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Amos Oz
"Liebe Fanatiker. Drei Plädoyers"

Der israelische Roman-Schriftsteller Amos Oz meldet sich auch immer wieder mit Essays zu Wort. In "Liebe Fanatiker. Drei Plädoyers" beschäftigt er sich mit religiösem Fanatismus ebenso, wie mit dem Judentum oder der Zwei-Staaten-Lösung. "Ein Buch, dass jeder lesen sollte, der verstehen will, wie Israel tickt", sagt Matthias Bertsch im Dlf.

Matthias Bertsch im Gespräch mit Melanie Longerich |
    Ein Student schreibt hebräische Schriftszeichen mit einer Schreibfeder
    Fanatismus kann auch Motor für etwas Neues sein: Heute ist Ivrit, das moderne Hebräisch, für die meisten jüdischen Israelis die Muttersprache. (Buchcover: Verlag Suhrkamp; Hintergrundbild: picture alliance / dpa / epa / Olivier Fitoussi)
    Melanie Longerich: "Herr Bertsch: Ist es nun ein Brief an die Fanatiker, oder doch eher ein Plädoyer gegen Fanatismus?"
    Matthias Bertsch: "Also sicher eher das Letztgenannte. Dieses 'Liebe Fanatiker' ist eindeutig ironisch gemeint, und Ironie ist eine der Waffen, die Amos Oz in seinem Kampf gegen Fanatismus auffährt, denn Fanatiker, so seine Diagnose, kennen keine Ironie."
    Longerich: "Worum geht es denn genau in den Essays? Das erste trägt ja den Titel des Buches: 'Liebe Fanatiker'."
    Bertsch: "Genau. Das geht zurück auf eine Vortragsreihe, die Oz wenige Monate nach dem 11. September 2001, also nach den Terroranschlägen in den USA, in Tübingen gehalten hat. In dem Essay geht es nicht nur um Terror im Namen des Islam sondern darum, dass Fanatiker aller Couleur bereit sind, für ihre Sache - selbstverständlich immer eine gute Sache - über Leichen zu gehen."
    "Das Judentum ist immer schon polyphon gewesen"
    Longerich: "Das zweite Essay trägt den Titel 'Viele Lichter nicht nur eins'."
    Bertsch: "Da geht es vor allem darum, dass das Judentum eben nicht die eine Autorität wie den Papst kennt, sondern immer schon polyphon - also mehrstimmig - gewesen ist und von Anfang an Streit und Streiten eine wichtige Rolle gespielt haben."
    Und der dritte Essay 'Träume, von denen sich Israel möglichst bald befreien sollte', ist, vereinfacht gesagt, ein Plädoyer für die Zwei-Staaten-Lösung."
    Longerich: "Also die Schaffung eines Palästinenserstaates mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Eine Lösung, an der auch die EU festhält - trotz der amerikanischen Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels."
    Bertsch: "Ja. Amos Oz ist ja einer der Gründerväter der israelischen Friedensbewegung und er macht deutlich: Wenn Israel auf Dauer in einer arabisch-islamischen Umwelt überleben will, und zwar als jüdischer und demokratischer Staat - und das will Oz -, dann braucht es einen Staat Palästina neben Israel. Und dieser Staat ist nach wie vor möglich, auch wenn man dafür einige Siedlungen auflösen oder Kleinstädte evakuieren müsste, man muss es eben nur wollen."
    Longerich: "Das klingt allesamt nach einem ziemlichen Sammelsurium - oder böse gesagt, wie essayistisches Reste Aufkehren. Zum Thema Israel und Palästina hatte der Suhrkamp Verlag ja schon 2001 politische Essays von Oz veröffentlicht. Und 2004 dann seine Vorlesungen in Tübingen in einem Bändchen mit dem Titel: 'Wie man Fanatiker kuriert' zusammengefasst. Oder gibt es doch einen roten Faden?"
    Bertsch: "Also, einen roten Faden im Sinne einer klar erkennbaren Systematik gibt es nicht. Es sind eben Essays, also eher frei flottierende Gedanken. Und obwohl, ehrlich gesagt, für mich vieles nicht neu war, gibt es doch ein paar Gedanken, die ich für zentral halte um zu verstehen, wie Israel tickt bzw. entstanden ist - und das ist ein ganz wichtiges Anliegen von Oz, der sich ja selbst als linker Zionist bezeichnet. Der Zionismus, also das Projekt eines jüdischen Staates, war eben nicht nur, wie wir das gewohnt sind zu sehen, eine Reaktion auf den Antisemitismus, sondern im Gegenteil, auch eine Antwort darauf, dass die Ausgrenzung in manchen Ländern Europas immer weniger wurde. Das macht er in seinem Buch sehr deutlich:
    Zitat: 'Als sich vor etwa 200 Jahren die Säkularisierung in Europa zu verbreiten begann, als der Kern der Identität der nichtjüdischen Umgebung aufhörte, religiös bestimmt zu sein und national wurde, erst recht nach dem Auftauchen säkularer, multinationaler Ideologien, wurde das Leben der Juden innerhalb der Mauern der Halacha immer bedrückender und der Reiz der Welt der Nachbarn immer verlockender.'"
