Paul Breitner fläzt sich in seinem Sessel im Büro - über ihm hängen zwei große Porträts: Eins von Che Guevara und eins von Mao Zedong. Wuschelkopf, getrimmter Bart, Blick genau in die Kamera - so posiert Breitner nach der gewonnenen WM 1974 für "Stern"-Fotograf Peter Thomann:
"Dann kommt man in die Wohnung, dann guckt man erstmal und dann weiß man auch ganz genau, in welcher Ecke oder wo man fotografiert. Wichtig ist für einen Bildjournalisten, dass auf einem Foto möglichst viele Informationen sind. Ich hab ihn immer bewundert, weil er so konsequent war. Gegenüber seinen anderen Fußballkollegen war er ja wirklich ein Paradiesvogel."
Eine der größten Fotosammlungen in öffentlicher Hand
Das Porträt des Weltmeisters ist eines von mehr als 15 Millionen Fotos, die in acht Lastwagen von Hamburg nach München transportiert wurden. Das Magazin "Stern" hat sein analoges Bildarchiv aus den Jahren 1948 bis 2001 der Bayerischen Staatsbibliothek geschenkt, sagt der 79-jährige Fotograf Thomann:
"Die Alternative wäre gewesen, dass dieses ganze zeitgeschichtliche Material in einem Hamburger Lagerhaus für ewig verschlossen und für die Nachwelt nicht mehr zugänglich gemacht werden konnte."
Künftig sollen Wissenschaftler und Interessierte in einer der größten Fotosammlungen in öffentlicher Hand im deutschsprachigen Raum recherchieren können. Das Archiv dokumentiert ganz verschiedene Ereignisse aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Studenten, die 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking demonstrieren. Jan Ullrich im gelben Trikot nach seinem ersten Etappensieg bei der Tour de France 1997. Oder: Helmut Schmidt - breit grinsend und mit Zigarre im Mund - 1969 bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und FDP.
Fotoarchiv soll digitalisiert werden
"Wir durften nicht rein, aber es gab eine Glasscheibe, wo wir durchfotografieren konnten. Als Helmut Schmidt gesehen hat, dass die Meute der Fotografen da draußen steht, kommt er, schließt den Vorhang und grinst über beide Ohren. Meine Position war optimal, ich hatte ein Fisheye drauf, was dann eben sein Grinsen auch noch verzeichnet. Also das ist auch ein Glücksfall, dass ich hier am richtigen Ort stand."
Für die Bayerische Staatsbibliothek ist das Geschenk mit viel Arbeit verbunden: Kuratoren und Restauratoren kümmern sich um die Millionen Dias, Negative und Abzüge - die in tausenden Archivkartons und hunderten Leitz-Ordnern 180 Regalmeter füllen. Historische Momente in einer besonderen Ästhetik - etliche Fotoreportagen des "Stern" gewannen Preise. Nun müssen die Bibliothekare mit den Fotografen verhandeln und die Nutzungsrechte klären. Die Staatsbibliothek will das Fotoarchiv des "Stern" nach und nach digitalisieren, so dass Interessierte online recherchieren können - auch in Dokumenten, die bisher kaum jemand kennt, sagt Generaldirektor Klaus Ceynova:
"Es ist immer nur ein ikonisches Foto, was zu sehen ist in einer Zeitung, was um die Welt geht. Aber die 30 anderen drum herum, die auch fotografiert worden sind, und die dieses Foto kontextualisieren und relativieren, die kennt man nicht. Und so etwas wird dann sichtbar werden und auch erforschbar werden."
Schenkung auch für Verlag "eine gute Sache"
Zehn bis 15 Jahre kann die Digitalisierung dauern - das Projekt soll europaweit ausgeschrieben werden. Mehr als 20 Jahre Erfahrung der Staatsbibliothek in der Digitalisierung hätten den Ausschlag dafür gegeben, dass die Hamburger Bildsammlung in München landete, heißt es. Aber warum eine Schenkung? Hätte der Verlag "Gruner + Jahr" das "Stern"-Archiv nicht teuer verkaufen können? Verlagssprecher Frank Thomsen:
"Ganz ehrliche Antwort: Das wissen wir nicht. Das Fotoarchiv hat eine Dimension, die so gewaltig ist mit 15 Millionen. Es hat eine solche Fülle an Fotografen, die diese Fotos gemacht haben. Es gibt so viele Urheber- und auch Besitzrechtsfragen dahinter, dass wir froh sind, dass wir eine Institution an der Seite haben, die da hilft. Die Fotografen dürfen natürlich alle nicht ihrer Rechte beraubt werden, das ist garantiert. Wir wollen weiter Zugriff darauf haben und wir werden bestimmt auch gemeinsame Sache mit der Staatsbibliothek in den vielen nächsten Jahren machen. Für uns ist das einfach eine gute Sache."