Hendrich sagte, damit streuten die Regierungen der Bevölkerung Sand in die Augen. Sie würden der zugrunde liegenden Probleme aber nicht Herr. Die Strafe habe zum Beispiel weder bei Drogendelikten noch bei Wirtschaftskriminalität positive Effekte. "Und das liegt einfach daran, dass die Todesstrafe insgesamt eine Strafe ist, die nicht abschreckender ist als andere Strafen."
Auf den Philippinen hat der künftige Präsident Rodrigo Duterte die Wiedereinführung der Todesstrafe angekündigt. Die 2006 abgeschaffte Todesstrafe solle künftig neben Mord auch für Verbrechen wie Raub, Drogenhandel und Vergewaltigung gelten. In Indonesien steht offenbar eine ganze Welle von Hinrichtungen bevor. Dort sollen 15 Menschen aus dem In- und Ausland getötet werden. Bereits im vergangenen Jahr hatte Indonesien zahlreiche Ausländer wegen Drogendelikten hinrichten lassen, darunter auch zwei Australier.
"Mit Regierungen im Gespräch bleiben"
Oliver Hendrich von Amnesty International hält die Begründung der indonesischen Regierung, nur so gegen das massive Drogenproblem vorgehen zu können, für nicht stichhaltig. Man sehe an den vielen Menschen, die dort weiterhin Drogen nähmen, dass die Todesstrafe nicht geeignet sei, Drogenkonsum und Drogenkriminalität zurückzudrängen.
Hendrich nannte den Kampf gegen die Todesstrafe weiter sinnvoll. "Ganz ganz viele Hinrichtungen werden in den allerletzten Sekunden, Minuten, bevor sie vollstreckt werden, ausgesetzt", sagte er im Deutschlandfunk. Regierungen würden auf Protestschreiben von Amnesty antworten, "oftmals ist das dann ein weiterer Anknüpfungspunkt, um auch mit den Regierungen weiter im Gespräch zu bleiben".
Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Es ist gerade einmal ein Jahr her, da wurden auf Indonesien zahlreiche Ausländer wegen Drogendelikten hingerichtet. Auch massiver weltweiter Protest konnte damals die Todesurteile nicht verhindern. Jetzt plant Indonesien weitere Hinrichtungen. Herr Hendrich, diese Fälle auf Indonesien, war Amnesty da engagiert und hat versucht, die Vollstreckung der Todesurteile zu verhindern?
Hendrich: Amnesty engagiert sich immer, wenn wir von einer drohenden Hinrichtung erfahren. Dadurch, dass unsere Mitglieder an die Regierungen schreiben, aber auch alle Amnesty-Sektionen auf der ganzen Welt versuchen, durch Kontakte mit ihren jeweiligen Regierungen über diese politischen Kanäle zu versuchen, dass die Regierungen davon Abstand nehmen, Hinrichtungen durchzuführen. Immer mit der Aufforderung natürlich verbunden, die Todesstrafe insgesamt abzuschaffen.
Kaess: Welche Reaktionen oder Rückmeldungen bekommen Sie denn jetzt, auch zum Beispiel jetzt im Fall von Indonesien?
Hendrich: Wir haben es ja auch gerade im Beitrag gehört. Die Regierung sagt, sie braucht die Todesstrafe, um gegen das massive Drogenproblem in Indonesien vorzugehen. Aber wir sehen ja auch an den vielen Menschen, die in Indonesien Drogen nehmen, oder der große Bereich des Drogenhandels, dass die Todesstrafe absolut keine Strafe ist, die geeignet ist, um Drogenkriminalität, den Drogenkonsum zurückzudrängen. Es ist eine zutiefst unsinnige Strafe an dieser Stelle.
"Es kommt oft zu Umwandlungen von Todesurteilen"
Kaess: Wird der Protest dennoch wahrgenommen?
