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Amazon
Vom Verkaufen besessen

Der Gründer des Internetversandhandels Amazon, Jeff Bezos, gilt unter den Internetgrößen unserer Zeit als eher farblos. Wirtschaftsjournalist Brad Stone legt in seinem Insiderbericht "Der Allesverkäufer" über Amazon dar, wie der Geschäftsmann den Konzern zum Erfolg führte - auch auf Kosten der Mitarbeiter in den Auslieferungszentralen.

    "Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg sagte der Gründer von Sony, Akio Morita, die Aufgabe seiner Firma sei es, Japan zu einem Synonym für Qualität zu machen. Damals war Japan für billige Raubkopien bekannt. Morita wollte nicht seine Firma, sondern sein Land nach vorne bringen. Es gab eine Mission, die größer war als Sony. Wir haben etwas Ähnliches im Sinn. Wir wollen, dass Amazon von anderen Firmen als Bannerträger dafür gesehen wird, einen obsessiven Fokus auf den Kunden zu legen und nicht auf den Mitbewerber."
    Bannerträger, obsessiv, Mission – Jeff Bezos stapelt nun wirklich nicht tief. Doch der Gründer von Amazon, mit einem geschätzten Privatvermögen von 25 Milliarden Dollar zwölftreichster Mann der USA, gilt unter all den Internetgrößen unserer Zeit als eher farblos. Er ist kein Charismatiker wie der verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs und auch kein Philanthrop wie der Ebay-Erfinder Pierre Omidyar, der mit seinem Geld in Zukunft unabhängigen Journalismus fördern möchte. Immer noch ist unklar, was Jeff Bezos mit der Washington Post vorhat, die er Anfang August für 250 Millionen Dollar kaufte.
    Auch Brad Stone, Journalist der Wirtschaftszeitschrift Bloomberg Businessweek, kann aus einem Mann, dessen größtes Hobby die Arbeit ist, keine funkelnde Persönlichkeit machen. Wer Stones Buch "Der Allesverkäufer" gelesen hat, der weiß allerdings, dass Bezos sich nicht lange mit Verlustgeschäften aufhält. Sollte sich die Washington Post nicht in das Amazon-Imperium einpassen lassen – auf welche Art auch immer -, dürften ihre Tage gezählt sein.
    Denn Bezos ist vor allem vom Gelingen besessen – und vom Verkaufen. Als sich Anfang der 90er-Jahre das rasante Wachstum des Internets abzuzeichnen begann, erkannte der damals schon hochdotierte Hedgefond-Manager seine Chance. Dass er sein Internetgeschäft mit Büchern begann, hatte vor allem praktische Gründe: Bücher sind leicht zu versenden, und sie haben kein Verfallsdatum. Trotzdem, so sagt sein Biograf Brad Stone:
    "Jeff Bezos war schon immer ein großer Fan des geschriebenen Wortes. Es ist auch der Schlüssel dazu, wie Amazon geführt wird. Bei jedem Meeting müssen die Teilnehmer erst einmal einen sechsseitigen Bericht still lesen. Bezos hat sein Geschäft mit Büchern begonnen, hat später den Kindle lanciert und den Handel mit Büchern so gut wie revolutioniert. Das geschriebene Wort ist der Schlüssel zu dem, was er aufgebaut hat."

