Krise der Ampelkoalition
Lindner muss sich entscheiden

Es hängt von Christian Lindner ab, ob es in den nächsten Tagen zu einem Koalitionsbruch kommt oder nicht. Welches Interesse könnte er am vorzeitigen Ende der Regierung haben und welche Termine sind in den kommenden Wochen entscheidend? Ein Überblick.

    Bundesminister der Finanzen Christian Lindner (FDP) in  Berlin
    Woche der Entscheidung? Es liegt aktuell an Finanzminister Christian Lindner (FDP), ob die Ampelkoalition weitergeführt wird oder nicht. (imago / dts Nachrichtenagentur)
    „In der Koalition brennt gerade die Hütte“, so bezeichnet SPD-Parteichefin Saskia Esken die aktuelle Krise der Ampelkoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Alle Augen sind auf Finanzminister und FDP-Vorsitzenden Christian Lindner gerichtet. Mit einem Papier zur Wirtschafts- und Finanzpolitik hat er den Koalitionsvertrag infrage gestellt. Krisengespräche mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sollen die Regierung vorm frühzeitigen Aus bewahren.

    Inhalt

    Wie zerrüttet ist die Ampelkoalition?

    Aktuell ist unklar, ob die Ampelkoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP an Weihnachten noch Bestand haben wird. Zugespitzt hat sich der Dauerstreit der Regierung durch einen Doppelwirtschaftsgipfel am 29. Oktober 2024.
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Vertreter der Industrie und Verbände ins Kanzleramt eingeladen. Nicht eingeladen waren hingegen Wirtschaftsminister Robert Habeck (B‘90/Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP).
    Lindner traf sich am selben Tag zu einer Gegenveranstaltung mit dem Mittelstand und erklärte, er sei nicht in die Planungen des Kanzlers einbezogen worden. Das FDP-Treffen müsse ergänzend zum Kanzleramtstreffen verstanden werden. 
    Kurz vor den Gipfeln hatte Vizekanzler Robert Habeck einen milliardenschweren schuldenfinanzierten Deutschlandfonds ins Gespräch gebracht. Für den gibt es keine politische Mehrheit. Die FDP lehnte die Pläne umgehend ab.
    Kurz nach den Wirtschaftsgipfeln wurde ein Positionspapier von FDP-Chef Christian Lindner öffentlich. Er fordert darin eine „Wirtschaftswende“ mit einer „teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen“, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden.
    Das Papier erinnert an das Lambsdorff-Papier von 1982. Mit dem läutete vor 42 Jahren der damalige FDP-Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff das Ende der Koalition von SPD und FDP ein. Dass das sein Papier mit dieser Geschichte verglichen wird, muss Lindner klar gewesen sein.
    Als Sofortmaßnahmen schlägt Lindner in dem Papier die Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener vor, keine neuen Regulierungen sowie ein Kurswechsel in der Klimapolitik. Deutschland brauche eine grundsätzliche „Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik“. Damit distanziert sich Lindner von Teilen der bisherigen Regierungspolitik.

    Was erhofft sich die FDP vom Bruch mit der Ampelkoalition?

    Neuwahlen wären für die Liberalen angesichts der Umfragewerte ein Risiko. Doch Christian Lindner (FDP) scheint, mit seiner Partei aus der Ampelkoalition herauszustreben. Der FDP-Chef läutete bereits den „Herbst der Entscheidungen“ ein. Er sagte, es bräuchte manchmal auch den Mut, eine neue Dynamik zu entfalten, wenn die Grenzen des Möglichen erreicht seien.
    Ein Kalkül innerhalb der FDP: Politischer Gewinn bei Bundestagswahlen, weil man der Ampelkoalition ein Ende bereitet hat. Denn die Regierung ist unbeliebt. Mit deren Arbeit waren im Oktober 2024 laut einer repräsentativen Umfrage fast 80 Prozent der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger unzufrieden.
    Der FDP-Chef und Finanzminister muss sich entscheiden: Weitermachen und kompromissbereit sein oder die Regierung – mit allen Konsequenzen – vorzeitig aufkündigen.

    Was sagen SPD und Grüne?

