab er bereits zu, dass ihn vor allem das finanzielle Angebot gereizt habe. Und, dass er die viele Arbeit für das Projekt bereits bereute. Freude am seriellen Erzählen empfand er offenbar nicht. Vielleicht hat er auch deshalb immer mal wieder Seitenhiebe auf das Fernsehen im Allgemeinen eingebaut. Mediale Selbstreferenzialität - auch typisch für Allen. Doch hier wirkt das nicht klug und weitsichtig, sondern wie der verschwommene Blick eines alten Mannes auf ein Medium, das er nicht mehr versteht. Dabei ist das amerikanische Serien-Fernsehen in jüngster Zeit zu einem der kreativsten Umfelder für Geschichtenerzähler geworden. Woody Allen lässt seine Chance bedauerlicherweise nahezu ungenutzt.
    "God’s gonna punish us for this."
    "You are an atheist."
    "But if I am wrong we are in big trouble."