Hendrich: Regierungen nehmen sehr stark wahr, dass sie kritisiert werden. Keine Regierung möchte kritisiert werden. Es kommt oft an dieser Stelle dann auch zu Umwandlungen von Todesurteilen. In den indonesischen Fällen vom letzten Jahr ist dieses leider nicht geglückt. Aber ungefähr für die Hälfte der Fälle, für die Amnesty International sich einsetzt, können wir eine Verbesserung sehen.
Kaess: Das heißt, Sie würden sagen, Sie als Amnesty werden als Ansprechpartner tatsächlich auch ernst genommen?
Hendrich: Natürlich. Keine Regierung würde sagen, wir haben jetzt etwas an unserem Vorgehen geändert, weil eine Menschenrechtsorganisation gesagt hat, wir sollen das tun. Aber es wird sehr wohl wahrgenommen und es führt auch in vielen Fällen zur Verbesserung und an dieser Stelle füllt auch der stete Tropfen den größten Stein und das Dranbleiben ist an dieser Stelle ganz entscheidend.
Kaess: Kriegen Sie auch ab und an direkte Antworten von Regierungen?
Hendrich: Regierungen antworten mitunter auch. Regierungen schreiben auch an unsere Mitglieder und teilen ihre Meinung dazu mit. Wir schauen uns diese Schreiben sehr genau an und oftmals ist das dann ein weiterer Anknüpfungspunkt, um auch mit der Regierung weiter im Gespräch zu bleiben.
Kaess: Dass sich diese Urteile so lange oft hinziehen bis zur Vollstreckung, wie wir jetzt gerade auch im Beitrag gehört haben, ist das auch ein Anzeichen dafür, dass die Regime letztendlich doch auch Zweifel haben?
Hendrich: In vielen Fällen sind weitere rechtliche Schritte möglich, bevor ein Urteil vollstreckt werden kann. Das führt dann natürlich dazu, dass die Zeit zwischen dem Urteil und der Hinrichtung eine längere sein kann. In anderen Ländern geht das mitunter sehr schnell. In den USA beispielsweise dauert es 20 Jahre mitunter, bis dann tatsächlich man an dem Punkt ist, wo man hinrichten könnte.
Kaess: Wo würden Sie denn sagen oder nach welchen Kriterien gelingt es denn am ehesten, Todesurteile zu verhindern? Zum Beispiel bei diesen aktuellen Fällen in Indonesien würden Sie aus Ihrer Sicht sagen, das ist gelaufen, da ist nichts mehr möglich? Oder gibt es Anknüpfungspunkte zu sagen, da könnte tatsächlich noch was passieren?
"Bis zur letzten Sekunde ist Hoffnung da"
Hendrich: Ganz, ganz viele Hinrichtungen werden in den allerletzten Sekunden, Minuten, bevor sie vollstreckt werden, ausgesetzt. Es werden Aufschübe gegeben. Das heißt, hier ist bis zur letzten Sekunde immer noch Hoffnung da. Generell sind Todesurteile, die im Zusammenhang mit Drogendelikten verhängt werden, mit Wirtschaftskriminal-Straftaten, Urteile, von denen wir ganz sicher wissen, dass sie in keinster Weise einen positiven Effekt haben. Und das liegt einfach daran, dass die Todesstrafe insgesamt eine Strafe ist, die nicht abschreckender ist als andere Strafen. Sie wird aber immer wieder gerne von den Regierungen angewendet und in die Diskussion eingebracht, weil sie ein sehr starkes Signal ist und an dieser Stelle auch der Bevölkerung mitunter Sand in die Augen streut, weil sie zeigt, dass der Staat handelt und sich kümmert, aber letztendlich doch dem Problem, das zugrunde liegt, irgendwie hilflos gegenüber steht.
Kaess: Welche Möglichkeiten haben denn ausländische Botschaften und ausländische Regierungen, Druck von außen aufzubauen?
