Archiv

Anabolika-Studie
"Athleten diskreditieren Teil ihrer gesamten Lebenskarriere"

Etliche ehemalige Weltklasse-Leichtathleten aus dem früheren Westdeutschland haben im Rahmen einer Studie zugegeben, massiv Anabolika zur Leistungssteigerung eingenommen zu haben. Im Deutschlandfunk sagte Ralf Meutgens, Doping-Experte und Ex-Radsportler, man könne schon von einer gewissen Systematik des Verbandes sprechen. Die Sportler hätten sich damals in einem Dilemma befunden. "Das Dilemma wird heute nicht besser, wenn von der Sportpolitik 30 Prozent mehr Medaillen gefordert werden."

Ralf Meutgens im Gespräch mit Marina Schweizer |
    Ampullen mit Anabolika
    Ampullen mit Anabolika (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    "Die Verbände, in dem Fall der deutsche Leichtathletik-Verband, haben die Normen so hoch angesetzt, dass die realistisch nur mit Doping zu erreichen waren, dann kann man schon von einer gewissen Systematik sprechen", sagte Ralf Meutgens im Deutschlandfunk. Der Journalist konnte die unveröffentlichte Doktorarbeit von Simon Krivec von der Universität Hamburg einsehen. Zwar habe es keinen Staatsplan, wie in der DDR gegeben, aber man könne angesichts der hohen Leistungsanforderungen im Spitzensport von einer Art Duldung im Deutschen Leichtathletikverband sprechen.
    Hausärzte als Beschaffungsquelle
    In der Dissertation antworteten 31 Athleten größtenteils anonym, dass sie teilweise massiv anabole Steroide genommen hätten. Der Anabolikamissbrauch fand dabei vor allem in Eigenregie des Sportlers und seines direkten Umfeldes aus Ärzten und Trainern statt. Anabolika habe es teilweise auf Rezept des Arztes gegeben, besorgt in der Apotheke. "Es tauchen einzelne Namen von Ärzten auf, die bekannt sind. Es tauchen aber auch Ärzte auf, die Hausärzte waren, die Beschaffungsquellen waren. Das ist ein breites Feld von verschiedensten, unbekannten Ärzten", schildert Meutgens die Quellen der Sportler.
    Der Journalist und Doping-Experte Ralf Meutgens
    Der Journalist und Doping-Experte Ralf Meutgens (Ralf Meutgens)
    Meutgens, bis Mitte der 1980er Jahre Amateurfahrer im Radsport, sagte weiter: "Ich finde die Strukturen des Radsports wieder. Man muss sich schon die Frage stellen, wenn es im Radsport, in der Leichtathletik vorkommt, es sind nicht die einzigen Sportarten, wo Anabolika-Doping Sinn macht.
    Das Dilemma der Athleten besteht bis heute
    Die Athleten hätten sich damals in einer Zwickmühle befunden, urteilt der Journalist und Doping-Experte. Da ihre Konkurrenten ebenfalls gedopt hätten, musste sie mitziehen, um die Leistung zu erbringen, die für Qualifikationen oder Medaillen nötig waren. Eine Situation, die heute noch lange nicht vorbei ist. "Das Dilemma besteht noch heute. Die Sportler müssen auch teilweise mit dem Leistungssport ihr Geld verdienen. Das Dilemma wird nicht besser, wenn von der Sportpolitik 30 Prozent mehr Medaillen gefordert werden", sagte Meutgens.
    Rechtliche Konsequenzen müssten die Sportler heute nicht mehr fürchten. Aber die Athleten würden durch ihr Outing einen Teil ihrer gesamten Lebenskarriere diskreditieren, sagte der 57-Jährige im Deutschlandfunk. "Es gehöre enorm viel Mut dazu, sich dazu zu bekennen, weil dann die ganzen Erfolge in einem anderen Licht erscheinen."
    Das gesamte Gespräch können Sie mindestens sechs Monate in unserer Mediathek nachhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.