"Das Amt des Präsidenten der deutschen Bundesrepublik, was ist es denn?"
Fragte Theodor Heuss, als er es 1949 als Erster antrat. Wozu das junge Land ein Staatsoberhaupt brauchte, war klärungsbedürftig. Aber auch mehr als 60 Jahre später ist es immer noch ein Amt, das seine Inhaber mit fundamentalen Fragen an sich und ihre Rolle in der Öffentlichkeit konfrontiert:
"Und so ein Mensch wie ich freut sich natürlich wie jeder Mensch über Zuspruch und Unterstützung. Das ist das eine Thema. Aber da ist man natürlich auch verwirrt und sagt sich: So schön bist Du nun nicht und Du heißt auch nicht Beckenbauer. Und wo kommt das alles her? Was will das alles?"
Wunderte sich auch Joachim Gauck noch im Herbst 2012, ein halbes Jahr nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten. Was also ist es eigentlich, dieses Amt, in das nun Frank Walter Steinmeier am Sonntag als Zwölfter gewählt werden soll? Was will es – mit dem Amtsinhaber? Und was will es mit uns, den Bürgern und Beobachtern?
Wer die besondere Rolle des Bundespräsidenten beschreiben, seine tatsächliche oder vermeintliche Macht ermessen, seine Funktion im Verfassungsgefüge und in der politischen Lebenswirklichkeit Deutschlands erfassen will, muss immer wieder an die Anfänge zurückkehren.
"Es ist bis jetzt ein Paragraphengespinst gewesen", stellte Theodor Heuss fest, der die dürren Worte des Grundgesetzes zu Amt, Aufgaben und Befugnissen des Staatsoberhaupts erstmals mit Leben füllen musste. Dass der Bundespräsident vor allem repräsentativ wirkt und nicht aktiv in die Politik eingreift, ist im Text der Verfassung keineswegs so deutlich angelegt, wie es sich in der Staatspraxis seit Theodor Heuss etabliert hat.
Adenauer vs. Heuss
"Es ist für seine Amtsführung ganz charakteristisch, dass er in ganz entscheidenden Punkten gegenüber Bundeskanzler Adenauer sich nicht durchgesetzt hat, was diese Kompetenzen angeht", sagt der Historiker Frieder Günther. In zahlreichen Veröffentlichungen hat er nachgezeichnet, wie sich erst in der gelebten Verfassungswirklichkeit der fünfziger Jahre eine Balance an der Spitze des Staates eingestellt hat, die bis heute nie mehr ernsthaft in Frage gestellt wurde. Viele der Machtfragen aber, die Adenauer und Heuss unter sich klärten, lassen sich aus dem reinen Text des Grundgesetzes bis heute nicht beantworten.
"Es war beispielsweise die Frage, wie weit er Einfluss nehmen darf auf die Zusammensetzung des Kabinetts. Muss der Kanzler, bevor er an die Öffentlichkeit tritt, mit ihm das Kabinett besprechen? Da hat der Kanzler zugestimmt. Aber zum Beispiel darf der Bundespräsident bei Kabinettssitzungen anwesend sein? Da hat der Kanzler gesagt: Das kommt nicht in Frage."
Adenauer, selbst ebenso wie Heuss einer der Autoren des Grundgesetzes, wusste dabei ganz genau, welche Spielräume der Verfassungstext den Amtsinhabern an der Spitze des Staates ließ. Als Adenauer während der sogenannten "Präsidentschaftskrise" 1959 damit liebäugelte, selbst aus dem Kanzleramt in das Amt des Bundespräsidenten zu wechseln, stand ihm eine wagemutige Interpretation des höchsten Staatsamtes vor Augen:
"Die Stellung, die Aufgabe und die Arbeit des Bundespräsidenten wird in der deutschen Öffentlichkeit und damit auch in der internationalen Öffentlichkeit zu gering eingeschätzt. Sie ist viel größer als man schlechthin glaubt."
