Archiv

Amtsenthebungsverfahren gegen Trump
"Es ist eine Zeitenwende"

Das Telefonat von US-Präsident Donald Trump mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj sei "schlimm genug", sagte der Politologe Andrew Denison im Dlf. Aber für noch zentraler hält er den Versuch der Vertuschung. Dies erinnere an die Watergate-Affäre von Richard Nixon.

Andrew Denison im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
US-Präsident Donald Trump am Telefon
Einem Protokoll des Gesprächs zufolge legte Trump Selenskyj telefonisch nahe, gegen seinen politischen Rivalen Joe Biden zu ermitteln (AFP/ Mandel Ngan)
Dirk-Oliver Heckmann: In Washington scheint sich die Aufregung nicht zu legen. Im Gegenteil: Die Vertreter beider Seiten, Republikaner wie Demokraten, stellen sich auf einen Wahlkampf ein, der so wohl noch nicht geführt wurde. Allen voran setzt Donald Trump den Ton. Mit einer Serie von Tweets rief er die Republikaner zur Geschlossenheit auf. Das Land sei in Gefahr.
Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt der Politikwissenschaftler Andrew Denison, der Leiter des Think Tanks Transatlantic Networks. Schönen guten Tag, Herr Denison.
Andrew Denison: Guten Tag, Herr Heckmann!
Heckmann: Herr Denison, die Demokraten sprechen von einem Mafiaboss-Ton, den Donald Trump da anschlägt. Wie würden Sie die Vorgänge, die Sie hier aus Deutschland heraus beobachten, in Washington beschreiben?
Denison: Erstens würde ich sagen, "stranger than fiction". Man hätte das nicht erfinden können.
Zweitens: Ich würde sagen, geschichtsträchtig. Es ist eine Zeitenwende hier, eine Eskalation - eine Eskalation, die wegen neuer schwerwiegender Erkenntnisse notwendig geworden ist. So würde ich das beschreiben. Wo es hingeht und wie dieser Konflikt, diese Eskalation ausgetragen wird, da rätseln wir alle.
"Zwei Drittel der 100 Senatoren müssen dafür sein"
Heckmann: Inwieweit Zeitenwende? Denn ein Amtsenthebungsverfahren hat es ja bereits schon zweimal gegeben in der Geschichte der USA.
Denison: Ja. Wir haben in Erinnerung Bill Clinton. Es ist zum Senat gegangen. Es gibt diese hohe Hürde, wie Ihre Zuhörer wissen: Zwei Drittel der 100 Senatoren müssen dafür sein; sonst bleibt er im Amt. Das hat er nicht geschafft. Bill Clinton war beliebter am Ende seiner Amtszeit als am Anfang.
Richard Nixon - da war schon der Verdacht, dass es ein Amtsenthebungsverfahren geben könnte, und er war weg. Dann war es nach dem Bürgerkrieg schon lange her.
Was ich mit dieser Aufzählung sagen will, ist, dass das nicht so oft vorkommt in der Geschichte dieser alten Republik. Das ist eine neue große Herausforderung.
Der US-Politikberater und -wissenschaftler Andrew Denison.
Der US-Politikberater und -wissenschaftler Andrew Denison. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
Heckmann: Nancy Pelosi, die Führerin der Demokraten, hatte sich ja lange gegen ein Impeachment gestemmt, weil sie ganz genau weiß, die Hürden sind groß und hoch. Sie haben es gerade angesprochen. Ein Amtsenthebungsverfahren kann auch am Schluss auf die Demokraten zurückfallen. Jetzt aber haben sich die Demokraten entschieden zu springen. Aber offiziell, Herr Denison, ist das Impeachment ja immer noch nicht eingeleitet. Weshalb dauert das so lange?
Denison: Das ist natürlich ein Prozess, der schrittweise vorangeht, wo wir denken, dass es große Hürden gibt, bevor man das macht. Vor allem: Man braucht ausreichende Mehrheiten. Man braucht dahinter einen Konsens, einen politischen Willen, das durchzuziehen.
Heckmann: Aber die Mehrheit der Demokraten scheint ja da zu sein.
Denison: Ja, die ist gerade gekommen.
"Keine Entamtung, aber eine Entmachtung"
Heckmann: Kann Pelosi noch zurück?
Denison: Zweitens natürlich die Risiken. Deshalb hat man bis jetzt nicht die Mehrheiten der Demokraten bekommen. Die neue Natur der Ereignisse, was Trump jetzt gemacht hat, statt 2016 - und da führt Politik vielleicht vor Meinung -, hat in den Reihen der demokratischen Fraktion zur Änderung geführt.
Nancy Pelosi, die Führerin der Fraktion, sagt auch, er ist jetzt in meinem Steuerhaus. Das heißt, sie kennt sich mit dieser Art von Auseinandersetzungen, die mit Aufklärung und Diensten und Außenpolitik zu tun haben, viel besser aus als das, was Trump vorher vorgeworfen ist und was im Wege von einer Untersuchung steht. Die Demokraten haben in diesem Sinne jetzt eine kritische Masse, um das nach vorne zu tragen, und mit einer Mehrheit, die sie jetzt haben, auch eine Klageschrift an den Senat weiterzuleiten. Das führt nicht unbedingt zur Entfernung Donald Trumps aus dem Weißen Haus, keine Entamtung, aber eine Entmachtung schon.
