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"An der Börse braucht man gute Nerven"

Wenngleich sich die Konjunktur in Deutschland abgeschwächt habe, gebe es keine Anzeichen für eine Rezession, sagt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Vor allem die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sei sehr positiv. Die Turbulenzen an den Börsen beunruhigten ihn daher nicht.

Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Monatelang haben die Kämpfe gedauert zwischen den libyschen Rebellen und der NATO auf der einen Seite und den Truppen von Machthaber al-Gaddafi auf der anderen. Heute Nacht ist möglicherweise die militärische Entscheidung gefallen. Die Rebellen haben offenbar die Hauptstadt Tripolis erobert.

    Wir wollen an dieser Stelle über den Euro reden, tun das auch, aber eben auch über die neue Situation in Libyen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Schäuble, freuen Sie sich für die arabische Revolution?

    Schäuble: Aber natürlich freut man sich, dass das Blutvergießen hoffentlich jetzt ein Ende hat und dass ein schrecklicher Diktator gestürzt worden ist. Natürlich muss man hoffen, dass jetzt eine stabile demokratische rechtsstaatliche Entwicklung in Syrien [gemeint: Libyen; Anm. d. Red.] möglich werden wird. Das ist alles noch sehr ungewiss. Aber man muss alles darauf setzen und das ist das, wofür die Menschen, die diese Revolution betrieben haben, unter Einsatz ihres Lebens gekämpft haben. Und nun wollen wir was wir dazu beitragen können tun, um ihnen dabei zu helfen.

    Müller: Was können wir dazu beitragen?

    Schäuble: Ja gut, wir haben sie jetzt schon im Rahmen der Möglichkeiten auch unterstützt und wir arbeiten zusammen, auch mit Beratung. Aber zunächst einmal müssen die Menschen in Syrien [gemeint: Libyen; Anm. d. Red.] selber entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen.

    Müller: Haben Sie, Herr Schäuble, da ein gutes Gefühl, dass es in Richtung Demokratie geht?

    Schäuble: Es kann jedenfalls ja nicht schlechter werden, als es die letzten Monate gewesen ist. Aber man muss wissen: Die Geschichte verläuft nie als Einbahnstraße und was nach einer solchen Revolution kommt, da gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen. Also man darf sich nicht zu sicher sein, das ist nicht eine sichere Einbahnstraße. Deswegen muss man alles daran setzen, diejenigen, die Kräfte zu unterstützen in der ganzen arabischen Welt, die für Öffnung, für Demokratie und für Rechtsstaatlichkeit, für Menschenrechte eintreten.

    Müller: Thomas de Maizière, der Bundesverteidigungsminister, Ihr Kabinettskollege, hat das heute Morgen auch angesprochen. Er hat wieder deutsche Soldaten ins Spiel gebracht, die - jetzt nach der Revolution oder nach dem Sieg der Revolution - eine aktive Rolle spielen könnten. Würden Sie das unterstützen?

    Schäuble: Wir arbeiten in der Regierung vertrauensvoll zusammen und wenn der Verteidigungsminister so etwas sagt, dann können Sie davon ausgehen, dass das eine Position der ganzen Regierung ist. Ich bin der Bundesfinanzminister.

    Müller: Dann reden wir über die Themen des Bundesfinanzministers, Wolfgang Schäuble: zu den Turbulenzen am Aktienmarkt, zu den Turbulenzen um den Euro. Warum hat es die Politik nicht geschafft, Vertrauen in den Euro an den Märkten zu schaffen?

    Schäuble: Na ja, gut, ich meine, der Euro ist weiterhin stabil. Wenn Sie sich die Entwicklung des Wechselkurses anschauen, dann sehen Sie, dass die Märkte in den Euro durchaus Vertrauen haben. Der ist die ganzen Monate mit den ganzen Aufregungen, die ja vor allen Dingen auch durch die Schuldenkrise in den Vereinigten Staaten von Amerika, auch durch eine schlechtere Perspektive für die Entwicklung der Weltwirtschaft, der Weltkonjunktur entstanden sind, der Euro ist stabil geblieben. Er liegt dauerhaft im Bereich zwischen 1,40 und 1,50 im Verhältnis zum Dollar.

    Man sollte ein bisschen unterscheiden. Wir haben Probleme mit den Schulden einzelner Länder, übrigens nicht nur in der Euro-Zone. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben noch höhere Schulden als unsere schwierigsten Länder innerhalb der Euro-Zone. Und das generelle Problem ist: Wir haben überall zu hohe öffentliche Schulden, zu hohe öffentliche Defizite, übrigens auch in Deutschland. In Deutschland sind wir erfolgreich in der Rückführung und deswegen ist das ja auch letztlich eine Bestätigung unseres finanzpolitischen Kurses.

    Müller: Sie sagen, der Euro hat an Wert nicht verloren, jedenfalls nicht gegenüber dem Dollar. Das gilt nicht für diejenigen in Deutschland, die sich aufmachen, um in die Schweiz in Urlaub zu fahren.