Für einen kurzen Moment der Geschichte wollte Adenauer den jungen Staat in eine präsidiale Republik nach französischem Vorbild umwandeln. Doch wo die verborgenen Machtreserven des Bundespräsidenten tatsächlich enden, hat bis heute niemand ausgelotet. Die Grenzen seiner Macht wurden weniger durch die Normen der Verfassung, als durch die maßvolle Staatsklugheit des ersten Amtsinhabers definiert. Nicht im Ringen um politische Kompetenzen, sondern mit der Macht des Wortes prägte Theodor Heuss das Amt. Und er definierte zugleich den Grundton, in dem seine Nachfolger die Rolle des Präsidenten als moralische Autorität im Nachkriegsdeutschland interpretierten.
"Es hat keinen Sinn, um die Dinge herumzureden. Das teuflische Unrecht, das sich an dem jüdischen Volk vollzogen hat, muss zur Sprache gebracht werden. Sind wir, bin ich, bist Du schuld, weil wir in Deutschland lebten, Mitschuld an diesem teuflischen Unrecht?"
Heinrich Lübke und das Ausland
Das Bekenntnis zur Schuld und Verantwortung bleibt bis heute eine der stärksten Kontinuitäten in der Rhetorik aller Bundespräsidenten. Gewandelt hat sich dafür der Stil, mit dem die Amtsinhaber ihre Rolle als Repräsentanten Deutschlands im Ausland wahrnehmen. Heuss' Nachfolger Heinrich Lübke verlagerte den Schwerpunkt der Präsidentschaft ganz in die auswärtige Repräsentation. 36 Auslandsreisen absolvierte er in seinen beiden Amtsperioden. Der Präsident zeigte sich den Zeitgenossen und der Welt vor allem als Reisender.
Beim Staatsbesuch in Thailand 1962 wird die deutsche Delegation mit Glanz und Nationalhymne empfangen. Die Berichte vom reisenden Staatsoberhaupt gaben den Deutschen zuhause das wohlige Gefühl, verlorene Würde und zerstörtes Ansehen zurückzugewinnen. Hier kam es weniger auf Worte, als auf Gesten und sinnliche Eindrücke an:
"Während das deutsche Präsidentenpaar die Halle betritt, neigen sich die Thailänderinnen in unnachahmlicher Grazie zu Boden."
Zuhause aber ist auch das Leben des deutschen Staatsoberhauptes keineswegs immer so glanzvoll. Die allermeisten Auftritte des Bundespräsidenten sind bis heute protokollarische Routine: Besuche in der Provinz, Grußworte bei Verbänden, Jahrestagen, Festveranstaltungen, Ordensverleihungen.
Reden und Ansprachen des Bundespräsidenten entstehen in einem Apparat, der wie keine andere Behörde nicht auf staatliches Handeln, sondern ganz auf das gesprochene Wort als wichtigstes Machtinstrument ihres Repräsentanten ausgerichtet ist. Viel der Redenware, die in der Schreibmanufaktur des Präsidialamtes neben dem Schloss Bellevue hergestellt wird, ist präsidiale Gebrauchsrhetorik. Knut Bergmann, heute Kommunikationschef beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, arbeitete mehrere Jahre als Grundsatzreferent und Redenschreiber im Bundespräsidialamt:
"Das heißt, es gibt Fachreferate in der Inlands- und Auslandsabteilung, die die Reisen und die Termine vorbreiten. Die natürlich auch etwas zu den Inhalten sagen – also worüber könnte er dort sprechen? Was ist der Anlass? Wer kommt da? Was ist die Zielgruppe?"
Bergmann, der sich auch in Veröffentlichungen und Lehraufträgen mit dem Amt des Bundespräsidenten beschäftigt hat, weiß zugleich, dass die Wirkung präsidialer Reden nicht nur von ihrem Inhalt abhängt:
"Wenn man die, vermutlich eine der bekanntesten Reden eines Bundespräsidenten überhaupt nimmt, Richard von Weizsäckers Rede 1985 zum 8. Mai – diese Rede ist unter anderem deshalb so populär geworden, nicht nur weil es auch eine rhetorisch große Rede war, sondern will sie auch den entsprechenden Ort gefunden hat – damals bei der Feierstunde zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges im Deutschen Bundestag – und weil diese Rede auch danach entsprechend vermarktet worden ist. Damals noch auf Schallplatte, das kann man sich heute ja gar nicht mehr vorstellen."
"Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung."
Weizsäckers Rede zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges
Die geschliffene Darbietung des Redners, die große Bühne im Parlament, der Zeitpunkt und das politische Marketing des Apparates trugen dazu bei, dass Richard von Weizsäckers Rede vom 8. Mai 1985 zum Maßstab für die präsidiale Punchline wurde, den einen Satz, mit dem sich ein Bundespräsident dauerhaft ins Gedächtnis der Nation einprägt. Die Rede vom Kriegsende als Augenblick der Befreiung wird als erinnerungspolitischer Durchbruch gefeiert. In der Sache allerdings hatte Weizsäcker nichts gesagt, was nicht auch andere Bundespräsidenten vor ihm bereits ausgesprochen hätten.
Und Helmut Kohl verwandt es zeitlebens nicht, dass das Diktum vom Tag der Befreiung seinem innerparteilichen Widersacher von Weizsäcker und nicht ihm zugeschrieben wurde.
"Der Zusammenbruch der NS-Diktatur am 8. Mai 1945 wurde für die Deutschen ein Tag der Befreiung."
Knapp drei Wochen vor Weizsäckers Rede im Bundestag, am 21. April 1985, hatte Helmut Kohl bei einer Gedenkveranstaltung im ehemaligen Konzentrationslager Bergen Belsen eine Rede gehalten, in der der Kanzler den legendären Satz fast wortgleich vorweggenommen hatte. In der Erinnerung der Deutschen aber blieb er allein mit dem Namen von Weizsäckers verknüpft, der damit zugleich die Erwartungen an die präsidiale Wortmacht auf schwer erreichbare Höhe geschraubt hatte.
Sein Nachfolger Roman Herzog reagierte darauf, in dem er noch einmal einen ganz neuen Rahmen erfindet, um der einen, zentralen Rede seiner Amtszeit den erwünschte Resonanzraum zu verschaffen: die "Berliner Rede". Mit erheblichem Aufwand bereitet Herzog jene Rede vor, mit der er das Land sprichwörtlich aufrütteln will. Entwürfe werden von externen Beratern durchgearbeitet und mit bedeutungsschwangerem Raunen vorab an ausgewählte Journalisten verschickt. Für den 26. April 1997 schließlich lädt Herzog ins Schloss Bellevue. Es gibt – anders als bei den großen Reden seiner Vorgänger - keinen Jahrestag, keine Feierstunde oder Gedenkveranstaltung als Anlass. Der Bundespräsident spricht - das allein wird in der Berliner Rede zum Ereignis stilisiert:
"Die Welt ist im Aufbruch. Sie wartet nicht auf Deutschland. Aber ich füge hinzu: Es ist auch noch nicht zu spät. Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von lieb gewordenen Besitzständen, vor allem Dinge von den geistigen, von den Schubläden und den Kästchen, in die wir gleich alles legen. Alle sind angesprochen. Alle müssen Opfer bringen. Die Großen mehr, die Kleinen weniger. Aber es müssen auch alle mitmachen."
Herzog und die schnellen Abgänge von Köhler und Wulff
Der hohe Ton der Mahnung und Moral bedarf der präsidialen Aura. Er markiert aber zugleich auch die politische und soziale Fallhöhe, auf die sich die Amtsinhaber höchstpersönlich begeben.
"Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen. Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten."
"Die Berichterstattungen, die wir in den vergangenen zwei Monaten erlebt haben, haben meine Frau und mich verletzt. Ich wünsche unserem Land von ganzem Herzen eine politische Kultur, in der die Menschen die Demokratie als unendlich wertvoll erkennen und sich vor allem – das ist mir das wichtigste – gerne für die Demokratie engagiert einsetzen."