Heckmann: Herr Denison, Trump hat ja jetzt den Whistleblower ganz aktuell als Spion bezeichnet. Mit solchen Leuten wäre man früher anders umgegangen. Verrät Trump die amerikanischen Werte?
Denison: Ich würde sagen, ja. Aber ich weiß auch, dass ich seine Unterstützer irgendwie abholen muss. Wir kennen auch Trump lange genug, um zu wissen, wenn er jemand was vorwirft, dann ist er oft selbst schuld, dieses Verbrechen oder diesen Verstoß begangen zu haben, und wenn er von Landesverrat spricht, ja, dann hat er es gewählt. Das kann ihm natürlich nicht helfen.
Man denkt immer, was sind Trumps größte Schwächen, und ich komme zuerst zu seinem Temperament, dass er zu impulsiv reagiert und dass er das immer schlimmer macht, und so sehen wir seine Reaktion.
Vielleicht noch ein letzter Punkt: Die Meinungsumfragen ändern sich schnell. Gerade heute um sechs Uhr morgens gab es eine neue Meinungsumfrage von Politico und Morning Consult, und die sagen, dass die Republikaner anfangen, sich zu bewegen - von fünf auf zehn Prozent der Republikaner unterstützen dieses Verfahren -, dass wir jetzt gleich viele Leute haben in Amerika, die ein Amtsenthebungsverfahren unterstützen, wie nicht. Das ist auch eine Zeitenwende und das muss man feststellen.
"Sobald Amerikaner davon hören, denken sie an Nixon"
Heckmann: Herr Denison, gestern ist ja diese Meldung des Whistleblowers veröffentlicht worden. Nicht nur, dass ihm ein Dutzend Zeugen, die das Telefon mitgehört haben sollen oder das Protokoll gelesen haben sollen, berichtet hätten, Trump habe den ukrainischen Präsidenten Selenskyj unter Druck gesetzt, nämlich diese Ermittlungen gegen Joe Biden und seinen Sohn einzuleiten. Er hat ja auch berichtet, dass Mitarbeiter von Trump dafür gesorgt hätten, dass die wörtliche Abschrift dieses Telefonats auf einem speziellen Server abgelegt wurde, der sonst Staatsgeheimnissen vorbehalten ist. Wie schwerwiegend ist der Verdacht, der damit im Raum steht, nämlich der Behinderung der Justiz?
Denison: Dieser Verdacht der Behinderung der Justiz verstärkt den Verdacht, dass Trump mutwillig gegen amerikanische Gesetze und Interessen gehandelt hat, wie Pelosi sagt, ein Verrat. Und diese complaint, nennen wir das - das ist eine Art Klageschrift, da sind Punkte aufgelistet -, die in sich ist phänomenal, dass so was existiert und dass das so zusammengezogen worden ist aus den Aussagen vieler verschiedener Zeugen. Und jetzt gibt es, wie Sie auch gesagt haben, neue Erkenntnisse, the cover-up. Sobald Amerikaner davon hören, denken sie an Nixon, weil am Ende hat er mehr Probleme verursacht in dem Versuch, seinen Verstoß zu verstecken, als der Versuch selbst.
Dieses Telefonat war in sich schlimm genug. Der cover-up ist neu. Davon lernen wir, wie ernst sie das genommen haben. Aber das Zentrum der neuen Untersuchungs-Stoßwelle ist Trumps Versuch, seine Macht zu missbrauchen, um im Wahlkampf Vorteile zu gewinnen.
Heckmann: Wobei Selenskyj selbst ja bestreitet, unter Druck gesetzt worden zu sein. Das gehört zum gesamten Bild ja auch dazu. Da müssen wir, denke ich, abwarten, was die weiteren Ermittlungen ergeben. – Aber in dem Zusammenhang, Herr Denison, die Frage: Wie groß ist denn die Gefahr, dass Trump dieses Verfahren jetzt nutzt, um die Demokraten als Feinde der Institution Präsidentschaft zu brandmarken, und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das verfängt bei seinen Anhängern?
Denison: Erstens: Die Gefahr, dass er das macht, ist natürlich sehr groß. Das ist seine Methode. Und wir haben auch festgestellt: Je vehementer er vorgeht, desto mehr Angst hat er wahrscheinlich. Was er den anderen vorwirft, ist oft sein Verstoß selbst. Die Frage ist daher, ob er fähig sein wird - ob er fähig ist oder nicht, ist eine andere Frage -, ob seine Anhänger ihm hinterherrennen werden, weiter unterstützen, weil wenn sie ihn verlassen, müssen sie so viel Kreide fressen, und dann ist die Republikanische Partei kaputt und sie wissen nicht, was zu tun ist.
Aber diese Republikaner, die alle vor dem Wahlkampf stehen, im Repräsentantenhaus und im Senat, und ihre Anhänger auch, die wissen: Es könnte eine verheerende Niederlage sein und der Versuch, die Versuchung, doch Trump zu verlassen, einen neuen Kandidaten zu finden, der 2020 gegen einen demokratischen Kandidaten gehen könnte, so was ist nicht unerhört. Ihre Zuhörer wissen: Jimmy Carter hatte 1980 einen Konkurrenten in Ted Kennedy, und das machte ihn schwächer. Wenn ein Kandidat gegen Trump für die republikanische Nominierung kandidieren würde, ja dann wüssten wir auch, die Mauern fallen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.