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"An der Effektivität der Werke liegt es nicht"

Kurz vor der Entscheidung des Daimler-Konzerns über eine mögliche Verlagerung der C-Klasse-Produktion in die USA hat Gesamtbetriebsrat Erich Klemm vor einem solchen Schritt gewarnt. Die Standorte in Deutschland seien effizient. Näher am Verkaufsstandort zu sein, könne für ein Exportland wie Deutschland kein Argument sein.

Erich Klemm im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Der Job beim Daimler, jahrzehntelang die Garantie für einen sicheren Arbeitsplatz mit guter Bezahlung. Doch der Stern glänzt lange nicht mehr so hell, die Krise hat auch Daimler voll erwischt, es muss gespart werden. Seit Wochen machen Gerüchte die Runde, der Daimler-Vorstand plane die Verlagerung der C-Klassen-Produktion vom Stammwerk in Sindelfingen in Richtung USA. Es droht der Verlust Tausender Arbeitsplätze. Anfang der Woche soll die Entscheidung fallen, heute am Vormittag dazu eine Betriebsversammlung in Sindelfingen.
    Bei mir am Telefon ist nun der Daimler-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Erich Klemm. Guten Morgen, Herr Klemm.

    Erich Klemm: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Was wird Ihren Kollegen heute Vormittag auf der Betriebsversammlung mitgeteilt werden?

    Klemm: Wir haben noch keine Entscheidung des Vorstands und deswegen wollen wir natürlich die Chance nutzen, noch mal deutlich zu machen, dass diese Belegschaft geschlossen steht und für ihre Arbeitsplätze kämpfen will, auch wenn es um eine etwas fernere Zukunft geht - wir reden ja über das Jahr 2014/15 -, wollen wir jetzt eine Entscheidung zugunsten des Standorts Sindelfingen und zugunsten des Standorts Deutschland.

    Heinlein: Für morgen, Herr Klemm, haben Sie bereits eine Protestaktion in Sindelfingen geplant. Heißt das, Sie rechnen mit dem Schlimmsten?

    Klemm: Wir wollen auf jeden Fall vor einer Entscheidung des Vorstands alles tun, um deutlich zu machen, wo wir stehen. Wenn die Entscheidung mal gefallen ist, wird es ja viel schwieriger, das noch mal zu ändern, und deswegen ist es, glaube ich, vernünftiger, vorher anzutreten.

    Heinlein: Herr Klemm, Sie sind als Arbeitnehmervertreter auch Mitglied des Daimler-Aufsichtsrates, also Sie kennen unmittelbar die Debatte der Konzern-Bosse. Wie konkret sind denn die Pläne von Vorstandschef Zetsche die C-Klassen-Produktion zu verlagern in Richtung USA?

    Klemm: Wenn wir nicht konkrete Befürchtungen hätten, würden wir heute nicht so trommeln. Ich glaube schon, dass es ein großes Risiko gibt, dass morgen der Vorstand gegen uns entscheidet.

    Heinlein: Wie viele Arbeitsplätze wären denn bei einer Verlagerung in Gefahr?

    Klemm: Es wären zwei Standorte im Wesentlichen betroffen. Das ist Sindelfingen mit circa 3000 Arbeitsplätzen, die unmittelbar durch diese Entscheidung betroffen wären. Und wir hätten eine weitere Verlagerung von Bremen nach Sindelfingen, um das teilweise auszugleichen. Dort wären ungefähr 1000 betroffen.

    Heinlein: Wie groß ist denn Ihre Hoffnung, nun diese mögliche Verlagerung, diesen möglichen Verlust von Arbeitsplätzen doch noch in letzter Minute quasi zu verhindern?

    Klemm: Wie sagt man, "die Hoffnung stirbt zuletzt" und wenn man sich nicht bemüht, dann versäumt man etwas. Deswegen sind wir heute hoffentlich alle geschlossen da und morgen und das hat sicherlich auch Einfluss auf den Vorstand.

    Heinlein: Mit welchen Argumenten wollen Sie denn den Vorstand überzeugen, die Produktion in Sindelfingen zu belassen?

