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Amerikanischer Realismus in Emden
Die Kraft der Bilder

Die Bilder sind knallbunt, brodeln vor Energie, fauchen und kreischen: Eine Ausstellung in der Kunsthalle Emden zeigt Werke des amerikanischen Realismus. Sie appelliert an alle Sinne und beweist, wie lebendig der amerikanische Traum immer noch ist - auch wenn er sich manchmal in einen Albtraum verkehrt.

Von Rainer-Berthold Schossig |
    Eine Mitarbeiterin schaut sich am 17.11.2017 in Emden (Niedersachsen) in der Kunsthalle das Bild "Queen" von Audrey Flack aus dem Jahr 1976 an. Die Kunsthalle Emden und das Drents Musem bei Assen (Niederlande) zeigen mit der Doppelausstellung "The American Dream - Amerikanischer Realismus von 1965-2017" ein umfassendes Bild des Amerikanischen Realismus in Europa.
    "Queen" von Audrey Flack aus dem Jahr 1976 in der Kunsthalle Emden (dpa / Carmen Jaspersen)
    "Die zerbrechliche Vision eines besseren Amerika kann kann sehr schnell verschwinden. Da kommt diese Ausstellung genau richtig. Sie wurde geplant, als Trump noch nicht mal Präsidentschaftskandidat war. Es ist an der Zeit, dass wir über diese Themen neu nachdenken."
    Bildwürdig: Scharfe Gegensätze, knallige Farben
    Alles fließt: Kunterbunte Menschentrauben im Grand Central von New York, trostlos verlorene Holzhäuschen im Mittleren Westen, Sperrmüll am Straßenrand und riesige verwahrloste Hafenbrachen, Stars and Stripes und Yellow Cabs, giftgrün ins Dunkel leuchtende Nacht-Bars Haufenweise knallbunte Plastik-Toys, Tote im Swimmingpool, edle Rennpferde und trübe Penner unter der Brooklyn Bridge - all das war und ist bildwürdig, so disparat ist der amerikanische Realismus. Und wie er sich bis heute entwickelt hat, wollten die Kuratorin Katharina Henkel und ihr Team herausfinden.
    "Wir wollten vor allem eine große Bandbreite des Realismus zeigen, nicht nur die großen Namen der Fotorealisten, die wir aus der documenta 5 kennen, sondern wir wollten einen großen Überblick geben; neue Künstler auch ins Land holen. Und es sind auch Werke dabei, die durch europäische Kunst beeinflusst sind."
    Amerikanischer Realismus - eine lange Geschichte
    Dieser Blick auf die USA ist neu. Nach 1945 war amerikanische Kunst ohne die Einflüsse der europäischen Moderne kaum denkbar. So viele - jüdische oder Bauhauskünstler etwa - waren in den US-Kunstbetrieb eingewandert. Die New York School und der Abstrakte Expressionismus wurden zu Signalen amerikanischer Eigenständigkeit. Der bodenständige amerikanische Realismus, der sich parallel dazu entwickelte, seine bedeutende Rolle für die Entwicklung der US-Kunst wurden in Europa kaum gewürdigt. Und dann explodierte plötzlich die Pop Art!
    "Der Realismus hat eine lange Geschichte, die Pop Art ist nur ein Moment darin. Ich glaube, selbst Andy Warhol würde dem zustimmen. Er kam ja aus der Welt der Werbung, der Illustration; und er wusste um die Kraft der Bilder."
    Die Kraft der Bilder springt in der Emdner Ausstellung geradezu ins Auge. Stadt- und Industrie-Ansichten brodeln vor Energie, fauchen, dampfen, hupen und kreischen. Die Schwarz-Weiß-Bilder, die Gordon Parks von den Demonstrationen der Bürgerrechtsbewegung schießt, zeigen Aufruhr und Ernst, Diane Arbus fotografiert die Randständigen und Ausgegrenzten, Nan Goldin erzählt die Tragödie der AIDS-Kranken wie im Familienalbum - zugleich aber wirbelt die ganze Gesellschaft im Rausch des Konsumismus durcheinander.
    Reaktion auf die Oberflächlichkeit des Pop
    "Die Fotorealisten der späten sechziger und frühen siebziger Jahre waren eine Reaktion auf die Flachheit von Pop und auch die Flachheit der Fotografie. Sie suchten das Engagement der Leute; und ich glaube, die Fotorealisten haben unsere Aufmerksamkeit herausgefordert!"
    Der Realismus spiegelt die reale, disparate Bilderflut. Wie sie appelliert er an alle Sinne - dies belegt die Emder Schau überzeugend. Viele unbekannte Künstler sind dabei und vertiefen unsere Vorstellungen vom amerikanischen Traum; und sie zeigen: Der derzeitige Alptraum kann nicht das letzte Wort sein!
    "Wenn Sie Trump ansprechen, wir sind glücklich, dass wir kurz vor Drucklegung des Katalogs eine fantastische Arbeit von Peter Saul gefunden haben. Sie hängt gegenüber einem Porträt von Hillary Clinton, als Wahlkampf war. Insofern sind wir brandaktuell"