Zwei Stunden dauert die Fahrt mit dem Schnellboot durch eine der Buchten im Amazonasdelta, in denen sich die Seitenarme des gewaltigen Tropen-Stromes vereinen, bevor sie in den Atlantik münden. Dann taucht eine bewaldete Insel auf, so groß, dass ich ihre Umrisse nicht abschätzen kann: Marajó, die größte Flussinsel der Welt, größer als die Fläche von Nordrhein-Westfalen.
Zwischen Palmen taucht eine Art überdachter Laubengang mit rot gestrichenen Pfeilern auf, an deren angrenzenden Steg das Boot anlegt. Touristen aus der Region und Anwohner von der Insel klappern mit ihren Koffern den Steg hinauf zum Laubengang, dem Eingangstor nach Marajó. Im Schatten neben dem Laubengang werde ich schon von der berittenen Militärpolizei erwartet.
"Bom dia!" - "Bom dia! Muito obrigado!" - "Vamos la."
Mehrere Soldaten in farngrüner Uniform mit Schutzweste stehen neben ihren Tieren – drei mächtigen, gesattelten Büffeln. Sie sind nicht so groß wie die meisten Pferde, dürften aber eine Tonne wiegen. Den Vordersten mit zwei nach innen kringelförmig einlaufenden Hörnern hält an einem Seil Feldwebel Claudio Vitelli – rundes, glatt rasiertes Gesicht unter seiner Polizeikappe, am rechten Arm lugt eine Tätowierung unter dem kurzen Ärmel hervor. Das Seil läuft über den Kopf des Büffels und endet als Schlaufe in dessen Nase. Ich schaue Vitelli fragend an.
"Bei einem Pferd arbeitest Du mit Zügeln, beim Büffel ist die Nasenscheidewand gelocht, damit wir das Tier steuern können."
Ich frage: "Tut das nicht weh?" - "Nein, das ist wie ein Ohrring nach einer Weile."
Büffel Turista hat eine alte Piranha-Wunde am Kopf
Ich hoffe, das stimmt. Schließlich haben die Militär-Polizisten mir versprochen, dass ich sie auf Büffelpatrouille begleiten kann. Aber ich will dem Tier ja auch nicht wehtun! Feldwebel Vitelli zeigt auf den Büffel mit den Kringel-Hörnern:
"Das ist Dein Büffel, den wirst Du reiten!"-"Wie heißt er?" - "Er heißt ‚Turista‘." - "Warum? Weil er Touristen befördert?" - "Nein, das ist nur ein Spitzname."
Turista schaut ein bisschen skeptisch, als ich so vor ihm stehe, und schüttelt sanft mit dem Kopf – wirkt aber sonst sehr friedlich. Inzwischen ist Vitellis Vorgesetzter Hauptmann Rauly Vienna dazugekommen. Er mischt sich ein, als ich gerade Turistas Hinterkopf kraulen will.
"Vorsicht mit dem Kopf! Da am Ohr hat ihn als Jungtier mal ein Piranha gebissen. Das macht ihn ziemlich nervös. Lieber weiter hinten…!" - Vitelli ergänzt: "Er denkt sonst, Du willst ihn angreifen!"
Gut, das ist so ziemlich das Letzte, was mein Ein-Tonnen-Schwerer-Büffel von mir denken soll. Gesattelt ist Turista schon, Steigbügel gibt es auch: "Reite ich ihn wie ein Pferd oder wie?" - "Im Prinzip ja, aber ein Pferd kann jeder reiten. Aber einem Büffel darfst Du nicht zeigen, dass Du Angst hast", erklärt Vitelli.
Ich frage mich noch, was das heißt, als mir Rauly und Vitelli auch schon in den Sattel helfen und dann auf ihre Büffel klettern. Ein dritter Beamter reicht mir das Seil, das bei einem Pferd Zügel wären, um Turista zu lenken. "So mein lieber Turista. Jetzt gibt es nur noch Dich und mich. Die beiden Kollegen reiten schon mal vor mit ihren."