    Schäuble: Die Schweiz hat ein großes Problem, und das zeigt im Übrigen, dass eine isolierte Situation für ein Land gar nicht von Vorteil ist. Der Schweizer Franken ist so stark geworden, dass darunter die Schweizer Wirtschaft, die Schweizer Tourismuswirtschaft auch, aber der Export insgesamt leidet. Deswegen ist ja die Schweiz am überlegen, den Schweizer Franken an den Euro anzubinden. Das ist auch nicht gerade ein Zeichen dafür, dass der Euro nun durch besondere Schwäche geprägt ist, wenn die Schweiz überlegt, ihre spezifischen Probleme dadurch zu lösen, dass sie den Schweizer Franken an den Euro jedenfalls vorübergehend anbinden will.

    Müller: Aber Sie sagen ja gerade, Herr Schäuble, dass die Vereinigten Staaten fast noch mehr Probleme haben mit ihrer Schuldensituation. Ist es dann noch legitim, den Euro mit dem Dollar zu vergleichen, den Dollar als Leitwährung nach wie vor zu akzeptieren?

    Schäuble: Der Dollar ist nach wie vor die Leitwährung in der Welt. Und der wichtigste Teil der Weltwirtschaft wird ja in Dollar abgerechnet. Wir müssen die Rohstoffe, die wir kaufen, in Dollar bezahlen und das, was wir in andere Länder liefern, wird häufig in Dollar abgerechnet. Also der Dollar bleibt trotz aller Probleme in den Vereinigten Staaten von Amerika die wichtigste Leitwährung. Im Übrigen ist der Euro auch im Verhältnis zu anderen Währungen stabil.

    Müller: Blicken wir auf die Turbulenzen der Börse. Dramatische Schwankungen in den vergangenen Wochen, gerade aber auch in der zurückliegenden Woche. Wie erklären Sie sich das?

    Schäuble: Ja davon sind ja alle ein Stück überrascht worden. Zunächst einmal: die Schuldenkrise in den Vereinigten Staaten von Amerika und dann auch der Kompromiss, der geschlossen worden ist, wird so verstanden, dass daraus eine Gefahr für die weltwirtschaftliche Entwicklung, eine Abschwächung der Weltkonjunktur entstehen könnte. Dafür gibt es ein paar andere Indikatoren, das muss man sehen - wie auf den Rohstoffmärkten der Ölpreis, anderes. Es spricht vieles dafür, dass sich die Weltkonjunktur – das sind ja auch die Vorhersagen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute – abschwächen wird.

    Dann haben wir überraschenderweise für das zweite Quartal in Deutschland wie in Europa insgesamt schlechtere Zahlen gehabt als erwartet. Das ist für sich noch nicht aufregend, aber es führt natürlich sofort an der Börse zu Reaktionen. Und wenn man das nun beides zusammennimmt und die Probleme, die wir unstreitig ja auch innerhalb der Euro-Zone hatten und haben, auch wenn wir mit den Beschlüssen des Treffens der Staats- und Regierungschefs vom 21. Juli auf einem guten Weg sind, das alles führt zur Beunruhigung an den Märkten. Und die Märkte neigen dazu, zu übertreiben.

    Viele haben gewarnt, dass die Entwicklung an den Wertpapiermärkten, der DAX, ein Stück weit überbewertet gewesen sind im ersten Quartal diesen Jahres. Jetzt haben wir eine Korrektur nach unten, die ist vermutlich auch überbewertet. An der Börse braucht man auch zwischendurch einmal gute Nerven und darf sich nicht von jeder Schwankung gleich verrückt machen lassen.

    Müller: Wie groß ist die Gefahr der Rezession?

    Schäuble: Ich glaube nicht. In Deutschland gibt es keine Anzeichen für eine Rezession. Wir haben eine gewisse Abschwächung einer konjunkturellen Entwicklung, die ja stärker gewesen ist, als wir, als alle das vorhergesehen haben. Wir haben ja noch Anfang des Jahres mit einem Wirtschaftswachstum von zweieinhalb Prozent rund im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung gerechnet, und dann sind von Monat zu Monat die Prognosen immer stärker über drei Prozent hinausgegangen. Jetzt spricht alles dafür, so sind die neuen Prognosen, dass wir in diesem Jahr immer noch drei Prozent Wachstum erreichen werden. Das heißt, wir liegen über dem, was Anfang des Jahres vorhergesehen war, und deswegen: Es gibt eine gewisse Dämpfung überzogener Erwartungen, aber es gibt keine Anzeichen für eine Rezession.

    Müller: Sie sagen, das, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Schäuble, was an den Aktienmärkten passiert, ist gerade mit Blick auch auf die deutsche Industrie, auf die deutschen Unternehmen, die gut verdient haben, die Arbeitsplätze geschaffen haben, die Gewinne erzielt haben, dass das alles übertrieben ist?

