Archiv


An den Orgeln von Paris

An den großartigen Orgeln der Kirchen von Paris hat sich im Laufe der Jahrhunderte eine typisch französische Spezies von Organisten herausgebildet, die nicht nur ihr Instrument virtuos beherrschen, sondern auch als Komponisten und Improvisatoren Weltruhm erlangt haben. Der aus Beirut stammende Naji Hakim ist einer ihrer wichtigsten Vertreter. In seinen Werken stehen oft alte gregorianische Gesänge im Mittelpunkt.

Von Ludwig Rink | 14.04.2006
    Wenn Sie in Paris sind und den Louvre, den Arc de Triomphe, den Eiffelturm, Moulin Rouge oder Stadtviertel wie Montmartre oder das Marais schon kennen, dann lohnt sich der Weg zu diversen Kirchen, und das nicht nur wegen persönlicher Frömmigkeit oder grandioser Architektur, sondern auch wegen der vielen dort stehenden großartigen Orgeln. Und mit diesen wiederum verbunden sind eine Vielzahl von Musikernamen, von Organisten und Komponisten, die das französische Musikleben nachhaltig geprägt haben. Von Mitgliedern der Familie Couperin, die ab 1653 mehr als 170 Jahre lang das Organistenamt an der Kirche Saint-Gervais innehatten, bis zu Olivier Messiaen, der neben anderen Beschäftigungen 55 Jahre lang Organist an St. Trinité war, öffnet sich fächerartig ein breites Spektrum: Gabriel Fauré und Camille Saint-Saëns begegnen wir in der tempelartigen Madeleine-Kirche, César Franck sogar in Form eines Denkmals vor "seiner" Kirche Ste. Clothilde, Louis Vierne und Pierre Cochereau an Notre Dame, Charles-Marie Widor und Marcel Dupré an St. Sulpice, Maurice Duruflé an St. Etienne-du-Mont oder, wir springen wieder ein paar Jahrhunderte zurück, Jean Philipp Rameau, der in St. Eustache begraben liegt. Jeder, der heute zum Titularorganisten an solche Kirchen berufen wird, verweist voller Stolz auf seine Vorgänger. Einer von ihnen ist Naji Hakim, und von ihm soll heute die Rede sein, denn Werke von ihm sind jetzt beim in Saarbrücken ansässigen Label IFO-Records erschienen.

    " Naji Hakim - 6. Mariale (Ausschnitt) aus: Suite Rhapsodique pour Cor et Orgue "

    Naji Hakim gehört seit langem zu den wichtigsten Vertretern dieser typisch französischen Spezies Organist-Komponist-Improvisator. Geboren wurde er 1955 allerdings in Beirut. Mit 20 Jahren kam er nach Frankreich und studierte bei Jean Langlais und am Pariser Conservatoire, wo er in den Fächern Harmonielehre, Kontrapunkt, Fuge, Analyse, Instrumentation, Orgelspiel und Improvisation erste Preise erhielt. Heute unterrichtet er selbst Orgelspiel am Trinity College of Music in London und Werkanalyse am Conservatoire von Boulogne-Billancourt. Auch bei den einschlägigen Wettbewerben von Haarlem, Beauvais, Lyon, Nürnberg, Strasbourg, Paris, Rennes oder Wien holte er erste Preise - sei es fürs Orgelspiel, für seine Improvisationskünste oder für eingereichte Kompositionen. Von 1985 bis 1993 war er als Nachfolger von Daniel Roth Titularorganist an der Pariser Basilique du Sacré-Cœur de Montmartre, bevor er nach Olivier Messiaens Tod im Jahre 1992 dessen Nachfolger an St. Trinité wurde.