    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat kein Interesse an vorgezogenen Wahlen. Er erklärt: „Die Regierung ist gewählt im Amt und wird ihre Aufgaben erledigen.“
    Neuwahlen würden vermutlich zu einer sogenannten Großen Koalition unter Führung der CDU führen. Die SPD liegt in Umfragen aktuell bei etwa 15 Prozent, das wäre ein Verlust von zehn Prozentpunkten im Vergleich zur Bundestagswahl 2021. Die Union liegt hingegen in Umfragen bei mehr als 30 Prozent. Sie kann im Vergleich zu 2021 auf Zugewinne hoffen.
    Scholz hat sich vorgenommen, diesen Rückstand bis zur Bundestagswahl noch aufzuholen. Dafür braucht er vor allem Zeit. Die SPD ist daher am Zusammenhalt der Ampel interessiert. So werden aktuell Krisengespräche auf höchster Ebene geführt.
    Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) appelliert an Christian Lindner (FDP), man müsse weiterregieren. Mit Blick auf den Ukrainekrieg, der Wirtschaftslage in Deutschland und der US-Wahl sei es die „schlechteste Zeit“, dass die Regierung scheitert.
    Habeck kündigt im Streit um den Bundeshaushalt an, dass zehn Milliarden Euro, die für die Intel-Chipfabrik in Magdeburg vorgesehen waren, zurück in den Bundeshaushalt fließen sollen. Die FDP hat das Angebot als "Mogelpackung" abgelehnt.

    Welche Termine werden für die Ampel entscheidend?

    Wichtig für den Fortbestand der Ampelkoalition dürfte die Nacht vom 14. auf den 15. November 2024 haben. Dann findet die sogenannte Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages statt.
    In der Sitzung wird abschließend über noch offene Punkte im Etat verhandelt und abgestimmt. Wird sich die Regierung über den Haushalt für das kommende Jahr einig, könnte die Scholz-Regierung vielleicht bis zum regulären Bundestagswahltermin am 28. September 2025 im Amt bleiben. Theoretisch könnte der Haushalt noch Anfang nächsten Jahres verabschiedet werden.
    Ein weiteres wichtiges Datum sind die US-Wahlen am 5. November. Wird der ehemalige US-Präsident Donald Trump zum zweiten Mal gewählt oder versinken die Vereinigten Staaten in politisches Chaos, kann sich Deutschland keine Regierungskrise leisten.
    Befürworter von Neuwahlen sagen deswegen: Wenn es geopolitisch und wirtschaftlich schwierig ist, muss Deutschland handlungsfähig sein.
    Die Ampelkoalition zeigt sie derzeit weder in der Lage noch willens, gemeinsam weiter zu regieren. Ein vorzeitiges Ende der Regierung könnte, so das Argument der Befürworter von Neuwahlen, politische Handlungsfähigkeit wiederherstellen.

    Wie könnte es zu Neuwahlen kommen?  

    Würde sich die Koalition nicht bis Mitte November auf einen gemeinsamen Haushalt für 2025 einigen, würde es zunächst Gespräche mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) geben. Anschließend könnte Bundeskanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellen.
    2005 hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) dieses Vorgehen gewählt, um den Bundestag vorzeitig aufzulösen. Anschließend gab es vorgezogene Neuwahlen. Als mögliches Datum für vorgezogene Bundestagswahlen wird unter anderem der 9. März 2025 genannt.

    Wie könnte es nach Neuwahlen weitergehen?

    Die CDU bereitet sich bereits auf eine Übernahme der Regierung vor. Laut Äußerungen von Parteimitgliedern bevorzugt die Union eine Zweierkoalition. Nach aktuellen Umfragen könnten die Unionsparteien und eine stark geschrumpfte SPD eine neue Regierungskoalition bilden.
    Zum Problem könnten AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) werden. Denn die neue Regierung müsste einen Haushalt zustande bringen. Dafür dürften erneut Sondervermögen eingerichtet werden.
    Doch wäre für eine entsprechende Grundgesetzänderung eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Kämen BSW und AfD auf mehr als ein Drittel der Sitze im Bundestag, wie aktuelle Umfragen prognostizieren, hätten beide zusammen eine Sperrminorität.

    ww, pto, jde

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