Innerhalb von zwei Jahren hatten die Rücktritte von Horst Köhler und Christian Wulff nicht nur die Amtsinhaber, sondern auch das Amt selbst getroffen. Das höchste Staatsamt sei "beschädigt", hieß es 2012. Sogar die Frage wurde gestellt, warum es überhaupt noch eines Bundespräsidenten bedürfe. Dabei waren gerade die Berufungen Köhlers und Wulffs auch Versuche einer modernen Neuinterpretation des Amtes gewesen: im einen Fall durch einen Außenseiter, der sich seinen Ruf als Finanzexperte erworben hatte, im anderen durch den jüngsten bis dahin gewählten Amtsinhaber, der mit einer eleganten Frau und zweiter Familie an seiner Seite das Bild eines moderneren, integrativen Deutschlands verkörpern sollte. Und obwohl seine Amtszeit die kürzeste aller Präsidenten blieb, gelang es auch Wulff, sich mit einem Satz in die Geschichtsbücher einzutragen, dessen Wirkung weit in die Gegenwart nachhallt:
"Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."
Nach den Rücktritten von Christian Wulff und Horst Köhler aber ging es darum, dass Amt von seinen Verwundungen zu heilen. Und mit Joachim Gauck griff die Politik wieder auf den klassischen Typus des Präsidialen zurück: der ältere Mann, der die politische Karriere bereits hinter sich und dabei höchstes Ansehen erworben hat. Ohne zu ahnen, dass er wenig später im zweiten Anlauf in das höchste Staatsamt gewählt werden sollte, formulierte der damalige Bürger Joachim Gauck 2011 eine fröhliche Selbstbeschreibung, die rückblickend wie eine vorweggenommene Job-Description des späteren Bundespräsidenten wirkt:
"Außerdem bin ich als Redner dauernd unterwegs und spreche über Freiheit, Verantwortung oder über Ossis und Wessis, und dann erkläre ich immer wieder mal, dass die Demokratie besser ist als die Diktatur. Und ich werde nicht eher aufhören diese Reden zu halten, bis es alle begriffen haben – habe ich noch ein bisschen zu tun."
Als es aber nach dem Rücktritt Christian Wulffs für Gauck ernst wird, fährt auch ihm, dem begnadeten Rhetoriker und routinierten Redner der Respekt vor der neuen Aufgabe hörbar in die Glieder:
"Das, was ein Teil der Öffentlichkeit an mir schätzt und ein anderer nicht mag, dass ich auch mal Ecken und Kanten zeige, das geht in der Weise nicht. Und nun muss ich mir eine Form erarbeiten, in der ich noch erkennbar bleibe."
Gauck: "Mir liegt das eigentlich nicht"
Im ZDF-Interview wird Gauck am Abend seiner Wahl gefragt, ob die Zukunft für ihn nun aus dem Verlesen vorgeschriebener und mit Beraterstäben abgestimmter Reden bestehen werde. Der frisch gewählte Bundespräsident kommt hörbar ins Grübeln:
"Pffh … tja ... Ich sehe es fast so. Mir liegt das eigentlich nicht."
Aber Gauck nahm das Amt auch als staatsbürgerliche Pflicht auf sich. Und er schuf und nutzte die Aufmerksamkeitsräume, in denen auch er mit seinen Reden politische Wirkung zu erzielen vermochte. In der Diskussion über die Flüchtlingspolitik setzte er unüberhörbare Gegenakzente zur Rhetorik der Kanzlerin. Auf der außenpolitischen Bühne mahnte er Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen der Demokratie an. Vor allem mit seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor zwei Jahren traf Gauck einen Nerv der Zeit.
"Dies ist ein gutes Deutschland. Das Beste, das wir jemals hatten. Ich meine, die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen."
Auch in diesem Fall hatte der Bundespräsident im Wesentlichen wiederholt, was schon von anderen in vielfältigen Wortwendungen gesagt worden war. Aus dem Munde des Staatsoberhauptes aber erfährt das Gesagte eine besondere Veredelung und Kodifzierung.
Kann die klassische, präsidiale Rede auch in der digitalen Zukunft noch diese Identität stiftende und Gemeinsinn prägende Wirkung entfalten?
"Digitale Kommunikationstechniken verändern alle Organisationen in der Gesellschaft. Sie verändern dann auch alle politischen Organisationssysteme und alle politischen Kommunikationstechnologien",
sagt Jasmin Siri, Professorin für politische Soziologie an der Universität Bielefeld, die sich mit dem Wandel politischer Kommunikation im digitalen Zeitalter beschäftigt.