    " Naji Hakim - 2. Satzes (Ausschnitt) aus: Orgelkonzert Nr. 1"

    Wie hier im 2. Satz seines 1. Orgelkonzertes spielt der alte europäische gregorianische Gesang in Naji Hakims Werken häufig eine wichtige Rolle - offenbar sind die alten Pariser Kirchenräume mit dieser uns heute sehr archaisch und meditativ anmutenden Musik noch stark imprägniert, denn bei fast allen französischen Organisten-Komponisten findet sich diese alte Einstimmigkeit, und zwar nicht nur als Zitat, sondern häufig auch als ein Grundpfeiler für Form und Harmonik ihrer Werke. Und andere Elemente treten bei Hakim hinzu: Erst nach seiner Ausbildung am Pariser Conservatoire, bei der natürlich Johann Sebastian Bach und die gesamte "abendländische" Musik im Mittelpunkt stand, wurde sich Naji Hakim nach und nach seiner musikalischen Wurzeln bewusst und entdeckte Klänge wieder, die ihn während seiner ersten 20 Lebensjahre im Libanon geprägt hatten. Mit viel Freude benutzt er seitdem in seinen Kompositionen auch orientalische Tonleitern und Modi, darin in gewisser Weise seinem Vorgänger Messiaen ähnlich, der sich ja auch aufgemacht hatte, Skalen außereuropäischer Musik zu erkunden und als musikalisches Grundmaterial eigener Werke zu nutzen. Hier der Mittelsatz von Hakims drittem Orgelkonzert, eine Folge von Variationen über einen maronitischen Gesang.

    " Naji Hakim - 2. Satz: Moderato (Anfang) aus: Konzert für Orgel und Streichorchester Nr. 3 "

    Naji Hakim und das Ensemble Instrumental Vibrations unter Leitung von Nicolas Simon spielten den Anfang des 2. Satzes aus Hakims 3. Orgelkonzert. Hakim komponiert in freier Tonalität. Dazu bekennt er sich ebenso wie zu seinem festen Glauben an Gott. Beides ist für ihn geradezu natürlich, während ihm die Phase der Atonalität mit ihrer "Haltung nihilistischer Ablehnung" völlig fremd ist. Als Zwanzigjähriger hatte er Leibowitz gelesen, sich mit der 12-Ton-Technik beschäftigt und diese eine Zeit lang als den richtigen Weg betrachtet, bevor er sich radikal davon entfernte. Ihm schien, dass sich diese Kompositionsweise vor allem zur Darstellung von Angst und Schrecken eignete, doch ihm geht es in seinen Kompositionen häufiger darum, seiner Freude am Leben und dem Dank an den Schöpfer Ausdruck zu geben. Außerdem will er einen direkten Draht zum Publikum, er liebt eine klare Sprache, ohne Umwege über komplexe Systeme und Theoriegebäude, er möchte möglichst schon beim Hören verstanden werden. Da steht ihm naturgemäß ein Igor Strawinsky viel näher als Schönberg, Berg oder Webern, vor allem Strawinskys stark rhythmisch bestimmte Momente, zum Beispiel die Kraft des Sacre du Printemps.

    In seinen Äußerungen ist Hakim kritisch. Nicht ohne Bitterkeit konstatiert er den Verlust historischer Werte. Kulturen mit jahrhundertealter Tradition landen auf der Müllhalde der Geschichte, Kommerz tritt an die Stelle von Authentizität; Beton, Synthesizer und McDonalds immer und überall. Auch in der Kirche beklagt er den Verlust der universal verbindenden Liturgie seit dem 2. Vatikanischen Konzil, den Einsatz billiger, schlecht gemachter Liedchen anstelle von alter oder moderner Kunst. Aus Hakims Musik dagegen strahlt Lebensfreude, Heiterkeit, manchmal fast Übermut. So als sei die Orgelbank einer der wenigen Orte, wo der Mensch, umgeben von tausend und noch mehr Pfeifen, bereits einen Vorgeschmack auf himmlisches Vergnügen erleben darf.

    " Naji Hakim - 3. Satz aus: Konzert Nr. 3 für Orgel und Streicher "

    Diskographische Angaben:
    Titel: Naji Hakim - Orgelkonzerte u.a.
    Label: IFO Records
    Labelcode: LC 10725
    Bestellnr.: IFO 00 232