    Schäuble: Ja ich meine, die Börsen reagieren so, wie die Börsen reagieren. Ich sagte ja, Börsen neigen dazu, Entwicklungen zu übertreiben, in die eine wie in die andere Richtung. Da muss man dann ein Stück weit auch die Nerven behalten. Sie haben den Arbeitsmarkt erwähnt. Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor in Deutschland sehr positiv. Das ist etwa eine besonders wichtige soziale Entwicklung, dass wir mehr Beschäftigte, mehr Arbeitsplätze und weniger Arbeitslose als in den vergangenen Jahren haben. Da haben wir mit die erfolgreichste Entwicklung in Europa und in allen westlichen Industrieländern.

    Wir haben die niederste Jugendarbeitslosigkeit, wenn Sie an die Sorgen mit Jugendarbeitslosigkeit in anderen Ländern denken, ist das ein gar nicht hoch genug einzuschätzender Erfolg in unserem Lande. Deswegen: Es gibt eine gewisse Eintrübung, aber es gibt in der Substanz wirklich keinen Grund für nachhaltige Beunruhigung.

    Müller: Ärgert Sie das insgeheim ein wenig oder auch viel, dass die Börsen offenbar immer mehr das Geschehen in der Politik diktieren?

    Schäuble: Die Börsen diktieren das Geschehen in der Politik nicht. Die Politik muss natürlich auf Entwicklungen reagieren, aber sie muss sich auch ein Stück weit von den Aufregungen des Tages an den Börsen unabhängig halten. Auf der anderen Seite müssen wir dann schon auch zwischendurch sagen, wir wollen ja eine Ordnung, in der die Politik nicht alles bestimmt. Die Zeiten, in denen die Politik alles bestimmt, wie es wirtschaftlich geht, waren furchtbar schlecht für Deutschland, in anderen Ländern auch. Man muss klar sehen: Die Politik hat für die wirtschaftliche Entwicklung einen Rahmen zu setzen, sie hat Grenzen und Regeln aufzustellen, die müssen eingehalten und durchgesetzt werden. Da sind wir zum Beispiel dabei, die Regeln für die Finanzmärkte enger zu machen, weil wir 2008 gesehen haben, dass ohne Regeln und Grenzen sich Märkte, auch Finanzmärkte selbst zerstören.

    Müller: Und die sind immer noch nicht eng genug?

    Schäuble: Ja! Aber wir arbeiten daran. Sie haben gesehen, in den letzten Wochen haben eine Reihe von europäischen Ländern Leerverkäufe verboten. Das hat Deutschland im Alleingang schon im vergangenen Jahr gemacht. Ich bin damals viel und heftig kritisiert worden für diesen Alleingang und ich habe gesagt, wir können nicht warten, der langsamste darf nicht das Tempo des Geleitzugs bestimmen. Natürlich ist mir eine europäische oder weltweite Regelung lieber, aber wenn sie nicht zu Stande kommt, dann gehen wir notfalls auch alleine voran. Deutschland hat gehandelt, wir haben die Leerverkäufe, die ungedeckten, verboten, wir haben eine Bankenabgabe eingeführt und die Bankenrestrukturierung eingeführt. Das hat uns in die Lage versetzt, im Landesbankensektor, im Bankensektor mit der Restrukturierung gut voranzukommen. Wir haben gehandelt, wir sind auf einem guten Weg, wir werden nicht nur von den Märkten getrieben, wir setzen die Regeln und setzen sie auch durch.

    Müller: Herr Schäuble, ich muss ein bisschen auf die Zeit achten. Wir haben noch knapp eine Minute. Am Wochenende hat es zunehmende Kritik auch in Ihrer Fraktion, in der FDP-Fraktion am Krisenmanagement der Kanzlerin gegeben. Befürchten Sie, dass es in der Fraktion keine Rückendeckung mehr gibt für diesen Kurs?

    Schäuble: Nein. Wir werden offene Diskussionen führen. Wir haben heute die Gremien der Partei, wir haben morgen die Fraktionssitzung. In einer so schwierigen Zeit ist es doch wichtig und gut, dass in einer Partei, wo es ja nicht nach Befehl und Gehorsam geht, diskutiert wird, und da gibt es auch kritische Anfragen. Das was die Bevölkerung empfindet - und die Menschen sind besorgt und beunruhigt -, das spiegelt sich auch in einer Volkspartei, in der CDU genauso wie in der FDP, wieder und darüber werden wir offen miteinander reden. Aber da wir den richtigen Weg gegangen sind, werden wir dafür auch die notwendige Unterstützung finden.

    Müller: Ist die Kritik berechtigt?

    Schäuble: Ich glaube, am Ende ist die Kritik nicht berechtigt. Ich glaube, dass die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung als ganzes sehr verantwortungsvoll und verantwortungsbewusst und auch richtig und konsequent und ohne hektischen Aktionismus, aber mit einer klaren Kursbestimmung reagiert hat.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Schäuble: Bitte sehr.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.