    Klemm: Ein Gegenargument des Vorstands, warum die Produktion nach Tuscaloosa soll, ist, man will einen Global Foot Print, der globale Fußabdruck, wo das Verhältnis zwischen Produktionsstandort und Verkaufsstandort ausgeglichen sein soll. Wir sagen, wenn das das Argument ist, dass künftig Produktion in die Länder soll, in die wir als Mercedes verkaufen, aber auch die ganze Exportindustrie verkaufen würde, dann müsste Deutschland zum Agrarstaat degradieren. Stellen Sie sich vor, unser ganzer Wohlstand kommt vom Export und wenn jedes Unternehmen sagen würde, wir gehen dorthin, wo wir verkaufen, dann könnten wir in Deutschland die Lichter ausmachen.

    Heinlein: Das sind die Gegenargumente des Vorstandes. Mit welchen Argumenten wollen Sie denn den Vorstand überzeugen, die Produktion in Sindelfingen zu belassen?

    Klemm: Wir sagen, niemand weiß, wie der Dollar-Kurs im Jahr 2014 oder 15 ist. Das ist Spekulation. Es gibt keine Bank, es gibt keinen Finanzexperten, der uns da eine verlässliche Auskunft geben kann, und deshalb glauben wir, dass man genauso auch umgekehrt spekulieren kann und die Produktion in Deutschland halten kann. An der Produktivität und an der Effektivität der Werke liegt es nicht. Das Werk Sindelfingen hat die höchsten Qualitätspreise bekommen, die die Automobilindustrie vergeben kann, und insofern sind wir sicher, dass wir wettbewerbsfähig sind.

    Heinlein: Sind die Arbeitnehmer, sind Sie als Betriebsrat, Herr Klemm, denn bereit, Zugeständnisse zu machen, um die Produktion in Sindelfingen zu halten?

    Klemm: Das ist kein Thema mehr. Wir haben schon zweimal harte Verhandlungen um die C-Klasse geführt. Beim letzten Modellwechsel in der Debatte im Jahr 2004 gab es erhebliche Zugeständnisse vonseiten der Belegschaft, um das Fahrzeug, die jetzt aktuelle Baureihe, bei uns zu halten. Wir haben schon Jahre vorher, im Jahr 96, eine Standortsicherungsrunde gemacht, da ging es auch um die C-Klasse, mit erheblichen Zugeständnissen und mit dem Ergebnis, dass unsere Arbeitszeit flexibilisiert wurde und wir heute hochflexibel auf Marktschwankungen reagieren können. Deshalb sagen wir, weitere Zugeständnisse halten wir für ausgeschlossen und stehen auch nicht an.

    Heinlein: Aber die Zeiten, Herr Klemm, haben sich geändert. Wir haben die Wirtschafts- und Finanzkrise und denken Sie an Opel, dort sind die Mitarbeiter auch gezwungen, Zugeständnisse, Lohnverzicht zu üben, um ihre Arbeitsplätze zu sichern.

    Klemm: Das ist richtig. Wir reden aber nicht über eine Kostendifferenz zwischen Sindelfingen und Tuscaloosa, sondern wir reden über Währungsschwankungen und wir reden über eine ideologische Haltung, die sagt, näher an den Markt heran, und wir reden nicht über die Frage, wie effizient die Fabrik ist oder welche Lohnkosten dahinter stecken.

    Heinlein: Hoffen Sie wie im Fall Opel auf politische Rückendeckung und vielleicht sogar mögliche Staatshilfen, um den Standort Sindelfingen zu retten?

    Klemm: Das halte ich für ausgeschlossen. Staatshilfen halte ich für ausgeschlossen. Das ist kein Thema. Auf politische Rückendeckung hoffen wir natürlich zunächst einmal von unseren Kolleginnen und Kollegen aus den Zulieferbetrieben, weil sie ja auch damit rechnen müssen, dass bei ihnen Arbeitsplätze verloren gehen, wenn die Endmontage wegwandert. Wir haben schon breite Unterstützung in der Region. Der Landrat, die Bürgermeister haben uns unterstützt. Ich hoffe, dass die Landesregierung noch Laut gibt. Das wäre jetzt mal an der Zeit, dass auch von dieser Seite man ein deutliches Wort hört, noch vor einer Entscheidung, und ich denke schon, dass dieses Argument, Produktion aus Deutschland abzuziehen, weil man näher an die Märkte heran muss, in der Politik alle Alarmglocken läuten lassen sollte.

    Heinlein: Vermissen Sie bisher die Unterstützung von Günther Oettinger beziehungsweise Stefan Mappus?

    Klemm: Herr Oettinger hat mir gesagt, er würde noch Laut geben; bisher habe ich nichts gehört.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Daimler-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Erich Klemm. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Klemm: Vielen Dank.