Die Verhandlungsführer von SPD, Grüne und FDP haben sich auf ein gemeinsames Sondierungspapier geeinigt und damit einen weiteren Schritt zur Bildung der nächsten Bundesregierung vollzogen. Man sei davon überzeugt, dass man einen ambitionierten und tragfähigen Koalitionsvertrag schließen könne, heißt es in dem Papier.
Die Sondierungsergebnisse im Überblick:
In Deutschland könne eine Regierung gebildet werden, die das Land modernisiere
, sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin am 15. Oktober. Das Land stehe vor dem größten industriellen Modernisierungsprojekt seit wahrscheinlich über 100 Jahren. Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock erklärte, man habe in den vergangenen Tagen sehr vertrauensvoll miteinander gearbeitet. FDP-Chef Christian Lindner sprach von einer Zäsur in der politischen Kultur Deutschlands. Man sei einander mit Neugier und Ernsthaftigkeit begegnet. Dies gebe Hoffnung, dass ein neuer Aufbruch möglich sei.
Die wichtigsten Stationen auf dem Weg zu einer neuen Regierungsbildung:
Die Sondierungsergebnisse im Überblick:
Beim Thema Steuern sieht man im Papier die Handschrift der FDP. So soll es keine Steuererhöhungen geben - weder Einkommens- noch Unternehmens- oder Mehrwertsteuer werden erhöht. Auch eine Vermögenssteuer wird es nicht geben. Hier gab es vorab bereits einiges an Konfliktpotential. SPD und Grüne wollten im Wahlkampf hohe Einkommen und Vermögen stärker belasten. Die FDP hat Steuererhöhungen und Umverteilung jedoch abgelehnt und plädiert dafür für alle Einkommensgruppen und auch Unternehmen Steuern zu senken – mit dem Argument, weniger Steuerbelastung fördere die Wirtschaft und erhöhe damit wiederum die Steuereinnahmen.
Der SPD-Co-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans sagte am 16.10.2021 im Dlf
, seine Partei hätte "gerne im Bereich der Einkommen oberhalb des Mindestlohns ein Stück Entlastung geben wollen und dafür in den hohen Bereichen ein Stück mehr Belastung. Das war im Sinne des Kompromisses nicht drin."
Eine mögliche Regierung aus FDP, Grünen und SPD wird an der Schuldengrenze festhalten. So sieht es das Sondierungspapier vor. Damit darf sie nicht mehr Geld mehr ausgeben, als sie durch Steuern einnimmt. Die Haushalte von Bund und Ländern müssen ohne Kredite ausgeglichen werden. Diese Regelung soll die Staatsverschuldung begrenzen und ist im Grundgesetz verankert.
Die Grünen plädierten im Wahlkampf für eine Aufweichung der Schuldenbremse, um massive Investitionen in Klimaschutz und Infrastruktur zu ermöglichen. Die FDP lehnte eine Aufweichung ab und auch SPD-Kanzlerkandidat Scholz hat sich im Wahlkampf dagegen ausgesprochen.
Norbert Walter-Borjans verwies im Dlf darauf, dass die Schuldenbremse für sich genommen deutliche Spielräume für Investitionsmittel biete. Zudem gebe es eine Reihe von Institutionen wie etwa die Förderbanken von Bund und Ländern, deren Mittel teilweise in Investitionen fließen könnten.
Das Thema Klimaschutz nimmt in dem Papier einen großen Raum ein, was sicherlich die Handschrift der Grünen trägt. So soll der Kohleausstieg beschleunigt werden und "idealerweise" schon 2030 erfolgen. Es soll deutlich mehr Solarenergiequellen auf Dächern geben und die Windkraft soll ausgebaut werden. Hier wird das Papier auch konkret. So sollen für Windkraft zwei Prozent der Landflächen ausgewiesen werden. Allerdings sieht das Papier auch vor, die EEG-Umlage zu streichen. Diese war schon immer ein Dorn im Auge der FDP.
Ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf deutschen Autobahnen soll es nicht geben. Damit hat sich die FDP durchgesetzt. SPD und Grüne wollten es im Wahlkampf umsetzen. Argumentiert wurde vor allem mit der Verkehrssicherheit. Der Klimaschutzeffekt käme als Bonus dazu. Die FDP lehnt ein Tempolimit als "Symbolpolitik" ab.
Hier zeigt sich im Sondierungspapier ganz klar die Position von SPD und auch Grünen. Vor allem Olaf Scholz hatte eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro versprochen und als Bedingung für eine Koalition erklärt. So soll es nun auch kommen.
FDP-Chef Christian Lindner hatte dagegen im Wahlkampf darauf verwiesen, dass der Mindestlohn Sache einer unabhängigen Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften sei. In diesem Punkt musste die FDP nun der SPD den Vorrang lassen.
Die Arbeitslosensicherung Hartz IV soll durch ein "Bürgergeld" ersetzt werden. Ziel bleibt eine Rückkehr der Bezieher in den Arbeitsmarkt, auch das System der Sanktionen wird nicht infrage gestellt. Aber die Zuverdienstgrenzen sollen gegenüber Hartz IV steigen, um Arbeit nicht durch Leistungskürzung zu bestrafen. Die Parteien wollen ferner prüfen, ob sie "großzügige Regelungen zu Schonvermögen und zur Überprüfung der Wohnungsgröße" aus der Coronazeit fortsetzen können. Das würde staatliche Mehrausgaben bedeuten. Offen ist, ob die Regelsätze angepasst werden. Diese wurden bei Hartz IV oft als zu niedrig kritisiert.
