Stephanie Rohde: Ein wenig überraschend war die Antrittsrede von Donald Trump ja gestern schon. Nur sechsmal hat Donald Trump das Wort in einer 16-minütigen Rede erwähnt, das seinen Wahlkampf wie kein anderes geprägt hat: "great", "großartig". Fast schien es, als würde er das Wort sogar meiden. Seine altbekannten Botschaften aus dem Wahlkampf allerdings, die übermittelte er auch ohne dieses Wort, mit nationalistischem Pathos nämlich. Da beschwor er die neue Größe, die die Vereinigten Staaten unter seiner Präsidentschaft erreichen werden.
Nach der Rede fragten viele: Was unterscheidet den Wahlkämpfer Trump vom Präsidenten Trump, außer dass er auf den exzessiven Gebrauch des Wortes "great" verzichtet? Ist Präsident Trump weiterhin Wahlkämpfer und Geschäftsmann, der auf kühne Deals setzt statt auf konventionelle Diplomatie? Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Klaus Scharioth, der bis 2011 deutscher Botschafter in den USA war und jetzt an der Fletcher School of Law and Diplomacy in Massachusetts lehrt. Guten Morgen, Herr Scharioth!
Klaus Scharioth: Guten Morgen, Frau Rohde!
Rohde: Sie waren ja selbst bei der Amtseinführung von Obama als Botschafter in Washington dabei. Im Vergleich zu der Rede von Obama, wie "great" war die Rede von Trump?
Scharioth: Also, es war schon ein ganz bemerkenswerter Unterschied zwischen den beiden Reden, aber auch zwischen den ganzen Stimmungen.
Rohde: Inwiefern?
Scharioth: Damals vor acht Jahren, das war ein unvergessener historischer Tag, es gab eine gewisse Aufbruchstimmung, da waren zwei Millionen Menschen auf der Mall. Das war eine gewisse Euphorie, die überall zu spüren war. Das habe ich – nun war ich nicht dabei – aber gestern jedenfalls im Fernsehen nicht so mitbekommen und die Reden hätten nicht unterschiedlicher sein können. Obamas Rede war das Bild einer multikulturellen Gesellschaft, einer Gesellschaft, einer Nation der Christen, der Muslime, der Juden, der Hindus, der Nichtgläubigen, geprägt von allen Sprachen und Kulturen dieser Rede. Und während Trumps Rede ja ganz auf die USA sich abgestellt hat und eben, wie Sie eben schon eingeblendet haben, "America first" zum Thema gemacht hat.
"Er glaubt, es kann immer nur einer gewinnen, wie im Schach"
Rohde: Trump hat ja in dieser Rede auch seine Gegner explizit zu Feinden des Landes erklärt und den Rest der Welt, wenn es nicht kooperieren will, auch zu Feinden Amerikas. Kann man sagen, dass Trumps Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist und damit auch für die europäische Diplomatie vollkommen unzugänglich?
Scharioth: Ich würde es ein bisschen anders ausdrücken. Ich glaube, Trump kann sich nicht vorstellen, dass es Lösungen gibt für Probleme, die für alle beteiligten Seiten gut sind. Er glaubt nicht an das, was wir Win-win nennen, er glaubt, es kann immer nur einer gewinnen, wie im Schach.
Rohde: Und das muss dann er sein und Amerika sein.
Scharioth: Genau so. Und deswegen, sein wichtigster Satz, fand ich gestern, war, dass er gesagt hat: Amerika wird wieder gewinnen. Das ist aus meiner Sicht der Schlüsselsatz der Rede. Und ich fürchte, dass wir eben jetzt damit fertig werden müssen. Er hat ja gesagt, wir haben Milliarden an Übersee ausgegeben, wir haben andere Länder reich gemacht, während wir hier unsere Jobs verloren haben. Das ist sozusagen eine Sichtweise, die sagt: Handel und gemeinsames Anpassen von Lösungen ist nicht möglich, entweder gewinnt der eine oder der andere, und ich will gewinnen.
Rohde: Trump will gewinnen, er will auch diese Deals machen, die er in Aussicht gestellt hat, und das immer mit der bestmöglichen Kosten-Nutzen-Relation, also dass es möglichst wenig kostet und man viel dafür bekommt. Das ist doch aber eigentlich eine ganz rationale Herangehensweise? Also, da weiß man doch als Diplomat, was man bekommt, oder?
Scharioth: Ja, aber aus meiner Erfahrung ist es nicht richtig zu sehen, dass es einen Gegensatz in den Interessen überall gibt zwischen den beteiligten Parteien in dem Versuch, eine Lösung zu finden. Das Kunststück in der Diplomatie besteht aus meiner Sicht darin, zu finden, wo sind Gegenden, wo sind Bereiche, wo wir alle gewinnen können? Denn nur Ergebnisse, die von beiden Seiten gut gefunden werden, werden sich auf Dauer auch halten lassen. Und diesen Gegensatz zwischen den Parteien, den halte ich für sehr stark bei Trump.
Rohde: Aber wie soll man sich denn diesem Trump jetzt nähern und seiner Administration? Also, bei anderen Administrationen zum Beispiel, da waren auch mal Leute dabei, die nicht ganz erfahren waren, nicht ganz vernetzt. Bei Trump sind ja fast nur politische Anfänger dabei. Wie machen das Ihre Kollegen jetzt? Erklären Sie uns das mal!
Scharioth: Ach, da, glaube ich, gibt es auch einige Leute, die sehr viel Erfahrung haben. Zum Beispiel, ich nehme nur als Beispiel den Verteidigungsminister James Mattis. Das ist ein ganz erfahrener, NATO-kennender ehemaliger General, der sich sehr, sehr gut auskennt. Also, es gibt auch schon Leute, die profunde Kenntnisse haben. Und die Frage wird sein: Wird es gelingen, mit diesen Leuten zusammen eine vernünftige Politik fortzusetzen, so wie das hier in den letzten 60, 70 Jahren gemacht wurde?
