Am 9. Mai 1979 versammelten sich die Geschäftsführer der US-Tabakbranche. Es ging darum, "den Vorwand der Regierung" für die Erhebung von Strafsteuern zu entkräften - nämlich die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Rauchen der Gesundheit schadet. Dazu sollte Wissenschaft gegen Wissenschaft in Stellung gebracht werden. "Zweifel säen", das war die Strategie der Branche. Indem man die Gefahren des Rauchens relativiert, sollten Presse, Öffentlichkeit, potenzielle Gutachter und Politiker manipuliert werden. Und das Mittel zum Zweck war ein eigens zu diesem Zweck gegründetes Netzwerk von Forschungsinstituten.
Die Taktik, sie funktionierte. Und zwar so gut, dass der kleine Kreis einflussreicher Wissenschaftler, der sie ersonnen hatte, den Zweifel von da an immer wieder als Waffe einzusetzen wusste. Mal war ihr Ziel, staatliche Regulierungen der Industrie zu verhindern - wie beim Rauchen oder Passivrauchen. Mal wollten sie Projekte stützen, wie bei SDI, dem Krieg der Sterne. Nuklearer Winter, saurer Regen, Klimawandel - immer wieder gelang es den Physikern Fred Seitz, Fred Singer, Robert Jastrow und Bill Nierenberg die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft und Wissenschaftlern zu untergraben.
In ihrem Buch "Die Machiavellis der Wissenschaft" analysieren Naomi Oreskes und Erik Conway die Methoden dieser "mächtigen Vier" - und die der konservativen Think Tanks, die inzwischen deren Arbeit fortsetzen. Akribisch zeigen beiden Autoren auf, wie die ganz normalen Unsicherheiten bei wissenschaftlichen Ergebnissen instrumentalisiert werden, um Einfluss auf Wissenschaft und Politik zu erlangen. Nicht, dass Seitz, Singer, Jastrow und Nierenberg dabei von kommerziellen Interessen getrieben gewesen wären. Vielmehr hatten sie schon im Zweiten Weltkrieg im US-Rüstungsprogramm gearbeitet, waren strikte Antikommunisten, die sich als Beschützer der Freien Welt verstanden. Umweltschutz war für sie nichts anderes als Sozialismus mit anderen Mitteln. Deshalb bekämpften sie jeden Eingriff in das freie Spiel des Marktes: mit Millionen von Dollar an Forschungsgeldern im Rücken, die die Industrie ihnen zur bestmöglichen Verwendung übergab.
Das Thema, das Oreskes und Conway in den "Machiavellis der Wissenschaft" bearbeiten, ist spannend, so spannend, dass es tatsächlich einen Plot für einen Thriller abgäbe. Allerdings hinterlässt das Buch ein zwiespältiges Gefühl. Durch den gewählten Ansatz, ein Thema nach dem anderen abzuhaspeln, wiederholt und wiederholt sich die Argumentation. Was aber schwerer wiegt als ein deswegen leicht enervierter Leser ist, dass sich der Blickwinkel unzulässig verengt. Das Problem mag derzeit vielleicht in den USA mit Blick auf die Debatte über die Existenz des Klimawandels am stärksten ausgeprägt sein, aber es ist weder typisch amerikanisch, noch kapitalistisch. Die Machiavellis der Wissenschaft können aus allen möglichen Weltanschauungen und Interessen heraus tätig werden. Auch die Auflösung im letzten Kapitel ist eher unbefriedigend: Sie lässt sich mit dem alten Spruch "Trau - schau - wem" zusammenfassen. Das Fazit: Ein durchaus lesenswertes Buch mit Schwächen.
Naomi Oreskes und Erik M. Conway: Die Machiavellis der Wissenschaft. Das Netzwerk des Leugnens
Aus dem Amerikanischen von Hartmut Leipner und Anna-Maria Leipner
ISBN: 978-3-52-741211-2
Verlag Wiley-VCH, 280 Seiten, 24,90 Euro
Aus dem Amerikanischen von Hartmut Leipner und Anna-Maria Leipner
ISBN: 978-3-52-741211-2
Verlag Wiley-VCH, 280 Seiten, 24,90 Euro