"Wir müssen uns dessen gewahr sein, dass nur sehr kleine Gruppen in der Gesellschaft diese Reden als solche noch wahrnehmen oder sich dafür interessieren. Und da stellt sich dann auch die Frage: Welche anderen Möglichkeiten hätte man, diese Ansprache eines Kollektivs zu symbolisieren?"
Der nächste Bundespräsident müsse sich nicht am Vorbild des neuen US-Präsidenten orientieren und die Nation als RealFrankWalterSteinmeier über Twitter die moralische Richtung weisen, sagt Jasmin Siri. Der Apparat des Präsidialamtes aber stehe vor der Frage, wie er die Möglichkeiten der neuen Kommunikationsformen für die spezifischen Ausdrucksformen des Staatsoberhauptes adaptiere:
"Zugleich kann man aber auch sagen, dass so etwas wie Youtube ein soziales Medium, bei dem man Videos einspielen und abrufen kann – sehr erfolgreich – da kann ja auch die klassische Rede sich wiederfinden. Die Frage ist nur: Inwiefern verändert die klassische Rede ihre Form, wenn sie in einem anderen Medium, eben zum Beispiel auf Youtube ausgestrahlt und kommentiert wird."
Youtube und das Präsidentenamt
In den sozialen Medien des Internets entsteht eine neue Form der direkten Verbindung zwischen politischen Akteuren und ihren Beobachtern, seien es Politiker, Journalisten oder Bürger. Doch auch die Tatsache, dass Politiker nicht mehr auf journalistische Medien als Vermittler ihrer Botschaften angewiesen sind, ist kein neues Phänomen. Frieder Günther, der Theodor-Heuss-Forscher, lenkt den Blick noch einmal auf die Gründerjahre der Republik und die Anfänge ihres höchsten Amtes zurück:
"Es dürften täglich etwa hundert Briefe im Präsidialamt eingegangen sein mit den unterschiedlichsten Inhalten. Also Leute loben den Bundespräsidenten, wollten ihm einfach mal sagen, wie toll sie ihn finden. Dann gibt es andere Zuschriften, wo sich Leute in sozialer Not an den Bundespräsidenten wenden, obwohl der überhaupt nicht zuständig ist für dieses Themengebiet. Andere Leute beklagen sich bitter über die Politik und lassen einfach mal auch die Sau raus. Und Heuss hat diese Zuschriften für wichtig genommen."
Ein knapp 600-seitiger Band umfasst eine Edition der Briefe, in denen Theodor Heuss während seiner Amtszeit als Bundespräsident persönlich auf die Zuschriften der Bürger antwortete. Das Buch ist das faszinierende Zeugnis einer vergangenen Kultur unmittelbarer Kommunikation zwischen einem hochgradig wort- und schriftgewandten Politiker und Bürgern aus allen Schichten der Gesellschaft und Teilen des Landes:
"Ganz bemerkenswert: Manchmal hat er die Briefe diktiert, aber sie von seinem persönlichen Referenten unterschreiben lassen. Also das ist ganz deutlich sein Sprachduktus, der in diesem Brief ist. Trotzdem ist in dem Brief von dem Bundespräsidenten als 'ihm' die Rede und der Brief ist dann vom persönlichen Referenten oder von der Sekretärin unterschrieben. Er wollte auf diese Weise Distanz schaffen. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass er mit jedem jetzt in politischen Meinungsaustausch tritt", erklärt der Historiker Günther die literarische Mimikry, mit der gerade Heuss wie kein anderer als Briefe schreibende Bundespräsident mit den Bürgern in Verbindung trat. Nur auf den ersten Blick mag das wie ein antiquiertes Verfahren wirken. Wer im digitalen 21. Jahrhundert nach Wegen sucht, abgerissene Kommunikationsfäden in Teilen der Gesellschaft wieder aufzunehmen, wird möglicherweise auch fündig, wenn er auf die Anfänge präsidialer Kommunikation in der frühen Bundesrepublik zurückblickt.