Seit 1993 reiten die Polizisten auf Büffeln
Ich imitiere die Schmatzgeräusche des Beamten in der Hoffnung, dass Turista das als Startsignal versteht. Und tatsächlich setzt sich der Büffel langsam in Bewegung. Vielleicht folgt er aber auch nur seinen beiden Artgenossen…
In einer Hand habe ich mein Mikrofon, mit der anderen das einzelne Seil, um Turista nach links und rechts zu lenken. Ich muss es hoch über seinen Kopf halten, sonst verheddert sich das Seil in den Kringelhörnern meines Büffels. Vitelli wartet schon auf seinem Tier, dessen Hörner krummsäbelartig spitz zulaufen. Ich frage ihn, wie es sich anfühlt, Büffel-Polizist zu sein.
"Das macht mich sehr stolz! Ich fühle mich als Pionier, weil ich einer der ersten Polizisten war, die anfingen, Büffel zu reiten. Das war 1993. Und wir stammen ja auch alle von der Insel."
Der Ort, durch den wir reiten, heißt Soure. Er gilt als wichtigstes Städtchen der Insel. Umso weiter wir reiten, umso weniger Menschen sind auf der Straße. Der zerschlissene Asphalt der Straße wird zu rotbrauner Erde. Ein paar Motorroller und Fahrräder sind zu sehen, sonst aber kaum Menschen. Das mag daran liegen, dass es kurz vor 11 Uhr morgens ist und inzwischen tropisch heiß. Vitelli und ich schwitzen ordentlich. Und unsere Büffel?
"Sie schwitzen nicht, aber fühlen die Sonne, sie tut ihnen nicht gut. Du kannst die ganze Nacht reiten aber tags bei der Hitze reicht das jetzt. Gleich, wenn wir das sind, werden sie ein Bad in Tümpeln nehmen und sich mit Schlamm bespritzen, das ist ihr Schutz."
Auf Marajó gibt es hunderttausend Büffel
Gemächlich trottet mein Büffel hinter dem von Vitelli hinterher.
"Er weiß, dass Du unerfahren bist, deshalb läuft er so langsam nebenher. Er ist entspannt, ein Mediterraneo. Meiner hier ist nicht so geduldsam. Jede Kleinigkeit kann ihn ausrasten lassen. Aber ich arbeite mit ihm schon, seit er ein Jahr alt ist."
Vitelli zeigt auf ein flaches Gebäude auf der linken Seite, blau und weiß gestrichen. Drei Militärpolitzisten stehen am Tor und unterhalten sich: das Hauptquartier der Büffelpolizei. Wir reiten vorbei zum Nebeneingang, das an eine große Wiese grenzt. Im Schatten entsattelt Vitelli die Tiere. Mich erwartet Hauptmann Rauly ein Stück weiter. An eine Wand ist farbenfroh der Umriss von Marajó gesprüht. Er erinnert ein bisschen an Frankreich, nur dass Marajó von Buchten und kleineren Inseln umgeben ist. Stadt und Landkreis Soure liegen rechts-oben auf der Karte.
"Wir sind verantwortlich für fünf Landkreise. Das Hauptquartier ist hier in Soure, aber wir haben auch Stützpunkte in anderen Orten. Die größte Konzentration an Viehherden ist hier an diesem Kanal. Da liegen die meisten Farmen, deshalb gibt es dort auch die meisten Viehdiebstähle."
Hunderttausende Büffel gibt es auf Marajó. Sie dienen nicht nur als Lastentiere, sondern liefern Fleisch, Milch und Käse.
"Es gibt hier viel Armut, deshalb gibt es viele Banden, die Viehdiebstähle begehen. Das ist lukrativ und organisiert, dahinter stecken große Unternehmer aus dem Rindfleischgeschäft."
Allerdings ist es für die Militärpolizisten schwierig, die Farmen zu erreichen. Große Teile des Nordens von Marajó sind Sumpfgebiet, das während der Regenzeit etwa einen Meter unter Wasser steht.
"Dann kommst Du nur noch mit dem Büffel weiter. Morgen wirst Du sehen, welche Schwierigkeiten es macht, in solch einem Gelände voranzukommen. Dann gehen wir zu unserem Trainingsgelände, wo auch unsere Büffel gehalten werden. Das ist sehr ähnlich den Konditionen im Landesinneren mit überschwemmtem und trockenem Gebieten."
