Sehr alt ist das Fachgebiet der Paläogenetik noch nicht: Der Begriff kam erstmals in den 1960er-Jahren auf und "alte DNA" wurde 1984 zum ersten Mal analysiert. Seitdem hat die Disziplin einen rasanten Aufstieg genommen, weil immer bessere Untersuchungsmethoden entwickelt werden.
Die neuen detaillierten Erkenntnisse über sexuelle Kontakte zwischen Homo Sapiens und Neandertalern bis hin zu sozialen Hierarchien in Siedlungen der Bronzezeit - sie beruhen darauf, dass Paläogenetiker mittlerweile aus vermeintlich "hoffnungslosen" Proben Erbgutmoleküle extrahieren und untersuchen können, auch wenn die DNA nur noch in Bruchstücken vorliegt.
"Eine Maschine kann heutzutage am Tag bis zu 20 Milliarden solcher Sequenzen entschlüsseln. Das ist wirklich immens. Also die Maschinen, die wir noch vor 15 Jahren hatten, konnten am Tag nur 100 DNA-Sequenzen entschlüsseln. Das heißt, der Durchsatz der Maschinen hat sich verhundertmillionenfacht in den letzten 15 Jahren."
Die Auferstehung der Dinosaurier - nach wie vor Science Fiction
Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte hat einst zusammen mit seinem Doktorvater Svante Pääbo, einem der Gründerväter des Forschungsgebiets, das Neandertaler-Genom entschlüsselt: "Es war natürlich sehr spannend. Am Ende aber haben wir in den ganzen 80er- und 90er-Jahren natürlich so einen Hype um das Thema alte DNA, was am Ende natürlich auch mit Michael Crichtons Buch zu tun hat, Jurassic Park."
Aus dem Blutstropfen der im Bernstein eingeschlossenen Mücke intakte Dinosaurier-DNA extrahieren - das war zwar eine brillante literarische Idee, aus der dann aber keine wissenschaftliche Realität wurde: "Im Laufe der neunziger Jahre hat sich auch gezeigt, dass man nicht viel weiter zurückgehen kann als vielleicht eine Million Jahre". Je älter die Probe, umso größer das Problem der Kontamination, der Verunreinigung der eigentlich gesuchten genetischen Spuren mit anderem Erbmaterial.
Verunreinigung ist Fehlerquelle Nummer eins
Aber Kontamination ist ohnehin die Fehlerquelle Nummer eins bei der DNA-Analyse - so stammen die gefundenen Erbinformationen am Ende gar nicht aus der Probe, sondern aus einer Hautschuppe des Paläontologen. In einem Labor für alte DNA wie dem an der Universität Kopenhagen herrschen deshalb strengste Reinraum-Vorschriften, der Zutritt ist nur mit Ganzkörperanzug, Armstulpen, Handschuhen und Mundschutz gestattet.
Unter exakt den gleichen Vorsichtsmaßnahmen arbeitet auch das Team von Johannes Krause am MPI für Menschheitsgeschichte in Jena.
Alte und moderne DNA auseinanderhalten
Dass eine Probe verunreinigt wurde, lässt sich trotzdem nie ausschließen - etwa bei der Ausgrabung oder später bei der Lagerung. Immerhin gibt es mittlerweile recht verlässliche Methoden, alte und moderne DNA auseinanderzuhalten: "Und zwar funktioniert das Ganze so, dass wenn die DNA alt wird, dann zerbricht sie, aber sie wird auch chemisch modifiziert. Die DNA Struktur ändert sich und diese chemischen Veränderungen können wir detektieren."
Pestepidemien viel früher als bislang angenommen
In alten Knochen und besonders Zähnen findet sich aber nicht nur die Erbsubstanz von Menschen, auch Bakterien hinterlassen dort genetische Spuren. Wie Analysen aus dem Kopenhagener Labor zeigen, waren offenbar bereits in der Jungsteinzeit und Bronzezeit Menschen mit Pesterregern infiziert - und zwar mit Bakterien, die sich von den heute existierenden Stämmen unterscheiden. Könnten diese alten Stämme wieder auftauchen und aktiv werden?
Eine Fossiliengeschichte der Krankheitserreger
In den Überresten von Menschen aus Kuba, die dort einst vor der Ankunft von Kolumbus gelebt hatten, fanden Paläogenetiker Tuberkulose-Erreger. Die Krankheit wurde also nicht wie bislang angenommen erst von den Europäern eingeschleppt - die Variante in Kuba war offenbar von Tieren auf Menschen übergesprungen. Die Analyse von alter DNA zeigt, wie schnell Erreger im Laufe der Zeit ihr Erbgut anpassen, mutieren: "Wir haben sozusagen eine Art Fossiliengeschichte der Krankheitserreger erstellt, und das ist denke ich auch für die Mikrobiologie und für die Medizin extrem wichtig und auch sehr hilfreich."
DNA aus Sedimenten und Kaugummis
Ausgereizt sind die Methoden der Paläogenetik noch lange nicht. Waren bislang Knochen und Zähne die Hauptquelle für alte DNA, so können Wissenschaftler mittlerweile Erbgut aus Sedimenten extrahieren: "Und können dann beispielsweise ganze Genome von Menschen rekonstruieren, die einst irgendwo in einer Ecke in einer Höhle gesessen haben und einfach vielleicht Hautschuppen verloren haben oder sich vielleicht auch erleichtert haben in dieser Ecke." Oder vielleicht für kommende Generationen interessant: Aus abgekauten Kaugummis lässt sich die DNA der Konsumenten samt der Bakterienflora in ihrem Mundraum rekonstruieren.
Wie repräsentativ sind Analysen von alter DNA?
Trotz aller Fortschritte bei den Methoden bleibt eine grundsätzliche Frage: Ist das analysierte Erbgut aus einem alten Fund eigentlich repräsentativ für eine ganze Population? Kann man aus der DNA von einem Dutzend Menschen die Geschichte Europas rekonstruieren? "Dass das nicht ausreichend ist für Archäologen und Historiker, das ist natürlich klar und liegt auf der Hand. Aber ich denke, es ist ein sehr guter Beitrag, wir können tatsächlich viele Hypothesen, die aufgestellt wurden, testen und da haben wir dann relativ klare diskrete Daten."