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Amour fou in Art Deco

Auf der Flucht vor der russischen Revolution verlegte der Komponist Igor Strawinski seinen Wohnsitz nach Paris, wo er die Modemacherin Coco Chanel kennenlernt. Eine heftige Amour fou beginnt. Der Film "Coco Chanel & Igor Stravinsky" von Jan Kounen erzählt diese weitgehend fiktive Liebesgeschichte.

Von Josef Schnelle |
    Es ist nicht einmal sicher, dass es diese Liebesbeziehung überhaupt gegeben hat. Und dann gleich auch noch als heftige Amour fou mit Leidenschaft und Herzeleid? Sicher, Coco Chanel gilt als Frau mit vielen Affären. Doch Strawinski gehörte höchstens als theoretische Möglichkeit dazu.

    Coco Chanel veränderte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Art wie Frauen sich kleideten. Igor Stravinski revolutionierte die klassische Musik. 1913 war sein Ballett Sacre du Printemps in Paris in einem heftigen Pfeifkonzert an dem Théatre des Champs-Elysées untergegangen. Gerade damit aber verdiente sich Strawinski seinen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame und festigte seine Beziehung zu der modernen Kunst Film. Viel später allerdings: Walt Disneys wegweisender Zeichentrickfilm Fantasia präsentierte 1940 den ewigen Tanz der Evolution bis zum Aussterben der Saurier orchestriert mit Strawinskis Frühlingsweihe.

    Auf der Flucht vor der russischen Revolution verlegte Strawinski seinen ständigen Wohnsitz ab 1919 nach Paris, wo er sich zunächst mit seiner Familie am Rande der Armut durchschlug. Coco Chanel, der der Film in einer - zugegeben grandiosen Eingangssequenz - die Anwesenheit beim Sacre-du-Printemps-Skandal andichtet, war inzwischen mit ihren Modeerfindungen wohlhabend geworden und dadurch in der Lage, dem Komponisten als reiche Gönnerin eine Wohnstatt anzubieten. Das immerhin ist verbürgt.

    Das bisschen Wahrheit, das man braucht, um eine glaubhafte Filmgeschichte zu erzählen, reduziert sich auf Randdaten der Lebensgeschichte der beiden Hauptfiguren und auf eine heftige Liebe zum Art-Deco-Detail, in dem sich Hauptdarsteller Mads Mikkelsen und seine Partnerin Anna Mouglalis mit großem Willen zur Hochglanzerotik suhlen. Irgendwie gleicht dieser Film den Fotoromanen aus der aktuellen einschlägigen Boulevardpresse mit wechselndem Personal, auch darin der kolportagehaften Romanvorlage von Chris Greenhalgh folgend.

    Liebenswert ist der Versuch des niederländischen Erfolgsregisseurs, diese Epoche der großen künstlerischen Aufbrüche auferstehen zu lassen trotzdem. Coco Chanel hatte es als erste ihres Fachs verstanden, sich selbst als Mythos des Alltags zu inszenieren, mit einem Standardparfüm Nummer 5, dem erfolgreichsten Duft aller Zeiten und mit vielen neuen Kleidungskreationen wie dem wadenlangen Rock und mit der damenhaften Kurzhaarfrisur. So ist es sicher kein Zufall, dass Karl Lagerfelds derzeitiges Lieblingsmodell die schöne Coco verkörpert. Und auch wenn der Film lange nahelegt, man solle doch die Leidenschaft für die Gebrauchskunst Mode dem musikalischen Genie gleichzusetzen, weiß der Film diese Grenzüberschreitung zwischen Kunst und handwerklichem Können noch in arrogant-schöne Dialogsätze zu kleiden. Die modernen Künste der Alltagsverschönerung – Mode, Design und Innendekoration - mögen sich auf gleicher Höhe mit Musik, Literatur und Bühnenkunst wähnen. Sie sind es nicht.

    Auch das Kino ist nicht immer Kunst. Manchmal verkauft es mehr schlecht als recht den Stoff, aus dem die Träume sind. Vor ein paar Wochen verkörperte Audrey Tatou in Anne Fontaines Film vom Aufstieg Coco Chanels aus der Armut und Chancenlosigkeit - schön dem Klischee einer Hollywood-Filmbiografie folgend - als clevere Märchenprinzessin, der nichts und niemand widerstehen kann, schon gar nicht der Erfolg.

    "Coco Chanel - der Beginn einer Leidenschaft" kann man bequem jedem Einkauf im Chanel-Laden als DVD beilegen, weil man ihn zwischen Anprobe und Ausgehen problemlos wie eine Tafel Schokolade konsumieren kann. Der offenbar parallel entwickelte Film von Jan Kounen ist da schon sperriger. Das ist vor allem Mad Mikkelsen zu verdanken, der Mal den Bösewicht im neuen Bondfilm mimt, dann wieder seine kleinen Kunstprojekte im skandinavischen Kino pflegt und ein richtig guter Schauspieler mit Oscar-Chancen sein könnte, wenn er nur einmal an den richtigen Regisseur geraten würde.

    Immerhin ist seine Darstellung des vergrübelten Musikgenies einer der wenigen Gründe, diesen Film überhaupt anzuschauen. Es sei denn, man interessiert sich gerade brennend für Art-Deco-Möbel, die die Ausstatter des Films aus allen Winkeln der Erde herbeigeschafft zu haben scheinen.