Ameisen seien die perfekten Modellorganismen, schwärmt Claire Morandin. Denn die Insekten zeigen innerhalb eines Volkes deutliche Unterschiede in der Anatomie, der Physiologe und dem Verhalten – obwohl alle Tiere eng miteinander verwandt sind.
"Weibliche Ameisen sind üblicherweise die Tiere, die wir draußen krabbeln sehen. Sie alle stammen von denselben befruchteten Eiern ab, besitzen also dieselbe genetische Ausstattung. Arbeiterinnen und Königinnen unterscheiden sich aber deutlich, vor allem hinsichtlich Größe und Verhalten. Während die Königin das Nest nie verlässt, sondern ihr Leben lang Eier legt, kümmern sich die Arbeiterinnen um den Nachwuchs und verteidigen die Kolonie."
16 Ameisenarten aus drei Unterfamilien untersucht
Wie kommt es also dazu, dass es völlig verschiedene Tiere innerhalb einer Art gibt, die jedoch die identische genetische Grundausstattung besitzen? Die Antwort liegt in der Aktivität einzelner Gene, so Claire Morandin. Wann und wie sind diese angeschaltet? Das wollte die französische Biologin, die an der Universität von Helsinki forscht, zusammen mit Wissenschaftlern in Japan herausfinden.
"Wir wollten das auf einer großen Skala beobachten. Daher haben wir 16 Ameisenarten aus drei Unterfamilien untersucht, darunter Feuerameisen aus Nordamerika, invasive Ameisen aus Portugal, lokale Arten hier aus Finnland, aber auch Tiere aus Dänemark oder Japan – kurz: Arten, die nicht nur geographisch weit auseinanderliegen, sondern auch auf dem Stammbaum."
Gruppierung von Genen
Einige der untersuchten Spezies gehen seit 100 Millionen Jahren getrennte Wege. Das bedeutet, dass der letzte gemeinsame Vorfahre einiger Spezies schon existierte, als es noch Dinosaurier und keine Primaten gab. Dank dieser langen Stammesgeschichte können Claire Morandin und ihre Kollegen sehen, wie sich die Aktivität bestimmter Gene im Laufe der Zeit verändert hat.
"Wir haben ein sogenanntes Co-Expressionsnetzwerk erstellt. Das bedeutet, dass wir Gene gruppieren, die miteinander interagieren. Dabei interessierten uns vor allem die Gene, die in allen untersuchten Arten ähnlich aktiv sind. Wenn man diese Module kennt, kann man dann schauen, ob es dort auch Unterschiede zwischen Arbeiterinnen und Königinnen gibt, also ob diese Module letztendlich bestimmen, ob das Tier wie eine Arbeiterin oder wie eine Königin aussieht."
Genmodule bestimmen Verhalten oder Tagesrhythmus
Und tatsächlich scheint sich diese Hypothese zu bewahrheiten. Demnach gibt es also bestimmte Gruppen von Genen, die – je nach Aktivität – eindeutig einer Königin oder einer Arbeiterin zugeordnet werden können. Zum ersten Mal können damit Genetiker nur anhand der Aktivität der Erbanlagen bestimmen, welche Funktion das untersuchte Tier im Staat einnimmt.
"Wir konnten 36 dieser Module erstellen und haben uns dann ihre Funktion angesehen. Eins war etwa für das Eierlegen der Königin verantwortlich, dann haben wir Arbeiterinnenspezifische Module entdeckt, die das Verhalten oder den Tagesrhythmus bestimmen."
Diese Module seien alle plausibel, auch im Vergleich mit den jeweiligen Arten, resümiert Claire Morandin. Als nächstes gehe es nun darum im Detail zu klären, wie die einzelnen Gen-Module miteinander interagieren und dann tatsächlich bestimmen, ob ein Tier eine große Königin oder eine kleine Arbeiterin wird.