    Von der Garagenfirma zum größten Onlinehändler der Welt
    Und das ist nicht wenig. Innerhalb von nicht einmal 20 Jahren wurde aus einer Garagenfirma in Seattle der größte Online-Händler der Welt. Dieser Erfolg basierte vor allem auf langfristigem Denken und auf harter Arbeit – der von Bezos selbst, aber auch der seiner Mitarbeiter. Je einfacher und auch sicherer der Einkauf, desto mehr Geld wird der Kunde bereit sein, auszugeben.
    Die ersten Amazon-Mitarbeiter schrieben noch ihre Software selbst, und viele Tools, also technische Hilfsmittel, die uns heute selbstverständlich anmuten, mussten erst erfunden werden. Wie beispielsweise die sogenannte 1-Click-Bestellung.
    "Die Idee für das System war irgendwann 1997 bei einem Lunch mit Shel Kaphan und dem Interface-Ingenieur Peri Hartman geboren worden (…). Hartman, der einen IT-Abschluss von der University of Washington hatte, ersann ein System, das die Kreditkarteninformationen eines Kunden sowie die bevorzugte Versandadresse vorlud und ihm dann die Möglichkeit gab, bei der Bestellung den Kauf mit einem einzigen Click auf den Button zu tätigen. Diese relativ kleine Reduktion des Aufwands beim Online-Einkauf brachte Amazon nicht nur zusätzliche Millionen Dollar Umsatz, man zog damit auch einen schützenden Graben um seine Festung und behinderte die Konkurrenz."
    Denn Jeff Bezos ließ sich die 1-Click-Bestellung patentieren. Auch sonst macht der Geschäftsmann, der schon als hochbegabter Heranwachsender durch massives Konkurrenzdenken auffiel, keine Gefangenen im Kampf um die führende Stellung im Markt. Den amerikanischen Verlegern beispielsweise, die keine Buchpreisbindung kennen, presste er Rabatte ab und drohte bei Nichteinwilligung, ihre Titel aus den Empfehlungen herauszunehmen, mit denen Amazon Kunden auf andere Angebote aufmerksam macht.
    Die Arbeiter in den amerikanischen Auslieferungszentralen von Amazon, sagt Brad Stone, sind einem strengen Punktesystem unterworfen, bei dem jeder Fehler geahndet wird und sogar eine Krankmeldung einen Punkt kostet.
    "Es gibt außerordentlich lange Arbeitstage. Die kurzen 15-Minuten-Pausen werden dadurch noch weiter verkürzt, dass die Arbeiter durch Sicherheitsscanner gehen müssen. Und dann gibt es die Ferienmonate. Dann beginnt bei Amazon der absolute Irrsinn. 70.000 Zeitarbeiter werden allein für diese Saison zusätzlich eingestellt. In diesen zwei Monaten gibt es keinen Urlaub, keine Toleranz für Fehler. Die Arbeiter sind strengen Maßstäben unterworfen. Wer zwei Tage fehlt, ist draußen."

    Marktmacht durch schiere Größe
    Wie Brad Stone schreibt, ist es das Ziel von Jeff Bezos, alles zu verkaufen und zwar überall. Dabei basiert die Marktmacht von Amazon nicht etwa auf den Gewinnen – die sind nicht besonders hoch -, sondern auf der schieren Größe des Unternehmens. Strategisch geschickt und von vielen unbemerkt, hat Bezos längst mit Amazon Web Services (kurz: AWS) begonnen, Computerinfrastruktur zu vermieten und sich damit auch für die Internetwirtschaft unentbehrlich zu machen.
    "Der Service ist unzertrennlich mit dem Alltag im Silicon Valley und der weiteren Technologie-Community verwoben. Start-ups wie Pinterest und Instagram mieten Speicherplatz und Rechenzyklen auf Amazons Computern und führen ihre Geschäfte über das Internet, als stünden die leistungsstarken Server in ihren eigenen Büros. Selbst große Unternehmen verlassen sich auf AWS – Netflix zum Beispiel nutzt sie, um Filme zu seinen Kunden zu streamen. AWS half, das Konzept der Cloud zu entwickeln, und das System ist von solcher Bedeutung für die künftigen Geschicke von Start-ups, dass Risikokapitalisten nicht selten AWS-Gutscheine an ihre frisch gebackenen Unternehmer verteilen."
    Amazon ist also längst nicht mehr nur Handels-, sondern auch Technologieunternehmen. Und es sammelt, wie Facebook, fleißig Daten von Menschen aus aller Welt. Eine Entwicklung, die eigentlich nicht im Sinne eines freien Marktes und einer offenen Gesellschaft ist. Leider analysiert Brad Stone diese Entwicklung nicht und belässt es bei einer sehr ausführlichen Chronik der Unternehmensgeschichte von Amazon. Doch auch aus dieser lässt sich ablesen: Politik und Gesellschaft sollten Jeff Bezos kritisch im Auge behalten.
    Brad Stone: "Der Allesverkäufer. Jeff Bezos und das Imperium von Amazon"
    Campus Verlag, 399 Seiten, 24,99 Euro, ISBN: 978-3-593-39816-7