Ähnlich ist es auch bei der Rente: Demnach soll es keine Rentenkürzungen geben. "Wir werden daher die gesetzliche Rente stärken und das Mindestrentenniveau von 48 Prozent sichern", heißt es im Dokument der drei Parteien.
Johannes Vogel, stellvertretender FDP-Vorsitzender, machte am 16.10.2021 im Dlf deutlich
, dass seine Partei den Kompromiss beim Mindestlohn eingegangen sei, weil sie den Einstieg in die Kapitaldeckung der gesetzlichen Rente durchsetzen konnte.
Was aus dem Sondierungspapier nicht hervorgeht
Bei den Sondierungsgesprächen von SPD, Grünen und FDP ging es laut dem Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte "wirklich darum, was zu verändern, was auch ein neues Politikverständnis ausmacht". Das Sondierungspapier spiegele das in der Sprache wider: "Ich kann von jedem sehr viel erkennen, ohne zu bilanzieren, wer da jetzt Sieger oder Verlierer ist", so Korte.
Ähnlich sieht es auch Dlf-Hauptstadtstudio-Korrespondentin Katharina Hamberger. Dieser erste Aufschlag sei schwierig zu bewerten.
"Jeder hat ein paar Kröten geschluckt", so Hamberger (15.10.2021)
. Insgesamt stelle sich die Frage, wie die geplanten Mehrausgaben nun bei bestehender Schuldenbremse und ohne Steuererhöhungen finanziert werden sollen.
Die Frage nach der Finanzierung sei noch nicht beantwortet,
sagte auch der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte im Dlf (15.10.2021)
. Dennoch sehe er Andeutungen, wie Geld einzuspielen sei. Beispielsweise bei Steuersündern und Steuermissbrauch. Dazu gehöre auch die von Olaf Scholz mitausgehandelte globale Mindeststeuer für Unternehmen. Auch die Überlegung, Subventionen zu streichen, könnte finanzielle Entlastungen bieten.
Noch fehlen im Sondierungspapier auch konkrete Punkte, die möglicherweise Konfliktpotenzial haben. Dazu gehört beispielsweise die Zukunft des Solidaritätszuschlages. Dieser hatte bei den Jamaika-Sondierungen 2017 schon zu Problemen geführt. Im aktuellen Sondierungspapier fehlen aber auch Punkte, bei denen man von allen drei Parteien eher eine inhaltliche Nähe erwartet hätte, wie beispielsweise die Legalisierung von Cannabis.
Die wichtigsten Stationen auf dem Weg zu einer neuen Regierungsbildung:
Von Montag (11.10.2021) bis Freitag (15.10.2021) haben sich die Parteispitzen von SPD, Grüne und FDP für vertiefte Sondierungen getroffen, um strittige Details zu besprechen. Nun loten die Parteien aus, ob die inhaltlichen Grundlagen des Sondierungspapiers für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen reicht.
Wenn sich in den Sondierungen die konkrete Aussicht auf eine gemeinsame Regierungsbildung ergibt, ist der Weg frei für offizielle Koalitionsverhandlungen. Dabei würden alle Themen im Detail verhandelt. Bereits nach den vergangenen Bundestagswahlen gab es einen Ansatz zu gründlicheren Koalitionsberatungen, um das spätere Regieren weniger konfliktträchtig zu gestalten. Doch das muss nicht unbedingt bedeuten, dass sich die Koalitionsverhandlungen endlos in die Länge ziehen. 2018 begannen die nach den geplatzten Jamaika-Sondierungen gestarteten Verhandlungen über eine Neuauflage von Schwarz-Rot am 26. Januar. Und bereits am 7. Februar 2018 konnten die Spitzen von Union und SPD einen ausgehandelten Koalitionsvertrag präsentieren.
Die einzige feste Größe bei den Terminen nach der Wahl. Denn das Grundgesetz schreibt vor, dass das neu gewählte Parlament spätestens 30 Tage nach der Wahl das erste Mal zusammenkommen muss - das wäre der 26. Oktober. Damit endet offiziell auch die Amtszeit der bisherigen Minister und der Bundeskanzlerin. Sie sind dann aber laut Grundgesetz auf Ersuchen des Bundespräsidenten verpflichtet, ihr Amt bis zur Ernennung der Nachfolger geschäftsführend weiterzuführen.
Die Grünen wollen ihre Mitglieder über einen ausgehandelten Koalitionsvertrag und das Personaltableau auf jeden Fall bei einer online-gestützten Urabstimmung entscheiden lassen. Auch die SPD erwägt, das Votum der Basis einzuholen. Bei der FDP muss ein Bundesparteitag dem Koalitionsvertrag zustimmen.
Ist der Koalitionsvertrag fertig ausgehandelt und besteht Klarheit über die Ressortverteilung, schlägt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers vor. Dieser wird im Bundestag ohne Aussprache gewählt. Am Tag der Wahl werden in der Regel auch die Minister ernannt. Die drei Parteien ließen durchblicken, dass eine mögliche neue Regierung noch vor Weihnachten gebildet werden sollte.
Quellen: Katharina Hamberger, Panajotis Gavrilis, Silke Hahne, nm