"Das ist ein Schrank, der ist ungefähr zwei mal zwei Meter, und da haben sie 200 Insektenkästen, in denen Ameisen drin sind."
Vorsichtig zieht Bernhard Seifert, Myrmekologe, also Ameisenforscher am Senckenberg-Museum für Naturkunde in Görlitz, die Insektenkästen aus den Schränken. Fein säuberlich stecken Hunderte, Tausende Ameisen auf Nadeln aufgespießt in den Präparatkästchen.
"Na ja, da sind 300 Ameisen (...) als Serien mit Königinnen und mit Arbeitern."
Von den über den Globus krabbelnden 12.000 Ameisenarten sind in Deutschland etwa 100 heimisch. Nach dem 1. Artenschutzreport des Bundesamtes für Naturschutz (BfN), der vor kurzem vorgestellt wurde, nimmt die Population der heimischen Ameisen aber ab. Eine Art gilt sogar schon als ausgestorben. 56 Arten sind bestandsgefährdet.
"Wir haben Arten, die vor allen Dingen auf ganz extensiv bewirtschafteten mageren Standorten gelebt haben."
Ameisenarmeen auf Truppenübungsplätzen
Überall verschwinden die Ameisen. Im Wald etwa durch die Abholzung und sofortige Verwertung von Bäumen. Totholz, das Ameisen und anderen Insekten als Lebensraum dient, fehlt weitgehend. Für die Moor-Ameise gibt es immer weniger Lebensraum, die meisten Moore sind schon trocken gelegt. Einen besonders spürbaren Rückgang sehen die Forscher bei der Kerb-Ameise und der Großen Wiesenameise, die das offene Land besiedeln.
"Eine Hauptursache ist, dass die Truppenübungsplätze verschwunden sind."
Aktive Truppenübungsplätze sind für diese Ameisen ein idealer Lebensraum. Gehen aber die Soldaten mit ihrem schweren Gerät weg, wie das in den letzten 20 Jahren vielfach besonders in Ostdeutschland geschehen ist, verbuschen die Plätze.
"Und dann habe wir ein Waldstadium ein Vorwaldstadium zunächst, und je nachdem wie diese Truppenübungsplätze beschaffen sind, ob sie Grundwassernah sind, ob sie auf Sandboden stehen oder Kalkboden, geht diese Entwicklung mehr oder weniger schnell. Hier in der Lausitz geht sie dramatisch schnell."
Anpassungskünstler und Naturschützer
Manche der Ameisenarten reagieren auf die neue Situation, sie passen sich an.
"Wenn Sie sehen, wie viele Güterbahnhöfe aufgrund der Verkehrspolitik funktionslos geworden sind, und brachliegen. Dort gehen Offenland-Ameisen rein, weil durch die heißen Bahnanlagen, den Schotter, der da liegt, das Mikroklima genug warm wird. Das ist ein Ausweichlebensraum."
Für Burkhard Schricker, Biologe und Ameisenforscher an der Freien Universität in Berlin, sind Ameisen perfekte Anpassungskünstler mit einem erstaunlichen Potential. Selbst wenn eine Art verschwindet, so ist zwar für uns nicht mehr da, aber es kann sein, dass sie im genetischen Erbgut aller Ameisen immer noch vorhanden ist.
"Diese Artenvielfalt, die so in der lange Zeit entstanden ist, da kann es passieren, dass durch die äußeren Bedingungen jetzt einzelne Arten verschwinden. Aber es kann sein, dass sie eben auch wieder kommen können."
Also kein Grund zur Beunruhigung, wenn hier und da eine Ameisenart nicht mehr da ist - könnte man meinen. Doch Ameisen sind wahre Naturschützer, und es macht doch etwas aus, wenn eine Art fehlt. Denn Ameisen lockern die Böden mit ihren Gangsystemen auf, und ermöglichen Pflanzen so ein Wurzelwerk aufzubauen. Gleichzeitig sind sie Schädlingsvernichter und selbst Nahrung für verschiedene Insektenarten. Hinzu kommt der Samenaustausch, beispielsweise durch die Waldameise. Sie trägt den Samen von rund 150 Pflanzenarten durch den Wald.
Die Ameisenforscher fordern, dass 10 Prozent aller Waldflächen in Ruhe gelassen werden. Bei Renaturisierungsmaßnahmen sollten die Ameisenbestände eine Rolle spielen. Und generell gehe es um mehr Verständnis für die Ameisen und deren Lebensräume.