Wo weissagen heute noch die Hexen, was und wie? In Amsterdam tun sie es unter Nebelschwaden im dichten hohen kunstschottischen Farn. Dabei lungern sie in kleinen Gruppen hinter Büchertischen. Die lassen sich in dieser grünen Hölle zwar vermutlich nicht besonders umsatzträchtig betreiben, sind aber eine liebe Erinnerung an die universitären 70er-Jahre, in die ja auch der ökologische Aufbruch fiel.
Die orakelnden Frauen, nach dem Ebenbild der Regisseurin herausgeputzt, sitzen später auch wie Legehühner in beziehungsweise auf Käfigen, blättern dabei auffällig aufgeregt in alten Büchern – und entwickeln dadurch Sehschärfe für die Zukunft. Eine Hexenwelt wie von Otfried Preußler fürs Kinderbuch gebändigt, eine schöne Idylle.
In sie dringt böse-männliches ein: Soldaten. Die Kostümierung signalisiert Erinnerung an die militärischen Konflikte der Kindheitstage von Andrea Breth, also Korea-, Indochina- und Vietnam-Krieg. Dieser Historismus ist in einer Zeit, in der sich die Soldatinnen und Kameraden unserer sich neu erfindenden Bundeswehr an wenigstens sieben Fronten einsetzen, von gleisender Aktualität. Erlaubt sei an dieser Stelle vielleicht ein einsatztechnischer Hinweis für die Regisseurin, die selbst vermutlich nicht gedient hat: Untergebene richten in der Regel ihre automatischen Waffen nicht auf ihre Vorgesetzten, während diese zu ihren höchsten Tönen mit der Maschinenpistole fuchteln – wie zum Beispiel der Heldentenor Wookyung Kim als Macduff.
Marc Albrecht bringt von Anfang an mit dem Nederlands Philharmonisch Orkest den Furor der Musik aus Verdis besten Jahren so treffend zur Geltung wie das Lakonisch-Konzise, das in dieser Oper erstmals hohe Meisterschaft unter Beweis stellt. Dass die als wahnsinnig werdende Gattin und Antreiberin des Macbeth vorgesehen Nadja Michael ausfiel, war ein dicker Wermutstropfen für die Produktion – Amarilla Nizza hat als Ersatzfrau nicht nur Probleme mit der inneren Führung, sondern generell mit dem Spurhalten. Durchaus imposant allerdings präsentiert sich der Chor der Niederländischen Nationaloper: Wie er beim Meeting im Farn die Repression und Depression des Vaterlands beklagt, ist geeignet, ihn zum Chor des Jahres zu wählen.
Womöglich war es der Regisseurin ein Anliegen, die Banalität des Bösen zu inszenieren – sie zeigt böse Banalität. Dabei ist die Ausstattung des Schlafzimmers von Herrn und Frau Macbeth mit gepolsterten Wänden die plausibelste Bildidee: Die Schalldämpfung soll nichts von den Entzweiungen, Einreden und Nötigungen, die hier an der Tages-und Nachtordnung sind, nach draußen dringen lassen. Das Kindergitterbett, das nicht mit Nachkommen, dafür mit einem großen weißen Teddybär bestückt wird, avanciert – man ahnt es von der ersten Sekunde an – zum Altar des Wahnsinns.
Und der Bär wird angekokelt. Wie das Ehegemach ist auch die Waffe, mit der ein Auftragsmörder Banco fällt, schallgedämpft. Andrea Breth zeigt die Schrecken beiläufig und ohne Blutspuren. Damit erfüllt sie eine der zentralen konservativen Erwartungen an gediegene Theaterproduktionen.
Davon hat sie eine größere Zahl auf den Weg gebracht. Der Amsterdamer "Macbeth" gehört nicht dazu, auch wenn sich Scott Hendricks als Titelheld mehr als achtbar schlägt.