"Man muss im Gespräch ausloten, wo es Gemeinsames gibt"
Rohde: Und wie macht man das, wie baut man diese belastbaren Beziehungen auf in so einer Situation?
Scharioth: Also, zum Beispiel der James Mattis ist sehr bekannt, den kennen viele unserer deutschen Kollegen. Und da gibt es auch noch einige andere, auch Kelly und andere, da sind viele dabei oder einige dabei, mit denen man sehr gut reden kann und die auch bekannt sind. Und die anderen muss man eben kennenlernen und im Gespräch ausloten, wo es Gemeinsames gibt und wo man gemeinsam etwas Konstruktives bauen kann.
Rohde: Jetzt gibt es ja das Problem, dass Trump die EU als Mittel zum Zweck für Deutschland bezeichnet hat. Läuft Deutschland da jetzt nicht Gefahr, bald gar nicht mehr ernst genommen zu werden von den USA, wenn man sich da so relativ diplomatisch gibt und so was auch gefallen lässt?
Scharioth: Ach, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass Donald Trump Deutschland sehr ernst nimmt. Er ist nur eben leider überhaupt kein Multilateralist. Er glaubt nicht an multilaterale Lösungen. Er glaubt nicht an die EU, er ist auch nicht sehr überzeugt von der NATO, er glaubt nicht an die Vereinten Nationen. Und das ist für Deutschland nicht ganz leicht, weil wir, die deutsche Diplomatie, parteiübergreifend an multilaterale Lösungen glauben und auch glauben, dass es sich bewährt hat, multilaterale Lösungen zum Beispiel bei Klima oder im Iran-Abkommen oder auch sonst irgendwo anzustreben. Und das wird mit Donald Trump nicht ganz leicht.
Rohde: Aber werden dann die deutschen Diplomaten und die Politik zwangsweise auf bilaterale Abkommen mit Trump setzen, also sozusagen gezwungen werden von Trump, das einfach zu machen?
Scharioth: Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass die Logik des Multilateralismus so zwingend ist, dass wir auch diese neue Administration dem anschließen würden. Es gibt praktisch kein großes Problem international mehr, das sich bilateral oder national lösen lässt. Denken Sie wie gesagt an Klima, an Nichtverbreitung von Nuklearwaffen, denken Sie an Hunger, denken Sie an eigentlich alles, an Aggressionen, die stattfinden. Keiner ist stark genug, mit irgendeinem dieser Probleme alleine fertig zu werden, auch nicht die mächtige USA. Und deswegen bin ich sehr sicher, dass die USA auch unter dieser neuen Administration wieder zu multilateralen Lösungen kommen werden.
Rohde: Da wird es eine Art Lerneffekt geben bei Trump, darauf hoffen Sie schon?
Scharioth: Da bin ich ziemlich sicher, weil ja auch dieses System, was wir jetzt haben, ist ein sehr stark von den USA geprägtes System. Und das ist schon auch im amerikanischen Interesse, was wir haben. Ist auch in unserem Interesse, aber es ist nicht nur in unserem Interesse.
"Die deutsche Politik zeichnet sich durch große Gelassenheit aus"
Rohde: Aber genau das ist ja das Ding: Trump hat dieses Interesse inzwischen anders definiert und er hat ja auch das Koordinatensystem nicht nur der deutsch-amerikanischen Politik komplett durcheinandergebracht, unter anderem weil er ja gesagt hat, dass er der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel genauso traut wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Wie sollte die deutsche Diplomatie denn mit so einer Degradierung da umgehen?
Scharioth: Ich glaube, da fühlt sich niemand degradiert. Ich glaube, die deutsche Außenpolitik oder überhaupt die deutsche Politik zeichnet sich durch große Gelassenheit aus und solche, ja, vielleicht nicht ganz glücklichen Äußerungen, die werden nicht allzu ernst genommen, die verletzen auch niemanden. Gelassenheit ist hier das Wort, und zu suchen, wo sind Gegenden, wo man gemeinsame Lösungen wird. Und in Wirklichkeit gibt es ja wenige Länder, die so viel gemeinsame Interessen haben wie Deutschland und die USA. Und ich vertraue ganz darauf, dass das auch der neuen Administration sehr bald klar wird.
Rohde: Sie lehren ja in den USA, aber Sie sind auch oft zu Besuch in Deutschland. Stimmt es, dass hierzulande republikanische Präsidenten immer negativer gesehen werden als demokratische und dann am Ende doch gar nicht so schlimm sind wie befürchtet?
Scharioth: Also, das teile ich auch nicht, dass demokratische Präsidenten grundsätzlich besser wären als republikanische. Ich denke an die Präsidentschaft des älteren Bush, Bush 41, ohne den die deutsche Einheit nicht möglich gewesen wäre und der sich enorme Verdienste für das deutsch-amerikanische Verhältnis und überhaupt meines Erachtens um die Weltpolitik gemacht hat.
Und das gilt auch nicht in anderen Fällen. Ich denke da an Dwight D. Eisenhower. Also, ich glaube, man kann nicht sagen, dass die eine oder andere Partei jetzt den Deutschen näherstünde. Man muss allerdings sagen, dass die Regierung Obama und die Bundesregierung ungewöhnlich eng zusammengearbeitet haben, und, wie ich finde, auch ungewöhnlich erfolgreich.
Rohde: Klaus Scharioth war das, er war bis 2011 deutscher Botschafter in den USA. Danke, dass Sie sich heute Morgen die Zeit genommen haben!
Scharioth: Dankeschön, Frau Rohde!
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