Hendrich: Das ist natürlich etwas, was in den äußeren Beziehungen gerade für die europäischen Staaten eine ganz, ganz wichtige Rolle spielt. Die Europäische Union hat ganz klare Richtlinien, an denen sie ihre Todesstrafen-Politik ausrichtet. Sie schaut auch darauf, wenn sie in Wirtschaftsverhandlungen mit Ländern geht, wie mit den Menschenrechten umgegangen wird. Allerdings muss man hier sagen, dass wir uns an einigen Stellen wünschen würden, zum Beispiel bei Saudi-Arabien, dass das deutlicher in den Vordergrund treten würde. Aber die diplomatischen Kanäle, auch die Möglichkeiten, die die UN und andere große internationale Organisationen bieten, sind für die Todesstrafe und für die Abschaffung der Todesstrafe ganz, ganz wichtige Instrumente.
Kaess: Jetzt sind unter den Ausländern auf Indonesien vier Chinesen, ein Pakistaner, zwei Nigerianer, zwei Senegalesen und ein Mann aus Simbabwe. Das sind jetzt alles keine Länder, die dafür bekannt sind, dass sie besonders demokratisch seien. Bemüht man sich denn von deren Seite aus, überhaupt etwas für die Landsleute zu tun?
Hendrich: In aller Regel schauen Staaten danach, dass auch ihre Bürgerinnen und Bürger im Ausland entsprechende Rechtshilfe bekommen. Es gibt auch verschiedene internationale Abkommen, die beispielsweise sicherstellen, dass man Zugang zu diesen Personen hat, und ihnen auch über die Botschaften entsprechende Hilfe zukommen lassen kann. Es ist aber natürlich immer im Ermessen des Staates, in welcher Intensität er das tut. Wir haben ja gerade im Beitrag auch gehört, dass die australische Regierung das sehr stark getan hat, und das ist dann abhängig von der jeweiligen Regierung und wohl auch von der Einstellung zu dieser Strafe insgesamt.
"Todessstrafe ist eine ganz klare Menschenrechtsverletzung"
Kaess: Da hat Australien im Jahr 2015 bei diesem Fall, so wie Sie sagten, Druck auf Indonesien damals aufgebaut und hat auch den Botschafter zurückgerufen. Aber gleichzeitig hat man gesagt, das Verhältnis darf nicht zerrüttet werden. Hätte Australien da einfach noch schärfer sein müssen?
Hendrich: Das ist natürlich eine Abwägungsfrage, die die jeweilige Regierung für sich selbst beantworten muss. Aber die Todesstrafe ist eine ganz klare Menschenrechtsverletzung und vor diesem Hintergrund versucht man natürlich, das Möglichste zu tun. Aber jede Regierung hat da ganz offensichtlich einen Punkt, wo sie dann sagt, wir haben uns bemüht, aber leider ist es uns an dieser Stelle nicht geglückt. Und die tödliche Dimension, die dann die Todesstrafe hat, zeigt auch das ganze Dilemma des Problems.
Kaess: Am Wochenende kam die Meldung, dass der Pharmakonzern Pfizer seine Produkte nicht mehr für Hinrichtungen zur Verfügung stellen will. Damit ist jetzt auch die letzte Möglichkeit weg, die Todesstrafe medikamentös zu vollstrecken, wenn ich das richtig verstanden habe. Mit welchen Konsequenzen rechnen Sie?
Hendrich: Bereits eine ganze Reihe von europäischen Pharmakonzernen hat ähnliche Schritte eingeleitet. Das heißt, für die Bundesstaaten in den USA, die die Todesstrafe anwenden, ist es inzwischen sehr, sehr schwierig, Hinrichtungen durchzuführen, und das wird mit Sicherheit weitere Probleme bereiten. Es könnte gut sein, dass wir dieses Jahr noch mal weniger Hinrichtungen in den USA haben als in den letzten Jahren, weil dieser Medikamentenmangel die Bundesstaaten doch vor ganz, ganz große Probleme stellt. Und das Zurückgehen zu anderen Hinrichtungsmethoden, dem Erschießen, dem elektrischen Stuhl, sind alles Schritte, die natürlich auch noch mal den brutalen Charakter der Strafe stärker herausstellen würden. Und da gibt es doch auch inzwischen eine gewisse Hemmung, das wieder in Anwendung zu bringen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.