Am nächsten Morgen bringt mich ein Polizeiauto zur Büffel-Farm der Ordnungshüter. Ein paar vereinzelte flache Häuser stehen zwischen großen Bäumen, dahinter ist eine große Grasfläche zu sehen und dahinter Wald. Heute soll ich am Training der Büffel-Polizei teilnehmen. Es ist sieben Uhr morgens und die Tiere sind gerade mitten bei der Morgenwäsche. Ein tägliches Ritual erzählt Feldwebel Vitelli.
"Wir waschen sie, weil sie die ganze Nacht im Schlamm verbracht haben und bereiten sie so für die Arbeit vor bis mittags. Wenn es dann zu warm wird, lassen wir sie hier in ihrem Gehege frei und rufen sie nachmittags, wenn es Zeit zu fressen ist. Sie kommen von ganz allein zum Stall."
Die Bewegung von Polizist und Büffel müssen eins
Vitelli beginnt drei Büffel zu satteln, darunter meinen Turista mit den eingekringelten Hörnern. Die Sättel seien Spezialanfertigungen, erzählt Vitelli. Sie seien an den Rücken der Büffel angepasst mit einem breiten Baum und hohem Vorder- und Hinter(zwiesel)teil ähnlich dem Westernsattel, gefertigt aus Holz der Insel und Büffelleder.
"So, unsere Tiere sind gesattelt. Jetzt geht’s um Trainingsgelände."
Inzwischen bin ich etwas sicherer im Umgang mit Turista und verhake mich nicht mehr so oft mit dem Seil in dessen Hörnern. Wir reiten langsam über die Wiese Richtung Wald. Der Untergrund wird immer sumpfiger. Turista und die anderen beiden Büffel versinken schon bis zu den Knien im Morast. Aber vor uns liegen noch völlig überschwemmte Sumpfflächen.
Ich versuche mich dem Rhythmus von Turista anzupassen, um nicht herunterzufallen. Wir sind jetzt gut einem Meter tief im Morast. Frei Etwas weiter wartet Vitelli an einer trockenen Stelle:
"Du schwitzt ganz schön…? - "Das ist unser Training. Auch für den Reiter ist es sehr anstrengend, den Büffel durch den Morast zu lenken. Die Bewegung von Polizist und Büffel müssen eins sein. Wir trainieren, damit das Tier auf solche Hindernisse vorbereitet ist, die uns im Inland begegnen. Ein Pferd käme hier nie durch, ein Büffel schon."
Vitelli kommt auf eine abenteuerliche Idee. Statt immer hinterherzureiten, soll ich seinen furchtlosen Büffel Baratinha nehmen mit den weit ausladenden spitzen Hörnern und die Gruppe auf dem Weg zurück anführen.
"Irgendwas, was ich wissen sollte? Hilft beten?"
Keine Antwort. Na dann los:
"Baratinha, vamos!" - "So wir sind fast da durch den Matsch. Ein paarmal dachte ich, ich lieg auch gleich in selbigem. Aber Baratinha, mein neuer bester Freund, hat das großartig gemacht. So, wir sind gleich im Schatten komm!" - "Gut gemacht! Gutes Tier!"
Das Veterinärsamt kontrolliert regelmäßig die Haltung der Tiere
Unter einem schattigen Baum steigen wir ab und ich gebe Vitelli das Seil.
"Jetzt lassen wir sie frei. Sie werden sich dort hinten im Schlamm wälzen. Lass uns den Sattel abnehmen."
Wenige Momente später traben die Büffel zu einem der Wassertümpel und suhlen sich im Matsch. Vitelli schaut ihnen nach. Regelmäßig kontrolliere das Veterinärsamt die Haltung hier, sagt er. In Kürze will er zwei weitere einjährige Jungtiere von einer Farm in Landesinneren holen und mit der Ausbildung für den Einsatz beginnen: Nachwuchs für die Büffelpolizei von Marajó!