    Longerich: "Das heißt also, vereinfacht gesagt: Aus den christlichen Europäern wurden Deutsche, Italiener und Franzosen oder eben auch Sozialisten, und diese Entwicklung hat auch vor den jüdischen Gemeinden nicht Halt gemacht."
    Bertsch: "Genau, weil die Grenzen durchlässiger wurden. Aber der Preis dieser Durchlässigkeit ist die Gefahr der Assimilation, und das ist insofern ein Riesenproblem, weil viele Juden, wenn sie vor die Wahl gestellt sind, sich an die Halacha, also die strengen jüdische Religionsgesetze zu halten, oder ein säkulares Leben zu führen, sich doch lieber für die weltliche Variante entscheiden."
    "Die Fronten sind nicht so klar"
    Longerich: "Wer sind denn dann in einem solchen Szenario die Fanatiker?"
    Bertsch: "Für Amos Oz sind das vor allem die streng Religiösen, die, die alles mit Gott begründen. Er selbst dagegen ist ein säkularer Jude oder Zionist, das ist ganz wichtig und deswegen hören wir jetzt nochmal, wie er das selbst formuliert:
    Zitat: 'Wer versucht, die Tatsache zu vertuschen oder zu leugnen, dass die Rückkehr nach Zion in unserer Zeit, der Aufbau der Dörfer, Städte und Kibbuzim von einer politischen, säkularen, modernen, pragmatischen Bewegung bewerkstelligt wurde, nicht durch den Messias, bedroht den Kern meiner jüdischen Identität und derjenigen, die so sind wie ich. Sie drohen uns auszuradieren.'"
    Longerich: "Das sind ja harsche Worte. Sind die Fronten denn da so klar?"
    Bertsch: "Einerseits ja und Amos Oz arbeitet sich mit seinen Essays ja immer auch ein Stück an der gesellschaftlichen Realität in Israel ab, und dort werden die Stimmen immer stärker, die die jüdische Besiedlung des gesamten Heiligen Landes - also auch der Palästinensergebiete - für göttlich legitimiert halten. Andererseits sind die Fronten eben nicht so klar - und das weiß Amos Oz auch. Diese Gegenüberstellung - 'hier die kreative säkulare jüdische und hebräische Kultur und Literatur', zu der er selbst gehört, und dort das 'starre orthodoxe Denken der Halacha', also der Fanatismus - ist auch ein Schwarz-Weiß-Bild.
    Ganz abgesehen davon ist der Fanatismus natürlich keineswegs das Privileg der Religiösen. Wenn es unter den säkularen Zionisten nicht einige Fanatiker gegeben hätte, dann gäbe es denn Staat Israel heute wahrscheinlich nicht - und möglicherweise auch die hebräische Sprache nicht. Ich will mal ein Beispiel nennen: Der Vater des modernen Hebräisch, Eliezer Ben-Yehuda, war ein Sprachfanatiker. Er hat seinen Kindern in den ersten Jahren jeden Kontakt mit anderen Kindern verboten, weil sie nur hebräisch hören und sprechen sollten, und Ende des 19. Jahrhunderts in Jerusalem aber kein Mensch sonst hebräisch sprach - außer zu religiösen Zwecken.
    Aber dieser Fanatiker und einige seiner Mitstreiter haben sich durchgesetzt und heute ist Ivrit für die meisten jüdischen Israelis die Muttersprache - und damit wahrscheinlich das wichtigste Moment der israelischen Identität. Und für Amos Oz ist Ivrit darüber hinaus die Sprache, in der er seine Romane und Essays verfasst."
    Longerich: "Sie meinen: Fanatismus ist nicht nur eine Gefahr?"
    Bertsch: "Genau. Das ist er sicher, aber er kann auch Motor für etwas Neues sein. Und in diesen Punkten hätte ich mir von Oz mehr Ambivalenz und Nachdenken gewünscht - und weniger so ein meinungsstarkes aber manchmal auch sehr einseitiges Plädoyer."
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Amos Oz: "Liebe Fanatiker. Drei Plädoyers"
    Suhrkamp Verlag, 143 Seiten, 18 Euro.