Sozialdramen erleben zur Zeit eine Renaissance in den USA. Immer mehr Stücke werden produziert, die sich mit der harschen ökonomischen Realität und dem systemimmanenten Rassismus auseinandersetzen. Besonders afro-amerikanische Frauen unter den Dramatikern geben hier den Ton an.
Teresa Eyring von der Theatre Communication Group, dem wichtigsten Theater- Dachverband in den USA und Herausgeber des American Theater Magazine, erklärt:
"Wir erleben gerade jetzt in den USA eine gesteigerte Auseinandersetzung um Rassismus und Identität und darüber hinaus, was es heißt privilegiert zu sein oder eben nicht."
Auf die Frage, ob Ferguson, der Ort, an dem es nach der Erschießung des unbewaffneten Michael Brown durch einen Polizisten zu wochenlangen Ausschreitungen gekommen war, das amerikanische Theater verändert hat, antwortet sie ohne Zögern:
"Ja, es hat unsere ganze Gesellschaft erschüttert. Theatermacher haben sehr schnell darauf reagiert und Stücke oder Straßen Performances kreiert, um Anteilnahme und Wut auszudrücken."
Unter den zwanzig am häufigsten produzierten Autoren der letzten Saison ist die aus Detroit stammende Dominique Morisseau. Ihre Stücke heißen "Paradise Blue", "Detroit 67" und "Skeleton Crew" - eine Trilogie, den Arbeitern ihrer Heimatstadt gewidmet, ihrer Musik und dem zerbrochenen Traum von Generationen von schwarzen Familien, die von den Feldern des Südens in die Fabrikhallen des Nordens geflohen waren.
Theater aus der Perspektive von Minderheiten
Morisseau beschreibt Amerika aus der Perspektive von Minderheiten und zeigt, dass der Kampf für Gleichberechtigung und gegen Armut ein universelles Thema ist. Gerade erst wurde ihr Stück "Skeleton Crew" ins Russische übersetzt und in Moskau aufgeführt – mit weißen Schauspielern. Teresa Eyrin zu Dominique Morisseau:
"Ihre Perspektive auf Geschichte und die Figuren, die sie erschafft, sind so überzeugend in ihrer Menschlichkeit. Man kann sich identifizieren, nicht nur als Afro-Amerikaner oder als jemand, der Detroit kennt. Ihre Stücke sind universell."
Ein anderes Beispiel ist die amerikanisch-simbabwische Dramatikerin Danai Gurira. Sie schreibt über ihre Heimat, die Rolle der Frauen dort und den Kampf um Eigenständigkeit zwischen Tradition und Integration in Amerika. Ihr Stück „Eclipse“ mit Lupita Nyong’o, die für ihre Rolle Patsy in Steve McQueens „12 Years a Slave“ einen Oscar bekam, läuft nach mehreren ausverkauften Wochen am Public Theater nun am Broadway. Gleichzeitig wird ihr neues Stück „Familiar“ am Off-Broadway gezeigt. Sicher eine Autorin, von der man noch viel hören wird.
Eine ganz andere, ebenso ungewöhnliche Stimme im Kanon der neuen Autoren ist der, zur Zeit am meisten produzierte Dramatiker in den USA: Ayad Akhtar. Mit seinen Stücken "Disgraced", "The Invisible Hand" und "The Who and the What" trifft er den Nerv einer Welt in der muslimische Amerikaner zunehmend das Ziel von Diskriminierung werden. Die Frage nach persönlicher Integrität zwischen Tradition und Moderne steht auch hier im Mittelpunkt.
"Ich glaube, er ist einer dieser Autoren, der unser ganzes Land auf die Bühne stellt. Seine Stücke handeln von der Kulturen Vielfalt und der Komplexität der Welt, in der wir heute leben. Genau das sind die Geschichten, die wir heute im Theater erzählen wollen."
Es scheint so, als habe das amerikanische Theater durch die soziale Aufruhr und die Rassenkonflikte der letzten Jahre eine neue Aufgabe gefunden. Es ist politischer und streitsüchtiger geworden. Noch einmal Teresa Eyring von der Theatre Communication Group:
"Es gibt einfach so viele außergewöhnliche Stücke, die heute geschrieben werden. Es ist eine goldene Ära für Theater in den USA, einer goldenen Ära für Dramatiker."