Georg Ehring: Vielleicht liegt es auch an der Macht der Bilder: Die Wälder brennen. In großen Städten verdunkeln Rauchwolken den Himmel. Die Feuersbrünste am Amazonas erschüttern die Welt. Und auch die G7 haben am Wochenende darüber gesprochen, wie man mit dieser Katastrophe umgehen kann. Doktor Kirsten Thonicke ist beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Expertin für Wald und Waldbrände. Sie begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag, Frau Doktor Thonicke!
Kirsten Thonicke: Guten Tag, ich grüße Sie!
Ehring: Was bedeuten denn die Waldbrände für das Weltklima?
Thonicke: Die Waldbrände sind kein natürliches Element für den Amazonas-Regenwald. Sie sind von den Menschen dort vor Ort gelegt worden, um abgeholzte Flächen für Sojaanbau und Weideflächen urbar zu machen, und insofern sind sie bedeutsam, weil sie große Mengen an CO2, Kohlenmonoxid oder auch Methan freisetzen, eine ganze Menge Staubpartikel mit freisetzen, weshalb die Rußwolken auch so die Bilder stark prägen.
Ehring: Gibt es denn schon eine Möglichkeit, abzuschätzen, wie groß die zusätzlichen Emissionen werden durch den Waldbrand oder weiß man das erst später?
Thonicke: Das weiß man erst später. Das ist schwierig abzuschätzen. Zum einen muss man warten, bis jetzt die Brandsaison zu Ende geht. Man muss wissen, in der Region zählen der August und September zu den trockensten Monaten. Deshalb haben auch schon immer die Bauern und andere Akteure, die dort den Wald legal oder illegal abgeholzt haben, diese Monate genutzt, um Waldbrände zu legen. Da muss man einfach schauen, wie sich das jetzt weiterentwickelt, bleibt es jetzt so katastrophal, wie es jetzt auf den Bildern aussieht, und dann kann man die Messungen anschauen und in etwa abschätzen, wie viel Waldfläche ist verlorengegangen, wie viel Biomasse war dort gespeichert, um abzuschätzen, was da eventuell an CO2 und anderen Treibhausgasen in die Luft emittiert ist.
Dann kann man abschätzen, ist das jetzt etwas, was vielleicht in den Messstationen, die die Luftqualität messen und den CO2-Gehalt in der Atmosphäre messen, ob die das als Signal aufnehmen werden, und dann kann man sozusagen Rückschlüsse ziehen, wie schlimm es war.
Warnung davor, "Entwaldung noch weiter voranzutreiben"
Ehring: Seit Jahrzehnten schrumpft ja der Urwald am Amazonas. Was passiert denn, wenn die Abholzung weitergeht, und wie viel ist überhaupt noch über?
Thonicke: Oh, es ist noch ganz, ganz viel über. Das Waldgebiet umfasst ja 5,3 Millionen Quadratkilometer. Es sind allerdings auch schon seit den 70er-Jahren circa 20 Prozent des Waldes verlorengegangen, meistens im Osten und Südosten des Gebietes. Es wird aber davor gewarnt, diese Entwaldung noch weiter voranzutreiben beziehungsweise, was ganz schlimm wäre, in die Verhältnisse der 80er- und 90er-Jahre zurückzuverfallen, denn Klimawissenschaftler befürchten, dass dann eine Schleife in Gang gesetzt wird, die zu weiterer Austrocknung und weiterem Absterben der Bäume führt. Also was man bis jetzt weiß bei dem Waldverlust von 20 Prozent, ist, dass regional das Klima schon wärmer geworden ist.
Meteorologen haben ermittelt, dass es so zwischen 0,8 und 0,9 Grad Celsius sein könnte. Die Trockensaison ist länger geworden, der Regen setzt im Herbst viel später ein, und das bringt zusätzlichen Stress für die Bäume im Regenwald, die eigentlich diese Art Trockenheit und auch die Auswirkungen des Feuers nicht kennen. Die sind also gegenüber Waldbränden sehr empfindlich und sterben leicht ab. Dann fehlt sozusagen die Regenwaldpumpe, die das System, die Waldfläche am Leben erhält, und da fürchten wir einfach, dass der Wald großflächig absterben könnte.
Ehring: Das heißt, selbst wenn der Mensch nicht mehr abholzt, würde dann das Absterben des Waldes von selber weitergehen.
Thonicke: Das kann passieren, wenn diese kritische Schwelle überschritten ist, dass dann so Selbstverstärkungseffekte, wie wir sagen, einsetzen würden, die das Absterben weiter vorantreiben würden, genau.
Bei Aufforstung "auf keinen Fall Monokulturen"
Ehring: Die Aufforstung großer Waldflächen gilt ja als eine Möglichkeit, CO2 sogar aus der Atmosphäre wieder zu entfernen. Wie beurteilen Sie das vor dem Hintergrund der großflächigen Waldvernichtung, wie wir sie gerade in Brasilien erleben?
Thonicke: Der beste Schutz für den Wald ist natürlich, die Waldvernichtung einzudämmen und auf null zu setzen in solchen Gebieten, wo eigentlich schon große Flächen abgeholzt wurden und für die Landwirtschaft zur Verfügung stehen. Wieder aufforsten ist auf jeden Fall eine gute Sache. In Brasilien hatte schon eine ganz große Fläche an sogenannten Sekundärwäldern, die entstanden waren, einfach dadurch, dass unwirtschaftliche Flächen wieder aufgegeben wurden oder Landspekulation sich nicht ausgezahlt hatten, und diese Wälder hatten sich schon zu sogenannten Sekundärwäldern oder Trockenwäldern wieder entwickelt und stellen eigentlich ein sehr gutes Potenzial dar, wo man lernen kann, wie das funktionieren kann.
Also es gibt Experten vor Ort und Projekte, Erfahrungen brasilianischer Kollegen und Kolleginnen, die wissen, wie man das anpacken könnte. Diese Erfahrung sollte man hier nutzen, damit diverse Wälder aufwachsen, die sehr viel Kohlenstoff speichern können, und auf gar keinen Fall sollte man auf Monokulturen zurückgreifen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.