Archiv


''America was born on the streets''

Fünf Mädchen frieren in der Kälte vor dem Nobelhotel "Four Seasons" am Gendarmenmarkt in Berlin. Was ist los? Leonardo di Caprio ist da. Bei seinem letzten Auftritt waren es noch 2000. Und ein Autogramm hat er auch den fünfen nicht gegeben. Schließlich ist es diesmal ein reines Arbeitstreffen. Harte Arbeit in Interviewslots. Alle deutschen Medien sind da und notieren auf kleinen Notizblöcken wahrscheinlich die gleichen Fragen. Jeder bekommt einen Ausweis auf dem steht "Gangs of New York" und dann kleiner "Press". Damit kann man zu Hause angeben. Kaum einer steckt ihn sich an, als es zur Pressekonferenz geht. Ein Tag mit Martin Scorsese und Leonardo di Caprio, die ihren Film "Gangs of New York" promoten.( Die meisten deutschen Journalisten können nicht richtig englisch, weswegen Leonardo di Caprio bei der Frage nach seinem "Image-Wechsel" irritiert nachfragt "Image?". Wie könnte er sein Bild ändern, das ist Sache des Kameramanns Michael Ballhaus gewesen und das deutsche Lehnwort kennt er natürlich nicht. Aber Martin Scorsese, der dann die Frage beantwortet.) Ein schönes Paar die beiden. Sie spielen sich die Bälle zu. Leonardo di Caprio hat offensichtlich einen Riesenrespekt vor dem Meisterregisseur, der ihm gerade bis zur Schulter geht. Im Film ist er eigentlich nicht die Hauptfigur. Daniel Day-Lewis, der Bösewicht "Billy the Butcher" dominiert ihn als Anführer der Native Americans, die die Neueinwanderer aus Irland nicht ausstehen können. Die kommen in Scharen nach der großen irischen Hungersnot 1845. Anfang den 19 Jahrhunderts war New York noch eine Kleinstadt mit 60 000 Einwohnern. 1855 sind es plötzlich 800 000. Eine gewaltige Veränderung der Stadt mit immer neuen Wellen von Einwanderern beginnt.

Ein Beitrag von Josef Schnelle |
    Ich glaube nicht, dass die Gründungsväter überhaupt ahnten, dass Amerika, durch Einwanderungswellen das werden würde, was es ist. Es gab also Leute die schon in Amerika lebten und dann kam diese Invasion von Fremden. Und damit entstand dieses Lande wirklich aus Streit und Auseinandersetzung und schließlich Krieg.

    Damit meint Scorsese den amerikanischen Bürgerkrieg, der 1861 beginnt, und die Banden des Halunken und Einwandererviertel zunächst kalt lässt, am Ende aber einholt. Manch ein Einwanderer wird sofort in eine Uniform gesteckt und in den Krieg geschickt. Mit dem gleichen Schiff kommen schon die Särge der Angeworbenen von der letzten Woche zurück. Scorsese zeigt eine epische Dreiecksgeschichte um Leonardo di Caprio, der als irischer Einwanderer seinen Vater und Anführer der Gangs "Dead Rabbits" rächen muss, Daniel Day-Lewis, der als "Bettlerkönig" von allem profitiert, was an krummen Geschäften so läuft und Cameron Diaz, die die Geliebte des einen war und des anderen wird. Wichtiger ist Scorsese allerdings der historische Background, den er in grandiosen Panoramen heraufbeschwört. Die "Five-Points" - eine Straßenkreuzung auf der fünf Strassen in Lower Manhattan zusammentreffen und auf den "Paradise Square" führen ist immer wieder Schauplatz blutiger Gangkriege und wenn ein Haus niederbrennt prügeln sich erst einmal konkurrierende Feuerwehren, bevor gelöscht wird. Dann ist "Election-Day". Wie Vieh werden die Wähler zusammen getrieben und wer nicht mehrfach abstimmt erlebt den Abend nicht. "Nicht die Wähler sind wichtig sondern die Zähler." Sagt William Tweed - der korrupte Chef der öffentlichen Verwaltung:

    Als wir das drehten gab’s gerade diese Gore-Bush Wahl daheim. Das gab den Sätzen im Film einen ironischen Touch. Manipulation von Stimmen und so. Nach dem 11.9. wurden dann einige visuelle Eindrücke unwirklich wahr. Diese Leute mit dem Staub auf dem Gesicht nach den Aufständen. Ich will keine direkten Beziehungen zwischen damals und heute herstellen. Aber man kriegt schon mit, dass Geschichte sich irgendwie wiederholt. Und wenn wir ein bisschen aus der Vergangenheit lernen können, können wir vielleicht besser verstehen, was heute passiert.

    Leonardo di Caprio spielt auf das Ende des fast dreistündigen Films an, der die sogenannten "Draft-Riots" zeigt, einen mehrtägigen Bürgerkrieg auf den New Yorker Strassen, bei dem Gangs und Lumpenproletariat - und Feuerwehren - sich gegen die 1863 verordnete Zwangsmobilisierung der Unterschicht erhoben. Die Armee watet buchstäblich durch Blut und erst die massive Beschießung der Five-Points mit Kanonen zwingt die Aufrührer zur Aufgabe. In diesem Geschichtspanorama versinkt schließlich die Geschichte der drei Hauptfiguren. Die Haben sich vorher schon ausführlich mit Messern und Beilen traktiert. Gewalt ist Allgegenwärtig in diesem Film. Kein Film und auch keine Thema für zarte Seelen, meint Scorsese

    Es gibt immer Leute, dies ich über die Gewalt in meinen Filmen beschweren. Das ist ein teil des Publikums, den ich nicht erreichen kann. Aber es gibt keinen Weg diese Geschichte zu erzählen und diese Figuren die jeden Tag um ihr Leben kämpfen ohne Gewalt zu zeigen.

    Gangs of New York sollte eigentlich im Winter 2001 starten. Nach dem 11. September wollte aber niemand ein gewalttätiges New York sehen. Und auch keine New Yorker Feuerwehr, die als Gangsterbande organisiert ist. Im World Trade Center lagerten die letzten New Yorker Stadtpläne der Gegend aus dieser Zeit, aus denen Ausstatter Dante Ferretti die Straßen im römischen Filmstudio "Cinecitta" rekonstruierte. So ist der Film jetzt das letzte Dokument einer untergegangenen Epoche. Zum Filmfinale werden Aufnahmen der einstehenden Megalopolis New York zu einem Song von U 2 ineinandergeblendet und am Ende steht auch das World Trade Center da.

    Einige sagten, wir nehmen die Towers da wieder raus. Ich sagte nein. Die Leute im Film gehören zu dem, was diese Skyline erschuf nicht was sie zerstörte. Wenn diese Skyline verschwinden, dann kommt eine andere. Im Film sagt jemand. Sie werden nicht mal wissen ,das wir da waren. Aber wir wissen es.

    Link: mehr ...

    618.html