Die Schlange vor der Essensausgabe wird immer länger. Es sind an diesem Sonntag vor allem Jugendliche, die hier anstehen, aber auch Familien mit kleinen Kindern. In Gruppen werden sie in den kleinen Innenhof mit weißen Plastikstühlen gelassen, wo es Eintopf und Obst gibt, und eine kleine improvisierte Krankenstation:
"Wir haben heute sehr, sehr viele Menschen hier betreut, es waren über 1000 oder 1500. Und es kommen immer mehr. Darunter auch Verletze, die Streifwunden, Prellungen, Stichwunden, Verbrennungen haben."
Die Anlaufstelle, eine Einrichtungen der Gruppe "Venezolaner in Cúcuta", liegt direkt hinter der Puente Simon Bolivar, eine der Grenzbrücken in der kolumbianischen Stadt Cúcuta - auch dort standen am Samstag LKW mit Hilfsgütern. Auf den mit Planen bedeckten Säcken und Kartons saßen Dutzende Freiwillige, viele davon Jugendliche, wie Rosmary Moro, die 17-Jährige Venezolanerin ist im dritten Monat schwanger
"Ich fühle mich schlecht, weil ich vom LKW mit den Hilfsgütern gefallen bin, als das Desaster mit dem Tränengas und Brandbomben anfing, deswegen bin ich hier, damit sie mich untersuchen."
Kinder sterben an Unterernährung
Rosmary lebt in Barquisimeto, Venezuela, zehn Busstunden entfernt. Sie kam eigentlich nach Cúcuta, um einen Ultraschall zu machen. Neun Tage musste sie darauf warten, denn das örtliche Krankenhaus ist völlig überlastet. In Venezuela hat sie ihren anderthalbjährigen Sohn bei der Oma zurückgelassen, während der Freund an kolumbianischen Ampeln Windschutzscheiben putzt.
"Wir müssen diese humanitäre Hilfe da rüber bringen und dieser Maduro muss endlich fallen, Kinder sterben an Unterernährung, Leute essen aus dem Müll, Mütter sterben bei der Geburt. Mein Freund ist nochmal zur Brücke, aber sie haben nur Steine und Molotow-Cocktails, und drüben haben sie Munition, wir stehen alleine da. Die Abgeordneten und Guaido müssen uns helfen, wir brauchen Waffen
Die von der Opposition und ihrem Anführer Juan Guaido ausgerufene Hilfsgüter-Aktion hatte nicht nur bei ihr große Hoffnung geweckt, dass endlich etwas in Bewegung kommt. Nun sind die Fernsehkameras wieder weg, und nicht nur bei Rosmary mischt sich Enttäuschung mit Frust. Wie Hunderte Venezolaner kann sie nicht zurück, weil die Grenzen geschlossen sind - dazu hat sie Angst, bei Rückkehr von den Sicherheitskräften des sozialistischen Staatschefs Nicolas Maduro verhaftet zu werden.
Fronten sind weiter verhärtet
Was kommt jetzt? - fragen sich die Venezolaner in Cúcuta. Rund um die Grenzbrücke Bolivar sieht man vor allem Jugendliche, die sich irgendwie durchschlagen, wie der 19-jährige Alejandro, der als Träger auf Schleichwegen Schmugglerware zwischen den Ländern hin und herträgt - Medikamente, oder auch Obst, sagt er.
"Gerade geht gar nichts, eigentlich gibt es Absprachen mit denen, die die Routen kontrollieren, aber das ist gerade unsicher und chaotisch, weil niemand weiß, was passiert. Aber es muss weiter gehen, wir sind Rückschläge gewöhnt, wir müssen weiter für Venezuela kämpfen."
Die Fronten im Machtkampf um Venezuela sind nach dem Kräftemessen um die Hilfsgüter noch einmal mehr verhärtet - eine Eskalation mit Ansage, kritisieren viele. Internationale Hilfsorganisatinoen wie das Rote Kreuz hatten im Vorfeld zudem davor gewarnt, humanitäre Hilfe als politisches Druckmittel einzusetzen. Juan Guaido trifft in Bogota auf US-Vizepräsident Mike Pence und will gemeinsam mit den lateinamerikanischen Außenministern der Lima-Gruppe über weitere Maßnahmen gegen Maduro sprechen. An der Bolivar-Brücke in Cúcuta werden Rosmary und ihr Freund eine weitere Nacht auf der Straße schlafen.